ECLI:DE:BFH:2023:U.200623.VIIR45.20.0
BFH VII. Senat
EnergieStG § 2 Abs 4, EGRL 96/2003 Art 2 Abs 3
vorgehend FG Hamburg, 31. Juli 2020, Az: 4 K 71/18
Leitsätze
NV: Für Energieerzeugnisse, die nicht in § 2 Abs. 1 bis 3 EnergieStG genannt sind, ist der maßgebliche Steuersatz im Rahmen einer dreistufigen Prüfung zu ermitteln. Zu prüfen ist zunächst die Verwendung als Heiz- oder Kraftstoff, anschließend zwingend eine eventuelle Substituierbarkeit durch ein anderes Energieerzeugnis und erst auf der nächsten Stufe die Vergleichbarkeit mit einem anderen Energieerzeugnis aufgrund der Beschaffenheit und des konkreten Verwendungszwecks.
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 31.07.2020 - 4 K 71/18 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Hamburg zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.
Tatbestand
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) produziert und vertreibt das Produkt X. Dieses wird aus Resten der Oleochemie hergestellt und an Kunden verkauft, deren Dieselfahrzeuge mit einem Dual Fuel System zur Vorheizung des Produkts ausgestattet sind, um das Produkt im Fahrbetrieb als Kraftstoff verwenden zu können. [Es] besteht aus sauerstoffhaltigen Kohlenwasserstoffen in einem komplexen Gemisch aus überwiegend gerad- und verzweigtkettigen Mono- oder Dialkoholen sowie langkettigen Estern. Der Gehalt an Kohlenwasserstoffen beträgt etwa 9 %.
Am 12.08.2016 zeigte die Klägerin die Abgabe des streitbefangenen Produkts als Kraftstoff gemäß § 23 Abs. 4 des Energiesteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EnergieStG) an und ordnete das Produkt als technischen Fettalkohol nach Unterposition 3823 70 00 der Kombinierten Nomenklatur in der am 01.01.2002 geltenden Fassung (KN) ein. Auf dieser Grundlage gab sie den von ihr ermittelten Steuersatz gemäß § 2 Abs. 4 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 5 EnergieStG in Höhe von 130 € für 1 000 kg an.
Das Bildungs- und Wissenschaftszentrum der Bundesfinanzverwaltung (BWZ) untersuchte eine Probe der Ware und kam zu dem Ergebnis, dass diese als Dieselkraftstoff verwendet werden solle und dementsprechend zu besteuern sei.
Mit Energiesteueranmeldung vom 09.09.2016 meldete die Klägerin für Juni 2016 eine Menge von … kg X zu einem Steuersatz von 130 € für 1 000 kg an und errechnete eine Energiesteuer in Höhe von … €.
Mit Steuerbescheid vom 23.02.2017 setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (Hauptzollamt ‑‑HZA‑‑) davon abweichend für das im Kalenderjahr 2016 als Kraftstoff verwendete X von … Litern Energiesteuer in Höhe von … € fest. Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) urteilte, der Steuerbescheid sei rechtmäßig. X sei wie schwefelarmes Gasöl nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b EnergieStG zu besteuern. Es komme nicht darauf an, ob das streitbefangene Produkt in die Unterposition 3824 90 99 KN oder die Unterposition 3823 70 00 KN einzureihen sei, sondern es sei in beiden Fällen der Gleichwertigkeitsprüfung im Sinne von § 2 Abs. 4 Satz 1 EnergieStG in unionsrechtskonformer Auslegung nach Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie (EG) 2003/96 des Rates vom 27.10.2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom ‑‑EnergieStRL‑‑ (Amtsblatt der Europäischen Union 2003, Nr. L 283, 51) zu unterziehen. Das streitbefangene Produkt sei als Kraftstoff für Lastkraftwagen (LKW) abgegeben worden, weshalb es wie ein als Kraftstoff verwendetes Gasöl, nämlich schwefelarmer Dieselkraftstoff, zu besteuern sei.
