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Urteil vom 27. Oktober 2020, VIII R 30/17

Änderung der (Teil-)Einspruchsentscheidung durch Antrag nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO; Aufteilung der Finanzierungskosten bei einer Sicherheits-Kompakt-Rente

ECLI:DE:BFH:2020:U.271020.VIIIR30.17.0

BFH VIII. Senat

AO § 172 Abs 1 S 1 Nr 2 Buchst a, AO § 351 Abs 1, EStG § 9 Abs 1 S 2, EStG § 9 Abs 1 S 3 Nr 1, EStG § 20 Abs 1 Nr 6, EStG § 20 Abs 9, EStG § 22 Nr 1, AO § 172 Abs 1 S 3 Halbs 1, EStG VZ 2009 , EStG VZ 2010 , EStG VZ 2011 , AO § 348 Nr 1

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 21. Juni 2017, Az: 5 K 11174/15

Leitsätze

1. Ein nach Ergehen der (Teil-)Einspruchsentscheidung und innerhalb der Klagefrist gestellter Antrag auf schlichte Änderung gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, Satz 2 und Satz 3 Halbsatz 1 AO ist auch dann zulässig, wenn mit ihm lediglich die erneute Überprüfung einer Rechtsfrage begehrt wird, über die in der Einspruchsentscheidung bereits entschieden worden ist (Abkehr vom BFH-Beschluss vom 05.02.2010 - VIII B 139/08, BFH/NV 2010, 831).

2. Die Finanzierungskosten für den Erwerb einer Sicherheits-Kompakt-Rente, die den Abschluss einer Rentenversicherung als Versorgungskomponente und einer Lebensversicherung als Tilgungskomponente zum Gegenstand hat, sind auch nach der Einführung des Werbungskostenabzugsverbots nach § 20 Abs. 9 EStG zum 01.01.2009 aufzuteilen in Werbungskosten, die anteilig den Einkünften aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 EStG und den sonstigen Einkünften i.S. des § 22 EStG zuzuordnen sind (Anschluss an BFH-Urteil vom 11.12.2018 - VIII R 7/15, BFHE 263, 216, BStBl II 2019, 231).

Tenor

Auf die Revision der Kläger und die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 22.06.2017 - 5 K 11174/15 aufgehoben.

Die Sache wird an das Finanzgericht Berlin-Brandenburg zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

  1. Die Kläger, Revisionsbeklagten und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die in den Streitjahren 2009 bis 2011 gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt werden. In den Jahren 1998 bis 2000 schlossen sie Verträge über sog. Sicherheits-Kompakt-Renten (SKR) ab. Hierbei handelte es sich um Sofortrentenversicherungen, die gegen Leistung von Einmalzahlungen abgeschlossen wurden. Gleichzeitig wurden vier Tilgungsversicherungen gegen Einmalzahlung abgeschlossen, deren Ablaufleistungen bei Fälligkeit zur Rückzahlung der Darlehen verwendet werden sollten. Bei den Tilgungsversicherungen handelte es sich um Lebensversicherungen, die als Versicherungsfall den Tod der Kläger bestimmten. Die Einmalzahlungen wurden zum Teil über Darlehen und zu einem geringeren Teil über Eigenkapital der Kläger finanziert. Die Tilgung der Darlehen wurde bei Vertragsschluss ausgesetzt und sollte durch die Schlusszahlungen aus den Lebensversicherungen erfolgen. Die Darlehenszinsen sollten aus den Renten bezahlt werden. Zur Sicherheit traten die Kläger ihre Zahlungsansprüche aus den Renten- und den Lebensversicherungen an die darlehensgebenden Banken ab. Nach Tilgung der Darlehen sollten die Renten den Klägern frei zur Verfügung stehen.

  2. Bis einschließlich des Veranlagungszeitraums 2008 wurden bei der Einkommensteuerveranlagung antragsgemäß die Zinsaufwendungen für die Darlehen aufgeteilt und jeweils anteilig als Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften i.S. des § 22 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und bei den Einkünften aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 EStG berücksichtigt. Die Aufteilung richtete sich danach, inwieweit die Darlehen zur Finanzierung der jeweiligen Einmalzahlung verwendet worden waren.

