ECLI:DE:BFH:2021:U.110221.VIR37.18.0
BFH VI. Senat
AO § 37, AO § 38, AO § 47, AO § 122 Abs 1 S 1, AO § 218 Abs 2, AO § 226 Abs 1, AO § 347 Abs 1 S 2, BGB § 133, BGB § 157, BGB § 387, FGO § 40 Abs 2, FGO § 44, FGO § 46 Abs 1, FGO § 110 Abs 1 S 1 Nr 1, FGO § 110 Abs 2
vorgehend FG Köln, 29. Mai 2018, Az: 3 K 2086/17
Leitsätze
1. NV: Die Bindungswirkung rechtskräftiger Urteile gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGO besteht nicht nur bei Identität der Gegenstände im Erst- und Zweitverfahren, sondern auch, soweit im Erstverfahren über eine materiell-rechtliche Vorfrage für das Zweitverfahren entschieden worden ist. Die Rechtskraftwirkung eines Urteils bewirkt auch eine Bindung des Richters in einem nachfolgenden Verfahren, wenn die im ersten Verfahren rechtskräftig festgestellte Rechtsfolge eine präjudizielle Voraussetzung für das im zweiten Verfahren verfolgte Klageziel ist.
2. NV: Für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheids sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (Einspruchsentscheidung) maßgebend. Hat das Finanzamt über einen Antrag auf Erlass eines Abrechnungsbescheids nicht entschieden, kommt es auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz oder ‑‑wenn eine solche nicht stattgefunden hat‑‑ auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung der Tatsacheninstanz an.
3. NV: Für das Rechtsschutzbedürfnis einer allgemeinen Leistungsklage, durch die die Finanzbehörde zur Zahlung eines durch Abrechnungsbescheid festgestellten Erstattungsanspruchs verurteilt werden soll, muss klägerseits dargelegt werden, dass die Finanzbehörde im konkreten Streitfall der sich aus dem Abrechnungsbescheid ergebenden Zahlungsverpflichtung nicht nachkommen werde.
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 30.05.2018 - 3 K 2086/17 aufgehoben, soweit das Finanzgericht den Beklagten verurteilt hat, an die Klägerin 135,19 € zu zahlen; insoweit wird die Klage abgewiesen.
Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die Klägerin zu 20 % und der Beklagte zu 80 % zu tragen.
Die von der Klägerin zu tragenden Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
I.
Das Amtsgericht (AG) ... eröffnete 2008 das Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen des ... (Insolvenzschuldner) und bestellte die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) zur Treuhänderin. Mit Beschluss von Mai 2010 kündigte das AG dem Insolvenzschuldner die Restschuldbefreiung an und bestätigte die Klägerin als Treuhänderin.
Im Juni 2010 hob das AG das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Insolvenzschuldners mangels einer zu verteilenden Masse ohne Schlussverteilung auf. In dem Beschluss hieß es weiter: "Hinsichtlich etwaiger - auf die Dauer des Insolvenzverfahrens entfallender - Steuererstattungsansprüche wird die Nachtragsverteilung angeordnet (§ 203 Abs. 1 InsO)."
Der Insolvenzschuldner und seine Ehefrau gaben am 24.10.2010 die gemeinsame Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2009) ab. Darin machte der Insolvenzschuldner bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte als Werbungskosten geltend. Die einfache Entfernung gab er mit 25 km an.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) setzte die Einkommensteuer mit Bescheiden vom 13.12.2010 auf 5.265 € fest. Die Einkommensteuerbescheide wurden dem Insolvenzschuldner persönlich sowie dem Insolvenzverwalter über das Vermögen der Ehefrau einzeln bekannt gegeben. Der Klägerin gab das FA die Einkommensteuerfestsetzung nicht bekannt. Die für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte des Insolvenzschuldners anzusetzende Entfernungspauschale berechnete das FA erklärungsgemäß mit 1.725 € (230 Tage x 25 km x 0,30 €). Nach Abzug der vom Lohn des Insolvenzschuldners und seiner Ehefrau einbehaltenen Lohnsteuer, Lohnkirchensteuer und des Solidaritätszuschlags ergab die Abrechnung eine Überzahlung. Über die Verwendung des Guthabens wurde eine besondere Mitteilung angekündigt.
Das FA errechnete für den Insolvenzschuldner einen anteiligen Erstattungsanspruch in Höhe von 349,01 €, der sich aus 188,53 € Einkommensteuer, 99,62 € Kirchensteuer und 60,86 € Solidaritätszuschlag zusammensetzte. Diesen Betrag zahlte das FA an den Insolvenzschuldner aus und teilte dies der Klägerin mit.
Die Klägerin machte daraufhin geltend, die Erstattung habe aufgrund der angeordneten Nachtragsverteilung nicht mit schuldbefreiender Wirkung an den Insolvenzschuldner ausgezahlt werden dürfen, und forderte das FA auf, den Erstattungsbetrag auf das Treuhandkonto zu überweisen.
Das FA erließ daraufhin einen Abrechnungsbescheid vom 06.01.2011, mit dem es feststellte, dass der Erstattungsanspruch des Insolvenzschuldners durch die an ihn geleistete Zahlung erloschen sei.
Gegen den Abrechnungsbescheid erhob die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage, der das Finanzgericht (FG) stattgab. Die Revision des FA gegen das finanzgerichtliche Urteil wies der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 20.09.2016 - VII R 10/15 als unbegründet zurück. Das FA habe gegenüber dem Insolvenzschuldner nicht mit befreiender Wirkung leisten können, weil dessen Einkommensteuererstattungsanspruch für den Veranlagungszeitraum 2009 der Nachtragsverteilung unterlegen habe. Der Umstand, dass der Einkommensteuerbescheid dem Insolvenzschuldner und nicht der Klägerin erteilt worden sei, habe daran nichts geändert. Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens sei die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis wieder auf den Insolvenzschuldner übergegangen, weshalb die Bekanntgabe eines nun ergehenden Steuerbescheids diesem gegenüber habe erfolgen müssen. Der Insolvenzschuldner sei wieder Inhaltsadressat geworden, weil die Festsetzung der Steuer ihm gegenüber als demjenigen, der den Steuertatbestand verwirklicht habe, wirken solle. Ergebe sich aus dem dem Erhebungsverfahren zuzurechnenden Abrechnungsteil des Steuerbescheids ein Erstattungsanspruch, der von der Nachtragsverteilung erfasst werde, sollte dieser auch dem Treuhänder bekannt gegeben werden. Eine Voraussetzung für die Geltendmachung des Anspruchs seitens des Treuhänders sei die Bekanntgabe jedoch nicht.