Die Klägerin begründet ihre Revision folgendermaßen: X weiche stark von Gasöl ab und könne nicht in herkömmlichen Dieselaggregaten verwendet werden. Vielmehr sei es nach seiner Beschaffenheit mit schwerem Heizöl vergleichbar. Die Viskosität des X sei drei- bis sechsmal so hoch, wie es für Dieselkraftstoffe vorgeschrieben sei, weshalb der Einsatz einer Kraftstoffvorerwärmung auf 60 bis 70° C empfohlen werde. Das Siedeverhalten entspreche dem von Heizöl. Auch der Flammpunkt und der typische und maximale Wassergehalt entsprächen nicht denjenigen von Dieselkraftstoff. Die in Anhang I Tabelle A EnergieStRL genannten sechs Energieerzeugnisse könnten das streitbefangene Produkt nicht ersetzen.
Die Klägerin beantragt,
den Steuerbescheid vom 23.02.2017 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 01.06.2018 insoweit aufzuheben, als die Festsetzung den Betrag von … € übersteigt.Das HZA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.Nach unionsrechtskonformer Auslegung sei zuerst der Verwendungszweck als Kraft- oder Heizstoff festzustellen. In einem zweiten Schritt sei zu ermitteln, durch welches der in Anhang I Tabelle A EnergieStRL und § 2 Abs. 1 bis 3 EnergieStG genannten Energieerzeugnisse das streitbefangene Produkt ersetzt werden könne. Führe dies zu keinem Ergebnis, sei zu prüfen, welches Energieerzeugnis nach seinem Verwendungszweck und seiner Beschaffenheit dem Kraftstoff am nächsten stehe. Im Streitfall führe dies wegen des beabsichtigten Einsatzes zum Antrieb von Dieselfahrzeugen zu Gasöl. Dabei spiele es keine Rolle, dass die Kraftstoffe in einem Motor eingesetzt würden, in dem sie vorerwärmt werden könnten. Ungeachtet dessen führte eine an der Beschaffenheit orientierte Versteuerung zum selben Ergebnis.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung der Vorentscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Die Vorentscheidung verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Senat kann nicht abschließend in der Sache entscheiden, weil das FG bislang keine Feststellungen zu einer etwaigen Substituierbarkeit des X durch andere Energieerzeugnisse getroffen hat.
Der Senat entscheidet gemäß § 121 Satz 1, § 90 Abs. 2 FGO mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.
1. Gemäß § 2 Abs. 4 Satz 1 EnergieStG unterliegen andere als die in den Absätzen 1 bis 3 genannten Energieerzeugnisse der gleichen Steuer wie die Energieerzeugnisse, denen sie nach ihrer Beschaffenheit und ihrem Verwendungszweck am nächsten stehen.
Wie der anzuwendende Steuersatz zu ermitteln ist, legt das EnergieStG nicht fest, weshalb die Regelung des § 2 Abs. 4 Satz 1 EnergieStG zumindest auslegungsbedürftig ist (vgl. Senatsurteile vom 10.03.2015 - VII R 5/11, BFHE 249, 264, Rz 21 und VII R 9/11, BFHE 249, 275, Rz 14). Bei der Auslegung dieser Vorschrift sind die Vorgaben des Unionsrechts, insbesondere Art. 2 Abs. 3 EnergieStRL sowie die Mindeststeuersätze nach Art. 7 bis 9 EnergieStRL zu beachten.
