ECLI:DE:BFH:2023:U.300823.XR2.22.0
BFH X. Senat
EStG § 34 Abs 2 Nr 3, EStG § 34 Abs 2 Nr 4, AO § 233a, EStG VZ 2012
vorgehend FG München, 04. Mai 2021, Az: 2 K 1666/20
Leitsätze
Erstattungszinsen, die zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehören, sind als tarifbegünstigte Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten anzusehen, wenn die zugrunde liegende Steuererstattung als Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes tarifbegünstigt ist (Abweichung vom BFH-Urteil vom 12.11.2013 - VIII R 36/10, BFHE 243, 506, BStBl II 2014, 168 mit Zustimmung des VIII. Senats).
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Finanzgerichts München vom 04.05.2021 - 2 K 1666/20 aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, den Einkommensteuerbescheid 2012 vom 15.07.2020 dahingehend zu ändern, dass die Erstattungszinsen in Höhe von 203.022 € nicht der Tarifbesteuerung, sondern dem ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes unterworfen werden.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
I.
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 2012 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt werden. Der Kläger erzielte gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb eines Kraftfahrzeughandels; seinen Gewinn ermittelte er durch Betriebsvermögensvergleich.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) erließ am 28.11.2012 geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1997 bis 2000. Diese beruhten auf einer tatsächlichen Verständigung, mit der ein insgesamt mehr als acht Jahre andauerndes Einspruchs-, Klage- und Revisionsverfahren, das aus einer Steuerfahndungsprüfung hervorgegangen war, im zweiten Rechtsgang vor dem Finanzgericht (FG) abgeschlossen wurde. Mit den Bescheiden wurde die Umsatzsteuer um insgesamt 321.774 € herabgesetzt; ferner wurden ‑‑nach den Feststellungen des FG‑‑ Erstattungszinsen in Höhe von insgesamt 203.022 € festgesetzt.
Der Kläger behandelte diese Beträge in seinem Jahresabschluss zum 31.12.2012 als gewinnerhöhend. Das FA übernahm den erklärten Gewinn in den ‑‑unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen‑‑ Einkommensteuerbescheid 2012 vom 07.07.2014.
Am 20.10.2014 stellten die Kläger den vorliegend streitgegenständlichen Antrag auf Änderung des Einkommensteuerbescheids 2012 nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO). Sie begehrten die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf die geballt zu versteuernden Umsatzsteuererstattungen sowie auf die Erstattungszinsen. Dies begründeten sie im Wesentlichen mit dem kurz zuvor veröffentlichten Senatsurteil vom 25.02.2014 - X R 10/12 (BFHE 245, 1, BStBl II 2014, 668).
Das FA lehnte den Antrag ab und wies am 13.07.2020 auch den Einspruch zurück. Am 15.07.2020 erließ es jedoch einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 2012, mit dem es den ermäßigten Steuersatz, allerdings nur in Bezug auf die Umsatzsteuererstattungen in Höhe von 321.774 €, gewährte.
Die sich nur noch auf die Tarifbegünstigung der Erstattungszinsen beziehende Klage hatte keinen Erfolg. Das FG verwies zur Begründung im Wesentlichen auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12.11.2013 - VIII R 36/10 (BFHE 243, 506, BStBl II 2014, 168).
Mit ihrer Revision bringen die Kläger vor, der in § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG verwendete Begriff der "Vergütung" sei nach der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung weit zu verstehen. Die erforderliche Begrenzung werde erst durch das weitere Tatbestandsmerkmal der Außerordentlichkeit vorgenommen. Für einen Kraftfahrzeughändler sei die Auszahlung von Erstattungszinsen für mehrere Jahre nach einem langjährigen Rechtsstreit mit dem FA ein atypischer Vorgang. Außerdem teilten Erstattungszinsen als steuerliche Nebenleistung das rechtliche Schicksal der Hauptleistung, hier der ‑‑unstreitig unter § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG fallenden‑‑ Umsatzsteuererstattung.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
das angefochtene Urteil aufzuheben und das FA zu verpflichten, den Einkommensteuerbescheid 2012 vom 15.07.2020 dahingehend zu ändern, dass die Erstattungszinsen in Höhe von 203.022 € nicht der Tarifbesteuerung, sondern dem ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 1 EStG unterworfen werden.Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.Es hält die Vorentscheidung und insbesondere das BFH-Urteil vom 12.11.2013 - VIII R 36/10 (BFHE 243, 506, BStBl II 2014, 168) für zutreffend. Aufgrund der umfassenden Begründung in jener Entscheidung des VIII. Senats, die sämtliche Zinseinnahmen aus dem Anwendungsbereich des § 34 EStG ausschließe, wäre eine Entscheidung im Sinne der Kläger nur dann möglich, wenn das Verfahren nach § 11 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eingehalten würde.