Die Klägerin bat das FA daraufhin mit Schreiben vom 26.02.2017 um Mitteilung, wann mit einer Auszahlung des Erstattungsbetrags zur Masse zu rechnen sei. Das FA unterrichtete die Klägerin mit Schreiben vom 23.03.2017, dass es den Einkommensteuerbescheid für 2009 nunmehr auch ihr in ihrer Eigenschaft als Treuhänderin bekannt geben werde. Der an den Insolvenzschuldner gerichtete Einkommensteuerbescheid vom 13.12.2010 löse im Verhältnis zur Klägerin keine Bindungswirkung aus, so dass der Steuerfestsetzung die materiell zutreffende Einkommensteuer zugrunde gelegt werden könne. Es sei beabsichtigt, bei der Berechnung der Entfernungspauschale anstelle einer Entfernung von 25 km nur 14 km anzusetzen, da dies laut einem Routenplaner die kürzeste Straßenverbindung sei.
Mit Schreiben vom 27.03.2017 vertrat die Klägerin demgegenüber die Ansicht, der Bescheid vom 13.12.2010 sei bestandskräftig, so dass der Erstattungsbetrag nicht durch eine anderweitige Steuerfestsetzung gekürzt werden könne. Die sich aus dem Bescheid vom 13.12.2010 ergebende Steuererstattung sei an sie in voller Höhe auszuzahlen. Dessen ungeachtet setzte das FA mit ‑‑an die Klägerin als Treuhänderin über das Vermögen des Insolvenzschuldners gerichtetem‑‑ Bescheid vom 21.04.2017 die Einkommensteuer für das Streitjahr auf nunmehr 5.468 € fest. Dabei berücksichtigte es die Entfernungspauschale ‑‑wie angekündigt‑‑ nur noch in Höhe von 966 € (230 Tage x 14 km x 0,30 €). Durch die höhere Einkommensteuerfestsetzung verringerte sich der auf den Insolvenzschuldner anteilig entfallende Erstattungsbetrag auf 213,82 € (69,67 € Einkommensteuer, 89,49 € Kirchensteuer und 54,66 € Solidaritätszuschlag). Außerdem setzte das FA in dem Bescheid vom 21.04.2017 Erstattungszinsen zur Einkommensteuer fest, die in Höhe von 21,07 € auf den Insolvenzschuldner entfielen. Die vorgenannten Beträge überwies das FA auf das Treuhandkonto der Klägerin.
Die Klägerin legte gegen den Einkommensteuerbescheid Einspruch ein und begehrte weiterhin die Auszahlung des restlichen Erstattungsguthabens aus dem Bescheid vom 13.12.2010. Mit einem am 10.05.2017 beim FA eingegangenen Schreiben erhob die Klägerin außerdem eine von ihr so bezeichnete "Untätigkeitsbeschwerde", die das FA mit Schreiben vom 16.05.2017 ohne Beifügung einer Rechtsbehelfsbelehrung zurückwies. Den Einspruch der Klägerin gegen den Einkommensteuerbescheid wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 06.07.2017 ebenfalls als unbegründet zurück.
Die Klägerin erhob daraufhin erneut Klage, mit der sie beantragte, den Einkommensteuerbescheid vom 21.04.2017 und die Einspruchsentscheidung vom 06.07.2017 aufzuheben, das FA zu verpflichten, einen Abrechnungsbescheid über einen Erstattungsanspruch in Höhe von 135,19 € zu ihren Gunsten zu erlassen, und das FA zu verurteilen, an sie 135,19 € zu zahlen.
Das FG gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2018, 1925 veröffentlichten Gründen statt.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Es beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klagen abzuweisen.Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des FA ist teilweise begründet. Soweit das FG das FA verurteilt hat, an die Klägerin 135,19 € zu zahlen, wird die Vorentscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat den angefochtenen Einkommensteuerbescheid vom 21.04.2017 und die Einspruchsentscheidung vom 06.07.2017 im Ergebnis zu Recht aufgehoben. Es hat das FA außerdem zu Recht zum Erlass des von der Klägerin begehrten Abrechnungsbescheids verpflichtet.
A.1. Das FG hat die Anfechtungsklage gegen die Einkommensteuerfestsetzung zutreffend als zulässig beurteilt. Die Klägerin ist klagebefugt. Sie verfügt auch über ein Rechtsschutzinteresse.
Der BFH muss in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen prüfen, ob die Sachurteilsvoraussetzungen gegeben sind (BFH-Urteile vom 18.08.2015 - V R 39/14, BFHE 251, 125, BStBl II 2017, 755, Rz 21, und vom 06.09.2017 - IV R 1/16, Rz 44).
a) Gemäß § 40 Abs. 2 FGO ist eine Anfechtungsklage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt, wenn das Klagevorbringen es als zumindest möglich erscheinen lässt, dass die angefochtene Entscheidung eigene Rechte des Klägers verletzt (BFH-Urteile vom 07.02.2013 - IV R 33/12, Rz 14, und vom 10.10.2007 - VII R 36/06, BFHE 218, 458, unter II.1.a, m.w.N.).