  3. In den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre erklärten die Kläger die gesamten Zinsaufwendungen für die Finanzierung der SKR als Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften i.S. des § 22 EStG (für 2009 in Höhe von 63.561 €, für 2010 in Höhe von 40.584 €, für 2011 in Höhe von 42.744 €). Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) folgte dem nicht und legte in den Steuerbescheiden für die Streitjahre die geltend gemachten Finanzierungsaufwendungen ‑‑entsprechend dem Aufteilungsverhältnis der Vorjahre‑‑ lediglich anteilig als Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften i.S. des § 22 EStG zu Grunde (für 2009 in Höhe von 19.956 €, für 2010 in Höhe von 13.196 €, für 2011 in Höhe von 17.331 €).

  4. Das FA wies den gegen den Einkommensteuerbescheid für 2009 erhobenen Einspruch der Kläger gegen die nicht vollständige Berücksichtigung der Finanzierungsaufwendungen für die SKR als Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften i.S. des § 22 EStG mit Teil-Einspruchsentscheidung vom 14.01.2015 zurück. Zur Begründung führte es aus, dass die Werbungskosten zur Finanzierung der SKR auch nach Einführung der Abgeltungsteuer zum 01.01.2009 prozentual auf die Einkünfte i.S. der §§ 20 und 22 EStG aufzuteilen seien. Die steuerliche Berücksichtigung der Aufwendungen, die danach auf die Finanzierung der Lebensversicherung entfielen, war nach Auffassung des FA aufgrund des Werbungskostenabzugsverbots gemäß § 20 Abs. 9 EStG ausgeschlossen.

  5. Die Kläger beantragten mit Schreiben vom 29.01.2015 die Teil-Einspruchsentscheidung gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung (AO) dahingehend zu ändern, dass die Finanzierungskosten der Tilgungsversicherung vollständig als Werbungskosten bei den Renteneinkünften i.S. des § 22 EStG im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung für 2009 berücksichtigt werden. Sie machten des Weiteren geltend, dass Steuerberatungskosten in Höhe von 603,33 € für die Erstellung der Anlage SO als Werbungskosten bei den Renteneinkünften i.S. des § 22 EStG zu berücksichtigen seien.

  6. Das FA erließ am 26.03.2015 einen Einkommensteueränderungsbescheid für 2009, in dem es die geltend gemachten Steuerberatungskosten in Höhe von 603,33 € als Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften i.S. des § 22 EStG anerkannte. Es erließ am 26.03.2015 einen weiteren Bescheid, worin es den Antrag der Kläger auf Änderung der Teil-Einspruchsentscheidung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO ablehnte. Das FA begründete dies damit, dass Tatsachen und Rechtsfragen, über die ‑‑wie im vorliegenden Fall‑‑ bereits in der Teil-Einspruchsentscheidung entschieden worden sei, nicht in einem Änderungsverfahren nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO erneut überprüft werden könnten. Der am 27.04.2015 eingelegte Einspruch wurde vom FA mit Einspruchsentscheidung vom 25.06.2015 als unbegründet zurückgewiesen.

  7. Mit Teil-Einspruchsentscheidungen jeweils vom 25.08.2015 lehnte das FA die Einsprüche gegen die Steuerbescheide für die Jahre 2010 und 2011, mit denen die Kläger den vollständigen Werbungskostenabzug der Finanzierungskosten für die SKR bei den sonstigen Einkünften i.S. des § 22 EStG begehrten, ab.

  8. Das Finanzgericht (FG) hat die hiergegen erhobene Klage für das Streitjahr 2009 abgewiesen und der Klage für die Streitjahre 2010 und 2011 stattgegeben (Entscheidungen der Finanzgerichte ‑‑EFG‑‑ 2017, 1404).

  9. Mit ihrer Revision gegen das FG-Urteil für das Streitjahr 2009 rügen die Kläger die Verletzung des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO. Der eindeutige Wortlaut des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, Satz 2 und Satz 3 Halbsatz 1 AO lasse einen Änderungsantrag auch nach dem Ergehen einer (Teil-) Einspruchsentscheidung zu. Eine teleologische Reduktion der Korrekturvorschrift, die ihre Anwendung auf Einspruchsentscheidungen ausschließe, sei unzulässig. Mit seiner Auslegung habe das FG die Grenze des Wortlauts überschritten und Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes verletzt.