Nach dem Urteil Kronos Titan und Rhein-Ruhr Beschichtungs-Service des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 03.04.2014 - C-43/13 und C-44/13 (EU:C:2014:216) ist in einem ersten Schritt zu bestimmen, ob das fragliche Erzeugnis, für das ein Steuerbetrag gesucht wird, als Heiz- oder Kraftstoff verwendet wird. Dabei ergibt sich der Vorrang der konkreten Verwendung des Erzeugnisses gegenüber dessen Gleichwertigkeit mit anderen Energieerzeugnissen aus den Zielen der EnergieStRL, das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts zu gewährleisten. In einem zweiten Schritt ist nach der Rechtsprechung des EuGH zu bestimmen, an die Stelle welches der in Anhang I EnergieStRL (ausdrücklich) aufgeführten Kraft- und Heizstoffe das fragliche Erzeugnis bei seiner Verwendung tatsächlich tritt. Der Begründung der Entscheidung lässt sich entnehmen, dass bei diesem Schritt zu prüfen ist, welches der in Anhang I EnergieStRL aufgeführten Energieerzeugnisse als Ersatz für das tatsächlich eingesetzte Energieerzeugnis hätte verwendet werden können. Dabei kann ein Ersatz nur jeweils innerhalb derjenigen Tabelle nach Anhang I EnergieStRL gesucht werden, die der nach Schritt 1 ermittelten Verwendung entspricht. Ist eine Substitution ‑‑zum Beispiel aufgrund technischer Anforderungen an einen bestimmten Produktionsprozess‑‑ nicht möglich, ist nach den Vorgaben des EuGH in einem dritten Schritt festzustellen, welcher der in Anhang I EnergieStRL aufgeführten Kraft- oder Heizstoffe dem Energieerzeugnis, dem ein Mindeststeuerbetrag zugeordnet werden soll, nach seiner Beschaffenheit und seinem konkreten Verwendungszweck am nächsten steht. Dass bei dieser Prüfung auch der allgemein übliche Verwendungszweck der in Anhang I EnergieStRL aufgeführten Energieerzeugnisse eine Rolle spielen soll, lässt sich dem EuGH-Urteil nicht entnehmen (vgl. Senatsurteile vom 10.03.2015 - VII R 5/11, BFHE 249, 264, Rz 20; VII R 6/11, juris, Rz 16 und VII R 9/11, BFHE 249, 275, Rz 13).
2. Das streitgegenständliche X unterfällt keinem Steuertarif im Sinne von § 2 Abs. 1 bis 3 EnergieStG, weil die Ware in keine der dort genannten Unterpositionen der KN einzureihen ist.
X ist insbesondere keine Ware der Position 2710 KN. Diese Position erfasst "Erdöl und Öl aus bituminösen Mineralien, ausgenommen rohe Öle; Zubereitungen mit einem Gehalt an Erdöl oder Öl aus bituminösen Mineralien von 70 GHT oder mehr, in denen diese Öle den Charakter der Waren bestimmen, anderweit weder genannt noch inbegriffen; Ölabfälle". Nach der Erläuterung 03.0 zum Harmonisierten System gehören zu Position 2710 Erdöle oder Öle aus bituminösen Mineralien, denen durch Toppen bestimmte leichte Fraktionen entzogen worden sind, ferner die durch fraktionierte Destillation oder durch Raffination aus rohem Erdöl oder Öl aus bituminösen Mineralien gewonnenen Leichtöle, mittelschweren Öle und Schweröle. Diese Öle sind flüssig bis halbfest; sie bestehen hauptsächlich aus nichtaromatischen Kohlenwasserstoffen (paraffinischen, naphthenischen und so weiter).
X wird demgegenüber aus Resten der Oleochemie hergestellt … Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und daher gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG besteht das Produkt vorwiegend aus Fettalkoholen. Ob X in die Unterposition 3823 70 00 KN "technische Fettalkohole" ‑‑die die Klägerin in ihrer Anzeige vom 12.08.2016 angegeben hat‑‑ oder in eine Unterposition der Position 3824 "zubereitete Bindemittel für Gießereiformen oder -kerne; chemische Erzeugnisse und Zubereitungen der chemischen Industrie oder verwandter Industrien (einschließlich Mischungen von Naturprodukten), anderweit weder genannt noch inbegriffen" ‑‑wie das BWZ meint‑‑ einzureihen ist, kann in diesem Zusammenhang dahinstehen, weil eine Einreihung in Position 2710 KN jedenfalls aufgrund der objektiven Merkmale und Eigenschaften der Ware nicht in Betracht kommt (zu den für die Einreihung maßgeblichen Kriterien vgl. EuGH-Urteil Mikrotīkls vom 20.10.2022 - C-542/21, EU:C:2022:814, Rz 22 ff., m.w.N. aus der ständigen Rechtsprechung; Senatsurteil vom 28.02.2023 - VII R 21/20, Rz 27).
Aufgrund der unterschiedlichen Beschaffenheit kann X auch nicht als Erdgas oder Flüssiggas (§ 1a Satz 1 Nr. 14 und 15 EnergieStG) angesehen werden. Eine Besteuerung als gasförmiger Kohlenwasserstoff (§ 1a Satz 1 Nr. 16 EnergieStG) scheidet ebenfalls aus, weil X flüssig ist.
