ECLI:DE:BFH:2021:U.171121.IIR26.20.0
BFH II. Senat
FGO § 76 Abs 1, FGO § 76 Abs 2, BewG § 190 Abs 4, BewG § 195, BewG § 198 S 1, ErbStG § 12, GG Art 19 Abs 4
vorgehend Sächsisches Finanzgericht , 14. Februar 2020, Az: 6 K 350/19
Leitsätze
1. NV: Macht der Steuerpflichtige geltend, der gemeine Wert von Grundvermögen sei niedriger als der typisierte Wert, obliegt es ihm nach § 198 BewG, einen niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen.
2. NV: Das FG ist nicht verpflichtet, ein Sachverständigengutachten zur Bestimmung des Grundbesitzwerts einzuholen.
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 14.02.2020 - 6 K 350/19 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
I.
Mit Vertrag vom … übertrug der Lebensgefährte der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) das Eigentum an einem Gebäude auf fremdem Grund und Boden, das sie beide bewohnten. Das Gebäude war 1810 errichtet worden und befand sich zum Übertragungszeitpunkt ‑‑unstreitig‑‑ in einem sehr schlechten baulichen Zustand. Im Übertragungsvertrag wurde ein Gebäudewert in Höhe von 4.000 € angegeben.
Auf Aufforderung des für die Festsetzung der Schenkungsteuer zuständigen Finanzamts stellte der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) mit Bescheid vom 06.12.2017 den Grundbesitzwert auf den … auf 58.359 € gesondert fest. Die Bewertung des Gebäudes erfolgte im Sachwertverfahren nach Maßgabe von § 190 BewG auf Grundlage der Angaben der Klägerin. Aufgrund des Gebäudebaujahrs kam das FA zwar zu einer Alterswertminderung um 100 %, setzte aber den Mindestwert von 30 % des ermittelten Gebäuderegelherstellungswerts an, da keine Abrissverpflichtung bestand. Den gegen den Feststellungsbescheid gerichteten Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 12.02.2019 zurück. Die Bewertung sei zutreffend im Sachwertverfahren erfolgt, da kein Vergleichswert vorgelegen habe und ein niedrigerer Grundbesitzwert ‑‑für den die Klägerin die Nachweislast trage‑‑ nicht nachgewiesen sei.
Im anschließenden Klageverfahren verwies die Klägerin auf den ruinösen Bauzustand des Gebäudes und trug vor, dass sie aus wirtschaftlichen Gründen nicht in der Lage sei, die Kosten eines Gutachtens aufzubringen. Zum Beweis des niedrigeren Werts des Gebäudes beantragte sie die Einholung eines Sachverständigengutachtens.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab, da die Bewertung als Gebäude auf fremden Grund und Boden im Sachwertverfahren zutreffend erfolgt sei und die Klägerin keinen niedrigeren gemeinen Wert nachgewiesen habe. Das Urteil ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2021, 1039.
Mit ihrer Revision macht die Klägerin einen Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑) geltend. Das FG habe trotz ihres Vortrags zu den historischen Kaufpreisen des Gebäudes, zum Zustand der Bausubstanz, zu den erforderlichen Sanierungs- und Erhaltungsmaßnahmen sowie zu ihrer wirtschaftlichen Situation den von ihr gestellten entscheidungserheblichen Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens übergangen. Zudem komme dem im Schenkungsvertrag beurkundeten Wert Indizwirkung zu.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Vorentscheidung aufzuheben und den Bescheid vom 06.12.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.02.2019 dahin zu ändern, dass der Grundbesitzwert auf den … mit 0 € festgestellt wird.Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.Das FA verweist im Wesentlichen auf das FG-Urteil und ergänzt, dass nicht geklärt sei, ob die Klägerin finanziell nicht in der Lage gewesen sei, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Prozesskostenhilfe (PKH) habe sie für das bisherige Gerichtsverfahren nicht beantragt. Jedenfalls könne nicht auf die Wertvereinbarung im Übertragungsvertrag zurückgegriffen werden.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat zu Recht entschieden, dass der Wert für das Gebäude auf fremden Grund und Boden zutreffend im Sachwertverfahren ermittelt wurde. Das FG hat zudem ohne Verletzung seiner Sachaufklärungspflicht zutreffend entschieden, dass die Klägerin einen niedrigeren gemeinen Wert des Gebäudes nicht nachgewiesen hat.
