ECLI:DE:BFH:2021:U.080621.IIR23.19.0
BFH II. Senat
ErbStG § 7 Abs 1 Nr 1, BGB § 428, BGB § 430, BGB § 1030 Abs 1
vorgehend FG Münster, 13. Februar 2019, Az: 3 K 2098/16 Erb
Leitsätze
NV: Eine freigebige Zuwendung einer Gesamtgläubigerstellung an einem Nießbrauchsrecht liegt dann nicht vor, wenn der Berechtigte über die Erträge im Innenverhältnis rechtlich und tatsächlich nicht frei verfügen kann.
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 14.02.2019 - 3 K 2098/16 Erb wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
I.
Der Ehemann der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) übertrug mit ihrer Zustimmung in seinem Eigentum stehenden Grundbesitz durch notariellen Übertragungsvertrag vom 10.04.2015 zu je ½ auf die beiden gemeinsamen Söhne. Nach § 6 des Übertragungsvertrages behielt sich der Ehemann zu seinen und der Klägerin Gunsten ‑‑als Gesamtgläubiger gemäß § 428 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB)‑‑ den lebenslänglichen unentgeltlichen Nießbrauch an dem übertragenen Grundbesitz vor. Die Nießbraucher hatten insbesondere auch die Zins- und Tilgungsleistungen aus den den eingetragenen Grundpfandrechten zugrundeliegenden Darlehensverbindlichkeiten zu tragen. Persönlicher Schuldner der Darlehensverbindlichkeiten blieb der Ehemann.
Die auf dem Grundstück befindliche Immobilie war vermietet. Um die Hausverwaltung kümmerte sich die Klägerin. Der Zahlungsverkehr für den Grundbesitz wurde über ein für diese Zwecke eingerichtetes, auf den Namen des Ehemanns lautendes Konto abgewickelt (Mietkonto), für das die Klägerin eine Bankvollmacht hatte. Dazu gehörte die Bedienung der auf dem Grundbesitz liegenden öffentlichen Lasten, der Darlehensverbindlichkeiten und Zahlung der Erhaltungsaufwendungen. Von dem Mietkonto erfolgten außerdem monatlich Zahlungen in Investmentfonds und für andere Zwecke (Arztrechnung) des Ehemanns und zudem Zahlungen für und an den gemeinsamen Sohn zur Finanzierung dessen Auslandaufenthalts.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) sah in der Einräumung des Nießbrauchsrechts eine Schenkung des Ehemanns an die Klägerin, setzte mit Bescheid vom 28.08.2015 Schenkungsteuer gegen die Klägerin fest und wies den Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom 08.06.2016 als unbegründet zurück.
Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte im Wesentlichen aus, die in der Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22.08.2007 - II R 33/06 (BFHE 218, 403, BStBl II 2008, 28) enthaltenen Grundsätze zur Einräumung der Gesamtgläubigerstellung an einem Rentenstammrecht seien auch bezüglich eines Nießbrauchsrechts anzuwenden. Im vorliegenden Fall stehe fest, dass die Klägerin im Verhältnis zu ihrem Ehemann nicht tatsächlich und rechtlich frei über die Erträge auf dem Mietkonto habe verfügen können und somit nicht bereichert sei. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2019, 821 veröffentlicht.
Mit der Revision macht das FA die Verletzung von § 7 Abs. 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) sowie eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht geltend. Es beanstandet, das FG habe den Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt und im Rahmen seiner Würdigung zu Unrecht das Verhalten der Eheleute in Bezug auf ihr übriges Vermögen nicht berücksichtigt. Allein das Bestehen einer intakten Ehe setze die im Zweifel gemäß § 430 BGB anzunehmende Ausgleichspflicht des Ehemanns nicht außer Kraft. Außerdem sei die Feststellung, dass tatsächlich und rechtlich keine freie Verfügungen über Erträge aus dem Nießbrauchsrecht erfolgt seien, nicht ausreichend, da aufgrund des Stichtagsprinzips allein entscheidend sei, ob bereits am 10.04.2015 eine Vereinbarung zwischen Schenker und Klägerin dahingehend bestanden habe, dass im Innenverhältnis keine Gesamtgläubigerstellung eingeräumt werden solle. Ein Abweichen der Vereinbarungen im Innenverhältnis vom beurkundeten Außenverhältnis sei aber nur möglich, wenn am Stichtag die Voraussetzungen eines Scheingeschäftes, eines geheimen Vorbehalts oder eines Irrtums vorgelegen hätten. Dies sei unwahrscheinlich, zumal eine Absicherung der Klägerin für den Todesfall des Ehemanns auch durch eine aufschiebende Bedingung hätte erfolgen können.
