ECLI:DE:BFH:2022:U.151222.VIR19.21.0
BFH VI. Senat
EStG § 11 Abs 1 S 1, EStG § 11 Abs 1 S 4, EStG § 19 Abs 1 S 1 Nr 2, EStG § 34 Abs 1, EStG § 34 Abs 2 Nr 4, EStG § 38a Abs 1 S 3, EStG VZ 2017
vorgehend Thüringer Finanzgericht , 28. Juli 2021, Az: 1 K 478/20
Leitsätze
1. NV: Außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 1 und Abs. 2 EStG liegen grundsätzlich nur dann vor, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstehen (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung).
2. NV: Die Entlohnung für eine mehrjährige Tätigkeit ist regelmäßig nicht nach § 34 EStG tarifbegünstigt, wenn die Auszahlung in drei Veranlagungszeiträumen erfolgt. Dies gilt unabhängig davon, ob die Zahlung ursprünglich in einer Summe vereinbart war und die Auszahlung in drei Veranlagungszeiträumen auf Gründen beruht, die der Gestaltungsfreiheit des Steuerpflichtigen entzogen sind.
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Thüringer Finanzgerichts vom 28.07.2021 - 1 K 478/20 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war Mitgesellschafterin der ... GmbH (GmbH). Die GmbH erteilte der Klägerin mit Pensionsvertrag vom 21.12.1999 eine Pensionszusage, die in der Folgezeit mehrfach geändert wurde. In einem Nachtrag vom 29.06.2015 zur Pensionszusage vereinbarten die Klägerin und die GmbH, die der Klägerin zugesagte Altersrente zum 31.08.2015 wertgleich in ein "Alterskapital" in Höhe von 543.000 € umzuwandeln, auf das die Klägerin "zum Alter 64" Anspruch haben sollte.
Nachdem die Klägerin am 23.11.2016 ihr vertraglich vereinbartes Pensionsalter erreicht hatte, schied sie zum 31.12.2016 aus dem Dienst der GmbH aus.
Die GmbH zahlte der Klägerin das "Alterskapital" jedoch nicht wie in dem Nachtrag zur Pensionszusage vereinbart aus. Im Streitjahr (2017) erhielt die Klägerin von der GmbH am 22.02.2017 lediglich eine Teilzahlung in Höhe von 64.290,40 €, am 13.04.2017 führte die GmbH 183.970,00 € Lohnsteuer und 10.118,35 € Solidaritätszuschlag an ihr Betriebsstättenfinanzamt ab. Am 21.04.2017 leistete die GmbH dann eine weitere Teilzahlung in Höhe von 214.621,25 € an die Klägerin, so dass insgesamt nur 473.000 € im Streitjahr auf das "Alterskapital" der Klägerin entrichtet wurden. Im Jahr 2018 zahlte die GmbH an die Klägerin weitere 55.000 € und im Jahr 2019 schließlich den Restbetrag von 15.000 €.
Die Klägerin beantragte, die im Streitjahr bezogenen 473.000 € als ermäßigt zu besteuernde Versorgungsbezüge für mehrere Jahre zu berücksichtigen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) folgte dem nicht. Eine Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) komme nicht in Betracht, da das "Alterskapital" nicht als Einmalzahlung im Streitjahr geleistet worden sei.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2022, 252 veröffentlichten Gründen ab.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
Sie beantragt sinngemäß,
das Urteil des FG sowie die Einspruchsentscheidung vom 03.08.2020 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2017 vom 21.11.2019 mit der Maßgabe zu ändern, dass für die Pensionszahlungen die Tarifbegünstigung des § 34 EStG zur Anwendung kommt, sowie die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Klägerin ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat zu Recht entschieden, dass das im Streitjahr ausgezahlte "Alterskapital" nicht nach § 34 EStG ermäßigt zu besteuern ist.
1. Als ermäßigt zu besteuernde außerordentliche Einkünfte kommen insbesondere Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten in Betracht (§ 34 Abs. 2 Nr. 4 1. Halbsatz EStG). Nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 2. Halbsatz EStG ist eine Tätigkeit mehrjährig, soweit sie sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckt und einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten umfasst (s. dazu im Einzelnen Senatsurteil vom 02.12.2021 - VI R 23/19, BFHE 275, 144, BStBl II 2022, 442, Rz 12, m.w.N.).
Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei dem "Alterskapital" um Einkünfte der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit i.S. von § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG handelt, die eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG darstellen. Da hierüber zwischen den Beteiligten kein Streit besteht, sieht der Senat insoweit von einer weiteren Begründung ab.
2. Die Tarifbegünstigung nach § 34 Abs. 1 und Abs. 2 EStG setzt ferner voraus, dass die Entlohnung für eine mehrjährige Tätigkeit aus wirtschaftlich vernünftigen Gründen in zusammengeballter Form erfolgt (Senatsurteile in BFHE 275, 144, BStBl II 2022, 442, Rz 13, und vom 16.12.2021 - VI R 10/18, Rz 22, jeweils m.w.N.).