1. Nach § 12 Abs. 3 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes i.V.m. § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BewG sind Grundbesitzwerte gesondert festzustellen, wenn die Werte für die Erbschaft- oder Schenkungsteuer von Bedeutung sind.
a) Gegenstand der Bewertung sind die wirtschaftlichen Einheiten des Grundvermögens (§ 157 Abs. 3 Satz 1 BewG), zu denen der Grund und Boden, die Gebäude, die sonstigen Bestandteile und das Zubehör gehören (§ 176 Abs. 1 Nr. 1 BewG). Deren Wert ist unter Anwendung der §§ 159 und 176 bis 198 BewG zu ermitteln.
b) Der Wert für ein Gebäude auf fremdem Grund und Boden ist nach § 195 Abs. 1 BewG gesondert zu ermitteln. Bei Ein- und Zweifamilienhäusern ist nach § 195 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 182 Abs. 4 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 3 BewG die Bewertung im Sachwertverfahren mit dem Gebäudesachwert nach § 190 BewG vorzunehmen. Eine vorrangige Heranziehung des Vergleichswertverfahrens ist ‑‑im Gegensatz zur Bewertung eines Erbbaugrundstücks nach § 194 Abs. 1 BewG (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 14.10.2020 - II R 7/18, BFHE 271, 190, BStBl II 2021, 665, Rz 15)‑‑ für Gebäude auf fremden Grund und Boden nicht vorgesehen (vgl. Mannek/Krause in Stenger/Loose, Bewertungsrecht, § 195 BewG Rz 17; Schnitter in Wilms/Jochum, ErbStG/BewG/GrEStG, § 195 BewG Rz 23, Stand 01.08.2020).
c) Im Rahmen des Sachwertverfahrens ist nach § 190 Abs. 4 Satz 1 BewG vom Gebäuderegelherstellungswert eine Alterswertminderung abzuziehen. Nach § 190 Abs. 4 Satz 5 BewG ist der nach Abzug der Alterswertminderung verbleibende Gebäudewert jedoch regelmäßig mit mindestens 30 % des Gebäuderegelherstellungswerts anzusetzen. Der Mindestwert ist allerdings nach § 195 Abs. 2 Sätze 2 und 5 BewG bei Gebäuden auf fremdem Grund und Boden nicht anzusetzen, wenn der Nutzer verpflichtet ist, das Gebäude bei Ablauf des Nutzungsrechts zu beseitigen. In diesen Fällen bemisst sich nach § 195 Abs. 2 Satz 4 BewG die Alterswertminderung i.S. des § 190 Abs. 4 Sätze 1 bis 3 BewG nach dem Alter des Gebäudes am Bewertungsstichtag und der tatsächlichen Gesamtnutzungsdauer. Die Mindestrestwertregelung berücksichtigt typisierend, dass auch ein älteres Gebäude, das laufend instand gehalten wird, einen Wert hat und unterstellt einen durchschnittlichen Erhaltungszustand (vgl. Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Umsetzung des Steueränderungsgesetzes 2015 vom 08.01.2016, unter II. Sachwertverfahren, 11. Alterswertminderung, Abs. 5 Sätze 2 und 3, BStBl I 2016, 173).
2. Bei der Bewertung von Grundstücken für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer ist grundsätzlich der gemeine Wert zugrunde zu legen (§ 177 BewG). Ungeachtet dessen unterliegt das Bewertungsrecht einer starken Typisierung, die im Einzelfall dazu führen kann, dass ein viel höherer Wert als der gemeine Wert festzustellen ist. Dies nimmt das Bewertungsrecht in Kauf.
a) Einer Überbewertung von Grundvermögen kann der Steuerpflichtige entgegentreten, indem er nachweist, dass der gemeine Wert der wirtschaftlichen Einheit am Bewertungsstichtag niedriger ist als der nach den §§ 179, 182 bis 196 BewG ermittelte Wert, denn dann ist dieser Wert anzusetzen (§ 198 Satz 1 BewG in der zum streitgegenständlichen Stichtag geltenden Fassung; heute § 198 Abs. 1 Satz 1 BewG).
b) Unter der für die Rechtslage zum Stichtag ergangenen Rechtsprechung konnte der Nachweis durch einen im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zeitnah zum maßgeblichen Besteuerungsstichtag erzielten Kaufpreis für das zu bewertende Grundstück oder durch die Vorlage des Gutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen geführt werden (vgl. BFH-Urteile vom 15.03.2017 - II R 10/15, BFH/NV 2017, 1153, Rz 22, und vom 05.12.2019 - II R 9/18, BFHE 267, 380, BStBl II 2021, 135, Rz 14 ff., m.w.N.; BFH-Beschluss vom 12.01.2021 - II B 61/19, BFH/NV 2021, 529, Rz 22). Zwar könnten im Einzelfall auch andere Belege schlüssig einen niedrigeren Wert nahelegen, jedoch ist es im Rahmen einer Typisierung zulässig, speziell an ein Sachverständigengutachten die Vermutung einer erhöhten Wahrscheinlichkeit dafür zu knüpfen, dass weitere Beweiserhebungen entbehrlich sind (BFH-Beschluss in BFH/NV 2021, 529, Rz 22). Allein eine Wertangabe in einem Übertragungsvertrag stellt keinen Nachweis dar.