Das FA beantragt,
die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat zutreffend entschieden, dass der Vorbehalt des lebenslänglichen unentgeltlichen Nießbrauchs an dem übertragenen Grundbesitz durch den Ehemann zu seinen und der Klägerin Gunsten keine schenkungsteuerbare Zuwendung darstellt.
1. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gilt als Schenkung unter Lebenden jede freigebige Zuwendung, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird. Sie setzt in objektiver Hinsicht voraus, dass die Leistung zu einer Bereicherung des Bedachten auf Kosten des Zuwendenden führt und die Zuwendung objektiv unentgeltlich ist, und in subjektiver Hinsicht den Willen des Zuwendenden zur Freigebigkeit (vgl. BFH-Urteile vom 13.09.2017 - II R 54/15, BFHE 260, 181, BStBl II 2018, 292, Rz 12, und vom 03.07.2019 - II R 6/16, BFHE 265, 421, BStBl II 2020, 61, Rz 15, jeweils m.w.N.). Objektive Unentgeltlichkeit erfordert, dass der Empfänger über das Zugewendete tatsächlich und rechtlich frei verfügen kann. Maßgebend ist ausschließlich die Zivilrechtslage (BFH-Urteil vom 16.09.2020 - II R 33/19, BFH/NV 2021, 317, Rz 16).
2. Eine Sache kann gemäß § 1030 Abs. 1 BGB in der Weise belastet werden, dass derjenige, zu dessen Gunsten die Belastung erfolgt, berechtigt ist, die Nutzungen der Sache zu ziehen (Nießbrauch). Gegenstand einer freigebigen Zuwendung kann auch ein solches Nießbrauchsrecht sein.
a) Werden bei einer Schenkung mehreren Berechtigten Nießbrauchsrechte in der Weise eingeräumt, dass der Nießbrauch des einen erst mit dem Ableben des anderen entstehen soll (sog. Sukzessivnießbrauch), ist der für die Zeit nach dem Ableben des zunächst Berechtigten vereinbarte Nießbrauch bei der Schenkungsteuerveranlagung zunächst nicht zu berücksichtigen, weil er zur Zeit der Zuwendung nicht bestand, es ungewiss war, ob und ggf. wann er je in Kraft treten würde, und derartige Lasten nach § 6 des Bewertungsgesetzes nicht in Ansatz zu bringen sind (BFH-Beschluss vom 28.02.2019 - II B 48/18, BFH/NV 2019, 678, Rz 11; BFH-Urteil vom 06.05.2020 - II R 11/19, BFHE 269, 424, BStBl II 2020, 746, Rz 16, m.w.N.).
b) Wird bei Übereignung einer Sache ein Nießbrauch in der Weise vorbehalten, dass der Nießbrauch dem Übertragenden und einem Dritten gemeinsam zustehen soll, kann hierin die Zuwendung eines Nießbrauchsrechts an den Dritten liegen. Ist der Nießbrauch in einem solchen Fall so ausgestaltet, dass den Berechtigten eine Gesamtgläubigerstellung i.S. des § 428 BGB zukommt, beschränkt sich der Gegenstand der Zuwendung an den Dritten auf die Verschaffung dieser Gesamtgläubigerstellung (vgl. zum Rentenstammrecht: BFH-Urteil in BFHE 218, 403, BStBl II 2008, 28, unter II.1.a aa).
aa) Sind mehrere eine Leistung in der Weise zu fordern berechtigt, dass jeder die ganze Leistung fordern kann, der Schuldner aber die Leistung nur einmal zu bewirken verpflichtet ist (Gesamtgläubiger), kann der Schuldner nach seinem Belieben an jeden der Gläubiger leisten (§ 428 BGB). Im Verhältnis zueinander sind die Gesamtgläubiger zu gleichen Anteilen berechtigt, soweit nicht ein anderes bestimmt ist (§ 430 BGB). Das gilt auch, wenn einer der Gesamtgläubiger nach außen den Nießbrauch im vollen Umfang allein ausübt.
bb) Eine Bereicherung i.S. von § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG setzt auch bei der Verschaffung einer Gesamtgläubigerstellung i.S. des § 428 BGB voraus, dass der Bedachte über den Gegenstand der Zuwendung ‑‑die Gesamtgläubigerstellung‑‑ tatsächlich und rechtlich frei verfügen kann (BFH-Urteil vom 23.11.2011 - II R 33/10, BFHE 237, 179, BStBl II 2012, 473, Rz 21 ff.).