Danach ist die Klägerin im Streitfall klagebefugt. Sie macht geltend, das FA habe nach Beendigung des Insolvenzverfahrens die Einkommensteuer des (ehemaligen) Insolvenzschuldners durch den an sie als Treuhänderin adressierten Einkommensteuerbescheid vom 21.04.2017 nicht mehr festsetzen dürfen. Da es nach dem Vorbringen der Klägerin zumindest als möglich erschien, dass das FA zum Erlass des angefochtenen Einkommensteuerbescheids nicht berechtigt war, ist die Klagebefugnis der Klägerin gegeben.
b) Die Klägerin hat ‑‑entgegen der Auffassung des FA‑‑ auch ein Rechtsschutzbedürfnis.
Sie hat ein rechtliches Interesse an der Aufhebung des an sie als Treuhänderin gerichteten Einkommensteuerbescheids, sofern sich dieser als rechtswidrig oder unwirksam erweist. Da sich das FA mit dem angefochtenen Verwaltungsakt der Rechtsstellung berühmt, die Einkommensteuer für 2009 gegenüber der Klägerin als Treuhänderin des (ehemaligen) Insolvenzschuldners festsetzen zu dürfen, ist es für das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin zunächst bedeutungslos, ob die Entgegennahme von Steuerbescheiden für den (vormaligen) Insolvenzschuldner überhaupt von der beschränkten Wirkung der durch das AG angeordneten Nachtragsverteilung erfasst wird. Auch ein nichtiger bzw. unwirksamer Verwaltungsakt kann mit der Anfechtungsklage angefochten werden (BFH-Urteil vom 26.06.1985 - IV R 62/83, BFH/NV 1987, 19).
Die vorliegende Anfechtungsklage ist weder objektiv sinnlos noch rechtsmissbräuchlich und die Klägerin kann das mit ihrer Klage verfolgte Ziel auch nicht auf einfachere Weise erreichen. Das Rechtsschutzinteresse der Klägerin kann hiernach insbesondere nicht deshalb verneint werden, weil die Anfechtung des Einkommensteuerbescheids nach Meinung des FA nicht zu einer weiteren Befriedigung der Insolvenzgläubiger führen könne, das wirtschaftliche Interesse an der Anfechtung geringfügig sei und im Hinblick auf die Kosten einer Nachtragsverteilung nicht angemessen erscheine.
Selbst wenn die Klägerin durch die Erhebung der vorliegenden Klage etwaige insolvenzrechtliche Pflichten als Treuhänderin verletzt haben sollte, ließen derartige Pflichtverletzungen das Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen. Denn den Insolvenzverwalter/Treuhänder treffen bei der Erhebung einer Klage oder während eines Verfahrens gegenüber einem Prozessgegner keine insolvenzspezifischen Pflichten. Insoweit gelten vielmehr die allgemeinen Vorschriften (Urteil des Bundesgerichtshofs ‑‑BGH‑‑ vom 02.12.2004 - IX ZR 142/03, BGHZ 161, 236), nach denen der Klägerin ein Rechtsschutzbedürfnis nicht abgesprochen werden kann.
Aus den Regelungen und der vom FA zitierten Rechtsprechung zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für (Aktiv-)Prozesse des Insolvenzverwalters, insbesondere bei Massearmut, können für das vorliegende Verfahren keine gegenteiligen Schlussfolgerungen gezogen werden. Die Voraussetzungen der PKH prüft das Gericht allein im Interesse der Staatskasse. Insoweit ergeben sich für den Prozessgegner nur günstige Reflexwirkungen. Es ist dann aber auch nicht gerechtfertigt, dem Verwalter insolvenzspezifisch abzuverlangen, seinerseits Ansprüche nur dann und so weit zu verfolgen bzw. abzuwehren, als das Vorgehen den Vorschriften für die Bewilligung von PKH entspricht (BGH-Urteil vom 26.06.2001 - IX ZR 209/98, BGHZ 148, 175). Im Streitfall kommt hinzu, dass das FG die Massearmut des Insolvenzverfahrens nicht festgestellt hat.
2. Das FG hat den angefochtenen Einkommensteuerbescheid vom 21.04.2017 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung im Ergebnis zu Recht aufgehoben. Das FA konnte die Einkommensteuer des (ehemaligen) Insolvenzschuldners nicht (mehr) gegenüber der Klägerin als Treuhänderin wirksam festsetzen. Dies folgt bereits aus der Bindungswirkung (§ 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGO) des rechtskräftigen Urteils des VII. Senats des BFH vom 20.09.2016 - VII R 10/15.
a) Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGO binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Nach der Regelung des § 110 Abs. 2 FGO bleiben die Vorschriften der Abgabenordnung (AO) über die Änderung von Verwaltungsakten unberührt, soweit sich aus § 110 Abs. 1 Satz 1 FGO nichts anderes ergibt. § 110 Abs. 2 FGO ist nach der Rechtsprechung des BFH i.S. eines Vorrangs der Rechtskraft gegenüber den Änderungsvorschriften der AO auszulegen (s. BFH-Urteile vom 12.01.2012 - IV R 3/11, Rz 14, und vom 27.09.2016 - VIII R 16/14, Rz 30).
Für den Umfang der Bindungswirkung eines rechtskräftigen Urteils ist der Begriff Streitgegenstand in § 110 Abs. 1 Satz 1 FGO i.S. von "Entscheidungsgegenstand" zu verstehen. Dies ist die Teilmenge aller mit dem angefochtenen Verwaltungsakt erfassten Besteuerungsgrundlagen, über die das Gericht entschieden hat. Der sachliche Umfang der Bindungswirkung eines rechtskräftigen Urteils ergibt sich in erster Linie aus der Urteilsformel. Zu deren Auslegung sind erforderlichenfalls Tatbestand und Entscheidungsgründe heranzuziehen, ohne dass die Begründung eines Urteils als solche bzw. die Urteilselemente rechtskraftfähig wären (BFH-Urteile vom 04.03.2020 - II R 11/17, BFHE 268, 401, BStBl II 2021, 155, Rz 12, und vom 27.09.2016 - VIII R 16/14, Rz 31, m.w.N.). Es kommt allein darauf an, worüber das Gericht entschieden hat (s. BFH-Urteil vom 14.03.2006 - VIII R 45/03, BFH/NV 2006, 1448, unter II.2.).