3. Das FG ist nicht verpflichtet, von Amts wegen Beweis über einen etwaigen niedrigeren gemeinen Wert nach § 198 BewG zu erheben.
a) Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen (Amtsermittlungsgrundsatz). Es muss zur Herbeiführung der Spruchreife alles aufklären, was aus seiner Sicht entscheidungserheblich ist, und hierfür alle verfügbaren Beweismittel ausnutzen. Hierbei haben die Beteiligten mitzuwirken (§ 76 Abs. 1 Sätze 2 und 3 FGO).
b) Die nach § 198 BewG dem Steuerpflichtigen zugewiesene Nachweislast geht über die reine Darlegungs- und Feststellungslast hinaus. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH muss der Steuerpflichtige den Nachweis selbst erbringen, etwa durch Vorlage eines geeigneten Gutachtens. Der Nachweis kann insbesondere nicht dadurch geführt werden, dass der Steuerpflichtige lediglich beantragt, das Gericht möge ein Sachverständigengutachten einholen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil in BFHE 267, 380, BStBl II 2021, 135, Rz 13, m.w.N.).
c) Damit gilt die Verpflichtung des FG zur Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen im Rahmen von § 198 BewG ‑‑anders als bei anderen Wertermittlungen (vgl. etwa BFH-Urteile vom 21.07.2020 - IX R 26/19, BFHE 270, 133, Rz 45, und vom 02.12.2020 - II R 5/19, BFHE 272, 377, BStBl II 2022, 15, Rz 28)‑‑ aufgrund der Nachweispflicht des Steuerpflichtigen nur eingeschränkt (vgl. zu den Vorgängervorschriften des § 198 BewG, BFH-Urteile vom 10.11.2004 - II R 69/01, BFHE 207, 352, BStBl II 2005, 259, unter II.3., und vom 06.07.2016 - II R 28/13, BFHE 254, 38, BStBl II 2017, 147, Rz 20; BFH-Beschluss vom 25.03.2009 - II B 62/08, BFH/NV 2009, 1091, unter II.1.a; jeweils m.w.N.).
d) Die Regelung des § 198 Satz 1 BewG ist hinsichtlich der dadurch dem Steuerpflichtigen auferlegten Nachweislast verfassungsgemäß (BFH-Beschlüsse vom 27.10.2004 - II B 129/03, BFH/NV 2005, 507, unter II.1.; vom 14.12.2006 - II B 53/06, BFH/NV 2007, 403, unter II.a, und vom 25.11.2010 - II B 3/10, BFH/NV 2011, 415, Rz 16, jeweils zur Vorgängervorschrift: § 145 Abs. 3 Satz 3 des Bewertungsgesetzes i.d.F. des jeweiligen Streitjahrs).
4. Nach den oben genannten Grundsätzen ist das FG zu Recht davon ausgegangen, dass der festgestellte Wert für das zu bewertende Gebäude auf fremden Grund und Boden zutreffend im Sachwertverfahren und unter Ansatz des Mindestwerts ermittelt wurde und ein niedrigerer gemeiner Wert nicht nachgewiesen wurde. Insbesondere erfüllt der im Schenkungsvertrag zugrunde gelegte Wert nicht die Anforderungen eines Gutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen. Ein zeitnah zum Bewertungsstichtag erzielter Verkaufspreis (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2017, 1153, Rz 22, m.w.N.) liegt nicht vor.
5. Entgegen der Auffassung der Klägerin liegt auch kein Verfahrensfehler des FG vor.
a) Da der Klägerin die Nachweislast für einen niedrigeren Wert oblag, war die Sachaufklärungspflicht des Gerichts gemäß § 76 Abs. 1 FGO dementsprechend eingeschränkt.
b) Soweit die Klägerin wirtschaftliche Hinderungsgründe bezüglich der Beauftragung eines Sachverständigen geltend gemacht hat, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass sie lediglich vorgetragen hat, sie beziehe Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch, ohne dies zu belegen. Auch hat sie keine Angaben dazu gemacht, ob sie weiteres Einkommen oder Vermögen hat. Zudem hat sie keinen PKH-Antrag gestellt, obwohl sie sich bereits im finanzgerichtlichen Verfahren durch einen Rechtsanwalt vertreten ließ.
Vor diesem Hintergrund bestand für das FG keine Pflicht gemäß § 76 Abs. 2 FGO, ggf. auf die Möglichkeit der PKH hinzuweisen. Die Klägerin war fachkundig vertreten, so dass das FG davon ausgehen konnte, dass der Prozessvertreter die geeignete prozessuale Lösung finden würde (vgl. BFH-Beschluss vom 16.03.2016 - X B 202/15, BFH/NV 2016, 1050, Rz 13 f., m.w.N.).
Da die Klägerin keinen Antrag auf PKH gestellt hat, ist vorliegend auch nicht zu entscheiden, ob die Kosten eines Gutachtens ggf. im Rahmen der PKH hätten erstattet werden können. Dies wäre Gegenstand eines eigenen Kostenerstattungsverfahrens.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.