ECLI:DE:BFH:2023:U.110523.VR22.21.0
BFH V. Senat
UStG § 3 Abs 1, KWKG § 4 Abs 3a, UStAE Abschn 2.5 Abs 17 S 2, UStG VZ 2010
vorgehend FG Köln, 16. Juni 2021, Az: 9 K 2943/16
Leitsätze
Die Zahlung eines sogenannten KWK-Zuschlags für nicht eingespeisten, sondern dezentral verbrauchten Strom gemäß § 4 Abs. 3a KWKG 2009 führt nicht zu einer Lieferung im Sinne von § 3 Abs. 1 UStG. Der von einem Anlagenbetreiber erzeugte und dezentral verbrauchte Strom wird daher weder an den Stromnetzbetreiber geliefert noch an den Anlagenbetreiber zurückgeliefert (Bestätigung des BFH-Urteils vom 29.11.2022 - XI R 18/21, zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehen, und entgegen Abschnitt 2.5 Abs. 17 Satz 2 bis 4 UStAE).
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 16.06.2021 - 9 K 2943/16 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Köln zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob im Jahr 2010 (Streitjahr) in einem Blockheizkraftwerk (BHKW) erzeugter und dezentral verbrauchter Strom umsatzsteuerrechtlich an den Betreiber des Stromnetzes für die allgemeine Versorgung (Stromnetzbetreiber) geliefert wird.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Anstalt des öffentlichen Rechts, die wegen der Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens als gemeinnützig anerkannt ist. Sie hatte auf ihrem Gelände ein eigenes Stromnetz (sog. Kundenanlage), das wiederum mit dem Stromnetz des Stromnetzbetreibers verbunden war. Im Jahr 2009 schlossen die A GmbH, deren gesamten Anteile eine 100%ige Tochtergesellschaft der Klägerin hielt, und die Klägerin eine Vereinbarung über die Übertragung des Energiemanagements und einen Energieliefervertrag, wonach die A GmbH die ausschließliche Energieversorgung der Klägerin übernahm. Dies betraf die umfassende Versorgung der Klägerin mit Strom, Fernwärme (Wärme/Kälte) sowie Gas. Danach kaufte die A GmbH die benötigte Energie ein und berechnete sie der Klägerin in Höhe der eigenen Aufwendungen zuzüglich einer Marge. Es war beabsichtigt, zukünftig einen wesentlichen Teil des Energiebedarfs der Klägerin über Eigenerzeugungsanlagen (BHKW) abzudecken und dann die bisher vereinbarte Preisregelung neu festzulegen. Dies betraf insbesondere die Einspeisepunkte für Strom und für Fernwärme.
Im Streitjahr erbaute die Klägerin ein BHKW zur Strom- und Wärmeerzeugung (Kraft-Wärme-Kopplung ‑‑KWK‑‑), das an das eigene Stromnetz der Klägerin angeschlossen wurde. Einen Vorsteuerabzug hieraus machte sie nicht geltend. Die Klägerin überließ der A GmbH noch im Streitjahr mit einem als "Pachtvertrag" bezeichneten Vertrag den Betrieb des BHKW. Danach war die Klägerin verpflichtet, der A GmbH das BHKW zum Zwecke des Betriebs inklusive der Erzeugung und Lieferung von Strom und Wärme an die Klägerin und an Dritte zu überlassen. Der Verkauf und die Lieferung von Strom und Wärme sollte aufgrund des Energieliefervertrages und der dazu ergangenen Nachtragsvereinbarungen erfolgen. Die Einnahmen aus dem "Pachtvertrag" erfasste die Klägerin im wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb "Leistungen an die A GmbH".