  10. Die Kläger beantragen sinngemäß,
    das Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 22.06.2017 - 5 K 11174/15 für das Streitjahr 2009 sowie den Ablehnungsbescheid vom 26.03.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25.06.2015 aufzuheben und den Einkommensteueränderungsbescheid vom 26.03.2015 dahingehend zu ändern, dass bei den sonstigen Einkünften gemäß § 22 EStG weitere Werbungskosten in Höhe von 43.001 € berücksichtigt werden.

  11. Das FA beantragt,
    die Revision der Kläger als unbegründet zurückzuweisen.

  12. Es hält an seiner Auffassung fest, dass ein Antrag nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO nicht zu einer inhaltlichen Überprüfung der Teil-Einspruchsentscheidung für 2009 führen könne und daher unzulässig sei. Es verweist diesbezüglich auf den Senatsbeschluss vom 05.02.2010 - VIII B 139/08 (BFH/NV 2010, 831).

  13. Das FA rügt mit seiner für die Streitjahre 2010 und 2011 eingelegten Revision die Verletzung des § 9 Abs. 1 Satz 2 EStG. Die Zinsaufwendungen für die Darlehen, die zur Finanzierung der SKR aufgenommen wurden, seien auch nach der Einführung der Abgeltungsteuer im Jahr 2009 entsprechend ihres Veranlassungszusammenhangs aufzuteilen und danach nicht in voller Höhe bei den sonstigen Einkünften i.S. des § 22 EStG zu berücksichtigen.

  14. Das FA beantragt,
    das Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 22.06.2017 - 5 K 11174/15 insoweit aufzuheben, als das FG der Klage für die Streitjahre 2010 und 2011 stattgegeben hat und die Klage abzuweisen.

  15. Die Kläger beantragen,
    die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen.

  16. Auf die Revision des FA entgegnen die Kläger, dass die Grundsätze des Senatsurteils vom 11.12.2018 - VIII R 7/15 (BFHE 263, 216, BStBl II 2019, 231) auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar seien. Die Kläger hätten den Lebensversicherungsvertrag gegen Einmalbetrag ohne den Rentenversicherungsvertrag nicht abgeschlossen. Der Abschluss der Lebensversicherung habe nicht dazu gedient, zusätzliche Kapitalerträge zur freien Verfügung zu erzielen. Vielmehr sei ohne den Überschuss aus der Rentenversicherung das Darlehen für die Lebensversicherung nicht zu finanzieren gewesen. Da die Lebensversicherung zur Tilgung an die Bank abgetreten worden sei, bestehe eine dominierende Verbindung zur Rentenversicherung. Erst ab der Tilgung und der Abtretung der Versicherungsverträge löse sich der Zusammenhang mit der Rentenversicherung auf. Aus diesem Grund seien die Finanzierungskosten für die SKR in voller Höhe als Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften i.S. des § 22 EStG zu berücksichtigen.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision der Kläger ist begründet. Das FG-Urteil ist für das Streitjahr 2009 aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).

  2. Das Urteil ist bereits aus formellen Gründen aufzuheben (s. unter 1.). Mangels tatsächlicher Feststellungen des FG kann der Senat nicht darüber entscheiden, ob die Steuerfestsetzung für 2009 vom 26.03.2015 aufgrund des Einspruchs vom 27.04.2015 nach § 351 Abs. 1 Halbsatz 2 i.V.m. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO zu ändern ist (s. unter 2.).

  3. 1. Das Urteil ist für das Streitjahr 2009 bereits aus formellen Gründen aufzuheben, da das FG über die Änderung eines nicht mehr existenten Bescheids entschieden hat. Hierin liegt ein Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens, so dass das Urteil insoweit keinen Bestand haben kann und aufgehoben werden muss (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 16.05.2013 - IV R 15/10, BFHE 241, 323, BStBl II 2013, 858, Rz 21).