Die Steuertarife nach § 2 Abs. 3 EnergieStG betreffen zudem nur zum Verheizen oder zum Antrieb von Gasturbinen und Verbrennungsmotoren in begünstigten Anlagen nach den §§ 3 und 3a EnergieStG verwendete oder zu diesen Zwecken abgegebene Energieerzeugnisse.
3. Der für X maßgebliche Steuersatz ist somit nach § 2 Abs. 4 EnergieStG und unter Berücksichtigung der oben dargestellten Rechtsprechung und der von ihr entwickelten dreistufigen Prüfung zu ermitteln. Diese Prüfung hat das FG in der Vorentscheidung nicht vollständig beziehungsweise nicht in der erforderlichen Reihenfolge durchgeführt.
a) Zunächst hat das FG rechtsfehlerfrei erkannt, dass X als Kraftstoff in Dieselfahrzeugen (zum Antrieb von LKW) verwendet wird. Dass X vor seiner eigentlichen Verbrennung vorerwärmt werden muss, damit es flüssig beziehungsweise ausreichend verflüssigt ist, steht der Verwendung als Kraftstoff nicht entgegen.
b) Allerdings hat das FG den zweiten Prüfungsschritt, nach dem festzustellen ist, ob X durch ein anderes Energieerzeugnis aus Anhang I Tabelle A EnergieStRL ersetzt werden könnte, ausdrücklich offen gelassen (…) und den Steuersatz anhand des dritten Prüfungsschritts ermittelt. Diese Vorgehensweise entspricht nicht den Vorgaben des EuGH in seinem Urteil Kronos Titan und Rhein-Ruhr Beschichtungs-Service (EU:C:2014:216), weil der EuGH den zweiten Prüfungsschritt, das heißt die Prüfung einer möglichen Substitution, nicht optional, sondern zwingend ‑‑vorrangig‑‑ vorgegeben hat. Erst wenn festgestellt wurde, dass eine Substitution nicht möglich ist, hat die Prüfung anhand der Beschaffenheit und des Verwendungszwecks zu erfolgen. Da zumindest nicht ausgeschlossen ist, dass diese Prüfungsschritte zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, kann die Vorentscheidung keinen Bestand haben.
Eine abschließende Beurteilung des Streitfalls ist dem erkennenden Senat nicht möglich, weil das FG ‑‑von seinem rechtlichen Standpunkt aus zu Recht‑‑ bislang keine Feststellungen getroffen hat, anhand derer beurteilt werden kann, ob X durch ein anderes Energieerzeugnis aus Anhang I Tabelle A EnergieStRL ersetzt werden kann.
c) Eine Vergleichbarkeit des X mit schwerem Heizöl hat das FG dagegen zu Recht verneint, weil schweres Heizöl in Anhang I Tabelle C EnergieStRL ‑‑betreffend die Mindeststeuerbeträge für Heizstoffe und elektrischen Strom‑‑ genannt ist und damit nach der oben dargestellten EuGH-Rechtsprechung als Vergleichsprodukt nicht in Betracht kommt.
4. Im zweiten Rechtsgang wird das FG zu prüfen haben, ob X durch ein anderes Energieerzeugnis aus Anhang I Tabelle A EnergieStRL ersetzt werden kann. In diesem Fall ist dessen Steuersatz der Besteuerung von X zugrunde zu legen, sodass es auf die Beschaffenheit und den konkreten Verwendungszweck des X nicht mehr ankommt.
Nur wenn eine Substituierbarkeit zu verneinen ist, sind diese Kriterien maßgeblich und die vom FG festgestellten technischen Eigenschaften des X mit denjenigen anderer, in Betracht kommender Energieerzeugnisse zu vergleichen. Als Kriterien zur Beurteilung der Beschaffenheit kommen zum Beispiel der Aggregatzustand, der Siedebereich, das Verhältnis von Kohlenstoff- und Wasserstoffatomen, der Reinheitsgrad, die Viskosität, der Flammpunkt oder die Dichte der zu vergleichenden Erzeugnisse in Betracht (vgl. Senatsurteil vom 10.03.2015 - VII R 5/11, BFHE 249, 264, Rz 23).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.