3. Eine freie Verfügungsbefugnis über das Nießbrauchsrecht ist nicht gegeben, soweit aufgrund von Vereinbarungen der Gesamtgläubiger im Innenverhältnis der Bedachte nicht oder zu einem geringeren Anteil berechtigt ist als dies § 430 BGB entspräche.
a) Fehlen schriftliche oder mündliche Vereinbarungen über etwaige von § 430 BGB abweichende Regelungen im Innenverhältnis, kann dem Verhalten der Gesamtgläubiger, insbesondere im Hinblick auf Verwaltung der und Verfügung über die Erträge, Indizwirkung darüber zukommen, ob gleichwohl solche Regelungen bestehen. Insoweit wird auf die zu sog. Oderkonten entwickelten und entsprechend anzuwendenden Grundsätze verwiesen (BFH-Urteile in BFHE 218, 403, BStBl II 2008, 28, unter II.2.a; in BFHE 237, 179, BStBl II 2012, 473, Rz 23 f., und vom 29.06.2016 - II R 41/14, BFHE 254, 64, BStBl II 2016, 865, Rz 21).
b) Dem FG als Tatsacheninstanz obliegt die Feststellung, ob trotz Gesamtgläubigerstellung im Außenverhältnis im Innenverhältnis etwas anderes bestimmt war. Letztlich ist die Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls maßgebend (BFH-Urteile in BFHE 237, 179, BStBl II 2012, 473, Rz 24, und in BFHE 254, 64, BStBl II 2016, 865, Rz 21). Der BFH kann solche Tatsachenwürdigungen nur daraufhin überprüfen, ob sie verfahrensfehlerfrei zustande gekommen sind und mit den Denkgesetzen und den allgemeinen Erfahrungssätzen im Einklang stehen. Die Würdigung muss nicht zwingend, sondern nur möglich sein (ständige Rechtsprechung, vgl. zum Beispiel BFH-Urteile in BFHE 254, 64, BStBl II 2016, 865, Rz 28, und vom 12.02.2020 - XI R 24/18, BFHE 268, 351, Rz 47, jeweils m.w.N.).
4. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Revision unbegründet.
Das FG ist zunächst rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass im Streitfall kein Sukzessivnießbrauch vorlag, sondern der Ehemann der Klägerin bereits zu deren Lebzeiten ein unbedingtes Nießbrauchsrecht im Außenverhältnis zugewandt hat.
Das FG hat sodann die Rechtsprechungsgrundsätze zur Verteilung der Feststellungslast zutreffend angewendet. Angesichts der tatsächlichen Handhabung des Mietkontos, die für sich genommen nicht im Streit steht, kam es zu der begründeten Überzeugung, dass die Klägerin im Verhältnis zu ihrem Ehemann nicht tatsächlich und rechtlich frei über die Erträge auf dem auf den Namen des Ehemanns lautenden Mietkonto habe verfügen können und folglich die Voraussetzungen einer nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG schenkungsteuerbaren Zuwendung des Nießbrauchsrechts mangels Bereicherung nicht vorliegen. Diese Würdigung aller Umstände des Einzelfalls ist im Revisionsverfahren bindend (§ 118 Abs. 2 FGO). Das FA hat gegen die tatsächliche Würdigung keine durchgreifenden Einwände erhoben.
Es ist nicht zu beanstanden, dass das FG das Verhalten der Eheleute in Bezug auf ihr übriges Vermögen für unerheblich gehalten hat. Insbesondere ergibt sich aus dem Umstand, dass die Klägerin möglicherweise eigene Einkunftsquellen der Familie zur Verfügung gestellt hat, nicht zwingend, dass ihr im Gegenzug der Zugriff auf die Nießbrauchserträge eröffnet war.
Zutreffend hat das FG auch nicht nur auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Zuwendung abgestellt. Für die Feststellung, ob die Klägerin im Innenverhältnis zu ihrem Ehemann frei über die Erträge aus dem Nießbrauchsrecht hat verfügen können, darf indiziell nicht nur auf die Handhabung des Kontos seit der Einräumung des Nießbrauchs, sondern auch auf die Handhabung in der Zeit davor und auf sich daraus etwa ergebende Unterschiede abgestellt werden (vgl. BFH-Urteil in BFHE 218, 403, BStBl II 2008, 28, unter II.2.a).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
6. Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten nach § 121 Satz 1 FGO i.V.m. § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung.