ECLI:DE:BFH:2022:B.301122.IB4.22.0
BFH I. Senat
FGO § 115 Abs 2 Nr 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2, AEUV Art 63, AEUV Art 65
vorgehend FG München, 06. Dezember 2021, Az: 7 K 1435/15
Leitsätze
NV: Hat das FG eine vom EuGH vorgegebene Prüfung vorgenommen und sich dabei streng an die Vorgaben des EuGH gehalten, so scheidet die Annahme einer Divergenz i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Variante 2 FGO aus.
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts München vom 06.12.2021 - 7 K 1435/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
I.
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine Vermögensmasse in der Rechtsform eines Common Law Trust kanadischen Rechts. Ihr Geschäftszweck ist die Gewährleistung der Altersversorgung ehemaliger Angestellter des öffentlichen Dienstes.
In den Jahren 2007 bis 2010 (Streitjahre) hielt sie indirekt über die Beteiligung an sog. Pool Investment Portfolios (Pools) Streubesitzbeteiligungen an deutschen Aktiengesellschaften. Auf die in diesem Zeitraum bezogenen Dividenden wurde (nach Erstattung der Differenz zum Steuersatz von 15 % gemäß dem mit Kanada bestehenden Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung) deutsche Kapitalertragsteuer einbehalten. Die Klägerin beantragte bei dem ursprünglich zuständigen Finanzamt den Erlass eines Freistellungsbescheids sowie die Erstattung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer nebst Zinsen.
Nach Ablehnung des Antrags und erfolglosem Einspruch erhob sie dagegen Klage vor dem Finanzgericht (FG) München; sie werde durch die Belastung mit deutscher Kapitalertragsteuer gegenüber einem deutschen Pensionsfonds benachteiligt, da deutsche Pensionsfonds Dividenden faktisch steuerfrei vereinnahmen könnten. Diese unterschiedliche steuerliche Behandlung verstoße gegen die auch gegenüber Drittstaaten geltende Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 63 i.V.m. Art. 65 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), ohne dass es hierfür einen Rechtfertigungsgrund gebe.
Auf Vorlage des FG München (Beschluss vom 23.10.2017 - 7 K 1435/15, Entscheidungen der Finanzgerichte ‑‑EFG‑‑ 2017, 1963) hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mit Urteil vom 13.11.2019 - C-641/17 (EU:C:2019:960, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ‑‑HFR‑‑ 2020, 89) entschieden, dass die unterschiedliche Behandlung gebietsansässiger und gebietsfremder Pensionsfonds durch die Regelung eines Mitgliedstaats, die es nur gebietsansässigen Pensionsfonds ermöglicht, ihren steuerpflichtigen Gewinn durch die Bildung von Rückstellungen für Pensionszahlungsverpflichtungen zu vermindern und die Quellensteuer auf die verbleibende Körperschaftsteuerschuld vollständig anzurechnen bzw. darüber hinaus sich erstatten zu lassen, gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstößt, wenn der gebietsfremde Pensionsfonds die bezogenen Dividenden den Rückstellungen für die Altersversorgung zuweist, die er in der Zukunft wird leisten müssen, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts sei.
Nachdem der Beklagte und Beschwerdegegner (Bundeszentralamt für Steuern ‑‑BZSt‑‑) zuständig geworden war, forderte das FG die Klägerin auf, nachzuweisen, dass bei ihr die vom EuGH geforderten Voraussetzungen für einen Kausalzusammenhang zwischen dem Bezug der Dividenden und der Erhöhung der entsprechenden Deckungsrückstellung vorliegen. Daraufhin hat die Klägerin erstmals die Jahresabschlüsse für die Streitjahre vorgelegt.
In seinem klageabweisenden Urteil vom 06.12.2021 - 7 K 1435/15 (EFG 2022, 609) hat das FG die Voraussetzungen, die der EuGH an eine nicht gerechtfertigte Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit stellt, als nicht erfüllt angesehen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde, die sie auf die Erforderlichkeit eines Urteils des erkennenden Senats zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Variante 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑), wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) bzw. zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Variante 1 FGO) stützt.
Die Klägerin beantragt, die Revision gegen das Urteil des FG München vom 06.12.2021 - 7 K 1435/15 zuzulassen.
Das BZSt beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen bzw. hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Die von der Klägerin geltend gemachten Revisionszulassungsgründe i.S. des § 115 Abs. 2 FGO liegen, soweit sie von ihr den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechend dargelegt worden sind, nicht vor.
