ECLI:DE:BFH:2022:U.010222.VR33.18.0
BFH V. Senat
UStG § 15 Abs 1 S 1 Nr 4, UStG § 15a Abs 1, UStG § 13b Abs 1, UStG § 13b Abs 2 S 1, EGRL 112/2006 Art 184, EGRL 112/2006 Art 185, EGRL 112/2006 Art 186, UStG VZ 2007 , UStG VZ 2015 , UStG VZ 2016 , UStG VZ 2017
vorgehend FG Düsseldorf, 27. September 2018, Az: 1 K 1352/17 U
Leitsätze
1. Die Vorsteuerberichtigung nach § 15a Abs. 1 UStG setzt einen ursprünglichen Vorsteuerabzug voraus.
2. Der ursprüngliche Vorsteuerabzug kann sich in den Fällen des § 13b UStG a.F. aus der Saldierung der Umsatzsteuer nach § 13b Abs. 2 Satz 1 UStG a.F. mit dem Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG ergeben.
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 28.09.2018 - 1 K 1352/17 U wegen Umsatzsteuer 2015 und 2016 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 28.09.2018 - 1 K 1352/17 U wegen Umsatzsteuer 2017 aufgehoben und die Klage insoweit abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
I.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Voraussetzungen für eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 15a des Umsatzsteuergesetzes in der in den Jahren 2015 bis 2017 (Streitjahre) geltenden Fassung (UStG) vorliegen.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ‑‑eine niederländische Kapitalgesellschaft‑‑ war bis zum 31.12.2007 an der inländischen vermögensverwaltenden C-GmbH & Co. KG (KG) beteiligt.
Die KG erwarb mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 30.03.2007 mit Wirkung zum 01.06.2007 ein Grundstück zum Kaufpreis von … €. Der Verkäufer optierte zu 71,41 % zur Umsatzsteuer. Der Anteil von 71,41 % ergab sich aus der seinerzeitigen steuerpflichtigen Nutzung des Gebäudes. Nach Erwerb wurde das Gebäude von der KG zu 71,41 % umsatzsteuerpflichtig vermietet.
Mit Ablauf des 31.12.2007 wurde die KG auf die Klägerin verschmolzen. Die Klägerin beantragte bei dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ‑‑FA‑‑) die Erteilung einer Steuernummer für die Umsatzbesteuerung ab 2008. In diesem Zusammenhang teilte die Klägerin dem FA mit Schreiben vom XX.XX.2008 mit, dass sie lediglich über das erworbene Grundstück verfüge. Das Grundstück sei im Rahmen der Anwachsung zum 01.01.2008 auf sie übergegangen. Der Erwerb sei zuvor im Rahmen einer steuerbaren Grundstückslieferung erfolgt. Der Verkäufer habe gemäß der Verwendung im Zeitpunkt des Verkaufs zu 71,41 % zur Umsatzsteuer optiert.
In der von der Klägerin für die KG eingereichten Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2007 vom XX.XX.2008 war die Zeile 66 auf S. 3 des Hauptvordrucks UStA "Vorsteuerbeträge aus Leistungen im Sinne des § 13b Abs. 1 UStG (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG)" nicht ausgefüllt. In der Anlage UR waren in Zeile 24 keine "Umsätze, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen (§ 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG)" angegeben. Das FA setzte die Umsatzsteuer für 2007 erklärungsgemäß fest.
Ab Februar 2015 bis April 2015 vermietete die Klägerin das Grundstück nur noch zu 27,7 % umsatzsteuerpflichtig und seit dem 01.05.2015 ausschließlich umsatzsteuerfrei.
Im Umsatzsteuerbescheid 2015 vom XX.XX.2016 und in den Umsatzsteuervorauszahlungsbescheiden Januar 2016 bis Februar 2017 setzte das FA eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG fest (… € für 2015 und … € monatlich für Januar 2016 bis Februar 2017). Der Einspruch der Klägerin blieb erfolglos. Im Klageverfahren erließ das FA den Umsatzsteuerjahresbescheid 2016.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2018, 2002 veröffentlichten Urteil abgewiesen. Ein für die Anwendung von § 15a UStG erforderlicher "ursprünglicher Vorsteuerabzug" liege vor. Denn bei der für 2007 festgesetzten Umsatzsteuer sei ungeachtet der Angaben in der Umsatzsteuererklärung auch die Vorsteuer aus dem Grundstückserwerb nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG tatsächlich abgezogen worden, auch wenn bei den Besteuerungsgrundlagen die Angaben zum Erwerb des Grundstücks nach § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG in der im Jahr des Grundstückserwerbs (2007) geltenden Fassung (UStG a.F.) und zu den entsprechend abzugsfähigen Vorsteuern fehlten.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Revision, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts (§ 15a Abs. 1 und 5 UStG) geltend macht. Die ursprünglich nach § 13b UStG geschuldete Umsatzsteuer und der entsprechende Vorsteuerabzug hätten in der Umsatzsteuervoranmeldung Juni 2007 und in der Umsatzsteuerjahreserklärung 2007 keine Berücksichtigung gefunden. Ohne vorgenommenen Vorsteuerabzug in der Vergangenheit stelle § 15a Abs. 1 UStG keine Rechtsgrundlage für die nachträgliche Korrektur des Vorsteuerabzugs dar. Ein tatsächlicher Vorsteuerabzug sei Voraussetzung für die Anwendbarkeit von § 15a Abs. 1 UStG, weil diese Bestimmung eine Änderung der für den "ursprünglichen Vorsteuerabzug" maßgebenden Verhältnisse voraussetze. Entsprechendes gelte für die unionsrechtliche Grundlage in Art. 185 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL).
