ECLI:DE:BFH:2023:U.180123.IR48.19.0
BFH I. Senat
EStG § 4 Abs 1, EStG § 4 Abs 3 S 1, EStG § 5 Abs 1, EStG § 32b Abs 1 S 1 Nr 3, DBA LUX 1958 Art 5 Abs 1, DBA LUX 1958 Art 20 Abs 2 S 2, FGO § 76 Abs 1, HGB § 242 Abs 1, ZPO § 293, ZPO § 560, EStG VZ 2011
vorgehend Hessisches Finanzgericht , 22. August 2019, Az: 10 K 1143/14
Leitsätze
1. NV: Die als Mitunternehmerschaft anzusehende ausländische Personengesellschaft wird für Zwecke der Ermittlung der steuerfreien, dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte als "fiktive" Normadressatin des § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG behandelt; ein danach ggf. bestehendes Gewinnermittlungswahlrecht ist von ihr selbst auszuüben (Anschluss an BFH-Urteile vom 20.04.2021 - IV R 3/20, BFHE 273, 119, und IV R 20/17, BFH/NV 2021, 1191).
2. NV: In diesem Fall ist das (materielle) Gewinnermittlungswahlrecht nach § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG ausgeschlossen, wenn nach ausländischen gesetzlichen Vorschriften eine Buchführungs- und Bilanzierungspflicht besteht (Anschluss an BFH-Urteile in BFHE 273, 119, und in BFH/NV 2021, 1191).
3. NV: Das Eingreifen der sog. Sperrwirkung setzt nicht voraus, dass die ausländischen gesetzlichen Pflichten mit den nationalen funktions- und informationsgleich sind (Anschluss an BFH-Urteile in BFHE 273, 119, und in BFH/NV 2021, 1191).
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 22.08.2019 - 10 K 1143/14 aufgehoben.
Die Sache wird an das Hessische Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über die einkommensteuerliche Berücksichtigung von Verlusten aus der Beteiligung an einer in Luxemburg ansässigen Goldhandelsgesellschaft unter Berücksichtigung des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 23.08.1958 (BGBl II 1959, 1270, BStBl I 1959, 1023) i.d.F. des Ergänzungsprotokolls vom 15.06.1973 (BGBl II 1978, 111, BStBl I 1978, 73) und des Änderungsprotokolls vom 11.12.2009 (BGBl II 2010, 1151, BStBl I 2011, 838) ‑‑DBA-Luxemburg 1958/2009‑‑.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wird beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ‑‑FA‑‑) für Einkommensteuerzwecke steuerlich geführt. In seiner Steuererklärung des Jahres 2011 (Streitjahr) vom 10.09.2012 machte er u.a. dem Progressionsvorbehalt unterliegende steuerfreie Einkünfte in Höhe von ./. … € geltend. Auf Anforderung des FA, einen amtlichen Nachweis über die negativen steuerfreien Einkünfte vorzulegen, reichte der Kläger eine Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG) sowie eine "Anlage EÜR" der A-Gesellschaft mit Sitz in Luxemburg ein und wies darauf hin, dass die ausländischen Einkünfte für Zwecke des Progressionsvorbehalts nach deutschen Gewinnermittlungsgrundsätzen festzustellen seien. Aus der vorgelegten Gewinnermittlung ergibt sich, dass die Gesellschaft aus ihrem Metall- und Rohstoffhandel im Streitjahr Einnahmen von … € erzielt hatte, denen Betriebsausgaben von … € (insbesondere: Erwerb von Gold in Höhe von etwa …. €) gegenüberstanden.
Mit Bescheid vom 31.01.2013 setzte das FA die Einkommensteuer 2011 auf … € fest; die negativen Einkünfte aus Luxemburg seien nicht im Rahmen eines sog. negativen Progressionsvorbehalts anzusetzen, da der Kläger ungeachtet einer entsprechenden Aufforderung keine amtliche Bescheinigung eingereicht habe.
Hiergegen legte der Kläger am 01.03.2013 Einspruch ein. Im Rahmen des Einspruchsverfahrens erteilte ‑‑auf Anfrage des FA‑‑ das Bundeszentralamt für Steuern eine Wirtschaftsauskunft mit Stand 18.03.2013. Danach handele es sich bei der A-Gesellschaft "um eine Art GmbH & Co. KG Luxemburger Rechts", die im November 2010 gegründet worden sei. Komplementärin mit einer vermögensmäßigen Beteiligung von 0,2 % sei die B-Gesellschaft mit Sitz in Luxemburg, deren Geschäftsführer der Kläger sei; Kommanditist der Gesellschaft sei der Kläger mit einer vermögensmäßigen Beteiligung von 99,8 %. Die Wirtschaftsauskunft enthielt zudem die von der A-Gesellschaft zum Zwecke der Besteuerung in Luxemburg mitgeteilten Bilanzansätze für das Streitjahr. Diese wiesen ein positives Jahresergebnis von … € aus.