Ergänzend bringt das FA vor, es sei ein typischer Ablauf, dass der Fiskus einem Gewerbetreibenden, der nach einer Außen- oder Fahndungsprüfung Nachzahlungen entrichtet habe, nach einem (teilweise) erfolgreichen anschließenden Rechtsmittelverfahren hohe Erstattungszinsen zahlen müsse.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Kläger ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Stattgabe der von den Klägern erhobenen Verpflichtungsklage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).
Es handelt sich nicht nur bei den aufgrund des langjährigen Rechtsstreits zusammengeballt zu versteuernden Umsatzsteuererstattungen, sondern auch bei den darauf beruhenden Erstattungszinsen um ermäßigt zu besteuernde außerordentliche Einkünfte in Gestalt von Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten (§ 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 EStG).
Die von der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung verwendete ‑‑weite‑‑ Begriffsbestimmung der "Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten" ist im Streitfall erfüllt (dazu unten 1.). Auch die "Außerordentlichkeit" der Einkünfte ‑‑als einengendes Korrektiv des weiten Vergütungsbegriffs‑‑ ist gegeben (unten 2.). Die für bestimmte Nutzungsvergütungen und Zinsen geltende Regelung des § 34 Abs. 2 Nr. 3 EStG entfaltet im Streitfall keine Sperrwirkung (unten 3.). Die Rechtsprechung anderer Senate des BFH steht dieser rechtlichen Beurteilung nicht entgegen (unten 4.).
1. Die Erstattungszinsen stellen im Streitfall Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten im Sinne des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG dar.
a) Vergütungen sind nach der von der neueren Rechtsprechung verwendeten Definition alle Vorteile von wirtschaftlichem Wert, die der Steuerpflichtige im Rahmen der jeweiligen Einkunftsart erzielt (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung seit dem Senatsurteil vom 25.02.2014 - X R 10/12 (BFHE 245, 1, BStBl II 2014, 668, Rz 47; vgl. ferner BFH-Entscheidungen vom 20.09.2016 - X R 23/15, BFHE 255, 209, BStBl II 2017, 347, Rz 21; vom 09.10.2018 - VIII B 49/18, BFH/NV 2019, 17, Rz 7, und vom 06.05.2020 - X R 24/19, BFHE 269, 265, BStBl II 2021, 141, Rz 13).
Unter diese Begriffsbestimmung fallen auch Erstattungszinsen zu Betriebssteuern, die ‑‑wie im Streitfall‑‑ zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehören. Denn es handelt sich um Vorteile von wirtschaftlichem Wert, die im Rahmen der Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt werden.
b) Die Vergütungen sind auch für eine "Tätigkeit" bezogen worden.
aa) Allerdings hat das FG ‑‑unter Berufung auf das Urteil des VIII. Senats des BFH vom 12.11.2013 - VIII R 36/10 (BFHE 243, 506, BStBl II 2014, 168, Rz 37)‑‑ ausgeführt, der Wortsinn des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG stehe der Subsumtion von Erstattungszinsen unter diese Vorschrift entgegen, da eine solche Zinszahlung keine Tätigkeit, sondern eine durch Verwaltungsakt bestimmte zwangsweise Kapitalüberlassung vergüte.