Die Bindungswirkung besteht allerdings nicht nur bei Identität der Gegenstände im Erst- und Zweitverfahren, sondern auch, soweit im Erstverfahren über eine materiell-rechtliche Vorfrage für das Zweitverfahren entschieden worden ist (BFH-Urteil vom 27.02.1997 - IV R 38/96, BFH/NV 1997, 388, unter 2.b; Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 110 Rz 13). Die Rechtskraftwirkung eines Urteils bewirkt auch eine Bindung des Richters in einem nachfolgenden Verfahren, wenn die im ersten Verfahren rechtskräftig festgestellte Rechtsfolge eine präjudizielle Voraussetzung für das im zweiten Verfahren verfolgte Klageziel ist (BFH-Urteil in BFH/NV 1997, 388, unter 2.b).
b) Nach diesen Grundsätzen steht im Streitfall die Rechtskraft des BFH-Urteils vom 20.09.2016 - VII R 10/15 dem Erlass des angefochtenen Einkommensteuerbescheids entgegen.
Der VII. Senat hat in seinem Urteil vom 20.09.2016 - VII R 10/15, Rz 30 entschieden, nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Insolvenzschuldners sei die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis wieder auf diesen übergegangen, weshalb ein nun ergehender Steuerbescheid diesem bekannt zu geben gewesen sei. Der Insolvenzschuldner sei (dann wieder) Inhaltsadressat (§ 122 Abs. 1 Satz 1 AO) geworden, weil die Festsetzung der Steuer ihm gegenüber als demjenigen, der den Steuertatbestand verwirklicht habe (§ 38 AO), wirken solle. Der festsetzende Teil des Einkommensteuerbescheids sei daher zu Recht dem (ehemaligen) Insolvenzschuldner gegenüber bekannt gegeben worden, weil er mit Abschluss des Insolvenzverfahrens im Juni 2010 die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen wiedererlangt habe.
Bezüglich dieser Feststellungen entfaltet das BFH-Urteil vom 20.09.2016 - VII R 10/15 Bindungswirkung gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGO. Denn der BFH hat damit eine materiell-rechtliche Vorfrage entschieden, die für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des in jenem Verfahren streitgegenständlichen Abrechnungsbescheids tragend war.
Soweit der VII. Senat in seinem Urteil vom 20.09.2016 - VII R 10/15, Rz 31 ausgeführt hat, ein Bescheid solle auch dem Treuhänder bekannt gegeben werden, sofern sich aus dem dem Erhebungsverfahren zuzurechnenden Abrechnungsteil ein Erstattungsanspruch ergebe, der von der Nachtragsverteilung erfasst sei, hat der VII. Senat damit lediglich zum Ausdruck gebracht, dass es sachdienlich sei, wenn die Finanzverwaltung den Insolvenzverwalter/Treuhänder durch die Bekanntgabe des an den (vormaligen) Insolvenzschuldner als Inhaltsadressaten zu richtenden Steuerbescheids von dem der Nachtragsverteilung unterliegenden Erstattungsanspruch in Kenntnis setze. Daraus kann ‑‑anders als es das FA offenbar meint‑‑ aber nicht geschlossen werden, dass die Finanzbehörde berechtigt sei, dem Insolvenzverwalter/Treuhänder einen von der Steuerfestsetzung gegenüber dem Insolvenzschuldner abweichenden Steuerbescheid (erstmalig oder als Änderungsbescheid) bekannt zu geben. Denn die Festsetzung der Einkommensteuer ist ‑‑wie der VII. Senat in seinem Urteil vom 20.09.2016 - VII R 10/15, Rz 30 entschieden hat‑‑ nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens wieder gegenüber dem (ehemaligen) Insolvenzschuldner als dem Steuerpflichtigen vorzunehmen, der den Steuertatbestand verwirklicht hat. Das gilt auch bei angeordneter Nachtragsverteilung, wenn die Steuerfestsetzung ‑‑wie im Streitfall‑‑ nicht dem durch die Nachtragsverteilung (wieder) angeordneten Insolvenzbeschlag unterliegt.
Damit steht für die Beteiligten des vorliegenden Rechtsstreits, die auch die Beteiligten des Revisionsverfahrens VII R 10/15 waren, und ebenso für den erkennenden Senat bindend fest, dass ‑‑ungeachtet der vom AG angeordneten Nachtragsverteilung‑‑ nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des (ehemaligen) Insolvenzschuldners Einkommensteuerbescheide (einschließlich eines solchen für das Streitjahr) diesem gegenüber ‑‑und damit nicht gegenüber der Klägerin‑‑ bekannt zu geben sind.
Das FG hat den angefochtenen, an die Klägerin gerichteten Einkommensteuerbescheid vom 21.04.2017 daher im Ergebnis zu Recht aufgehoben. Auf die Ausführungen der Vorinstanz zum Erfordernis und zum Vorliegen der Voraussetzungen einer Änderungsnorm (§§ 172 ff. AO) und zur Festsetzungsverjährung kommt es hiernach nicht mehr an. Gleiches gilt für die hiergegen vom FA im Revisionsverfahren erhobenen Einwendungen.
