ECLI:DE:BFH:2023:B.051223.IXB108.22.0
BFH IX. Senat
FGO § 115 Abs 2 Nr 1, FGO § 115 Abs 2 Alt 1, FGO § 115 Abs 2 Alt 2, FGO § 115 Abs 2 Nr 3, EUV 2016/679 Art 4 Nr 1, EUV 2016/679 Art 15, EUV 2016/679 Art 23 Abs 1 Buchst j, AO § 2a Abs 5, AO § 32c Abs 1 Nr 2, InsO § 80 Abs 1, BGB § 242, GG Art 35 Abs 1
vorgehend FG Hamburg, 13. Juni 2022, Az: 3 K 73/21
Leitsätze
1. NV: Es ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt, dass das Recht des Insolvenzverwalters auf Auskunft gegenüber dem Finanzamt (FA) nicht besteht, soweit die Auskunftserteilung das Finanzamt in der Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung zivilrechtlicher Ansprüche oder in der Verteidigung gegen das FA geltend gemachter zivilrechtlicher Ansprüche beeinträchtigen würde.
2. NV: Ebenfalls ist geklärt, dass der Anspruch auf Akteneinsicht nicht aus Art. 15 der Datenschutz-Grundverordnung i.V.m. § 2a Abs. 5 der Abgabenordnung folgt.
Tenor
Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 13.06.2022 - 3 K 73/21 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liegen nicht vor. Es ist weder eine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, dazu unter 1.) noch zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO, dazu unter 2.) oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO, dazu unter 3.) möglich. Der vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) gerügte Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) ist nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlichen Weise dargelegt (dazu unter 4.).
1. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung scheidet aus.
a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Revision ist zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, wenn davon auszugehen ist, dass im Einzelfall Veranlassung besteht, Grundsätze und Leitlinien für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen. Beide Zulassungsgründe setzen eine klärungsbedürftige und klärbare Rechtsfrage voraus (vgl. Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 115 Rz 100, 160, m.w.N.).
b) Daran fehlt es hier. Die Frage, ob und in welchem Umfang der Insolvenzverwalter Zugang zu steuerlichen Daten des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt ‑‑FA‑‑) hat, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt (vgl. Urteile des Bundesverwaltungsgerichts ‑‑BVerwG‑‑ vom 16.09.2020 - 6 C 10/19 und vom 25.02.2022 - 10 C 4/20 (7 C 31/17), BVerwGE 175, 62).
Insoweit ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt, dass das Recht des Insolvenzverwalters auf Auskunft gegenüber dem FA nicht besteht, soweit die Auskunftserteilung das FA in der Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung zivilrechtlicher Ansprüche oder in der Verteidigung gegen das FA geltend gemachter zivilrechtlicher Ansprüche beeinträchtigen würde. Ebenfalls ist geklärt, dass der Anspruch auf Akteneinsicht nicht aus Art. 15 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) i.V.m. § 2a Abs. 5 der Abgabenordnung (AO) folgt. Denn der Insolvenzverwalter ist hinsichtlich der Steuerdaten des Insolvenzschuldners nicht "betroffene Person" im Sinne des Art. 4 Nr. 1, Art. 15 Abs. 1 DSGVO. Daher geht der Auskunftsanspruch des Insolvenzschuldners nicht gemäß § 80 Abs. 1 der Insolvenzordnung (InsO) in die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters über (vgl. BVerwG-Urteil vom 16.09.2020 - 6 C 10/19, Rz 16, m.w.N.; BVerwG-Beschluss vom 28.10.2019 - 10 B 21/19, Rz 10; Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 16.06.2020 - II B 65/19, BFHE 268, 524, BStBl II 2020, 622, Rz 12).