bb) Demgegenüber schließt nach Auffassung des erkennenden Senats allein der Umstand, dass der Steuerpflichtige eine bestimmte Handlung aufgrund einer ihn bindenden staatlichen Anordnung vornimmt, nicht aus, diese Handlung als "Tätigkeit" anzusehen, so dass der durch den Wortsinn dieses Begriffs gezogene Rahmen nicht überschritten ist. Dem Begriff der "Tätigkeit" wohnt keine Differenzierung danach inne, ob die Handlung des Steuerpflichtigen vollkommen freiwillig oder aufgrund eines von außen auf den Steuerpflichtigen wirkenden Einflusses vorgenommen wird (ebenso Horn in Herrmann/Heuer/Raupach ‑‑HHR‑‑, § 34 EStG Rz 62; zur Gleichbehandlung erzwungener und freiwilliger Kapitalüberlassungen im Anwendungsbereich des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG vgl. auch BFH-Urteil vom 02.09.2008 - VIII R 2/07, BFHE 223, 15, BStBl II 2010, 25, unter II.2.d); entscheidend ist vielmehr das Handlungselement.
Der Sache nach hat die höchstrichterliche Rechtsprechung deshalb auch schon in früheren Entscheidungen den Anwendungsbereich des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG trotz einer zwangsweisen Kapitalüberlassung bejaht. So weisen die Kläger zutreffend darauf hin, dass der Senat die Zahlung von (Pflicht-)Beiträgen an ein berufsständisches Versorgungswerk ‑‑diese Versorgungswerke sind als Körperschaft des öffentlichen Rechts organisiert und setzen die an sie zu entrichtenden Beiträge daher durch Verwaltungsakt fest‑‑ als "Tätigkeit" eingeordnet hat (vgl. Senatsurteil vom 23.10.2013 - X R 3/12, BFHE 243, 287, BStBl II 2014, 58, Rz 70).
Ebenfalls zu Recht beziehen sich die Kläger auf die BFH-Rechtsprechung, wonach (jedenfalls) Aussetzungszinsen ‑‑wie Zinsen aufgrund zivilrechtlicher Ansprüche‑‑ laufzeitabhängiges Entgelt für den Gebrauch eines auf Zeit überlassenen oder vorenthaltenen Geldbetrags sind (BFH-Urteil vom 25.03.1992 - I R 159/90, BFHE 168, 13, BStBl II 1992, 997, unter II.2.). Zwar kann die Aussetzung der Vollziehung auf einer freiwilligen Entscheidung des FA beruhen; sie kann aber auch durch das FG ‑‑gegen den Antrag und den Willen des FA‑‑ angeordnet werden (§ 69 Abs. 3 FGO). In diesen Fällen wäre die Kapitalüberlassung des FA an den Steuerpflichtigen ‑‑ebenso wie im Streitfall die auf einem Verwaltungsakt beruhende Kapitalüberlassung des Klägers an das FA‑‑ zwar nicht mehr als freiwillig anzusehen; es handelt sich aber weiterhin um eine Kapitalüberlassung und damit eine "Tätigkeit".
cc) Der VIII. Senat hat mit Beschluss vom 04.07.2023 auf Anfrage des erkennenden Senats nach § 11 Abs. 3 FGO erklärt, dass er entgegen seiner im Urteil vom 12.11.2013 - VIII R 36/10 (BFHE 243, 506, BStBl II 2014, 168) geäußerten Rechtsauffassung den Bezug von Erstattungszinsen nunmehr auch als Vergütung einer Tätigkeit beurteilt.
c) Die vorliegend in der Kapitalüberlassung liegende Tätigkeit ist auch mehrjährig. Hierfür ist nach der Legaldefinition des § 34 Abs. 2 Nr. 4 Halbsatz 2 EStG Voraussetzung, dass die Tätigkeit sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckt und einen Zeitraum von mehr als 12 Monaten umfasst. Im Streitfall begann der Zinslauf selbst für den jüngsten betroffenen Veranlagungszeitraum (Umsatzsteuer 2000) am 01.04.2002 und endete im Jahr 2012. Die Kapitalüberlassung erstreckte sich daher auf einen mehrjährigen Zeitraum.