c) Soweit sich das FA in dem vorliegenden (Revisions-)Verfahren gegen die in dem BFH-Urteil vom 20.09.2016 - VII R 10/15 vertretene Rechtsauffassung wendet, kann es damit nicht gehört werden. Denn § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGO steht jeder erneuten, sei es auch nur einer wiederholenden oder bestätigenden (gerichtlichen) Entscheidung über die bereits einmal rechtskräftig festgestellte Rechtsfolge entgegen (BFH-Beschluss vom 01.04.2008 - X B 224/07, BFH/NV 2008, 1187; Gräber/Ratschow, a.a.O., § 110 Rz 12). Umstände, die das (Erst-)Gericht bei seiner Entscheidung hätte berücksichtigen können, die es ihr jedoch bewusst oder unbewusst nicht zugrunde gelegt hat, können außerdem nicht zum Gegenstand einer erneuten Entscheidung über dieselbe Rechtsfolge gemacht werden; sie können allenfalls in engen Grenzen zur Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 134 FGO führen (BFH-Urteil in BFHE 268, 401, BStBl II 2021, 155, Rz 17, m.w.N.). Der erkennende Senat kann im Streitfall daher auch nicht zu dem Vortrag des FA Stellung nehmen, der VII. Senat habe das Revisionsverfahren VII R 10/15 falsch entschieden und verschiedene, vom FA in der Revisionsbegründung angeführte Urteile anderer BFH-Senate, der Finanzgerichte und der ordentlichen Gerichtsbarkeit nicht beachtet oder unzutreffend gewürdigt.
d) Der Senat kann ferner offenlassen, ob unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch im Anwendungsbereich der FGO unter gewissen Voraussetzungen ein Ende der Rechtskraftwirkung von Urteilen angenommen werden kann, wenn sich die Sach- und Rechtslage nachträglich verändert (s. dazu BFH-Urteil in BFHE 268, 401, BStBl II 2021, 155, Rz 15 ff.). Denn im Streitfall ist keine Änderung der Sach- und Rechtslage in Bezug auf die rechtskräftig entschiedene Rechtsfolge eingetreten.
B. Das FG hat auch der von der Klägerin erhobenen Untätigkeitsklage zu Recht stattgegeben.
1. Die Vorinstanz hat die Untätigkeitsklage zutreffend als zulässig angesehen.
Nach § 46 Abs. 1 FGO ist eine Klage ‑‑abweichend von § 44 FGO‑‑ ohne vorherigen Abschluss des Vorverfahrens zulässig, wenn über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Zeit sachlich nicht entschieden worden ist. Die Klage kann nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit Einlegung des außergerichtlichen Rechtsbehelfs erhoben werden, es sei denn, dass wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FGO). Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 FGO vorlagen.
a) Das FA hatte ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes nicht in angemessener Zeit über den (Untätigkeits-)Einspruch der Klägerin auf Erlass eines Abrechnungsbescheids entschieden (§ 46 Abs. 1 Satz 1 FGO).
aa) In ihrem Schreiben vom 27.03.2017 begehrte die Klägerin vom FA (sinngemäß) den Erlass eines Abrechnungsbescheids über den sich aufgrund der Einkommensteuerfestsetzung vom 13.12.2010 ergebenden Einkommensteuererstattungsanspruch, den die Klägerin auf 349,01 € bezifferte. Das FG hat das vorgenannte Schreiben der Klägerin zu Recht als Antrag auf Erlass eines diesbezüglichen Abrechnungsbescheids ausgelegt.
In entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) sind auch außerprozessuale Verfahrenserklärungen auszulegen. Dies gilt grundsätzlich auch ‑‑wie im Streitfall‑‑ für Erklärungen rechtskundiger Personen. Die Auslegung ist Gegenstand der vom FG zu treffenden tatsächlichen Feststellungen, an die das Revisionsgericht gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO), soweit im Revisionsverfahren keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen erhoben werden. Das Revisionsgericht kann die Auslegung durch das FG nur daraufhin überprüfen, ob das FG die gesetzlichen Auslegungsregeln beachtet und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen hat (BFH-Urteil vom 14.06.2016 - IX R 11/15, Rz 22, m.w.N.).
Zwischen der Klägerin und dem FA bestand bereits seit Anfang des Jahres 2011 Streit darüber, ob und wenn ja in welcher Höhe der Klägerin als Treuhänderin im Rahmen der Nachtragsverteilung ein Einkommensteuererstattungsanspruch zustand. Dieser Streit war ausweislich des Schreibens des FA vom 23.03.2017 und des vorgenannten Schreibens der Klägerin vom 27.03.2017 auch nicht durch das Klageverfahren vor dem FG - 3 K 769/11 und das anschließende Revisionsverfahren vor dem BFH - VII R 10/15 beigelegt.
Über diese Streitigkeit hatte das FA gemäß § 218 Abs. 2 AO durch Abrechnungsbescheid zu entscheiden. Auch wenn die Klägerin in ihrem Schreiben vom 27.03.2017 nicht ausdrücklich den Erlass eines Abrechnungsbescheids beantragt hatte, konnte das FG dieses Schreiben ‑‑ohne Rechtsfehler‑‑ rechtsschutzgewährend als einen diesbezüglichen Antrag auslegen (§§ 133, 157 BGB). Das Schreiben der Klägerin war auslegungsfähig, da es an einer eindeutigen und zweifelsfreien Erklärung des wirklich Gewollten fehlte (s. dazu z.B. BFH-Urteil vom 16.05.2018 - XI R 50/17, BFHE 261, 342, BStBl II 2018, 752, Rz 23, m.w.N.). Insbesondere beschränkte sich der Inhalt des Schreibens nicht auf die Androhung einer Zahlungsklage. Das FG hat bei seiner Auslegung vielmehr zutreffend darauf abgestellt, dass die Klägerin anders als durch den Erlass eines entsprechenden Abrechnungsbescheids eine Klärung des Streits über den Einkommensteuererstattungsanspruch nicht erreichen konnte. So hatte bereits der VII. Senat des BFH in seinem Urteil vom 20.09.2016 - VII R 10/15, Rz 32 ausgeführt, dass die Klägerin nach ihrem erkennbaren (Klage-)Begehren einen Abrechnungsbescheid über einen Erstattungsanspruch in Höhe von 349,01 € zu ihren Gunsten beantragen musste.
bb) Das FA hat auf den Antrag der Klägerin keinen Abrechnungsbescheid erlassen. Insbesondere handelte es sich bei dem Abrechnungsteil des Einkommensteuerbescheids vom 21.04.2017 nebst Anlage nicht um einen Abrechnungsbescheid i.S. von § 218 Abs. 2 AO.