  4. a) Das FG hat in seinem Urteil ausweislich des Klageantrags über die Ablehnung der Änderung des Einkommensteuerbescheids für 2009 vom 10.11.2011 in Gestalt der Teil-Einspruchsentscheidung vom 14.01.2015 entschieden. Diese Einkommensteuerfestsetzung ist jedoch durch den Einkommensteuerbescheid vom 26.03.2015 geändert worden. Ergeht ein Änderungsbescheid, so bildet dieser die alleinige Grundlage für die Erhebung der Steuer. Danach hat das FG für das Streitjahr 2009 über die Änderung eines Bescheids entschieden, der keine Rechtswirkung mehr hat.

  5. b) Daraus folgt zwar noch nicht, dass das Verfahren zwingend an das FG zurückzuverweisen ist. Im Hinblick auf den Normzweck des § 68 FGO, das Verfahren aus prozessökonomischen Gründen fortzusetzen, reicht nach ständiger Rechtsprechung des BFH die Richtigstellung in der Rechtsmittelentscheidung unter bestimmten Voraussetzungen aus. Kann das Verfahren aber nicht fortgesetzt werden, weil der BFH mangels Spruchreife nicht abschließend entscheiden kann, kommt eine Richtigstellung durch das Revisionsgericht nicht in Betracht. Es bedarf dann auch keiner Prüfung, ob der unbeachtet gebliebene Änderungsbescheid die streitige Frage berührt und ob das FG bewusst über den früheren Bescheid entschieden hat (BFH-Urteil in BFHE 241, 323, BStBl II 2013, 858, Rz 22). Dies ist vorliegend der Fall.

  6. 2. Die Feststellungen des FG reichen nicht aus, um über die Klage entscheiden zu können. Gegenstand der Klage war bei rechtsschutzwahrender Auslegung der Einspruch vom 27.04.2015 gegen die Einkommensteuerfestsetzung für 2009 vom 26.03.2015 (s. unter a). Der Senat kann infolge der fehlenden Feststellungen des FG nicht darüber entscheiden, ob aufgrund des Einspruchs eine Änderung des Einkommensteuerbescheids für 2009 vom 26.03.2015 nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a i.V.m. § 351 Abs. 1 Halbsatz 2 AO möglich ist (s. unter b).

  7. a) Gegenstand des Klageverfahrens war der Einkommensteueränderungsbescheid für 2009 vom 26.03.2015, welcher bei rechtsschutzwahrender Auslegung mit dem Einspruch vom 27.04.2015 angefochten wurde.

  8. aa) Der Änderungsantrag der Kläger vom 29.01.2015 auf Überprüfung der Teil-Einspruchsentscheidung vom 14.01.2015 nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO hat sich durch den Erlass des Einkommensteueränderungsbescheids für 2009 vom 26.03.2015 erledigt. Da es für das Korrekturverfahren keine dem § 365 Abs. 3 AO entsprechende Vorschrift gibt, wurde der Änderungsbescheid vom 26.03.2015 nicht zum Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Änderungsverfahrens (BFH-Urteil vom 07.11.2006 - VI R 14/05, BFHE 215, 61, BStBl II 2007, 236, Rz 19).

  9. bb) Das FA hat jedoch durch den gleichzeitig erlassenen Ablehnungsbescheid vom 26.03.2015 den Rechtsschein erweckt, als könne das Verfahren über den Antrag nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO vom 29.01.2015 durch Einspruch gegen den Ablehnungsbescheid fortgesetzt werden. Bei rechtsschutzwahrender Auslegung ist der Einspruch vom 27.04.2015 dahingehend zu verstehen, dass er sich gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid für 2009 vom 26.03.2015 richtete. Denn entspricht ein außerhalb eines Einspruchsverfahrens ergangener Steuerbescheid nicht dem Änderungsantrag des Steuerpflichtigen, so muss gegen diesen Einspruch eingelegt werden.