Den im BHKW erzeugten Strom verbrauchte die Klägerin nahezu vollständig (dezentral) selbst. Eine Einspeisung in das Stromnetz des Stromnetzbetreibers erfolgte nicht. An die Kundenanlage der Klägerin waren noch wenige Gebäude angeschlossen, die Dritten zuzuordnen waren. Die von diesen Dritten benötigte Strommenge war vergleichsweise gering. Im Hinblick darauf, dass die Klägerin durchgängig neben dem im BHKW erzeugten Strom für ihre eigene Stromversorgung zusätzlich eingekauften Strom (in nennenswertem Umfang) benötigte, wurde der Stromlieferung an die Dritten vollständig eingekaufter Strom zugrunde gelegt. Für den im BHKW erzeugten und in ihrer Kundenanlage (dezentral) verbrauchten Strom stellte die Klägerin dem Stromnetzbetreiber im Jahr 2013 für das Streitjahr den in § 4 Abs. 3a des Gesetzes für die Erhaltung, die Modernisierung und den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung (Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz) in der Fassung vom 25.10.2008 (BGBl I 2008, 2101) ‑‑KWKG 2009‑‑ vorgesehenen Zuschlag mit gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer in Rechnung. Einen dieser Vorgehensweise zugrunde liegenden Vertrag gab es nach Angaben der Klägerin nicht, sondern nur ein sogenanntes Freigabeschreiben zur Rechnungsstellung. Sonstige Abrechnungen durch die Klägerin, die A GmbH oder den Stromnetzbetreiber über den im BHKW erzeugten Strom erfolgten nicht.
Im Rahmen einer Außenprüfung gelangten die Prüfer unter Anwendung der Grundsätze des Abschnitts 2.5 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE) zu der Auffassung, der gesamte im BHKW erzeugte und dezentral verbrauchte Strom werde fiktiv von dem Anlagenbetreiber in das Stromnetz des Stromnetzbetreibers eingespeist und von dem Stromnetzbetreiber wieder an den Anlagenbetreiber zurückgeliefert. Vorliegend habe die A GmbH als Betreiberin der Anlage an den Stromnetzbetreiber geliefert, weil sie das BHKW von der Klägerin gepachtet habe. Vorsteuer aus der fiktiven Rücklieferung sei allerdings erst dann zu berücksichtigen, wenn eine entsprechende Rechnung des Stromnetzbetreibers vorliege.
Der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt ‑‑FA‑‑) übernahm die Auffassung der Prüfer und erließ am 16.11.2015 einen entsprechenden Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr, in dem er die der A GmbH als Organgesellschaft zugerechneten Umsätze bei der Klägerin als Organträgerin berücksichtigte. Der hiergegen gerichtete Einspruch blieb erfolglos. Während des anschließenden Klageverfahrens änderte das FA den angefochtenen Umsatzsteuerbescheid aus hier nicht streitigen Gründen.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2021, 1937 veröffentlichten Urteil statt. Der im BHKW erzeugte Strom werde weder tatsächlich noch fingiert im Sinne des § 3 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) an den Stromnetzbetreiber geliefert. Selbst wenn eine Lieferung des Stroms von der A GmbH an die Klägerin vorliegen sollte, sei diese als nicht steuerbarer Innenumsatz einer zwischen der A GmbH und der Klägerin bestehenden Organschaft im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG anzusehen.