Die Klage blieb weitestgehend ohne Erfolg. Das Hessische Finanzgericht (FG) hat mit Urteil vom 22.08.2019 - 10 K 1143/14 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2020, 1115) lediglich einen Verlust von … € für Zwecke des Progressionsvorbehalts bei der Ermittlung des besonderen Steuersatzes nach § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG berücksichtigt und die Klage im Übrigen als unbegründet abgewiesen.
Gegen das FG-Urteil richtet sich die auf Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Klägers.
Der Kläger beantragt (sinngemäß), das angefochtene Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2011 vom 31.01.2013 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 09.05.2014 dahingehend zu ändern, dass steuerfreie gewerbliche Einkünfte von ./. … € für Zwecke des Progressionsvorbehalts bei der Ermittlung des besonderen Steuersatzes nach § 32b Abs. 1 Satz 1 EStG berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Anhand der bisherigen tatrichterlichen Feststellungen kann nicht abschließend beurteilt werden, in welcher Höhe der Kläger im Streitjahr über die A-Gesellschaft negative steuerfreie Einkünfte erzielt hat, die dem Progressionsvorbehalt unterfallen.
1. Der Kläger ist aufgrund seines inländischen Wohnsitzes in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) unbeschränkt einkommensteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG). Hat (u.a.) ein unbeschränkt Steuerpflichtiger ausländische Einkünfte bezogen, die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) steuerfrei sind, so ist gemäß § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG auf das nach § 32a Abs. 1 EStG zu versteuernde Einkommen ein besonderer Steuersatz anzuwenden (Progressionsvorbehalt). Ist das nach DBA steuerfreie Einkommen negativ, kann dies zu einer Minderung des Steuersatzes der inländischen Einkünfte ‑‑ggf. bis auf Null‑‑ führen (sog. negativer Progressionsvorbehalt).
2. Die vom Kläger über die A-Gesellschaft bezogenen Einkünfte sind nach dem DBA-Luxemburg 1958/2009 von der inländischen Besteuerung freigestellt und unterliegen daher dem Progressionsvorbehalt. Auf Grundlage der den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) liegen Unternehmensgewinne (gewerbliche Einkünfte) gemäß Art. 5 Abs. 1 DBA-Luxemburg 1958/2009 aus der mitunternehmerischen Beteiligung an einer Personengesellschaft vor, für welche Luxemburg das Besteuerungsrecht zusteht. In Deutschland unterliegen diese Einkünfte gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 2 DBA-Luxemburg 1958/2009 i.V.m. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG dem Progressionsvorbehalt. Für das Vorliegen gewerblicher Einkünfte hat das FG ohne Rechtsfehler auf die Anzahl der Geschäfte, das Handelsvolumen, die zeitlichen Abstände zwischen Anschaffung und Veräußerung des gehandelten Goldes sowie die konkrete Ausgestaltung des Geschäftsbetriebs der A-Gesellschaft abgestellt. Da die Qualifizierung der Einkünfte zwischen den Verfahrensbeteiligten inzwischen nicht mehr in Streit steht, wird in diesem Punkt von weiteren Ausführungen abgesehen.
3. Die dem Progressionsvorbehalt unterliegenden ausländischen Einkünfte sind nach den einschlägigen Vorschriften des deutschen Steuerrechts zu bestimmen (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 16.09.2015 - I R 61/13, BFH/NV 2016, 401, m.w.N.). Die vom FG getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, um im Streitfall deren Höhe zu ermitteln.
a) Für Gewinneinkünfte sieht § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG grundsätzlich die Ermittlung aufgrund des (bilanziellen) Bestandsvergleichs vor. Auf dieser Grundlage würden sich die negativen steuerfreien ausländischen Einkünfte des Klägers nach den Feststellungen der Vorinstanz auf ./. … € belaufen.
b) Der Kläger beruft sich demgegenüber für den geltend gemachten Verlustbetrag von ./. … € auf das Gewinnermittlungswahlrecht nach § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG. Nach dieser Bestimmung können Steuerpflichtige, die nicht aufgrund gesetzlicher Vorschriften verpflichtet sind, Bücher zu führen und regelmäßig Abschlüsse zu machen, und die auch keine Bücher führen und keine Abschlüsse machen, als Gewinn den Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben ansetzen.
c) Das FG hat die Voraussetzungen des Gewinnermittlungswahlrechts nach § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG als nicht erfüllt angesehen, weil zum einen nach luxemburgischem Recht die A-Gesellschaft zur Buchführung verpflichtet gewesen sei und zum anderen die Gesellschaft zur Gewinnermittlung gegenüber der luxemburgischen Steuerverwaltung eine Bilanz erstellt habe. Seine Feststellungen reichen indessen nicht aus, um das Gewinnermittlungswahlrecht nach § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG als ausgeschlossen anzusehen.
aa) Nach der Rechtsprechung des IV. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH), die zu Fällen ergangen ist, die ebenfalls Verluste aus mitunternehmerischen Beteiligungen an einer Luxemburger Personengesellschaft betrafen, können auch ausländische Vorschriften, die eine Buchführungs- und Abschlusspflicht begründen, das (materielle) Gewinnermittlungswahlrecht nach § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG ausschließen (BFH-Urteile vom 20.04.2021 - IV R 3/20, BFHE 273, 119, und IV R 20/17, BFH/NV 2021, 1191). Die sog. Sperrwirkung setzt danach voraus, dass die ausländischen Gesetze sowohl eine Buchführungs- als auch eine Abschluss- und damit Bilanzierungspflicht normieren. Nicht erforderlich ist demgegenüber ‑‑anders als die Klägerin im vorliegenden Fall meint‑‑, dass die ausländischen gesetzlichen Pflichten mit den deutschen Buchführungs- und Abschlusspflichten funktions- und informationsgleich sind. Entspricht der ausländische Abschluss nicht den Gewinnermittlungsregeln nach deutschem Steuerrecht, ist eine entsprechende Überleitungsrechnung vorzunehmen.