Dies gilt auch für die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob und in welchem Umfang ihm ein Anspruch auf Amtshilfe zusteht. Es ist geklärt, dass der Insolvenzverwalter trotz seiner Bestellung durch gerichtlichen und damit öffentlich-rechtlichen Akt (§ 56 Abs. 1 InsO) sowie dessen Stellung als Partei kraft Amtes (vgl. u.a. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26.01.2006 - IX ZR 282/03, Zeitschrift für das gesamte Insolvenz- und Sanierungsrecht 2006, 260, unter I.1., m.w.N.) weder Teil des öffentlichen Dienstes noch als Träger öffentlicher Gewalt anzusehen ist (vgl. BFH-Beschluss vom 28.11.2019 - X B 132/19 zu § 78 Abs. 3 FGO). Damit ist er auch nicht Amtshilfeberechtigter nach Art. 35 Abs. 1 des Grundgesetzes. Ebenso genügt der Umstand, dass die vom Kläger aufgeworfene Frage fast jedes Insolvenzverfahren betreffen kann, nicht zur Annahme der grundsätzlichen Bedeutung. Denn sie lässt sich eindeutig anhand der gesetzlichen Regelungen des § 32c Abs. 1 Nr. 2 AO sowie des Art. 15 und Art. 23 Abs. 1 Buchst. j DSGVO beantworten.
Aufgrund des abschließenden Charakters dieser Normen bedarf es daher auch nicht einer Heranziehung des § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Daher ist die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob es für den geltend gemachten Auskunftsanspruch eines Rückgriffs auf die allgemeine Regelung des § 242 BGB bedarf, nicht von grundsätzlicher Bedeutung (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 14.04.2011 - VII B 201/10, Rz 12, m.w.N.).
Soweit sich der Kläger unter anderem auf die Verpflichtung des FA zur Auskunftserteilung, den Umfang der Auskunftserteilung und den Charakter des Art. 15 DSGVO als "Ausforschungsrecht" beruft, legt er im Wesentlichen seine von der Ansicht des Finanzgerichts (FG) abweichende rechtliche Würdigung dar. Gleiches gilt für die Fragen, ob der Insolvenzanfechtung unterfallende Leistungen ursprünglich mit oder ohne Rechtsgrund an das FA geleistet worden waren, ob die Verteidigungsmöglichkeiten des FA in der Folge der Auskunftserteilung eingeschränkt werden und ob die von der Vorinstanz vertretene Rechtsauffassung ein "Sonderrecht" für die Finanzverwaltung schafft. Diese Ausführungen können daher nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung führen.
Im Übrigen betreffen die Ausführungen des Klägers mehrere abstrakte Fragen zum Verhältnis der datenschutzrechtlichen Regelungen in der Abgabenordnung zu den Regelungen der Datenschutz-Grundverordnung. Die Fragen mögen zwar im Einzelnen klärungsbedürftig sein, weil insoweit keine höchstrichterliche Entscheidung vorliegt. Ausführungen zur Entscheidungserheblichkeit im hier zu entscheidenden Fall lassen die Ausführungen des Klägers jedoch vermissen.
2. Aus diesem Grund scheidet auch eine Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) aus.
3. Ebenso wenig erfordert im Streitfall die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO).
a) Die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung setzt voraus, dass das FG in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Gerichts abgewichen ist, dass dabei über dieselbe Rechtsfrage entschieden wurde und diese für beide Entscheidungen rechtserheblich war, dass die Entscheidungen zu gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangen sind, dass die abweichend beantwortete Rechtsfrage im Revisionsverfahren geklärt werden kann und dass eine Entscheidung des BFH zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich ist (vgl. u.a. Senatsbeschluss vom 16.11.2021 - IX B 37/21, Rz 7).
Im Einzelnen sind für die schlüssige Rüge einer Divergenz gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO die angebliche Divergenzentscheidung genau ‑‑mit Datum und Aktenzeichen oder Fundstelle‑‑ zu bezeichnen sowie tragende, abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und aus der behaupteten Divergenzentscheidung andererseits gegenüberzustellen, um die Abweichung deutlich zu machen. Dies erfordert auch die Darlegung, dass es sich im Streitfall um einen gleichen oder vergleichbaren Sachverhalt handelt, so dass sich in der angefochtenen Entscheidung und in der Divergenzentscheidung dieselbe Rechtsfrage stellt.
b) Daran gemessen liegt im Streitfall seitens des FG kein Verstoß gegen tragende Rechtsgrundsätze in den vom Kläger in seiner Beschwerdebegründung angeführten Entscheidungen vor.