Hiergegen richtet sich die Revision des FA, mit der es die Verletzung materiellen Rechts rügt. § 4 Abs. 3a KWKG 2009 stelle den dezentralen Verbrauch einer physischen Einspeisung gleich. Damit liege gleichzeitig eine Lieferung im Sinne des § 3 Abs. 1 UStG vor. Zudem sei der dezentrale Verbrauch im Sinne des § 4 Abs. 3a KWKG 2009 mit der sogenannten kaufmännisch-bilanziellen Einspeisung im Sinne des § 8 Abs. 2 des Gesetzes für den Vorrang Erneuerbarer Energien (in der Fassung vom 25.10.2008, BGBl I 2008, 2074, in Kraft getreten am 01.01.2009 ‑‑EEG 2009‑‑) ‑‑entgegen der Auffassung des FG‑‑ vergleichbar. Die Netzbetreiber seien danach auch dann zur Abnahme des gesamten angebotenen Stroms aus erneuerbaren Energien verpflichtet, wenn die Anlage an das Netz des Anlagenbetreibers angeschlossen ist und der Strom mittels kaufmännisch-bilanzieller Weitergabe durch dieses Netz in ein Netz für die allgemeine Versorgung angeboten wird. Die sogenannte kaufmännisch-bilanzielle Einspeisung sei eine generelle energiewirtschaftliche Bilanzierungsoption, durch die der Anlagenbetreiber so gestellt werde, als ob er die von ihm erzeugte Energie unmittelbar in ein Stromnetz eingespeist hätte. Diese Option könne genutzt werden, falls der erzeugte Strom physikalisch beispielsweise in eine sogenannte Kundenanlage eingespeist werde. Bei dieser Fallgestaltung bestünden keine Bedenken, eine umsatzsteuerrechtliche Lieferung von Strom anzunehmen. Gleiches gelte für den dezentralen Verbrauch, für den der Zuschlag nach § 4 Abs. 3a KWKG 2009 gezahlt werde. Auch hier werde der Strom nicht tatsächlich an den Stromnetzbetreiber geliefert, sondern erfolge der Verbrauch außerhalb dessen Stromnetzes. Im Ergebnis werde umsatzsteuerrechtlich der direkt verbrauchte Strom zunächst unter Inanspruchnahme des Zuschlags nach § 4 Abs. 3a KWKG 2009 an den Stromnetzbetreiber geliefert und anschließend von dem Stromnetzbetreiber ohne den Zuschlag an den Anlagenbetreiber zurückgeliefert.
Das FA beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.Sie verteidigt das FG-Urteil. Ergänzend weist sie darauf hin, dass auch eine sogenannte kaufmännisch-bilanzielle Einspeisung nach § 8 Abs. 2 EEG 2009 nur fiktiver Art sei und einem anderen nicht die Verfügungsmacht am Strom verschaffe. Des Weiteren liege mangels Entgelt auch kein Leistungsaustausch im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG vor. Aus dem politisch übergreifenden Fördergedanken für die dezentrale Stromerzeugung unter anderem zur Erreichung von Klimaschutzzielen ergebe sich zudem, dass weder der Zuschlag nach § 4 Abs. 3a KWKG 2009 noch die Vergütung für eine sogenannte kaufmännisch-bilanzielle Einspeisung nach § 8 Abs. 2 EEG 2009 ein umsatzsteuerrechtliches Entgelt sei.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des FA ist aus anderen als den von ihm geltend gemachten Gründen begründet. Zwar hat das FG die zwischen den Beteiligten streitige Rechtsfrage zutreffend entschieden. Das Urteil des FG ist aber aus anderen Gründen aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
1. Das FG hat zutreffend entschieden, dass der im Streitjahr in einem an die Kundenanlage angeschlossenen BHKW erzeugte und dezentral verbrauchte Strom nicht an den Stromnetzbetreiber im Sinne des § 3 Abs. 1 UStG geliefert wurde. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat diese Beurteilung für einen Parallelfall bereits ausdrücklich bestätigt. Danach führt die Zahlung eines sogenannten KWK-Zuschlags für nicht eingespeisten, sondern dezentral verbrauchten Strom gemäß § 4 Abs. 3a KWKG 2009 nicht zu einer Lieferung im Sinne von § 3 Abs. 1 UStG (BFH-Urteil vom 29.11.2022 - XI R 18/21, Leitsatz, BFHE 279, 298, Deutsches Steuerrecht 2023, 822). Somit wird der von einem Anlagenbetreiber erzeugte und dezentral verbrauchte Strom umsatzsteuerrechtlich weder an den Stromnetzbetreiber geliefert noch an den Anlagenbetreiber zurückgeliefert. Ebenso liegt keine sonstige Leistung nach § 3 Abs. 9 UStG vor.
