ECLI:DE:BFH:2021:U.101121.XR13.20.0
BFH X. Senat
EStG § 10 Abs 1 Nr 3 S 1 Buchst b, EStG § 10 Abs 2 S 1 Nr 1 Teils 1, EStG § 10 Abs 2 S 1 Nr 1 Teils 2, AEUV Art 45, DBA LUX 2012 Art 14 Abs 1, DBA LUX 2012 Art 22 Abs 1 Buchst d, EStG VZ 2017
vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz , 14. Januar 2020, Az: 1 K 1692/19
Leitsätze
NV: Für die Frage, ob der Beschäftigungsstaat nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. c EStG "keinerlei" steuerliche Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen im Rahmen der Besteuerung dort bezogener Einnahmen zulässt, sind die einzelnen Sparten der Vorsorgeaufwendungen getrennt zu beurteilen.
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 15.01.2020 - 1 K 1692/19 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
I.
Der im Inland wohnhafte Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wurde für das Streitjahr 2017 zur Einkommensteuer veranlagt. Er war im Streitjahr als Arbeitnehmer in Luxemburg beschäftigt und dort sozialversicherungspflichtig. Der Arbeitslohn unterlag in Luxemburg dem Lohnsteuereinbehalt.
Der Kläger zahlte Beiträge zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) handelt es sich bei der Pflegeversicherung (l'assurance dépendance) um eine im Jahr 1999 eingeführte Pflichtversicherung. Sie ist Teil der dort obligatorischen Sozialversicherungen. Der Beitragssatz beträgt 1,4 % des Gesamteinkommens. Im Streitjahr entrichtete der Kläger hierzu Beiträge von 4.615,64 €. Nach luxemburgischem Einkommensteuerrecht sind zwar Beiträge zur Renten- und Krankenversicherung als Sonderausgaben abziehbar (Art. 110 Nr. 1 loi concernant l'impot sur le revenu ‑‑L.I.R.‑‑), nicht aber solche zur Pflegeversicherung.
Den Arbeitslohn des Klägers stellte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) bei der Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr nach Art. 14 Abs. 1 und Art. 22 Abs. 1 Buchst. d des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und Verhinderung der Steuerhinterziehung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 23.04.2012 (BGBl II 2014, 728, BStBl I 2015, 21) ‑‑DBA Luxemburg‑‑ im Umfang von 90,74 % (196/216 Arbeitstage) unter Progressionsvorbehalt steuerfrei; den verbleibenden Teil des Arbeitslohns behandelte das FA als im Inland steuerpflichtig. Die luxemburgischen Sozialversicherungsbeiträge erkannte es nur insoweit als Sonderausgaben an, als sie auf den im Inland steuerpflichtigen Anteil des Arbeitslohns von 9,26 % entfielen.
Der Kläger begehrte im Hinblick darauf, dass seine Beiträge zur Pflegeversicherung in Luxemburg steuerlich nicht berücksichtigt werden konnten, insoweit den vollen Sonderausgabenabzug im Inland. Nach erfolglosem Einspruch gab das FG der Klage statt (Entscheidungen der Finanzgerichte 2020, 1220). Bei der Prüfung der Ausnahme vom Sonderausgabenabzugsverbot gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. c des Einkommensteuergesetzes (EStG), dass der "Beschäftigungsstaat keinerlei steuerliche Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen" zulasse, sei ‑‑so das FG‑‑ auf die Beiträge zur jeweiligen Versicherungssparte abzustellen. Beiträge zur Pflegeversicherung seien in Luxemburg nicht als Sonderausgaben abziehbar, sodass der Wohnsitzstaat hierfür die steuerliche Entlastung zu gewähren habe.
Mit seiner Revision trägt das FA vor, die Anforderungen des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. c EStG seien nicht erfüllt, wenn zwar ‑‑wie im Streitfall‑‑ einzelne Sparten von Vorsorgeaufwendungen vom steuerlichen Abzug im Beschäftigungsstaat ausgeschlossen seien, allerdings die gesamte persönliche und familiäre Situation des Steuerpflichtigen im Beschäftigungsstaat "im Ganzen gebührend" berücksichtigt werde. Dies sei im Hinblick auf den Umfang des für den Kläger nach luxemburgischen Steuerrecht möglich gewesenen Sonderausgabenabzugs für Renten- und Krankenversicherungsbeiträge (12.022 €) gewährleistet gewesen.
