ECLI:DE:BFH:2021:U.280721.XR35.20.0
BFH X. Senat
AO § 169 Abs 1 S 3 Nr 1, AO § 170 Abs 2 S 1 Nr 1, AO § 171 Abs 3, AO § 171 Abs 3a, EStG § 46 Abs 2 Nr 1, EStG § 46 Abs 2 Nr 8, FGO § 115 Abs 2, AO § 149, AO § 170 Abs 1, AO § 47, EStG VZ 2012
vorgehend Hessisches Finanzgericht , 26. Oktober 2020, Az: 11 K 513/20
Leitsätze
1. NV: Für die Wahrung der Festsetzungsfrist ist gemäß § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO derjenige Zeitpunkt maßgeblich, in dem der Steuerbescheid den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde verlassen hat. Auf den Zeitpunkt, in dem eine Steuererklärung bei der Finanzbehörde eingereicht wurde, kommt es nicht an.
2. NV: Die Abgabe einer gesetzlich vorgeschriebenen Steuer- oder Feststellungserklärung ist nicht als Antrag i.S. des § 171 Abs. 3 AO anzusehen (Bestätigung der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung). Dies gilt auch dann, wenn in einem Begleitschreiben zu der gesetzlich vorgeschriebenen Steuererklärung von einem "Antrag auf Veranlagung" die Rede ist.
3. NV: Eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3a AO tritt nicht ein, wenn der Erlass eines (begünstigenden) Steuerbescheids erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist abgelehnt und dieser Ablehnungsbescheid angefochten wird (Bestätigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung).
4. NV: Bei einer Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG ist die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO nicht anwendbar, sodass die Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist, beginnt.
5. NV: Nach den Grundsätzen von Treu und Glauben kann nicht erwartet werden, dass der Steuerbescheid noch innerhalb der Festsetzungsfrist den Bereich der Finanzbehörde verlässt, wenn die Steuererklärung erst einen Tag vor Ablauf der Festsetzungsfrist beim FA eingereicht wird.
6. NV: Bei einem unteilbaren Streitgegenstand (z.B. dem Einkommensteuerbescheid für einen bestimmten Veranlagungszeitraum) kann die Revisionszulassung nicht auf eine einzelne Rechtsfrage beschränkt werden. In einem solchen Fall kann ein Revisionskläger im Rahmen des von ihm bereits beim FG gestellten Antrags auch solche Rechtsfragen streitig stellen, in denen der die Revision zulassende Spruchkörper keinen Zulassungsgrund gesehen hat.
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 27.10.2020 - 11 K 513/20 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
I.
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) reichte am 30.12.2019 für das Streitjahr 2012 eine Einkommensteuererklärung für sich und seine während des Streitjahrs verstorbene Ehefrau beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt ‑‑FA‑‑) ein. Darin erklärte er Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit, von denen ein Lohnsteuerabzug vorgenommen worden war, ferner Einnahmen aus Kapitalvermögen in Höhe von 4.417 €, die dem abgeltenden Kapitalertragsteuerabzug unterlegen hatten. Insoweit beantragte der Kläger die Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Darüber hinaus erklärte der Kläger Einnahmen aus Renten der Basisversorgung in Höhe von 2.602 € (Einkünfte: 1.563 €) sowie gewerbliche Einkünfte aus einer im Streitjahr angeschafften Photovoltaikanlage in Höhe von ./. 3.678 €. In einem Begleitschreiben beantragte er die Durchführung der Einkommensteuerveranlagung für 2012.
Das FA lehnte die Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung mit Bescheid vom 21.01.2020 ab. Die Voraussetzungen für eine Pflichtveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG seien nicht erfüllt, weil die positive Summe der Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen seien, nicht mehr als 410 € betrage. In diese Berechnung seien die mit der Kapitalertragsteuer abgegoltenen Einnahmen aus Kapitalvermögen nicht einzubeziehen. Für eine Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG sei die Festsetzungsfrist bereits am 31.12.2016 abgelaufen, weil die dreijährige Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) insoweit nicht anzuwenden sei.