Der erkennende Senat schließt sich dieser Entscheidung des XI. Senats des BFH, mit der sich dieser in Rz 33 seines Urteils zudem zutreffend gegen die Verwaltungsauffassung in Abschnitt 2.5 Abs. 17 Satz 2 bis 4 UStAE wendet, im Ergebnis wie auch zur Begründung vollumfänglich an und sieht zur Vermeidung bloßer Wiederholungen von einer weitergehenden Begründung ab.
2. Nach dem Grundsatz der Vollrevision ist die Entscheidung der Vorinstanz aber materiell-rechtlich in vollem Umfang und damit ohne Einschränkung auf die von den Beteiligten vorgebrachten Streitpunkte zu überprüfen, wenn der Revisionskläger ‑‑wie im Streitfall‑‑ sein Rechtsmittel in zulässiger Weise auf die Verletzung materiellen Rechts stützt (§ 118 Abs. 3 Satz 2 FGO; vgl. z.B. BFH-Urteile vom 12.05.2022 - V R 19/20, BFHE 277, 496, Rz 11 und vom 25.11.2021 - V R 45/20, BFHE 275, 392).
a) Enthält die Entscheidung eines FG nicht die Tatsachen, die erforderlich sind, um prüfen zu können, ob eine entscheidungserhebliche Rechtsnorm rechtsfehlerfrei angewandt worden ist, liegt darin ein materiell-rechtlicher Fehler, der auch ohne diesbezügliche Rüge vom Revisionsgericht von Amts wegen zu beachten ist (z.B. BFH-Urteil vom 14.04.2021 - X R 17/19, BFH/NV 2021, 1494, Rz 12 f.). Da die notwendigen Feststellungen im Revisionsverfahren nicht getroffen werden können, ist das FG-Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Dieser Rechtsfehler ergibt sich vorliegend daraus, dass das FG offen gelassen hat, ob Anlagenbetreiberin die A GmbH oder die Klägerin war, da auch insoweit kein steuerbarer Umsatz im Zusammenhang mit dem im BHKW erzeugten Strom vorliege. Eine Lieferung des Stroms von der A GmbH an die Klägerin sei als nicht steuerbarer Innenumsatz einer zwischen der A GmbH und der Klägerin bestehenden Organschaft im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG anzusehen.
Obwohl das FG im Einklang mit den Beteiligten davon ausgegangen ist, dass im Streitjahr eine Organschaft zwischen der A GmbH und der Klägerin bestand, lässt sich dem FG-Urteil nicht entnehmen, ob die Voraussetzungen einer Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in Bezug auf das Erfordernis einer organisatorischen Eingliederung vorlagen. Sollte keine Organschaft vorliegen, ist mangels weiterer tatsächlicher Feststellungen des FG nicht auszuschließen, dass die Klage infolge anderweitiger Korrekturen in Bezug auf die bisher der Klägerin zugerechneten Umsätze und des von ihr geltend gemachten Vorsteuerabzugs aus anderen Gründen (teilweise) abzuweisen wäre.
b) Liegen die Voraussetzungen einer Organschaft vor, wird das FG das ‑‑nunmehr vorliegende‑‑ Vorabentscheidungsersuchen vor dem Gerichtshof der Europäischen Union in der Rechtssache Finanzamt T II - C-184/23 (BFH-Beschluss vom 26.01.2023 - V R 20/22 (V R 40/19), zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehen, BStBl II 2023, 530) zu berücksichtigen haben. Des Weiteren kann zu prüfen sein, ob überhaupt entgeltliche Stromlieferungen der A GmbH an die Klägerin oder Stromlieferungen als unentgeltliche Zuwendungen der A GmbH an die Klägerin nach § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG (vgl. BFH-Urteil in BFHE 275, 392) vorlagen.
3. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.