1. Das angefochtene Urteil weicht nicht i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Variante 2 FGO von den entscheidungstragenden Rechtsgrundsätzen des EuGH in seinem Urteil in EU:C:2019:960, HFR 2020, 89 ab.
a) Die Klägerin führt aus, das FG habe seiner Entscheidung nur den (vordergründig dem Wortlaut des genannten EuGH-Urteils entnommenen, letztlich aber einer missverständlichen Formulierung der entsprechenden Vorlagefrage geschuldeten) abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt, dass die Kapitalverkehrsfreiheit eine Untersuchung erfordere, wie sich bei einem inländischen Pensionsfonds die Ausschüttung einer Dividende inländischer Aktien auf die von ihm zu bildenden Rückstellungen für Altersversorgung auswirke, derselbe Vorgang sodann mit den bilanziellen Folgen bei der Klägerin in Kanada zu vergleichen und daran anschließend im Wege eines Vergleichs zu prüfen sei, ob sich die Klägerin hinsichtlich der Möglichkeit, Rückstellungen für Altersversorgung zu bilden, in einer mit einem inländischen Pensionsfonds vergleichbaren Lage befinde. Demgegenüber lasse sich dem genannten EuGH-Urteil aber bei Würdigung des Ziels und Zwecks der betroffenen nationalen Regelungen entnehmen, dass es richtigerweise darauf ankomme, ob bei einem ausländischen Pensionsfonds der Bezug der Dividende ebenso wie bei einem inländischen Pensionsfonds zur Erhöhung des zweckgebundenen Altersvorsorgevermögens führe oder der ausländische Pensionsfonds die Dividende behalten und für andere eigene Zwecke verwenden dürfe.
b) In der Sache streiten die Beteiligten darüber, wie die Ausführungen des EuGH im Urteil in EU:C:2019:960, HFR 2020, 89 zu verstehen sind. Diese sind indessen nicht missverständlich.
aa) Wie die Klägerin selbst einräumt, führt der EuGH in Rz 80 bis 82 des genannten Urteils aus, eine nationale Regelung, die eine vollständige oder nahezu vollständige Steuerbefreiung von an gebietsansässige Pensionsfonds ausgeschütteten Dividenden ermögliche, erleichtere die Akkumulierung von Kapital durch diese Pensionsfonds, während alle Pensionsfonds grundsätzlich verpflichtet seien, die Versicherungsprämien auf dem Kapitalmarkt zu investieren, um Einkünfte in Form von Dividenden zu erzielen, die es ihnen ermöglichten, ihren künftigen Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen nachzukommen (Rz 80). Ein gebietsfremder Pensionsfonds, der ‑‑so der EuGH wörtlich‑‑ "die bezogenen Dividenden freiwillig oder in Anwendung des in seinem Sitzstaat geltenden Rechts den Rückstellungen für die Altersversorgung zuweist, die er in der Zukunft wird leisten müssen", befinde sich insoweit in einer Situation, die mit der eines gebietsansässigen Pensionsfonds vergleichbar sei (Rz 81). Es sei insoweit Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob dies in dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Sachverhalt der Fall sei (Rz 82). Entsprechend hat der EuGH die erste Vorlagefrage dahingehend beantwortet, dass die Art. 63 und 65 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der die von einer gebietsansässigen Gesellschaft an einen gebietsansässigen Pensionsfonds ausgeschütteten Dividenden zum einen einer Quellensteuer unterliegen, die vollständig auf die von diesem Pensionsfonds geschuldete Körperschaftsteuer angerechnet werden kann, und, wenn die Quellensteuer die von dem Pensionsfonds geschuldete Körperschaftsteuer übersteigt, zu einer Erstattung führen kann, und zum anderen zu keiner oder nur zu einer verhältnismäßig geringen Erhöhung des körperschaftsteuerpflichtigen Gewinns führen, was auf der Möglichkeit beruht, von diesem Gewinn Rückstellungen für Pensionszahlungsverpflichtungen abzuziehen, während die an einen gebietsfremden Pensionsfonds ausgeschütteten Dividenden Gegenstand einer Quellensteuer sind, die für einen solchen Pensionsfonds eine endgültige Steuer darstellt, wenn ‑‑so der EuGH wieder wörtlich‑‑ "der gebietsfremde Pensionsfonds bezogene Dividenden den Rückstellungen für die Altersversorgung zuweist, die er in der Zukunft wird leisten müssen, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist".
bb) Das FG hat die vorgenannte Prüfung im Streitfall vorgenommen und sich dabei streng an die Vorgaben des EuGH gehalten (so Forchhammer, EFG 2022, 614, 615). Es hat insoweit geprüft, ob die bezogenen Dividenden freiwillig oder in Anwendung des kanadischen Rechts den Rückstellungen für die Altersversorgung zugewiesen worden sind. Dies hat es verneint, weil die Erträge aus den mittelbaren Investitionen der Klägerin in ihren Gewinn- und Verlustrechnungen zwar ausgewiesen, als Betriebsausgaben aber nur die im jeweiligen Jahr gezahlten Rentenleistungen gebucht worden seien. Die Erträge aus den genannten Kapitalanlagen waren somit gerade nicht um Zuführungen zu Rückstellungen für Pensionsleistungsverpflichtungen gemindert worden. Es ist insoweit unzutreffend, wenn die Klägerin ausführt, aus dem Kontext des genannten EuGH-Urteils ergebe sich ein abweichender Prüfungsmaßstab. Dem Urteil des EuGH lässt sich gerade nicht entnehmen, dass es nicht auf die "Bilanztechnik" ankomme. Insofern hilft der Klägerin der Hinweis auf vermeintlich abweichende EuGH-Rechtsprechung nicht weiter, weil der EuGH die Vorlagefrage wie dargelegt beantwortet hat und davon auszugehen ist, dass er seine eigene Rechtsprechung kennt. Angesichts der geschilderten klaren Vorgaben des EuGH an das Prüfungsprogramm des vorlegenden FG in Rz 81 f. lassen sich die von der Klägerin hervorgehobenen Ausführungen des EuGH in Rz 65 bzw. 79 f. seines Urteils nicht in einem abweichenden Sinne deuten.