  10. b) Diesen Einspruch hat das FA mit Einspruchsentscheidung vom 25.06.2015 zurückgewiesen. Da in der Begründung der Einspruchsentscheidung ausgeführt wurde, dass sich der Einspruch vom 27.04.2015 dagegen richtete, dass in dem geänderten Einkommensteuerbescheid vom 26.03.2015 dem Antrag gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO nicht vollständig stattgegeben wurde, hat das FA den bei rechtsschutzwahrender Auslegung gegen den Änderungsbescheid für 2009 vom 26.03.2015 erhobenen Einspruch mit der Einspruchsentscheidung konkludent zurückgewiesen.

  11. c) Ob die Voraussetzungen für eine Änderung des Einkommensteuerbescheids vom 26.03.2015 aufgrund des Einspruchs vom 27.04.2015 nach § 351 Abs. 1 Halbsatz 2 AO gegeben sind, kann der Senat aufgrund der fehlenden Feststellungen des FG nicht entscheiden.

  12. aa) Da mit dem Einkommensteueränderungsbescheid für 2009 vom 26.03.2015 der unanfechtbare Einkommensteuerbescheid für 2009 vom 10.11.2011 in Gestalt der Teil-Einspruchsentscheidung vom 14.01.2015 geändert und die Festsetzung herabgesetzt wurde, setzt eine weitere Änderung des Bescheids zu Gunsten der Kläger im Einspruchsverfahren nach § 351 Abs. 1 Halbsatz 2 AO voraus, dass die Voraussetzungen einer Korrekturvorschrift vorliegen.

  13. bb) Entgegen der Auffassung des FG und des FA scheidet eine Korrektur nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO nicht schon deshalb aus, weil über das Begehren der Kläger in der Teil-Einspruchsentscheidung vom 14.01.2015 bereits entschieden wurde. Zwar hat sich in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung eine überwiegende Ansicht dahingehend gebildet, dass aufgrund einer teleologischen Reduktion der Vorschrift ein Änderungsantrag nach Ergehen der Einspruchsentscheidung unzulässig ist, wenn mit ihm lediglich die Überprüfung der vom Finanzamt der Einspruchsentscheidung zu Grunde gelegten Rechtsauffassung begehrt wird und keine neuen Tatsachen vorgetragen werden (Urteil des FG Köln vom 11.06.2008 - 4 K 3560/07, EFG 2009, 1432; Urteil des Sächsischen FG vom 06.06.2012 - 8 K 1738/06, juris; Urteile des FG Berlin-Brandenburg vom 01.07.2015 - 7 K 7245/12, EFG 2015, 1587, und vom 26.11.2019 - 5 K 5012/19, EFG 2020, 885, Revision eingelegt, Az. des BFH: III R 5/20; Urteil des FG Münster vom 19.10.2017 - 5 K 3971/14 U, EFG 2017, 1865; offen gelassen im Senatsbeschluss vom 30.11.2010 - VIII B 3/10, BFH/NV 2011, 432; im BFH-Urteil vom 19.05.2020 - X R 22/19, BFH/NV 2020, 1241, Rz 23, und im BFH-Urteil vom 22.05.2019 - XI R 17/18, BFHE 264, 399, BStBl II 2019, 647, Rz 39). Soweit der Senat diese Auffassung in dem Senatsbeschluss in BFH/NV 2010, 831 vertreten hat, hält er daran nicht mehr fest (s.a. BFH-Urteil vom 09.09.2020 - III R 2/19, juris).

  14. cc) Die teleologische Reduktion einer Norm kommt grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Auslegung der Vorschrift nach dem Wortlaut zu einem sinnwidrigen Ergebnis führen würde (vgl. z.B. Senatsurteil vom 12.06.2018 - VIII R 14/15, BFHE 262, 66, BStBl II 2018, 755, m.w.N.). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Überprüfung von Tat- und Rechtsfragen, über die in einer (Teil-)Einspruchsentscheidung bereits entschieden wurde, mittels eines Änderungsantrags nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO ist nicht sinnwidrig und entspricht der ausdrücklichen Anordnung des Gesetzgebers. Dies gilt auch dann, wenn es nach § 351 Abs. 1 Halbsatz 2 AO auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO bei der Anfechtung eines Änderungsbescheids ankommt.