Ein Abrechnungsbescheid i.S. des § 218 Abs. 2 AO kann nur ein Verwaltungsakt sein, mit dem ein Streit über das Bestehen oder Nichtbestehen bzw. über die Höhe von (festgesetzten) Zahlungsansprüchen oder anzurechnende Zahlungen verbindlich entschieden werden soll (BFH-Urteile vom 14.11.1984 - I R 232/80, BFHE 142, 408, BStBl II 1985, 216, 218, und vom 16.10.1986 - VII R 159/83, BFHE 148, 4, BStBl II 1987, 405, 407; Klein/Rüsken, AO, 15. Aufl., § 218 Rz 10). Bei der mit dem Einkommensteuerbescheid vom 21.04.2017 und dessen Anlage erfolgten Abrechnung handelt es sich jedoch lediglich um die (kassentechnische) Abrechnung im Zusammenhang mit der Steuerfestsetzung, der anzurechnenden Steuerabzugsbeträge und zur Verteilung des Erstattungsanspruchs auf den Insolvenzschuldner und dessen Ehefrau. Diese stellen im Rechtssinne keinen Abrechnungsbescheid in Bezug auf den von der Klägerin geltend gemachten, streitigen Erstattungsanspruch dar. Aus verfahrensrechtlicher Sicht genießt der Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 AO Vorrang gegenüber der (schlichten) Anrechnungsverfügung (BFH-Urteil vom 28.04.1993 - I R 123/91, BFHE 170, 573, BStBl II 1994, 147, m.w.N.). Eine verbindliche Entscheidung über die anzurechnenden Beträge kann nicht im Anrechnungs-, sondern nur im Abrechnungsverfahren gemäß § 218 Abs. 2 AO erfolgen (BFH-Beschluss vom 17.09.1998 - I B 2/98, BFH/NV 1999, 440).
cc) Revisionsrechtlich unbedenklich hat das FG auch das Schreiben der Klägerin vom 08.05.2017 als Untätigkeitseinspruch (§ 347 Abs. 1 Satz 2 AO) gewürdigt. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin ihre Eingabe dort als "Untätigkeitsbeschwerde" bezeichnet hat. Die Klägerin beschwerte sich in dem an den Vorsteher des FA gerichteten Schreiben darüber, dass der Sachbearbeiter des FA trotz mehrfacher Mahnungen die Auszahlung des der Klägerin ihrer Meinung nach als Treuhänderin im Rahmen der Nachtragsverteilung zustehenden Steuererstattungsanspruchs grundlos verweigere und weder auf Zahlungsaufforderungen noch auf Schreiben der Klägerin reagiere.
Dieses Vorbringen konnte das FG dahin würdigen, dass die Klägerin i.S. von § 347 Abs. 1 Satz 2 AO geltend machte, das FA habe über ihren (sinngemäß) gestellten Antrag auf Erlass des Abrechnungsbescheids ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes innerhalb angemessener Frist sachlich nicht entschieden. Diese Auslegung des Schreibens durch das FG ist jedenfalls möglich, sie verstößt nicht gegen gesetzliche Auslegungsregeln oder gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze, so dass sie den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindet.
Dem vom FG gefundenen Auslegungsergebnis steht es insbesondere nicht entgegen, dass die Klägerin mit ihrem Schreiben auch oder sogar in erster Linie eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Sachbearbeiter des FA erhoben hat. Denn es ist ohne weiteres zulässig, mit einem Schreiben mehrere und unterschiedliche förmliche und nicht förmliche Rechtsbehelfe zu erheben. Das FA konnte dem Schreiben der Klägerin vom 08.05.2017 aus seinem Empfängerhorizont entnehmen, dass es der Klägerin nicht lediglich darum ging, sich über den Sachbearbeiter zu beschweren, sondern ebenfalls darum, die von ihr seit langem geforderte Zahlung zu erhalten. Das FA konnte aus dem Schreiben angesichts der über das Bestehen des Zahlungsanspruchs seit langem bestehenden Streitigkeiten mithin auch erkennen, dass sich die Klägerin ebenfalls dagegen wandte, dass das FA trotz entsprechender Aufforderungen noch immer keinen Abrechnungsbescheid erlassen hatte. Dem FA musste klar sein, dass es über das Bestehen des streitigen Erstattungsanspruchs durch Erlass eines Abrechnungsbescheids i.S. von § 218 Abs. 2 AO zu entscheiden hatte und nicht lediglich durch den Abrechnungsteil des Einkommensteuerbescheids vom 21.04.2017 nebst Anlage. Aus diesem Grund kann auch nicht angenommen werden, durch das Schreiben des FA vom 16.05.2017, mit dem die Untätigkeitsbeschwerde zurückgewiesen wurde, sei auch über den Untätigkeitseinspruch in dem Sinne entschieden worden, dass der Erlass eines Abrechnungsbescheids abgelehnt werde.
dd) Der Umstand, dass die Klägerin den Untätigkeitseinspruch bereits mit Schreiben vom 08.05.2017 erhoben hat, steht der Zulässigkeit nicht entgegen. Selbst wenn die Klägerin den Untätigkeitseinspruch zu früh erhoben haben sollte, wurde die ursprünglich bestehende Unzulässigkeit geheilt, weil das FA auch in der Folgezeit innerhalb angemessener Frist über den Einspruch nicht entschieden hat.
Damit war im Streitfall die für das vorliegende Verpflichtungsbegehren der Klägerin erforderliche sog. doppelte Untätigkeit der Finanzbehörde gegeben.
b) Das FG hat die Untätigkeitsklage zu Recht auch nicht deshalb als unzulässig abgewiesen, weil sie von der Klägerin bereits am 04.08.2017 und damit grundsätzlich verfrüht vor Ablauf von sechs Monaten seit Einlegung des außergerichtlichen Rechtsbehelfs erhoben wurde (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FGO).