Das FA beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.Der Kläger hält den Ausschluss eines Sonderausgabenabzugs für Pflegeversicherungsbeiträge, die im Zusammenhang mit im Ausland der Europäischen Union (EU) erzielten steuerfreien Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit stehen, für unionsrechtswidrig. § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 EStG setze die Vorgaben der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in dessen Entscheidungen C-20/16 (Rs. Bechtel) und C-385/00 (Rs. de Groot) nur unvollkommen um.
Entscheidungsgründe
II.
Die unbegründete Revision ist nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.
Die Vorinstanz hat frei von Rechtsfehlern entschieden, dass die vom Kläger entrichteten Beiträge zur luxemburgischen Pflegeversicherung in voller Höhe als Sonderausgaben abzuziehen sind. Es handelt sich um Aufwendungen i.S. von § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b EStG (hierzu unten 1.). Das vorliegend zumindest anteilig einschlägige Abzugsverbot gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 1 EStG (unten 2.) findet nach Teilsatz 2 der Vorschrift keine Anwendung (unten 3.).
1. Die Beiträge des Klägers zur luxemburgischen Pflegeversicherung sind Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b EStG. Es handelt sich um Aufwendungen zu einer nach den Feststellungen des FG verpflichtenden und damit gesetzlichen Pflegeversicherung. Da die Beiträge an einen Sozialversicherungsträger i.S. von § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG geleistet wurden, kommt es nicht darauf an, dass dieser im Ausland ansässig ist.
2. § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 1 EStG schließt den Abzug von Vorsorgeaufwendungen aus, wenn diese in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stehen. Hierdurch soll ein doppelter steuerlicher Vorteil vermieden werden (statt vieler Senatsurteil vom 05.11.2019 - X R 23/17, BFHE 267, 34, BStBl II 2020, 763, Rz 15, m.w.N.).
Dieses Abzugsverbot ist im Streitfall grundsätzlich insoweit anwendbar, als die Aufwendungen dem Teil des Arbeitslohns des Klägers zuzuordnen sind, der nach Art. 14 Abs. 1 DBA Luxemburg auf das luxemburgische Besteuerungsrecht entfällt und im Inland ‑‑wenn auch unter Progressionsvorbehalt‑‑ steuerfrei gestellt wurde (Art. 22 Abs. 1 Buchst. d DBA Luxemburg i.V.m. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG). Die Beitragslast zur luxemburgischen Pflegeversicherung orientiert sich nach den Feststellungen der Vorinstanz am Einkommen des Versicherten, sodass im Umfang von 90,74 % (196/216 Arbeitstage) der Aufwendungen von 4.615,64 € (= 4.188,23 €) ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang zu den steuerfreien Einnahmen besteht. Da dies zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, sieht der Senat von weiteren Ausführungen ab (vgl. hierzu weitergehend Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ in BFHE 267, 34, BStBl II 2020, 763, Rz 15 f., sowie vom 13.04.2021 - I R 19/19, BFH/NV 2021, 1357, Rz 14 f., jeweils m.w.N.).
3. Allerdings findet hinsichtlich des vorgenannten Beitragsanteils die in § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 EStG geregelte Ausnahme vom Ausschluss des Sonderausgabenabzugsverbots Anwendung.
a) Nach dieser Vorschrift sind Vorsorgeaufwendungen ungeachtet des vorgenannten Abzugsverbots als Sonderausgaben zu berücksichtigen, soweit sie in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder in der Schweizerischen Eidgenossenschaft erzielten Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit stehen (Buchst. a der Vorschrift), diese Einnahmen nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung im Inland steuerfrei sind (Buchst. b) und der Beschäftigungsstaat keinerlei steuerliche Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen im Rahmen der Besteuerung dieser Einnahmen zulässt (Buchst. c). Diese als Reaktion auf das EuGH-Urteil Bechtel vom 22.06.2017 - C-20/16 (EU:C:2017:488, BStBl II 2017, 1271) durch das Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 11.12.2018 (BGBl I 2018, 2338) eingefügte Ausnahme vom Sonderausgabenabzugsverbot ist für alle zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes noch offenen Fälle und damit auch im Streitfall anwendbar (§ 52 Abs. 18 Satz 4 EStG).
b) Im Streitfall stehen Beiträge des Klägers zur luxemburgischen Pflegeversicherung in Höhe von 4.188,23 € in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit in Luxemburg ‑‑einem EU-Mitgliedstaat‑‑ erzielten Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit. Diese Einnahmen sind zudem nach einem DBA im Inland steuerfrei (s. oben).