  15. aaa) Gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO darf ein Steuerbescheid, soweit er nicht vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn er andere Steuern als Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben nach Art. 5 Nrn. 20 und 21 des Zollkodex der Union oder Verbrauchsteuern betrifft, soweit der Steuerpflichtige zustimmt oder seinem Antrag der Sache nach entsprochen wird; dies gilt jedoch zugunsten des Steuerpflichtigen nur, soweit er vor Ablauf der Einspruchsfrist zugestimmt oder den Antrag gestellt hat oder soweit die Finanzbehörde einem Einspruch oder einer Klage abhilft. Nach § 172 Abs. 1 Satz 2 AO ist die Korrekturvorschrift auch dann anwendbar, wenn der Steuerbescheid durch Einspruchsentscheidung bestätigt oder geändert worden ist. In diesen Fällen muss der Steuerpflichtige vor Ablauf der Klagefrist zustimmen oder den Antrag stellen (§ 172 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 1 AO). Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift erfolgt die Korrektur nach § 172 Abs. 1 Satz 1 AO somit auch dann, wenn der Steuerbescheid durch eine (Teil-)Einspruchsentscheidung bestätigt oder geändert worden ist. Das Gesetz sieht, neben der Stellung des Antrags innerhalb der Klagefrist, welche vorliegend gewahrt ist, keine weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen für den schlichten Änderungsantrag vor.

  16. bbb) Aus dem Willen des Gesetzgebers ergibt sich keine einschränkende Auslegung der Norm. Zwar hatte der Gesetzgeber bei der Einführung des § 172 Abs. 1 Satz 3 AO konkrete Sachverhalte vor Augen, die erfasst werden sollten (BTDrucks 14/1514, S. 47). Insbesondere in Schätzungsfällen, in denen die Steuererklärung erst nach Ergehen der Einspruchsentscheidung eingereicht wird, sollte der Antrag auf schlichte Änderung nach Erlass der Einspruchsentscheidung dazu führen, die FG zu entlasten. Mit der Verwendung des Worts "insbesondere" bringt der Gesetzgeber jedoch zum Ausdruck, dass neben dem in der Gesetzesbegründung genannten Beispiel auch andere Anwendungsfälle denkbar sind. Gegen eine Beschränkung der Norm auf den in der Gesetzesbegründung ausdrücklich genannten Fall spricht zudem, dass eine solche Beschränkung des Antragsrechts im Wortlaut der Norm keinen Niederschlag gefunden hat (so auch Kamps, Die Steuerberatung 2008, 429, unter II.4.b; Bleschick, EFG 2020, 885, unter II.2.b bb (4)).

  17. ccc) Auch aus dem systematischen Zusammenhang zu § 348 Nr. 1 AO ergibt sich keine Einschränkung der Zulässigkeit des Antrags auf schlichte Änderung nach einem durchgeführtem (Teil-)Einspruchsverfahren. Nach § 348 Nr. 1 AO ist gegen die Einspruchsentscheidung ein weiterer Einspruch nicht statthaft. Das Verwaltungsverfahren wird damit durch die Einspruchsentscheidung beendet. Eine Fortführung ist nur im Klageweg vor dem FG möglich (vgl. § 44 FGO). Der Antrag auf schlichte Änderung führt das Einspruchsverfahren jedoch nicht fort. Er eröffnet ein weiteres Verfahren, das sich grundsätzlich von dem bereits abgeschlossenen Einspruchsverfahren unterscheidet (so auch Bartone in Gosch, AO § 348 Rz 9). Dies ergibt sich zum einen daraus, dass aufgrund des Antrags auf schlichte Änderung der Eintritt der Bestandskraft des Bescheids nur punktuell und nicht wie beim Einspruch insgesamt verhindert wird. Aus diesem Grund kann aufgrund des Antrags auf schlichte Änderung keine Aussetzung der Vollziehung des Bescheids erfolgen (vgl. § 361 AO). Zum anderen ist bei Ablehnung des Antrags auf schlichte Änderung keine Anfechtungs-, sondern eine Verpflichtungsklage gegeben. Der Verfahrensgang unterscheidet sich somit deutlich von einer Fortführung des Einspruchsverfahrens.