aa) Soweit der Kläger auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) Land Nordrhein-Westfalen gegen D.H. T. vom 10.12.2020 - C-620/19, EU:C:2020:1011 hinweist, liegt keine Abweichung von den Grundsätzen dieser Entscheidung vor. In dieser Entscheidung hat sich der EuGH für die Prüfung von Fragen, die sich im Rahmen einer vom nationalen Recht angeordneten Geltung der Datenschutz-Grundverordnung für juristische Personen ergeben, für nicht zuständig erklärt (vgl. EuGH-Urteil Land Nordrhein-Westfalen gegen D.H. T. vom 10.12.2020 - C-620/19, EU:C:2020:1011, Rz 52). Eine Divergenz zur angefochtenen Entscheidung des FG liegt damit nicht vor.
bb) Hinsichtlich des Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 31.01.1989 - 1 BvL 17/87 (BVerfGE 79, 256) fehlt es offenkundig am Vorliegen eines vergleichbaren Sachverhalts. Die Entscheidung des BVerfG betrifft den Anspruch auf Klärung der Abstammung und hat sich weder mit den hier streitigen Regelungen der Datenschutz-Grundverordnung noch mit den Vorschriften der Abgabenordnung befasst. Die Entscheidung betrifft zudem nicht die Geltendmachung von Auskunftsansprüchen gegenüber der Finanzverwaltung.
cc) Eine Divergenz zum BFH-Urteil vom 08.06.2021 - II R 15/20 liegt ebenfalls nicht vor. Schwerpunkt dieses Verfahrens war die Unzulässigkeit der Klage wegen doppelter Rechtshängigkeit (§ 17 Abs. 1 Satz 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes). Es fehlt daher am Vorliegen einer vergleichbaren Rechtsfrage.
dd) Auch eine Abweichung des angefochtenen Urteils von den Entscheidungen des BVerwG vom 26.04.2018 - 7 C 3/16, vom 16.09.2020 - 6 C 10/19 und vom 25.02.2022 - 10 C 4/20 (7 C 31/17) (BVerwGE 175, 62) ist nicht gegeben.
Vielmehr folgt das angefochtene Urteil des FG den vom BVerwG aufgestellten abstrakten Rechtssätzen zu § 80 Abs. 1 InsO, § 32c Abs. 1 Nr. 2 AO, Art. 15 und Art. 23 Abs. 1 Buchst. j DSGVO. Das FG hat den Übergang des Auskunftsanspruchs von der Insolvenzschuldnerin auf den Kläger nach § 80 Abs. 1 InsO verneint. Gemäß § 32c Abs. 1 Nr. 2 AO hat das FG das Bestehen eines Auskunftsrechts nach Art. 15 DSGVO gegenüber dem FA abgelehnt, soweit die Auskunftserteilung das FA in der Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung zivilrechtlicher Ansprüche oder in der Verteidigung gegen das FA geltend gemachter zivilrechtlicher Ansprüche im Sinne des Art. 23 Abs. 1 Buchst. j DSGVO beeinträchtigen würde. Das FG hat mithin die abstrakten Rechtsgrundsätze der Entscheidungen des BVerwG (vgl. Urteile vom 16.09.2020 - 6 C 10/19, Rz 23 und vom 25.02.2022 - 10 C 4/20 (7 C 31/17), BVerwGE 175, 62, Rz 19) seinem Urteil zugrunde gelegt und diese auf den Fall angewandt.
Eine Divergenz zum Urteil des BVerwG vom 26.04.2018 - 7 C 3/16 besteht ebenfalls nicht. Die Entscheidung betraf die Rechtslage vor Inkrafttreten des § 32c Abs. 1 Nr. 2 AO und des Art. 15 und Art. 23 Abs. 1 Buchst. j DSGVO.
4. Hinsichtlich des pauschal geltend gemachten Verfahrensmangels aufgrund eines Anspruchs auf Akteneinsicht fehlt es an weiteren Ausführungen des Klägers. Dieser ist daher nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechend dargelegt.
5. Von einer Darstellung des Sachverhalts und einer weitergehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.