Im Streitfall fehlt es jedenfalls an einer zusammengeballten Arbeitslohnzahlung.
a) Außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 1 und Abs. 2 EStG werden in ständiger Rechtsprechung grundsätzlich nur bejaht, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstehen (Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 09.10.2008 - IX R 85/07, BFH/NV 2009, 558; vom 14.04.2015 - IX R 29/14, Rz 13, und vom 23.04.2021 - IX R 3/20, BFHE 273, 169, BStBl II 2021, 692, Rz 19).
Zwar ist der Zufluss in einem Veranlagungszeitraum kein gesetzliches Tatbestandsmerkmal des § 34 EStG. Der unbestimmte Rechtsbegriff der außerordentlichen Einkünfte ist aber im Wege der Auslegung zu konkretisieren. Danach sind außerordentliche Einkünfte solche, deren Zufluss in einem Veranlagungszeitraum zu einer für den Steuerpflichtigen im Vergleich zu seiner regelmäßigen sonstigen Besteuerung einmaligen und außergewöhnlichen Progressionsbelastung führt. Diese abzumildern ist der Zweck der Regelung des § 34 Abs. 1 und Abs. 2 EStG (BFH-Urteile vom 14.04.2015 - IX R 29/14, Rz 15 f., und vom 02.08.2016 - VIII R 37/14, BFHE 254, 573, BStBl II 2017, 258, Rz 12). Das Erfordernis der Zusammenballung von Einkünften als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ist aus dem Umstand abzuleiten, dass sowohl der Wortlaut des § 34 Abs. 1 EStG als auch der des § 34 Abs. 2 EStG ausdrücklich nur "außerordentliche" Einkünfte begünstigen (BFH-Urteile vom 25.02.2014 - X R 10/12, BFHE 245, 1, BStBl II 2014, 668, Rz 33, und vom 09.12.2014 - IV R 36/13, BFHE 248, 75, BStBl II 2015, 529, Rz 20 ff.; BFH-Beschluss vom 19.08.2019 - X B 155/18, Rz 14).
Danach liegen typischerweise keine außerordentlichen Einkünfte vor, wenn eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit in zwei oder mehr Veranlagungszeiträumen gezahlt wird (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 01.02.1957 - VI 87/55 U, BFHE 64, 271, BStBl III 1957, 104; BFH-Urteile vom 28.06.2006 - XI R 58/05, BFHE 214, 319, BStBl II 2006, 835; in BFHE 254, 573, BStBl II 2017, 258, Rz 13, und in BFHE 273, 169, BStBl II 2021, 692, Rz 19). Zwar können sich auch bei einer Zahlung in zwei (oder mehr) Veranlagungszeiträumen ‑‑wie im Streitfall‑‑ Progressionsbelastungen ergeben. Diese Belastungen müssen aber in Kauf genommen werden, da anderenfalls ‑‑bei Überschreitung des Grundsatzes, dass nur einmalige Zuflüsse als außerordentliche anerkannt werden können‑‑ eine Grenze zwischen außerordentlichen Einkünften i.S. des § 34 EStG und den nach dem ordentlichen Tarif zu versteuernden Einkünften nicht mehr gezogen werden könnte (BFH-Urteile vom 02.09.1992 - XI R 63/89, BFHE 171, 416, BStBl II 1993, 831, m.w.N., und in BFHE 254, 573, BStBl II 2017, 258, Rz 13).
b) Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat von dem vorgenannten Grundsatz allerdings stets ‑‑eng begrenzte‑‑ Ausnahmen zugelassen (s. bereits Senatsurteil in BFHE 64, 271, BStBl III 1957, 104, m.w.N.).
So ist nach der Rechtsprechung des BFH § 34 Abs. 1 EStG trotz des Zuflusses in zwei Veranlagungszeiträumen ausnahmsweise auch dann anzuwenden, wenn der Steuerpflichtige nur eine geringfügige Teilleistung erhält und die ganz überwiegende Leistung in einem Betrag ausgezahlt wird, wobei sich die Teilzahlungen im Verhältnis zueinander eindeutig als Haupt- und Nebenleistung darstellen müssen und die Nebenleistung nur geringfügig sein darf (z.B. BFH-Urteile vom 25.08.2009 - IX R 11/09, BFHE 226, 265, BStBl II 2011, 27; vom 26.01.2011 - IX R 20/10, BFHE 232, 471, BStBl II 2012, 659, und vom 13.10.2015 - IX R 46/14, BFHE 251, 331, BStBl II 2016, 214).
Eine weitere Ausnahme hält der BFH in solchen Fällen für geboten, in denen ‑‑neben der Hauptleistung‑‑ in späteren Veranlagungszeiträumen aus Gründen der sozialen Fürsorge für eine gewisse Übergangszeit Entschädigungszusatzleistungen gewährt werden (s. dazu BFH-Urteile vom 14.08.2001 - XI R 22/00, BFHE 196, 500, BStBl II 2002, 180, und vom 24.01.2002 - XI R 43/99, BFHE 197, 522, BStBl II 2004, 442). Dies leitet der BFH aus einer zweckentsprechenden Auslegung des § 34 EStG unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ab (BFH-Urteil vom 14.04.2005 - XI R 11/04, BFH/NV 2005, 1772).
Verteilt sich die Zahlung auf zwei Veranlagungszeiträume, lässt die höchstrichterliche Rechtsprechung die Steuerermäßigung darüber hinaus auch dann zu, wenn die Zahlung von vornherein in einer Summe festgesetzt war und nur wegen ihrer ungewöhnlichen Höhe und der besonderen Verhältnisse des Zahlungspflichtigen auf zwei Jahre verteilt wurde (BFH-Urteil in BFHE 171, 416, BStBl II 1993, 831, m.w.N.) oder wenn der Zahlungsempfänger ‑‑bar aller Existenzmittel‑‑ dringend auf den Bezug einer Vorauszahlung angewiesen war (Senatsurteil in BFHE 64, 271, BStBl III 1957, 104).
c) Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen der Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 1 und Abs. 2 EStG im Streitfall nicht vor.
aa) Die Klägerin erhielt das "Alterskapital" als sonstigen Bezug mit dessen Zufluss in drei Veranlagungszeiträumen (§§ 38a Abs. 1 Satz 3, 11 Abs. 1 Satz 1 und Satz 4 EStG). Es fehlt damit an dem für die Außerordentlichkeit der Einkünfte regelmäßig erforderlichen Bezug in einem Veranlagungszeitraum.
bb) Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass nur einmalige Zuflüsse als außerordentliche anerkannt werden können, kommt vorliegend nicht in Betracht.
Dem steht unter den im Streitfall gegebenen Umständen bereits entgegen, dass sich die Auszahlung des "Alterskapitals" nicht nur auf zwei, sondern auf drei Veranlagungszeiträume erstreckte.
Zwar weist die Klägerin zutreffend darauf hin, dass die Zahlung des "Alterskapitals" ursprünglich in einer Summe vereinbart war und seine Auszahlung in drei Veranlagungszeiträumen auf Gründen beruhte, die der Gestaltungsfreiheit der Klägerin entzogen waren. Dies rechtfertigt aber keine abweichende Beurteilung. Denn die Tarifbegünstigung des § 34 EStG knüpft an die Progressionsbelastung durch grundsätzlich in einem Veranlagungszeitraum zusammengeballt zugeflossene Einnahmen und ‑‑entgegen der Auffassung der Klägerin‑‑ nicht daran an, ob die Modalitäten des Zuflusses vereinbart waren oder dem Zahlungsempfänger aufgezwungen wurden (BFH-Urteile vom 14.04.2015 - IX R 29/14, Rz 21, und in BFHE 254, 573, BStBl II 2017, 258, Rz 15).
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Außerordentlichkeit der Einkünfte auch deshalb zu verneinen ist, weil die der Klägerin in den Jahren 2018 und 2019 zugeflossenen Teilbeträge des "Alterskapitals" in Höhe von insgesamt 70.000 € keine geringfügigen Nebenleistungen der im Streitjahr erfolgten Zahlungen in Höhe von 473.000 € darstellen. Eine geringfügige Nebenleistung hat der BFH nicht mehr angenommen, wenn sie mehr als 10 % der Hauptleistung ‑‑hier 14,80 %‑‑ beträgt (s. BFH-Urteile vom 08.04.2014 - IX R 28/13, Rz 20, und in BFHE 251, 331, BStBl II 2016, 214, Rz 16). Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Nebenleistungen in Höhe von 70.000 € im Streitfall höher sind als die Steuerentlastung der Hauptleistung (s. BFH-Urteil in BFHE 251, 331, BStBl II 2016, 214, Rz 16).
Die Klägerin erhielt die 70.000 € von der GmbH nach Ablauf des Streitjahres auch nicht als Nebenleistung aus Gründen der sozialen Fürsorge. Da dies zwischen den Beteiligten nicht im Streit steht, sieht der Senat insoweit von einer weiteren Begründung ab.
3. Der Senat versteht den Antrag der Klägerin, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO), als bloße Anregung, hierüber zu entscheiden, da dies in einem Revisionsverfahren nicht zulässig ist (s. BFH-Urteil vom 26.08.2021 - V R 42/20, BFHE 274, 306, BStBl II 2022, 219, Rz 47). Die Entscheidung nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO gehört sachlich zum Kostenfestsetzungsverfahren; zuständig ist deshalb das Gericht des ersten Rechtszuges (BFH-Urteil vom 23.02.2021 - II R 26/18, BFHE 272, 486, BStBl II 2022, 72; Senatsbeschluss vom 14.04.2020 - VI R 32/17, BFHE 268, 493, BStBl II 2020, 487).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.