Nach Zurückweisung des Einspruchs hatte die Klage Erfolg. Zur Begründung führte das Finanzgericht (FG) aus, bei zutreffender Würdigung seien die Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb nicht mit ./. 3.678 €, sondern mit ./. 163 € anzusetzen. Dies beruhe zum einen darauf, dass die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Sonderabschreibung nach § 7g Abs. 5 EStG nicht erfüllt seien. Zum anderen stehe dem Kläger wegen der Versäumung der Frist für die Ausübung des umsatzsteuerrechtlichen Zuordnungswahlrechts kein Vorsteuerabzug aus den Anschaffungskosten der gemischt genutzten Photovoltaikanlage zu, sodass die in den Anschaffungskosten enthaltene Vorsteuer ‑‑entgegen der vom Kläger eingereichten Gewinnermittlung‑‑ nicht nach § 9b Abs. 1 EStG als Betriebsausgabe abziehbar sei.
Bei Saldierung der gewerblichen Einkünfte von ./. 163 € mit den Renteneinkünften von 1.563 € sei der in § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG genannte Schwellenwert von 410 € überschritten, ohne dass es noch auf die streitigen Rechtsfragen zur Einbeziehung der Einkünfte aus Kapitalvermögen ankomme. Die Festsetzungsfrist sei gewahrt, weil der Kläger die Einkommensteuererklärung innerhalb dieser Frist beim FA eingereicht habe.
Mit seiner Revision macht das FA geltend, das FG habe sich nicht mit der Regelung des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO auseinandergesetzt. Danach komme es für die Wahrung der Festsetzungsfrist nicht auf die Einreichung der Steuererklärung an, sondern auf den Zeitpunkt, zu dem der Steuerbescheid den Bereich der zuständigen Finanzbehörde verlasse. Zwar werde nicht mehr in Frage gestellt, dass die Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG erfüllt seien. Allerdings sei die Abgabe einer Einkommensteuererklärung, zu der man verpflichtet sei, nicht als "Antrag" anzusehen, der die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO auslöse.
Das FA beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.Er ist in erster Linie der Auffassung, das FG habe die Revision nur wegen der Frage des umsatzsteuerrechtlichen Zuordnungswahlrechts zugelassen, sodass der Bundesfinanzhof (BFH) im Revisionsverfahren andere Fragen nicht prüfen dürfe.
Hilfsweise macht er geltend, in der Abgabe der Steuererklärung liege zugleich ein Antrag nach § 171 Abs. 3 AO. Gegenwärtig sei eine Fortentwicklung der BFH-Rechtsprechung zu dieser Frage zu beobachten. Auch sei der Ablehnungsbescheid als Steuerbescheid anzusehen, sodass die Festsetzungsfrist gemäß § 171 Abs. 3a AO erst mit der unanfechtbaren Entscheidung über den Rechtsbehelf ablaufe.
Zumindest sei das FA nach den Grundsätzen von Treu und Glauben zur Durchführung der Veranlagung verpflichtet. Denn es habe sich von Anfang an so verhalten, als würde es "gerne" eine Veranlagung durchführen, wenn die Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis 7 EStG erfüllt wären. Hierauf habe der Kläger vertrauen können; er habe zudem sein eigenes Verhalten darauf eingerichtet, z.B. hinsichtlich der Kosten der Rechtsdurchsetzung.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
Der Umfang der revisionsrechtlichen Prüfung durch den Senat wird nicht durch die vom FG für die Revisionszulassung gegebene Begründung eingeschränkt (dazu unten 1.). Die Festsetzungsfrist ist abgelaufen. Dies gilt sowohl dann, wenn sich im Streitfall ein Veranlagungsgrund aus § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG ergeben sollte (so die Auffassung des FG; dazu unten 2.), als auch dann, wenn sich ein Veranlagungsgrund aus § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG ergeben sollte (unten 3.). Der Kläger hat auch nach den Grundsätzen von Treu und Glauben keinen Anspruch auf die Durchführung der Einkommensteuerveranlagung trotz des Ablaufs der Festsetzungsfrist (unten 4.).