Die Klägerin beantragt,
das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Umsatzsteuerbescheide 2015 und 2016 jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom XX.XX.2017 sowie die Steuerfestsetzung 2017, zuletzt geändert durch den Umsatzsteuerbescheid 2017 vom 21.12.2018 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer 2015 um … €, die Umsatzsteuer 2016 um … € und die Umsatzsteuer 2017 um … € gemindert festgesetzt wird.Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.Der Vorsteuerabzug sei im Anschaffungsjahr tatsächlich in Anspruch genommen worden, auch wenn in der Erklärung Angaben zum Erwerb des Grundstücks nach § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG a.F. und zu der entsprechenden Vorsteuer fehlten. Denn bei diesen Angaben handele es sich lediglich um zwei unselbständige Besteuerungsgrundlagen, die sich gegenseitig aufhöben. Eine entsprechende Angabe in der Erklärung hätte deshalb zu keiner abweichenden Steuerfestsetzung geführt.
Im Revisionsverfahren hat das FA am 21.12.2018 den Umsatzsteuerjahresbescheid 2017 erlassen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist hinsichtlich der Streitjahre 2015 und 2016 unbegründet und zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Für das Streitjahr 2017 ist das Urteil des FG aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben und die Klage abzuweisen. Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Voraussetzungen eines Vorsteuerberichtigungsanspruchs nach § 15a UStG erfüllt sind.
1. Da dem FG-Urteil für 2017 nicht mehr existierende Verwaltungsakte zugrunde liegen, konnte es keinen Bestand haben (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 30.05.2001 - VI R 85/00, BFH/NV 2001, 1291; vom 03.11.2005 - V R 63/02, BFHE 212, 161, BStBl II 2006, 337, und vom 10.11.2010 - XI R 79/07, BFHE 231, 373, BStBl II 2011, 311).
Der im Revisionsverfahren ergangene Umsatzsteuerjahresbescheid 2017 vom 21.12.2018 hat die Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide, die Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens waren, i.S. der §§ 68 Satz 1, 121 Satz 1 FGO ersetzt. Wird der angefochtene Verwaltungsakt nach Klageerhebung durch einen anderen Verwaltungsakt geändert oder ersetzt, wird gemäß der auch im Revisionsverfahren (§ 121 FGO) geltenden Vorschrift des § 68 FGO der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das gilt auch für den Umsatzsteuerjahresbescheid im Verhältnis zum Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 03.07.2014 - V R 32/13, BFHE 246, 264, BStBl II 2017, 666, Rz 10 ff.; vom 24.04.2013 - XI R 3/11, BFHE 242, 410, BStBl II 2014, 86, Rz 26). Gegenstand der revisionsrechtlichen Prüfung ist deshalb nunmehr die Rechtmäßigkeit des Umsatzsteuerjahresbescheids 2017 vom 21.12.2018.
2. Die Sache ist auch für das Streitjahr 2017 spruchreif, weil der vom FG festgestellte Sachverhalt ausreicht, um abschließend prüfen und beurteilen zu können, ob der Umsatzsteuerjahresbescheid 2017 vom 21.12.2018 rechtmäßig ist. Denn hinsichtlich der zwischen den Beteiligten allein streitigen Frage, ob die Klägerin Schuldnerin eines Vorsteuerberichtigungsanspruchs ist, hat sich durch Erlass des Umsatzsteuerjahresbescheids 2017 vom 21.12.2018 nichts geändert.
III.
Im Streitfall hat das FG im Ergebnis zutreffend bejaht, dass sich bei dem streitbefangenen Grundstück innerhalb des Berichtigungszeitraums des § 15a Abs. 1 UStG die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse geändert haben.
1. Ändern sich bei einem Wirtschaftsgut, das nicht nur einmalig zur Ausführung von Umsätzen verwendet wird, innerhalb von fünf Jahren ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse, ist nach § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG für jedes Kalenderjahr der Änderung ein Ausgleich durch eine Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten entfallenden Vorsteuerbeträge vorzunehmen. Bei Grundstücken einschließlich ihrer wesentlichen Bestandteile tritt an die Stelle des Fünfjahreszeitraums ein solcher von zehn Jahren (§ 15a Abs. 1 Satz 2 UStG).
Unionsrechtlich wird nach Art. 184 MwStSystRL der ursprüngliche Vorsteuerabzug berichtigt, wenn der Vorsteuerabzug höher oder niedriger ist als der, zu dessen Vornahme der Steuerpflichtige berechtigt war. Gemäß Art. 185 MwStSystRL erfolgt die Berichtigung insbesondere dann, "wenn sich die Faktoren, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, nach Abgabe der Mehrwertsteuererklärung geändert haben, zum Beispiel bei rückgängig gemachten Käufen oder erlangten Rabatten".