2. Die von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen wären in einem potentiellen Revisionsverfahren bereits nicht klärungsfähig. Entsprechend kann ihr weder rechtsgrundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zukommen noch ist eine Entscheidung des Senats i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Variante 1 FGO zur Rechtsfortbildung notwendig.
a) Macht ein Beschwerdeführer die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO bzw. die Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Variante 1 FGO geltend, so hat er eine bestimmte, für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche, abstrakte Rechtsfrage herauszustellen. Dafür ist erforderlich, dass er die entscheidungserhebliche Rechtsfrage hinreichend konkretisiert. Des Weiteren muss die Beschwerdebegründung schlüssig und substantiiert unter Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen darlegen, weshalb die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 20.09.2022 - VIII B 103/21, juris).
b) Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
aa) Dies gilt zunächst für die zur sog. Überleitungsrechnung aufgeworfene Frage, welche Anforderungen an die Rückstellungsbildung und eine Zuweisung bezogener Dividenden zu den Rückstellungen für die Altersversorgung unter Berücksichtigung u.a. der Vorgaben des EuGH im Urteil in EU:C:2019:960, HFR 2020, 89 zur fehlenden Rechtfertigung einer Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit im Fall eines nichtgebietsansässigen Pensionsfonds zu stellen sind, der im Inland keinen deutschen Handels- und Steuerbilanzierungspflichten unterliegt. Nach den insoweit eindeutigen Vorgaben des EuGH hatte das FG im Streitfall lediglich zu prüfen, ob die bezogenen Dividenden "freiwillig oder in Anwendung des kanadischen Rechts" den Rückstellungen für die Altersversorgung zugewiesen worden sind. Das FG hat genau diese Frage geprüft und dazu zunächst festgestellt, dass die Klägerin jährliche Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen nach den in den Streitjahren geltenden Bilanzvorschriften des Staates Kanada aufgestellt und darin zwar die streitbefangenen Kapitalanlagen aktiviert, auf der Passivseite jedoch keine Rückstellungen für Pensionsleistungsverpflichtungen gebildet habe. In den Gewinn- und Verlustrechnungen habe sie danach die Erträge aus den Investitionen und die Beitragszahlungen zwar ausgewiesen, als Ausgaben jedoch lediglich die im jeweiligen Jahr gezahlten Rentenleistungen gebucht. Das FG hat daraus den zwar nicht zwingenden, wohl aber möglichen Schluss gezogen, die Erträge aus den Kapitalanlagen seien somit nicht um Zuführungen zu Rückstellungen für Pensionsleistungsverpflichtungen gemindert worden. Die insoweit zugrunde liegenden Feststellungen ‑‑insbesondere zum ausländischen Recht‑‑ liegen auf tatsächlichem Gebiet und wären für den Senat in einem potentiellen Revisionsverfahren nach § 118 Abs. 2 FGO bindend. Ist aber die auf Feststellungen des FG gestützte Würdigung von Tatsachen möglich und die Tatsachenfeststellung nicht mit Verfahrensrügen angegriffen, so ist die dem zugrunde liegende Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren nicht zu beantworten. Rechtsfragen, die sich nur stellen können, wenn von einem anderen als dem vom FG festgestellten Sachverhalt ausgegangen wird, sind im Revisionsverfahren nicht klärungsfähig (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 09.03.2016 - X B 142/15, BFH/NV 2016, 1030, und vom 09.10.2020 - VIII B 162/19, BFH/NV 2021, 289).
bb) Die vorstehenden Ausführungen gelten ebenso für die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage, ob ‑‑soweit der erkennende Senat davon ausgehen würde, dass der EuGH im Urteil in EU:C:2019:960, HFR 2020, 89 seine Vorgabe zur fehlenden Rechtfertigung einer Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit auf einen im Ausland entsprechend den deutschen Vorschriften bilanzierenden‚ ausländischen Pensionsfonds bezogen habe‑‑ in allen anderen Fällen die Beschränkung gerechtfertigt oder die Kapitalverkehrsfreiheit wegen einer objektiv vergleichbaren Situation dennoch verletzt sei.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
4. Der Beschluss ergeht im Übrigen nach § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ohne weitere Begründung.