1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob der Kläger zur Einkommensteuer 2012 zu veranlagen ist, sodass der Senat innerhalb dieses Streitgegenstands alle sich stellenden materiellen Rechtsfragen uneingeschränkt zu prüfen hat.
Bei einem ‑‑wie hier‑‑ unteilbaren Streitgegenstand ist es nicht möglich, die Revisionszulassung auf einzelne Rechtsfragen zu beschränken (BFH-Urteil vom 25.01.2006 - I R 58/04, BFHE 213, 291, BStBl II 2006, 707, unter II.1., m.w.N.). In einem solchen Fall kann ein Revisionskläger ‑‑im Rahmen des von ihm bereits beim FG gestellten Antrags‑‑ auch solche Rechtsfragen streitig stellen, in denen der die Revision zulassende Spruchkörper keinen Zulassungsgrund gesehen hat (Senatsurteil vom 06.11.2019 - X R 39/17, BFHE 266, 230, BStBl II 2020, 217, Rz 20).
Im Übrigen hat das FG ‑‑wie das FA zutreffend ausführt‑‑ die Revisionszulassung tatsächlich nicht beschränkt bzw. beschränken wollen. Es hat im Tenor die Revision unbeschränkt zugelassen. Die Erwähnung der umsatzsteuerrechtlichen Problematik unter Abschnitt V. der Entscheidungsgründe des finanzgerichtlichen Urteils diente lediglich dazu, diese Zulassungsentscheidung zu begründen.
2. Sollte sich ‑‑was der Senat nicht entscheiden muss‑‑ im vorliegenden Fall ein Veranlagungsgrund aus § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG ergeben, wäre die Festsetzungsfrist gleichwohl nicht gewahrt. Das FG hat ‑‑wie das FA zu Recht rügt‑‑ die für den Streitfall grundlegende Rechtsnorm des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO übersehen, wonach für die Wahrung der Festsetzungsfrist nicht die Einreichung der Steuererklärung maßgeblich ist, sondern der Zeitpunkt, zu dem der Steuerbescheid den Bereich der zuständigen Finanzbehörde verlässt (unten a). Die vorinstanzliche Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar, weil im Streitfall weder die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO (unten b) noch diejenige nach § 171 Abs. 3a AO (unten c) anwendbar ist.
a) Nach § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO ist für die Wahrung der Festsetzungsfrist derjenige Zeitpunkt maßgeblich, zu dem der Steuerbescheid den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde verlassen hat. Diese Norm hat das FG in seinem Urteil nicht erwähnt und demzufolge auch nicht geprüft. Es hat stattdessen ‑‑ohne Angabe einer Rechtsgrundlage‑‑ auf den Zeitpunkt der Einreichung der Steuererklärung abgestellt, auf den es aber nach der klaren gesetzlichen Regelung nicht ankommt.
Sollten im Streitfall die Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG erfüllt sein, dann wäre der Kläger nach § 25 Abs. 3 EStG und § 56 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung für 2012 verpflichtet gewesen. Demzufolge würde sich der Beginn der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO richten. Danach beginnt die Festsetzungsfrist in Fällen, in denen eine Steuererklärung einzureichen ist, mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuererklärung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Da der Kläger innerhalb der dreijährigen Frist zunächst keine Steuererklärung eingereicht hat und die Einkommensteuer 2012 gemäß § 36 Abs. 1 EStG mit Ablauf des Veranlagungszeitraums 2012 entstanden ist, begann die Festsetzungsfrist unter Berücksichtigung der dreijährigen Anlaufhemmung mit Ablauf des Veranlagungszeitraums 2015 (31.12.2015). Die gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vierjährige Festsetzungsfrist ‑‑Anhaltspunkte für eine Anwendung der verlängerten Fristen des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich‑‑ endete damit am 31.12.2019.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger zwar seine Einkommensteuererklärung 2012 beim FA eingereicht. Hierauf kommt es jedoch entgegen der Rechtsauffassung des FG nicht an. Vielmehr hätte zur Wahrung der Festsetzungsfrist der Einkommensteuerbescheid 2012 den Bereich des FA verlassen müssen (§ 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO). Dies ist nicht geschehen. Die reguläre Festsetzungsfrist ist daher am 31.12.2019 abgelaufen.