2. Die Gewinnerhöhung aufgrund der Erstattungszinsen ist im Streitfall auch als "außerordentlich" anzusehen.
a) Nach der für die Anwendung des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG geltenden Systematik findet die weite Auslegung des Begriffs der "Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten" dadurch ihr Korrektiv, dass zusätzlich die "Außerordentlichkeit" der Einkünfte erforderlich ist, wozu auch eine typischerweise eintretende Progressionswirkung gehört (Senatsurteil vom 25.02.2014 - X R 10/12, BFHE 245, 1, BStBl II 2014, 668, Rz 48). Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten sind nur dann außerordentlich, wenn die Zusammenballung der Einkünfte für den betreffenden Lebens-, Wirtschafts- und Regelungsbereich atypisch ist (Senatsurteile vom 11.06.2019 - X R 7/18, BFHE 265, 175, BStBl II 2019, 583, Rz 24 und vom 06.05.2020 - X R 24/19, BFHE 269, 265, BStBl II 2021, 141, Rz 18).
b) Eine in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannte Fallgruppe, in der eine Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten eine entsprechende Progressionswirkung typischerweise erwarten lässt, ist der infolge einer vorausgegangenen rechtlichen Auseinandersetzung zusammengeballte Zufluss einer solchen Vergütung (grundlegend BFH-Urteil vom 14.12.2006 - IV R 57/05, BFHE 216, 247, BStBl II 2007, 180, unter II.3.a und Senatsurteil vom 25.02.2014 - X R 10/12, BFHE 245, 1, BStBl II 2014, 668, Rz 33 ff.; ebenso der VIII. Senat des BFH in Bezug auf die Einkünfte aus selbständiger Arbeit in den Beschlüssen vom 09.10.2018 - VIII B 49/18, BFH/NV 2019, 17, Rz 8 und vom 20.01.2020 - VIII B 121/19, BFH/NV 2020, 506, Rz 5).
Vorliegend sind dem Kläger nicht nur die Umsatzsteuererstattungen aufgrund des langjährigen Rechtsstreits geballt zugeflossen und zum selben Zeitpunkt gewinnerhöhend zu erfassen gewesen; dies gilt vielmehr ebenso für die durch die Umsatzsteuererstattungen ausgelösten Erstattungszinsen. Diese haben die bereits durch die Umsatzsteuererstattungen ausgelöste Progressionswirkung zudem noch erheblich verstärkt.
Zur Progressionswirkung trägt im vorliegenden Fall gerade die erhebliche Höhe der Zinsen im Vergleich zur Hauptschuld bei: Die Erstattungszinsen (203.022 €) belaufen sich auf 63,1 % der erstatteten Umsatzsteuer (321.774 €) beziehungsweise auf 38,7 % des zusammengeballt zu versteuernden Gesamtbetrags (524.796 €).
c) Vor allem aber fordert die rechtliche und tatsächliche Verknüpfung der streitgegenständlichen Erstattungszinsen mit den ‑‑unstreitig nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG begünstigten‑‑ Umsatzsteuererstattungen die Erstreckung der Wertung als "außerordentlich" auch auf die Zinsen.
aa) Für die Wertung, eine erst nach einem langjährigen Rechtsstreit realisierte Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten auch bei einem bilanzierenden Gewerbetreibenden als außerordentlich anzusehen, spricht, dass Höhe und Zuflusszeitpunkt dieser Einkünfte für den Gewerbetreibenden aufgrund des Rechtsstreits nicht disponibel sind, dass aufgrund der erheblichen Höhe der Vergütung typischerweise eine Progressionswirkung eintritt und dass aufgrund des Vorsichtsprinzips zunächst ein Aktivierungsverbot zu beachten ist (vgl. Senatsurteil vom 25.02.2014 - X R 10/12, BFHE 245, 1, BStBl II 2014, 668, Rz 33 ff.). Diese Gesichtspunkte gelten in gleicher Weise für die mit der zusammengeballt zufließenden Vergütung verbundenen Zinsen.