c) Schließlich werden auch die Anforderungen des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. c EStG erfüllt. Ein steuerlicher Abzug von Beiträgen zur Pflegeversicherung ist in Luxemburg ausgeschlossen.
aa) § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. c EStG setzt ‑‑wie oben ausgeführt‑‑ voraus, dass der Beschäftigungsstaat "keinerlei" steuerliche Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen im Rahmen der Besteuerung der dort erzielten Einnahmen zulässt. Vorsorgeaufwendungen in diesem Sinne sind nach der Klammerdefinition des Einleitungssatzes in § 10 Abs. 2 Satz 1 EStG Beiträge zur Altersvorsorge (Abs. 1 Nr. 2 der Vorschrift), zur Krankenversicherung (Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a) und gesetzlichen Pflegeversicherung (Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b) sowie solche zu den in Abs. 1 Nr. 3a der Vorschrift aufgezählten Versicherungen.
bb) Die vom FG vertretene Auffassung, für die Beurteilung einer steuerlichen (Nicht-)Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen im Beschäftigungsstaat sei isoliert auf die jeweilige Versicherungssparte abzustellen, lässt sich jedenfalls nicht klar aus dem Wortlaut des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. c EStG ableiten. Das Zahlwort "keinerlei" bezieht sich auf den im Plural verwendeten Begriff "Vorsorgeaufwendungen"; eine Differenzierung zwischen den einzelnen in § 10 EStG genannten Vorsorgeaufwendungen fehlt insoweit. Der Wortlaut der Norm könnte somit auch dahingehend gedeutet werden, dass ein Sonderausgabenabzugsverbot nur dann entfallen soll, wenn der Beschäftigungsstaat im Rahmen der Besteuerung der dort erzielten Einnahmen für keine der nach seinem nationalem Recht steuerlich anzuerkennenden Vorsorgeaufwendungen irgendeinen Abzug zulässt.
Letzteres wäre nach den Feststellungen des FG nicht der Fall. Denn das luxemburgische Einkommensteuerrecht gewährt für Beiträge zu Kranken- und Rentenversicherungen einen Sonderausgabenabzug (Art. 110 Nr. 1 L.I.R.). Lediglich eine steuerliche Berücksichtigung von Beiträgen zu einer Pflegeversicherung sieht das Gesetz nicht vor. Demnach bietet das dortige Recht zumindest für zwei der in § 10 Abs. 2 Satz 1 EStG legaldefinierten Arten von Vorsorgeaufwendungen eine steuerliche Entlastung.
cc) Die Gesetzesbegründung erhellt nicht weiter. Nach der ‑‑im Kern zutreffenden‑‑ Vorstellung des Gesetzgebers ist § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 EStG Ausdruck des unionsrechtlichen Grundsatzes, dass es bei grenzüberschreitenden Tätigkeiten grundsätzlich Sache des Wohnsitzstaats ist, familien- und personenbezogene Abzüge zu gewähren, dies aber nicht gilt, wenn jener Staat entweder im Vertragswege von seiner Verpflichtung zur vollständigen Berücksichtigung der persönlichen und familiären Situation entbunden ist oder feststellt, dass der Beschäftigungsstaat freiwillig mit von ihm besteuerten Einnahmen im Zusammenhang stehende Vergünstigungen bezogen auf die persönliche und familiäre Situation gewährt (vgl. BTDrucks 19/4455, S. 41 [dort letzter Absatz] mit Verweis auf Rz 71 des EuGH-Urteils Bechtel, EU:C:2017:488, BStBl II 2017, 1271). Ob der Gesetzgeber für das Merkmal "keinerlei Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen" eine versicherungsspartenspezifische Beurteilung oder aber eine ‑‑wie vom FA vertreten‑‑ Gesamtbetrachtung sämtlicher Vorsorgeaufwendungen erwogen hat, lässt sich seiner Begründung weder in die eine noch in die andere Richtung entnehmen.