b) Die ‑‑vom FG ebenfalls nicht erwähnte‑‑ Ablaufhemmung des § 171 Abs. 3 AO ist im Streitfall nicht anwendbar. Nach dieser Regelung läuft die Festsetzungsfrist insoweit nicht ab, bevor unanfechtbar über einen vor Ablauf der Festsetzungsfrist außerhalb eines Einspruchs- oder Klageverfahrens gestellten Antrag auf Steuerfestsetzung entschieden ist.
aa) Die Abgabe einer gesetzlich vorgeschriebenen Steuer- oder Feststellungserklärung ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung allerdings nicht als Antrag i.S. des § 171 Abs. 3 AO anzusehen (grundlegend und mit ausführlicher Begründung BFH-Urteile vom 18.06.1991 - VIII R 54/89, BFHE 165, 445, BStBl II 1992, 124, unter 1., und vom 23.09.2020 - XI R 1/19, BFHE 271, 1, BStBl II 2021, 341, Rz 27 ff.; ferner BFH-Urteile vom 24.05.2006 - I R 9/05, BFH/NV 2006, 2019, unter II.2.e cc bbb cccc; vom 15.05.2013 - IX R 5/11, BFHE 241, 310, BStBl II 2014, 143, Rz 21; vom 28.08.2014 - V R 8/14, BFHE 247, 21, BStBl II 2015, 3, Rz 10; vom 20.01.2016 - VI R 14/15, BFHE 252, 396, BStBl II 2016, 380, Rz 15; vom 30.03.2017 - VI R 43/15, BFHE 257, 333, BStBl II 2017, 1046, Rz 27).
Zur Begründung hat der BFH in den vorstehend zitierten Entscheidungen ausgeführt, "Antrag" im Sinne der genannten Norm seien nur solche Willensbekundungen, die ein Tätigwerden der Finanzbehörde außerhalb des infolge der Amtsmaxime ohnehin gebotenen Verwaltungshandelns auslösen sollten. Die Abgabe einer Steuererklärung, zu der der Erklärende gesetzlich verpflichtet sei, erfolge aber in Erfüllung der allgemeinen Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen und diene nur der Durchführung der regulären Steuerfestsetzungstätigkeit der Finanzbehörde, die diese auch ohne Erklärungsabgabe ‑‑wenn auch unter erschwerten Bedingungen‑‑ vorzunehmen hätte. Die Auswirkungen des Einreichungszeitpunkts auf die Festsetzungsfrist seien abschließend durch die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO geregelt. Wäre mit der Gegenauffassung auch für Zwecke des § 171 Abs. 3 AO auf den Zeitpunkt der Einreichung der Steuererklärung abzustellen, müsste derjenige, der seiner Erklärungspflicht nachkomme, während einer vergleichsweise langen Zeitspanne mit einer Steuerfestsetzung rechnen, während derjenige, der seine Erklärungspflicht verletze, früher in den Genuss der Festsetzungsverjährung käme. Dies wäre mit dem Gebot der materiellen Steuergerechtigkeit unvereinbar.
bb) Nichts anderes ergibt sich daraus, dass der Kläger in einem Begleitschreiben zu seiner Einkommensteuererklärung 2012 ausgeführt hat, er stelle einen "Antrag auf Einkommensteuer-Veranlagung". Denn solche Begleitschreiben sind nach der BFH-Rechtsprechung als rein deklaratorisch anzusehen, sodass ihnen keinerlei selbstständige Wirkung neben der Steuererklärung zukommt (BFH-Entscheidungen vom 23.09.2002 - V B 48/02, BFH/NV 2003, 141, unter II.b; vom 08.09.2003 - VI B 87/03, BFH/NV 2004, 9, und in BFHE 241, 310, BStBl II 2014, 143, Rz 23). Angaben in einem neben oder zeitlich vor der Steuererklärung eingereichten gesonderten Schreiben sind nur dann als "Antrag" zu verstehen, wenn sie über die bloße Ankündigung einer Steuererklärung mit einem bestimmten Gesamtbetrag der Einkünfte hinausgehen (ausführlich BFH-Urteil in BFHE 271, 1, BStBl II 2021, 341, Rz 45 ff.). Dies ist hier nicht der Fall.