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH stellen die in § 46 Abs. 1 FGO angeführten Tatbestandsvoraussetzungen keine Zugangsvoraussetzungen mit der Folge dar, dass bei ihrem Nichtvorliegen von einer unheilbar unzulässigen Klage auszugehen ist; vielmehr handelt es sich hierbei um Sachentscheidungsvoraussetzungen, die erst im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung erfüllt sein müssen. Demzufolge hat der BFH in ständiger Rechtsprechung angenommen, auch eine Untätigkeitsklage könne in die Zulässigkeit hineinwachsen (s. z.B. Senatsbeschluss vom 07.03.2006 - VI B 78/04, BFHE 211, 433, BStBl II 2006, 430). Hiervon ist das FG im Streitfall zu Recht ausgegangen. Denn im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem FG lagen mangels eines in angemessener Frist abgeschlossenen Vorverfahrens die Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 FGO vor.
c) Die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Untätigkeitsklage waren ebenfalls gegeben. Insbesondere war die Klägerin klagebefugt; sie verfügte auch über ein Rechtsschutzinteresse. Insoweit verweist der Senat ergänzend auf seine Ausführungen unter II.A.1. der Gründe.
2. Das FG hat die Untätigkeitsklage auch zu Recht als begründet angesehen und das FA zum Erlass des von der Klägerin begehrten Abrechnungsbescheids verpflichtet.
a) Nach § 218 Abs. 2 AO entscheidet die Finanzbehörde über Streitigkeiten durch Verwaltungsakt, die die Verwirklichung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) betreffen. Im Abrechnungsverfahren ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH auf die formelle Bescheidlage und nicht auf die materielle Rechtslage abzustellen (BFH-Urteile vom 23.08.2001 - VII R 94/99, BFHE 196, 18, BStBl II 2002, 330; vom 30.03.2010 - VII R 17/09, und vom 23.10.2018 - VII R 13/17, BFHE 262, 326, BStBl II 2019, 126, Rz 17, m.w.N.). Für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheids sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (Einspruchsentscheidung) maßgebend (ebenfalls ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile vom 21.11.2006 - VII R 68/05, BFHE 215, 70, BStBl II 2007, 291, m.w.N., und in BFHE 262, 326, BStBl II 2019, 126, Rz 18). Hat das FA ‑‑wie im Streitfall‑‑ über den Antrag auf Erlass eines Abrechnungsbescheids nicht entschieden, kommt es auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz oder ‑‑wenn eine solche nicht stattgefunden hat‑‑ auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung des FG an.
b) Im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem FG stand der Klägerin nach der formellen Bescheidlage ein Zahlungsanspruch in Höhe von 135,19 € zu.
aa) Die Klägerin hatte ‑‑wie sich auch aus dem Urteil des VII. Senats vom 20.09.2016 - VII R 10/15, Rz 32 ergibt‑‑ aufgrund der Einkommensteuerfestsetzung gegenüber dem Insolvenzschuldner vom 13.12.2010 einen Erstattungsanspruch in Höhe von 349,01 €. Dieser setzte sich aus 188,53 € Einkommensteuer, 60,86 € Solidaritätszuschlag und 99,62 € Kirchensteuer zusammen.
Diese formelle Bescheidlage hat sich durch den Einkommensteuerbescheid vom 21.04.2017 nicht geändert. Denn die Festsetzung der Einkommensteuer konnte ‑‑wie oben ausgeführt‑‑ nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Insolvenzschuldners nur ihm gegenüber, nicht aber gegenüber der Klägerin, wirksam vorgenommen werden. Der unwirksame Einkommensteuerbescheid vom 21.04.2017 ist für den Abrechnungsbescheid, dessen Erlass die Klägerin im Streitfall begehrt, daher nicht maßgeblich.
bb) Das FA hat nach den tatsächlichen, den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG an die Klägerin im Jahr 2017 69,67 € Einkommensteuer, 54,66 € Solidaritätszuschlag und 89,49 € Kirchensteuer des Insolvenzschuldners erstattet. Der hiernach noch nicht durch Zahlung erfüllte Erstattungsanspruch belief sich auf 135,19 € (118,86 € Einkommensteuer, 6,20 € Solidaritätszuschlag, 10,13 € Kirchensteuer).
cc) Im Ergebnis zu Recht hat das FG ferner entschieden, dass das FA gegen den vorgenannten Erstattungsanspruch der Klägerin nicht mit einem Anspruch auf Rückforderung der an die Klägerin gezahlten Erstattungszinsen aufrechnen konnte.
Der von der Klägerin geltend gemachte Erstattungsanspruch ist nicht nach § 47 AO in Höhe von 21,07 € erloschen. Denn das FA konnte gegen diesen Anspruch mangels Gegenseitigkeit von Forderung und Gegenforderung nicht gemäß § 226 Abs. 1 AO i.V.m. §§ 387 ff. BGB mit dem Anspruch auf Rückforderung der Erstattungszinsen aufrechnen.
Das FA hat mit dem Bescheid vom 21.04.2017 gegenüber der Klägerin als Treuhänderin über das Vermögen des Insolvenzschuldners auch Erstattungszinsen zur Einkommensteuer festgesetzt, die zu 21,07 € auf den Insolvenzschuldner entfielen. Die Festsetzung der Erstattungszinsen gegenüber der Klägerin als Treuhänderin war jedoch unwirksam. Das AG hatte die Nachtragsverteilung nur hinsichtlich "etwaiger ... Steuererstattungsansprüche" angeordnet. Weder bei der Festsetzung von Erstattungszinsen gemäß § 233a AO noch bei deren Zahlung handelt es sich um einen Steuererstattungsanspruch, der von der durch das AG angeordneten Nachtragsverteilung erfasst wird.