2. Die Vorsteuerberichtigung nach § 15a Abs. 1 UStG setzt einen ursprünglichen Vorsteuerabzug voraus (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union Evita-K vom 18.07.2013 - C-78/12, EU:C:2013:486, Rz 59). Ob ein derartiger Vorsteuerabzug vorliegt, richtet sich nach dem für das Abzugsjahr vorliegenden Steuerbescheid. Wesentliches Merkmal für diesen ist gemäß § 157 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) die festgesetzte Steuer, während die dieser Steuer zugrunde liegenden Besteuerungsgrundlagen nach § 157 Abs. 2 AO nur einen nicht selbständig anfechtbaren Teil des Steuerbescheids bilden.
a) Danach ist im Streitfall von einer Berichtigung abgezogener Vorsteuerbeträge auszugehen.
aa) Die KG war für den Grundstückserwerb in 2007 Steuerschuldnerin gemäß § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 2 Satz 1 UStG a.F. und zugleich für dieses Jahr zum Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG berechtigt. Der Anspruch auf Vorsteuerabzug entstand nach dieser Vorschrift für den Voranmeldungszeitraum der Leistungsausführung, ohne dass es hierfür, wie die Klägerin ohne Erfolg vorträgt, in rechtlicher Hinsicht auf eine "Anmeldung der Steuer" ankam.
bb) Steuer und Vorsteuerabzug waren nach allgemeinen Grundsätzen als jeweils unselbständige Besteuerungsgrundlagen i.S. von § 157 Abs. 2 AO in dem Steuerbescheid für das Streitjahr zu erfassen. Dass dies unterblieb, ist im Streitfall im Hinblick auf das Zusammenfallen von Steuerschuld und Vorsteuerabzug in einer Person und die Betragsgleichheit von Steuer und Vorsteuerabzug ohne Bedeutung. Denn im Hinblick hierauf hatte das Unterbleiben der Erfassung von Steuer und Vorsteuer keinen Einfluss auf die nach § 157 Abs. 1 Satz 2 AO festzusetzende Steuer.
Das folgt daraus, dass die Steuer für die in § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG a.F. genannten Umsätze ‑‑unabhängig von der Erklärung durch den Steuerpflichtigen‑‑ mit Ausstellung der Rechnung gemäß § 14a Abs. 5 UStG, spätestens mit Ablauf des der Ausführung der Leistung folgenden Kalendermonats entstanden ist. Dass die Klägerin die nach § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG a.F. entstandene Umsatzsteuer nicht erklärt hat, lässt sich nur durch die Saldierung mit dem Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG erklären. Denn andernfalls hätte die Klägerin es pflichtwidrig unterlassen, die nach § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG a.F. entstandene Umsatzsteuer zu erklären.
Zwar hat das FA ‑‑trotz Kenntnis des Grundstückserwerbs‑‑ keine Umsatzsteuer auf den Grundstückserwerb gesondert erfasst. Deshalb ist davon auszugehen, dass es die Umsatzsteuer nach § 13b Abs. 2 Satz 1 UStG a.F. mit dem damit korrespondierenden Vorsteuerabzug letztlich saldiert hat. Andernfalls wäre die Umsatzsteuerfestsetzung für 2007 um … € zu niedrig festgesetzt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Steuerschuldner das FA anderweitig über Steuerschuld und Vorsteuerabzug in Kenntnis setzt. So ist es im Streitfall. Denn nach den den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) hat die Klägerin das FA mit Schreiben vom XX.XX.2008 noch vor Abgabe der Umsatzsteuererklärung 2007 vom XX.XX.2008 über den Sachverhalt einschließlich des Grundstückserwerbs, der Verschmelzung sowie des Umfangs der Option durch den Verkäufer in Kenntnis gesetzt. Zudem sind in der Umsatzsteuererklärung für die KG Vorsteuern aus den Erwerbsnebenkosten enthalten.
b) Unionsrechtliche Zweifel bestehen im Hinblick auf die den Mitgliedstaaten nach Art. 186 MwStSystRL eingeräumte Regelungsbefugnis nicht.
3. Die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse (vgl. § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG) haben sich im Streitfall innerhalb des zehnjährigen Berichtigungszeitraums (Juni 2007 bis Mai 2017) geändert. Denn die Rechtsvorgängerin der Klägerin hat das Grundstück ursprünglich zu 71,41 % zur Ausführung von umsatzsteuerpflichtigen Ausgangsumsätzen verwendet, ab Februar 2015 bis April 2015 wird das Grundstück nur noch zu 27,7 % umsatzsteuerpflichtig und seit dem 01.05.2015 ausschließlich umsatzsteuerfrei vermietet.
4. Die Kostenentscheidung folgt hinsichtlich der Kosten des Revisionsverfahrens aus § 135 Abs. 2 FGO. Die Kosten des FG-Verfahrens trägt die Klägerin entsprechend der Kostenentscheidung des FG nach § 137 Satz 1, § 135 Abs. 1 FGO.