Unerwähnt lässt die Gesetzesbegründung hingegen, dass die Verpflichtung des Wohnsitzstaats, die persönliche und familiäre Situation des Steuerpflichtigen vollständig zu erfassen, nach Maßgabe des vorgenannten Grundsatzes nur dann entfällt, wenn zum einen gewährleistet ist, dass die gesamte persönliche und familiäre Situation im Ganzen gebührend berücksichtigt wird. Dies gilt unabhängig davon, wie die beteiligten Staaten diese Verpflichtung untereinander aufgeteilt haben. Andernfalls entstünde eine nicht mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit bzw. Niederlassungsfreiheit vereinbare Ungleichbehandlung, die sich nicht aus den Unterschieden zwischen den nationalen Steuervorschriften ergäbe (EuGH-Urteile de Groot vom 12.12.2002 - C-385/00, EU:C:2002:750, Rz 101, Slg. 2002, I-11819; Imfeld und Garcet vom 12.12.2013 - C-303/12, EU:C:2013:822, Rz 70, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ‑‑HFR‑‑ 2014, 183). Zum anderen muss zwischen der Steuerregelung im Wohnsitzstaat, die eine Vergünstigung beschränkt bzw. ausschließt, und der im Beschäftigungsstaat gewährten Vergünstigung für die dort zu besteuernden Einkünfte eine wechselseitige Beziehung bestehen (EuGH-Urteile Imfeld und Garcet, EU:C:2013:822, Rz 73, HFR 2014, 183, sowie Bechtel, EU:C:2017:488, Rz 74, BStBl II 2017, 1271; vgl. auch Senatsurteil in BFHE 267, 34, BStBl II 2020, 763, Rz 31). Umgekehrt ausgedrückt gilt daher, dass die grundsätzlich vorrangige Verpflichtung des Wohnsitzstaats zur Gewährung personen- und familienbezogener Abzüge insoweit nicht beschränkt wird, als es entweder an einer im Ganzen gebührenden Berücksichtigung der persönlichen und familiären Lage des Steuerpflichtigen fehlt oder die in- und ausländische Rechtslagen nicht in wechselseitiger Beziehung zueinander stehen.
dd) Diese vom EuGH in inzwischen ständiger Rechtsprechung vertretenen Rechtsgrundsätze lassen eine unionsrechtskonforme Auslegung von § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. c EStG zu (vgl. zu dieser Auslegungsmethode u.a. BFH-Urteil vom 09.05.2012 - I R 73/10, BFHE 238, 1, BStBl II 2013, 566, Rz 18 ff., m.w.N.).
Die Vorschrift ist im Hinblick auf die vorliegend berührte Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. Art. 45 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ‑‑AEUV‑‑) dahingehend auszulegen, dass solche Vorsorgeaufwendungen, die nach nationaler Rechtslage grundsätzlich steuermindernd zu berücksichtigen wären und im Beschäftigungsstaat im Rahmen der Besteuerung der dort erzielten Einnahmen von Gesetzes wegen nicht ("keinerlei") zum Abzug zugelassen sind, vom Ausschluss des Sonderausgabenabzugs auszunehmen sind. Nur mit dieser, isoliert auf die jeweilige Art von Vorsorgeaufwendungen abstellenden Betrachtung ist sichergestellt, dass der Wohnsitzstaat die grundsätzlich ihn treffende Pflicht erfüllt, die persönliche und familiäre Situation des Steuerpflichtigen "vollständig" (vgl. EuGH-Urteil Imfeld und Garcet, EU:C:2013:822, Rz 69, HFR 2014, 183) bzw. "umfassend" (s. EuGH-Urteil Schumacker vom 14.02.1995 - C-279/93, EU:C:1995:31, Rz 32, Slg. 1995, I-225) zu berücksichtigen. Zudem entspricht diese Auslegung dem unionsrechtlichen Gebot, die "gesamte" persönliche und familiäre Situation im Ganzen gebührend zu berücksichtigen (EuGH-Urteile de Groot, EU:C:2002:750, Rz 101, Slg. 2002, I-11819; Imfeld und Garcet, EU:C:2013:822, Rz 70, HFR 2014, 183). Dies wäre im Streitfall nicht gewährleistet, würden die nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b EStG grundsätzlich und von Verfassungs wegen unbeschränkt abzugsfähigen Beiträge des Klägers zu einer gesetzlichen Pflegeversicherung weder im Beschäftigungs- noch im Wohnsitzstaat steuerlich anzuerkennen sein. Zu berücksichtigen ist überdies, dass sich der Kläger seiner nach den Feststellungen des FG gesetzlich angeordneten Beitragspflicht zur luxemburgischen Pflegeversicherung nicht entziehen konnte, jene Vorsorgeaufwendungen somit zwangsläufig entstanden. Es handelt sich zudem um Aufwendungen, die im Hinblick auf das Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums von Verfassungs wegen (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13.02.2008 - 2 BvL 1/06, BVerfGE 120, 125, unter D.) in Höhe der tatsächlich geleisteten Beiträge ohne Begrenzung zum Abzug zuzulassen sind (vgl. § 10 Abs. 4 Satz 4 EStG).