cc) Auch die weiteren Einwendungen des Klägers stehen der Auffassung des Senats nicht entgegen.
Das Urteil des FG Düsseldorf vom 23.02.2021 - 10 K 3480/18 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2021, 708, Nichtzulassungsbeschwerde anhängig unter IV B 16/21), auf das der Kläger sich beruft, betrifft die ‑‑mit dem Streitfall nicht vergleichbare‑‑ Fallgestaltung, dass innerhalb der Festsetzungsfrist bereits ein (Schätzungs-)Bescheid ergangen war und der Steuerpflichtige anschließend die Steuererklärung einreicht.
Aus der Kommentierung von Webel (in Zugmaier/Nöcker, Abgabenordnung Kommentar Online, § 171 AO Rz 55) kann der Kläger nichts ihm Günstiges herleiten, da in der vom Kläger zitierten Kommentarstelle insoweit lediglich der Wortlaut des § 171 Abs. 3 AO wiederholt wird, ohne eine Aussage zu der vorliegend entscheidungserheblichen Frage zu treffen (vgl. aber Rz 51 der angeführten Kommentierung, in der die ständige BFH-Rechtsprechung zustimmend dargestellt wird). Im Übrigen wäre die vom Kläger vertretene Auffassung, ein Antrag, der einer Verpflichtungsklage vorausgehe, löse stets die Ablaufhemmung aus, mit der vorstehend unter aa angeführten ständigen BFH-Rechtsprechung nicht vereinbar, da die Steuerpflichtigen in allen dortigen Fällen eine Verpflichtungsklage erhoben haben bzw. hätten erheben können, der BFH aber gleichwohl keinen Antrag i.S. des § 171 Abs. 3 AO angenommen hat.
Diejenigen Entscheidungen, die der Kläger als "Fortentwicklung der Rechtsprechung zu § 171 Abs. 3 AO" ansieht (BFH-Urteile vom 24.06.2008 - IX R 64/06, BFH/NV 2008, 1676; vom 24.05.2006 - I R 93/05, BFHE 214, 7, BStBl II 2007, 76, und in BFHE 271, 1, BStBl II 2021, 341), betreffen insoweit jeweils andere Sachverhalte als den Streitfall und lassen den allgemeinen Grundsatz, dass die Einreichung gesetzlich vorgeschriebener Steuererklärungen nicht als "Antrag" im Sinne der genannten Norm anzusehen ist, unberührt.
c) Auch aus § 171 Abs. 3a AO ergibt sich vorliegend keine Ablaufhemmung. Danach läuft, wenn ein Steuerbescheid mit einem Einspruch oder einer Klage angefochten wird, die Festsetzungsfrist nicht ab, bevor über den Rechtsbehelf unanfechtbar entschieden ist; dies gilt auch, wenn der Rechtsbehelf erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist eingelegt wird.
Zwar weist der Kläger im Ausgangspunkt zutreffend darauf hin, dass es sich gemäß § 155 Abs. 1 Satz 3 AO auch bei einem Ablehnungsbescheid um einen Steuerbescheid i.S. des § 171 Abs. 3a AO handelt. Allerdings tritt die Ablaufhemmung nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht ein, wenn der Erlass eines (begünstigenden) Steuerbescheids erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist abgelehnt wird und dieser Ablehnungsbescheid angefochten wird (so auch BFH-Urteil vom 29.06.2011 - IX R 38/10, BFHE 233, 326, BStBl II 2011, 963, Rz 11 zum Ablauf einer Feststellungsfrist). Vorliegend hat das FA die Veranlagung des Klägers zur Einkommensteuer 2012 erst am 21.01.2020 ‑‑und damit nach Ablauf der Festsetzungsfrist‑‑ abgelehnt; § 171 Abs. 3a AO ist damit nicht anwendbar.