Besteht keine ausländische Buchführungs- und Abschlusspflicht im vorstehend beschriebenen Sinne, kommt es für die Ausübung des Gewinnermittlungswahlrechts nach § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG auf das Verhalten der ausländischen Personengesellschaft als "fiktiver" Normadressatin des § 4 Abs. 3 EStG ‑‑und nicht auf das des inländischen Gesellschafters‑‑ an (BFH-Urteile in BFHE 273, 119, und in BFH/NV 2021, 1191). Dabei sind die Regeln zu befolgen, die auch für den reinen Inlandsfall gelten. Maßgeblich ist danach die tatsächliche Handhabung der Gewinnermittlung. Das Wahlrecht ist ausgeübt, wenn das Gewinnermittlungssubjekt die Einnahmen-Überschussrechnung oder den Betriebsvermögensvergleich fertiggestellt hat und diese Gewinnermittlung als endgültig ansieht. Möchte die ausländische Personengesellschaft für Zwecke der Ermittlung der nach dem DBA steuerfreien Progressionseinkünfte die Einnahmen-Überschussrechnung wählen, muss das Wahlrecht entsprechend ausgeübt werden, bevor im In- oder Ausland eine Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich erfolgt. Als starkes Beweisanzeichen hierfür kann gewertet werden, dass bei dem inländischen Finanzamt eine Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG eingereicht wird, bevor der ausländischen Steuerverwaltung ggf. eine Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich zugeleitet worden ist.
bb) Der erkennende Senat schließt sich den dargestellten Erkenntnissen des IV. Senats des BFH in Ergebnis und Begründung an und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Urteilsbegründungen, die sich auch eingehend mit den wesentlichen Einwendungen befassen, die der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit gegen den Rückgriff auf ausländisches Recht zur Begründung einer Sperrwirkung hinsichtlich der Wahlrechtsausübung nach § 4 Abs. 3 EStG erhoben hat.
cc) Den vorstehend dargestellten Maßgaben werden die tatrichterlichen Feststellungen des ‑‑zeitlich vor den Urteilen des IV. Senats des BFH ergangenen‑‑ FG-Urteils nicht gerecht.
So ist das FG lediglich von einer für die A-Gesellschaft nach luxemburgischem Recht bestehenden Buchführungspflicht ausgegangen. Insoweit hat sich das FG aber keine eigene Überzeugung gebildet, sondern ‑‑ohne dies offenbar näher zu überprüfen‑‑ die dahingehend getätigte Aussage des Klägers übernommen. Feststellungen zu einer Abschlusspflicht liegen ebenfalls nicht vor. Auch wenn es nahe liegen dürfte, dass das FG von einer entsprechenden gesetzlichen Abschlussverpflichtung ausgegangen ist, fehlt die vom FG als Tatsachengericht vorzunehmende Prüfung ausländischen Rechts. Insoweit bedarf es einer ‑‑wenn auch möglicherweise nur kurzen‑‑ Darstellung des entscheidungserheblichen luxemburgischen Rechts hinsichtlich einer Buchführungs- und Abschlusspflicht, welche den erkennenden Senat binden könnte (vgl. wiederum BFH-Urteile in BFHE 273, 119, und in BFH/NV 2021, 1191).
Was die vom FG (hilfsweise) angenommene Ausübung eines etwaigen Gewinnermittlungswahlrechts durch Einreichung einer Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich durch die A-Gesellschaft entsprechend § 4 Abs. 1 EStG gegenüber der luxemburgischen Finanzverwaltung betrifft, fehlen hinreichende Feststellungen zur zeitlichen Abfolge der Abgabe dieser Erklärung und der gegenüber dem FA abgegebenen Einnahmen-Überschussrechnung. Sollte es sich bei Letzterer um eine von der A-Gesellschaft herrührende und von dieser als endgültig angesehene Gewinnermittlung durch Einnahmen-Überschussrechnung handeln, die dem FA zeitlich vor Abgabe eines in Bilanzform erstellten Jahresabschlusses gegenüber der luxemburgischen Finanzverwaltung zugegangen ist, könnte sie als vorgreifliche Wahlrechtsausübung zugunsten einer Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG anzusehen sein.
4. Das FG-Urteil beruht auf einer abweichenden rechtlichen Beurteilung. Es ist daher aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat die noch fehlenden Tatsachenfeststellungen im zweiten Rechtsgang nachzuholen.
5. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.