ee) Hiergegen spricht nicht, dass Luxemburg gemäß Art. 110 Nr. 1 L.I.R. einen Sonderausgabenabzug für Krankenversicherungsbeiträge des Steuerpflichtigen zulässt. Dieser Umstand kann die Nichtabzugsfähigkeit von Beiträgen zu einer gesetzlichen Pflegeversicherung nicht kompensieren. Zwar werden Beiträge zur Pflegeversicherung nach inländischer Rechtslage demselben Sonderausgabentatbestand zugeordnet wie solche zum Basis-Krankenversicherungsschutz (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG). Allerdings differenziert das Gesetz innerhalb dieses Tatbestands zwischen der Krankenversicherung einerseits (Buchst. a) und der Pflegeversicherung andererseits (Buchst. b), sodass eine getrennte Beurteilung erforderlich ist.
ff) Ebenso wenig bedeutsam ist, dass der Kläger durch die Zuerkennung eines (vollständigen) inländischen Sonderausgabenabzugs für in Luxemburg geleistete Beiträge zur Pflegeversicherung steuerlich besser gestellt wird, als wenn er in Luxemburg nicht nur beschäftigt wäre, sondern dort auch seinen Wohnsitz hätte. Der mit Blick auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art. 45 AEUV vorzunehmende Vergleich ist ausschließlich zu einem im Inland beschäftigten und wohnhaften Arbeitnehmer vorzunehmen (vgl. hierzu statt vieler EuGH-Urteile Jacob und Lennertz vom 14.03.2019 - C-174/18, EU:C:2019:205, Rz 42 f., Deutsches Steuerrecht 2019, 729, sowie Belgischer Staat vom 15.07.2021 - C-241/20, EU:C:2021:605, Rz 30 f., 56, Finanz-Rundschau 2021, 890; ebenso EuGH-Urteil Imfeld und Garcet, EU:C:2013:822, Rz 51, HFR 2014, 183 [zur Niederlassungsfreiheit]). Der Kläger stünde im Vergleich zu einem unbeschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmer, der aufgrund einer Beschäftigung im Inland der Pflegeversicherungspflicht gemäß § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch unterfiele und seine diesbezüglichen Beiträge voraussetzungslos gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b EStG in Abzug bringen könnte, durch ein ihn treffendes Sonderausgabenabzugsverbot steuerlich schlechter da.
gg) Der weitere Einwand des FA, das Unionsrecht verpflichte die Mitgliedstaaten nicht, ihre Steuervorschriften so aufeinander abzustimmen, dass gewährleistet werde, sich hieraus ergebende steuerliche Diskrepanzen zu beseitigen, ist im Grundsätzlichen zutreffend (vgl. hierzu EuGH-Urteil National Grid Indus vom 29.11.2011 - C-371/10, EU:C:2011:785, Rz 62, Slg. 2011, I-12273, sowie EuGH-Urteil Sparkasse Allgäu vom 14.04.2016 - C-522/14, EU:C:2016:253, Rz 31, BStBl II 2017, 421). Hierum geht es vorliegend aber nicht. Es spielt keine Rolle, ob der nach luxemburgischem Einkommensteuerrecht ermöglichte Umfang des Abzugs von Sozialversicherungsbeiträgen im Vergleich zur inländischen Rechtslage im Ergebnis vor- oder nachteilig ist. Maßgebend ist allein, dass eine staatenübergreifende Nichtberücksichtigung von bestimmten Vorsorgeaufwendungen den Steuerpflichtigen schlechter stellte, als hätte er seine Einkünfte ausschließlich im Inland erzielt.
d) Die Auffassung des Klägers, § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 EStG sei wegen einer nur unzureichenden Umsetzung der durch den EuGH vorgegebenen Rechtsgrundsätze unionsrechtswidrig, hat im Streitfall keine Entscheidungsrelevanz.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
5. Der Senat konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 90 Abs. 2, § 121 Satz 1 FGO).