  18. ddd) Die Zulassung des Änderungsantrags nach dem Erlass der Einspruchsentscheidung führt grundsätzlich auch nicht zu einer theoretisch unendlichen Verkettung von neuen Anträgen und behördlichen Entscheidungen (Bartone in Gosch, AO § 348 Rz 9; anderer Ansicht Geimer, Der AO-Steuer-Berater 2008, 144, 145; Urteil des FG Münster in EFG 2017, 1865, Rz 30). Es kann durch den Änderungsantrag maximal zu einer zweimaligen Befassung der Finanzbehörde mit derselben inhaltlichen Frage kommen. Wird der gegen eine Einspruchsentscheidung gerichtete Antrag auf schlichte Änderung abgelehnt, kann hiergegen zwar Einspruch eingelegt werden. Ein weiterer Änderungsantrag nach der Einspruchsentscheidung über den abgelehnten Antrag auf schlichte Änderung ist jedoch nicht möglich, da die Korrekturvorschriften der §§ 172 ff. AO nur auf Steuerbescheide und nicht auf sonstige Verwaltungsakte anwendbar sind.

  19. eee) Gegen eine einschränkende Auslegung von § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, Satz 2 und Satz 3 Halbsatz 1 AO spricht auch, dass die Einspruchsentscheidung nicht in erhöhter Bestandskraft erwächst (von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler ‑‑HHSp‑‑, § 172 AO Rz 241; von Wedelstädt in Gosch, AO § 172 Rz 201; Loose in Tipke/Kruse, § 172 AO Tz 46). Sie hat rechtlich keine andere Qualität als die Steuerfestsetzung (Frotscher in Schwarz/Pahlke, AO, § 172 Rz 101, m.w.N.) und muss daher ebenso abänderbar sein wie der ursprüngliche Verwaltungsakt.

  20. dd) Danach liegen die Voraussetzungen für eine teleologische Reduktion nicht vor. Es widerspräche dem klaren Wortlaut und der Konzeption der AO, die Anwendung des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO nur im Falle des Vorbringens von neuem Rechts- oder Tatsachenvortrag, der noch nicht im Einspruchsverfahren überprüft wurde, anzuwenden. Dies müsste vom Gesetzgeber angeordnet werden. Dieser hat jedoch in § 172 Abs. 1 Satz 2 AO geregelt, dass § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO uneingeschränkt auch auf Einspruchsentscheidungen anwendbar ist und somit ebenfalls dann Anwendung findet, wenn der Rechts- und Tatsachenvortrag bereits in einem Einspruchsverfahren geprüft worden ist.

  21. d) Das FG wird im zweiten Rechtsgang zu prüfen haben, ob die Einkommensteuerfestsetzung für 2009 vom 26.03.2015 aufgrund des Einspruchs vom 27.04.2015 nach § 351 Abs. 1 AO zu ändern ist. Dies ist gemäß § 351 Abs. 1 Halbsatz 2 AO der Fall, wenn die Voraussetzungen für eine Korrektur nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO gegeben sind, da der Steuerbescheid hinsichtlich des in dem Antrag bezeichneten Punkts nicht der materiellen Rechtslage entspricht (vgl. BFH-Urteil vom 30.08.2001 - IV R 30/99, BFHE 196, 507, BStBl II 2002, 49, unter II.3. [Rz 20]; von Groll in HHSp, Vorbemerkungen zu §§ 172 bis 177 AO Rz 70). Im vorliegenden Fall hängt dies davon ab, ob die vom FA vorgenommene Aufteilung der Finanzierungskosten der SKR auf die Renteneinkünfte i.S. des § 22 EStG und die Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 EStG in den Streitjahren zutreffend ist, was das FG im zweiten Rechtsgang unter Beachtung der vorliegenden Entscheidung (s. unter III.1.) und des Senatsurteils in BFHE 263, 216, BStBl II 2019, 231 festzustellen hat. Aus diesem Grund wird die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen.

  22. 3. Da die Revision Erfolg hat, das FG-Urteil aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen wird, kommt es auf das Vorliegen der von den Klägern gerügten weiteren Verfahrensmängel nicht mehr an.

  23. 4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 2 FGO.

III.