3. Sollte sich hingegen im Streitfall ein Veranlagungsgrund nicht aus § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG, sondern aus § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG ergeben, wäre die Festsetzungsfrist bereits am 31.12.2016 abgelaufen. Da der Kläger in diesem Fall nicht zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung verpflichtet gewesen wäre, würde sich der Beginn der Festsetzungsfrist nicht nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO, sondern nach § 170 Abs. 1 AO richten (BFH-Urteile vom 14.04.2011 - VI R 53/10, BFHE 233, 311, BStBl II 2011, 746, und vom 17.01.2013 - VI R 32/12, BFHE 240, 131, BStBl II 2013, 439, Rz 17). Die Festsetzungsfrist hätte dann mit Ablauf des Kalenderjahrs begonnen, in dem die Steuer entstanden ist, also am 31.12.2012. Die vierjährige Festsetzungsfrist hätte damit bereits am 31.12.2016 geendet.
4. Aus den Grundsätzen von Treu und Glauben folgt kein Anspruch des Klägers, trotz des Ablaufs der Festsetzungsfrist für 2012 noch veranlagt zu werden.
Das FA hat mit keiner einzigen Äußerung zu erkennen gegeben, den Kläger für den Fall, dass einer der Pflichtveranlagungstatbestände des § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis 7 EStG erfüllt sein sollte, "gerne" veranlagen zu wollen. Es hat vielmehr bis zur Einreichung der Revisionsbegründung durchgängig die Auffassung vertreten, keiner der gesetzlichen Pflichtveranlagungstatbestände sei erfüllt; im Übrigen sei die Festsetzungsfrist abgelaufen. Auch der Kläger benennt keine konkrete Äußerung des FA, auf die er das von ihm behauptete dispositionsauslösende Vertrauen hätte stützen können.
Wenn ein Steuerpflichtiger es unterlässt, noch innerhalb der Festsetzungsfrist einen Untätigkeitseinspruch einzulegen ‑‑was allerdings gemäß § 347 Abs. 1 Satz 2 AO voraussetzt, dass die Finanzbehörde ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes nicht innerhalb angemessener Frist sachlich entschieden hat; dies war hier zwischen der Einreichung der Steuererklärung am 30.12.2019 und dem Ablauf der Festsetzungsfrist am 31.12.2019 ersichtlich nicht der Fall‑‑, kann er sich nicht anschließend auf Treu und Glauben berufen (so zu einem insoweit vergleichbaren Fall BFH-Urteil vom 22.01.2013 - IX R 1/12, BFHE 239, 385, BStBl II 2013, 663, Rz 13 ff.). Auf ein Verhalten, das das FA erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist zeigt, kommt es in derartigen Fällen ohnehin nicht an (zutreffend BFH-Urteil in BFHE 239, 385, BStBl II 2013, 663, Rz 21).
Auch kann nach Treu und Glauben nicht erwartet werden, dass der Steuerbescheid noch innerhalb der Festsetzungsfrist den Bereich des FA verlässt, wenn die Steuererklärung erst einen Tag vor dem Ablauf der Festsetzungsfrist beim FA eingereicht wird (so zu einem insoweit identischen Fall BFH-Urteil vom 25.05.2011 - IX R 36/10, BFHE 233, 314, BStBl II 2011, 807, Rz 16).
Daher kann offenbleiben, ob der Grundsatz von Treu und Glauben überhaupt geeignet ist, einen wegen des Eintritts der Festsetzungsverjährung bereits erloschenen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis wieder aufleben zu lassen (verneinend BFH-Urteil vom 19.08.1999 - III R 57/98, BFHE 191, 198, BStBl II 2000, 330).
5. Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2, § 121 Satz 1 FGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.