bb) Hinzu kommt, dass Zinsen eine steuerliche Nebenleistung darstellen (im Streitjahr § 3 Abs. 4 AO; heute § 3 Abs. 4 Nr. 4 AO). Der Zinsanspruch ist grundsätzlich vom Bestehen eines Steueranspruchs abhängig und daher akzessorisch (Wernsmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 3 AO Rz 478; Drüen in Tipke/Kruse, § 3 AO Rz 93; Neumann in Gosch, AO § 3 Rz 64; zu Aussetzungszinsen auch BFH-Urteile vom 22.01.1992 - X R 155/90, BFH/NV 1992, 458, unter 1.b, und vom 25.03.1992 - I R 159/90, BFHE 168, 13, BStBl II 1992, 997, unter II.2.). Er soll ‑‑vorbehaltlich gesetzlicher Sonderregelungen‑‑ grundsätzlich das steuerrechtliche Schicksal der Hauptschuld teilen (vgl. BFH-Urteile vom 06.10.2009 - I R 39/09, BFH/NV 2010, 470, Rz 18, und vom 15.06.2010 - VIII R 33/07, BFHE 230, 109, BStBl II 2011, 503, Rz 20). Die Kläger verweisen zutreffend auf die BFH-Rechtsprechung, die ‑‑auch über die steuerlichen Zinsen nach §§ 233 ff. AO hinaus‑‑ Zinsen steuerrechtlich grundsätzlich ebenso behandelt wie die Hauptleistung (vgl. BFH-Urteile vom 31.08.2016 - VI R 53/14, BFHE 255, 120, BStBl II 2017, 322, Rz 22, und vom 23.04.2021 - IX R 3/20, BFHE 273, 169, BStBl II 2021, 692, Rz 38).
3. § 34 Abs. 2 Nr. 3 EStG entfaltet im Streitfall keine Sperrwirkung.
a) Nach dieser Regelung kommen als außerordentliche Einkünfte Nutzungsvergütungen und Zinsen im Sinne des § 24 Nr. 3 EStG (d.h. nur solche für die Inanspruchnahme von Grundstücken für öffentliche Zwecke), soweit sie für einen Zeitraum von mehr als drei Jahren nachgezahlt werden, in Betracht. Der VIII. Senat hat hieraus für die Einkünfte aus Kapitalvermögen gefolgert, dass andere Zinsen als die in § 34 Abs. 2 Nr. 3 EStG genannten generell nicht von § 34 Abs. 2 EStG erfasst werden sollen (BFH-Urteil vom 12.11.2013 - VIII R 36/10, BFHE 243, 506, BStBl II 2014, 168, Rz 39). Das FG hat diese Rechtsprechung im Streitfall auch auf Zinsen, die zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehören, übertragen.
b) Für Zinsen, die zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehören, kann aus § 34 Abs. 2 Nr. 3 EStG jedoch keine derart umfassende Sperrwirkung abgeleitet werden. Dies folgt aus der Entstehungsgeschichte jener Norm.
§ 34 Abs. 2 Nr. 3 EStG wurde ‑‑ebenso wie der damit korrespondierende § 24 Nr. 3 EStG‑‑ durch das Steueränderungsgesetz 1965 vom 14.05.1965 (BGBl I 1965, 377) eingefügt. Anlass für diese Gesetzesänderung war das BFH-Urteil vom 14.06.1963 - VI 216/61 U (BFHE 77, 169, BStBl III 1963, 380), wonach auch in einem Betrag nachgezahlte Nutzungsvergütungen für Grundstücksbeschlagnahmen nicht ‑‑unter dem Gesichtspunkt der Entschädigung‑‑ nach § 34 EStG tarifbegünstigt seien. Dem wollte der Gesetzgeber entgegentreten, weil Nutzungsvergütungen für Beschlagnahmen sowie die entsprechenden Zinsen häufig aus Gründen, die der Empfänger nicht zu vertreten habe, zusammengeballt nachgezahlt würden. Daher wurde eine entsprechende Sonderregelung in § 24 Nr. 3 sowie § 34 Abs. 2 Nr. 3 EStG geschaffen (Bericht des Finanzausschusses vom 19.03.1965, zu BTDrucks IV/3189, S. 8 f.; ebenso zur Entstehungsgeschichte und zum Normzweck auch BFH-Urteil vom 14.03.1985 - IV R 143/82, BFHE 143, 457, BStBl II 1985, 463).
Die Schaffung einer ausdrücklichen Begünstigung für bestimmte Nutzungsvergütungen und Zinsen aufgrund der Inanspruchnahme von Grundstücken für öffentliche Zwecke hatte daher ausschließlich zum Ziel, den Anwendungsbereich des § 34 EStG zu erweitern. Eine Einschränkung des Anwendungsbereichs der anderen Nummern des § 34 Abs. 2 EStG war hingegen nicht beabsichtigt (ebenso HHR/Horn, § 34 EStG Rz 60).