Das FA kann die an die Klägerin (zu Unrecht) ausgezahlten Erstattungszinsen daher nicht von ihr als Treuhänderin im Rahmen der Nachtragsverteilung zurückverlangen. Der den Insolvenzgläubigern aufgrund der Nachtragsverteilung zustehende Steuererstattungsanspruch wird weder durch einen Anspruch auf Erstattungszinsen erhöht noch können zu Unrecht an die Klägerin ausgezahlte Erstattungszinsen den Anspruch der Insolvenzgläubiger mindern. Der Steuererstattungsanspruch steht der Klägerin nicht als eigene Forderung, sondern lediglich als Treuhänderin zu.
Die vom FA ausgezahlten Erstattungszinsen konnte die Klägerin hingegen nicht als Treuhänderin über das Vermögen des Insolvenzschuldners im Rahmen der Nachtragsverteilung vereinnahmen. Dies gilt unabhängig davon, dass das FA die Erstattungszinsen an die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Treuhänderin gezahlt hat. Denn die unrichtige Vorstellung des FA vom Umfang der von der Klägerin als Treuhänderin im Rahmen der Nachtragsverteilung zu verwaltenden Insolvenzmasse macht einen tatsächlich nicht zur Insolvenzmasse gehörenden Anspruch nicht zum Gegenstand der Insolvenzmasse. Die Entgegennahme der Erstattungszinsen für den (vormaligen) Insolvenzschuldner war indessen nicht von der beschränkten Wirkung der durch das AG angeordneten Nachtragsverteilung erfasst. Bei den Erstattungszinsen handelte es sich nicht ‑‑wie bereits dargelegt ‑‑ um einen Steuererstattungsanspruch, sondern um eine steuerliche Nebenleistung.
Das FA kann die an die Klägerin zu Unrecht ausgezahlten Erstattungszinsen daher nur von der Klägerin persönlich, aber nicht in ihrer Eigenschaft als Treuhänderin zurückfordern. Insoweit bestehen bei der Klägerin unterschiedliche Vermögensbereiche. Die von der Klägerin im Rahmen der Nachtragsverteilung vereinnahmten Steuererstattungsansprüche unterliegen dem Insolvenzbeschlag und einer besonderen treuhänderischen Zweckbindung. Durch sie sollen die Forderungen der Insolvenzgläubiger gegen den Insolvenzschuldner befriedigt werden. Dies gilt aber nicht für Leistungen, die die Klägerin ‑‑wie die Erstattungszinsen im Streitfall‑‑ außerhalb ihrer Stellung als Treuhänderin bezogen hat. Es wäre mit dem Ziel der Nachtragsverteilung, eine (weitere) Befriedigung der Insolvenzgläubiger zu erreichen, unvereinbar, falls die Insolvenzmasse durch die Aufrechnung mit Forderungen vermindert werden könnte, die die Klägerin außerhalb ihrer Stellung als Treuhänderin schuldig geworden ist. Auch zivilrechtlich kann bei offener Treuhand mit Forderungen gegen den Treuhänder nicht aufgerechnet werden (Palandt/Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Aufl., § 387 Rz 6, m.w.N.).
C. Der von der Klägerin erhobenen Leistungsklage hat das FG jedoch zu Unrecht stattgegeben. Der Klägerin fehlt insoweit das Rechtsschutzbedürfnis.
Da die Finanzämter der Verpflichtung zur Zahlung durch Abrechnungsbescheid festgestellter Erstattungsansprüche im Allgemeinen von sich aus nachkommen, muss klägerseits dargelegt werden, dass die Finanzbehörde im konkreten Streitfall der sich aus dem Abrechnungsbescheid ergebenden Zahlungsverpflichtung nicht nachkommen werde (s. BFH-Entscheidungen vom 16.07.1980 - VII R 24/77, BFHE 131, 158, BStBl II 1980, 632, und vom 13.07.1989 - IV B 44/88, BFH/NV 1990, 247).
Im vorliegenden Fall fehlt es an diesbezüglichem Vorbringen der Klägerin. Es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass das FA den Zahlungsanspruch über 135,19 €, den es nunmehr verpflichtet ist, durch Abrechnungsbescheid festzustellen, nicht erfüllen wird. Das FG und der BFH hatten das FA in den Verfahren 3 K 769/11 und VII R 10/15 bislang nicht verpflichtet, einen Abrechnungsbescheid zu erlassen, der eine Zahlungspflicht auslöste. Der Umstand, dass das FA nach Abschluss des Revisionsverfahrens VII R 10/15 den Betrag von 349,01 € nicht an die Klägerin auszahlte, sondern den Einkommensteuerbescheid vom 21.04.2017 erließ, spricht ebenfalls nicht gegen die grundsätzliche Bereitschaft des FA, zugunsten der Klägerin festgestellte Zahlungsansprüche zu erfüllen. Vielmehr hat das FA nach Ergehen dieses Bescheids die sich daraus ergebenden Zahlungen an die Klägerin ohne weiteres geleistet.
Der Umstand, dass das FA mit dem (unwirksamen) Einkommensteuerbescheid vom 21.04.2017 versucht hatte, die seines Erachtens materiell-rechtlich zutreffende Einkommensteuer festzusetzen, spricht ebenfalls nicht gegen die Bereitschaft des FA, Zahlungsansprüche der Klägerin auch ohne ein diesbezügliches Leistungsurteil zu erfüllen.
D. Der Senat hat die vom FA erhobenen Verfahrensrügen geprüft. Er erachtet sie jedoch nicht für durchgreifend und sieht insoweit von einer weiteren Begründung ab (§ 126 Abs. 6 FGO).
E. Die Kosten des gesamten Verfahrens haben das FA zu 80 % und die Klägerin zu 20 % zu tragen (§ 136 Abs. 1 FGO). Die von der Klägerin zu tragenden Gerichtskosten werden gemäß § 21 des Gerichtskostengesetzes nicht erhoben.