Dementsprechend hat die höchstrichterliche Rechtsprechung bisher auch in Bezug auf andere Nummern des § 34 Abs. 2 EStG keine Sperrwirkung des § 34 Abs. 2 Nr. 3 EStG für gewerbliche Einkünfte angenommen und gewährt beispielsweise die Begünstigung für (gewerbliche) Veräußerungs- und Aufgabegewinne (§ 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG) unterschiedslos und unabhängig davon, ob in diesen Gewinnen Nutzungsvergütungen oder Zinsen enthalten sind, die nicht zugleich die Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 Nr. 3 EStG erfüllen.
c) Auch insoweit hat der VIII. Senat des BFH auf Anfrage des erkennenden Senats (§ 11 Abs. 3 Satz 1 FGO) mit Beschluss vom 04.07.2023 erklärt, dass er an seiner im Urteil vom 12.11.2013 - VIII R 36/10 (BFHE 243, 506, BStBl II 2014, 168) geäußerten Rechtsauffassung, wonach § 34 Abs. 2 Nr. 3 EStG eine Sperrwirkung in Bezug auf alle nicht in dieser Norm aufgeführten Zinsen entfaltet, nicht weiter festhält.
4. Der Senat weicht nicht von tragenden Erwägungen des BFH-Urteils vom 25.09.2014 - III R 5/12 (BFHE 247, 226, BStBl II 2015, 220) ab, das zu Erstattungszinsen ergangen ist, die ‑‑wie im vorliegenden Fall‑‑ zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehören.
Dort hatte der III. Senat über einen Sachverhalt zu entscheiden, der mit dem des Senatsurteils vom 25.02.2014 - X R 10/12 (BFHE 245, 1, BStBl II 2014, 668) nahezu identisch war. Allerdings waren zusätzlich zu den Umsatzsteuererstattungsansprüchen auch noch Erstattungszinsen zu aktivieren. Das FG hatte der auf Gewährung der Tarifbegünstigung gerichteten Klage nur in Bezug auf die Umsatzsteuererstattungsansprüche stattgegeben und die Klage in Bezug auf die Erstattungszinsen abgewiesen, dabei aber ‑‑wegen der Übertragung der Steuerberechnung auf das FA‑‑ nicht bemerkt, dass schon mit der von ihm ausgesprochenen Teilstattgabe eine so große Herabsetzung der Einkommensteuer verbunden war, dass der gesamte Klageantrag ausgeschöpft war. Es hätte der Klage auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung und des gestellten Antrags also in vollem Umfang stattgeben müssen.
Gegen das FG-Urteil hatte das dortige FA Revision eingelegt (wegen der Klagestattgabe zum Umsatzsteuererstattungsanspruch); der dortige Kläger legte dann Anschlussrevision ein (wegen der tenorierten Klageabweisung hinsichtlich der Erstattungszinsen).
Der III. Senat des BFH wies die Revision des FA zurück (unter Bezugnahme auf das Senatsurteil vom 25.02.2014 - X R 10/12, BFHE 245, 1, BStBl II 2014, 668) und verwarf die Anschlussrevision des Klägers wegen fehlender Beschwer als unzulässig. Allerdings wies er in Rz 36 seines Urteils "ergänzend" darauf hin, dass nach der Entscheidung des VIII. Senats vom 12.11.2013 - VIII R 36/10 (BFHE 243, 506, BStBl II 2014, 168) Erstattungszinsen keine außerordentlichen Einkünfte seien. Dieser ergänzende Hinweis ist jedoch nicht entscheidungstragend, da die Anschlussrevision bereits als unzulässig verworfen wurde, es also auf Ausführungen zu ihrer Begründetheit nicht mehr ankam (zur fehlenden Erforderlichkeit einer Divergenzanfrage bei bloßen obiter dicta vgl. auch BFH-Urteil vom 02.09.2008 - VIII R 2/07, BFHE 223, 15, BStBl II 2010, 25, unter II.2.e). Die Stellung einer Divergenzanfrage auch beim III. Senat war daher nicht erforderlich.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.