  1. Die Revision des FA gegen das FG-Urteil für die Streitjahre 2010 und 2011 ist begründet und führt zur Aufhebung des FG-Urteils sowie zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung durch das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).

  2. Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Zinsaufwendungen der Kläger für die SKR vollständig als Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 EStG bei den sonstigen Einkünften i.S. des § 22 EStG zu berücksichtigen sind (s. unter 1.). Mangels tatsächlicher Feststellungen des FG kann der Senat jedoch nicht darüber entscheiden, ob die vom FA vorgenommene Aufteilung der Werbungskosten zutreffend ist (s. unter 2.).

  3. 1. Das FG hat rechtsfehlerhaft die Finanzierungskosten für die SKR ausschließlich den Renteneinkünften i.S. des § 22 Nr. 1 EStG als Werbungskosten zugeordnet.

  4. a) Wie der Senat in seinem erst nach dem FG-Urteil ergangenen Urteil in BFHE 263, 216, BStBl II 2019, 231 ausgeführt hat, sind Finanzierungskosten für den Erwerb einer SKR, die den Abschluss einer Rentenversicherung als Versorgungskomponente und einer Lebensversicherung als Tilgungskomponente zum Gegenstand hat, auch nach der Einführung des Werbungskostenabzugsverbots nach § 20 Abs. 9 EStG zum 01.01.2009 aufzuteilen in Werbungskosten, die anteilig den Einkünften aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 6 des Einkommensteuergesetzes in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung (EStG 2004) und den sonstigen Einkünften i.S. des § 22 Nr. 1 EStG zuzuordnen sind. Danach stellen Finanzierungskosten für eine SKR nur insoweit Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften i.S. des § 22 Nr. 1 EStG dar, wie sie anteilig auf die Finanzierung der Rentenversicherungen entfallen. Soweit die Schuldzinsen auf die Finanzierung der Lebensversicherungen entfallen, handelt es sich um vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG 2004, so dass ab dem 01.01.2009 das Werbungskostenabzugsverbot nach § 20 Abs. 9 EStG greift. Auf die Ausführungen hierzu in der Urteilsbegründung des Senatsurteils in BFHE 263, 216, BStBl II 2019, 231 wird Bezug genommen.

  5. b) Entgegen den Ausführungen der Kläger sind diese Grundsätze auch auf die vorliegenden SKR anzuwenden. Zwar dienen die Auszahlungen aus den Lebensversicherungen auch im vorliegenden Fall der Finanzierung der Einmalzahlung der Sofortrente, so dass ein Bezug zu den Renteneinkünften besteht. Das Finanzierungskonzept setzt aber als notwendiges Zwischenziel die Erzielung von Einkünften aus Kapitalvermögen voraus. Die Lebensversicherungen treten somit als eigenständige Erwerbsquelle steuerpflichtiger Einnahmen zwischen die Schuldzinsen und die Renteneinnahmen und verdrängen damit den (etwaigen) ‑‑entfernteren‑‑ Veranlassungszusammenhang der Schuldzinsen mit den Einnahmen aus den Rentenversicherungen. Die Verwendung der Erträge aus den Lebensversicherungen zur Tilgung der "Rentendarlehen" vermag somit den unmittelbaren Veranlassungszusammenhang der Schuldzinsen mit den Einkünften aus Kapitalvermögen (soweit sie darauf entfallen) nicht zu verdrängen, selbst wenn der Kläger dadurch die Dauer der Fremdfinanzierung der Rentenversicherungen abkürzt. Dies stellt lediglich, wie auch die Verwendung anderer Eigenmittel zu diesem Zweck, eine steuerlich unbeachtliche Einkommensverwendung dar. Insoweit unterscheidet sich der Streitfall von dem Sachverhalt, der dem BFH-Urteil vom 25.02.2009 - IX R 62/07 (BFHE 224, 351, BStBl II 2009, 459) zu Grunde lag.

  6. c) Da die Vorentscheidung diesen Maßstäben nicht entspricht, ist sie aufzuheben.

  7. 2. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat von seinem Rechtsstandpunkt aus zutreffend keinerlei Feststellungen dazu getroffen, ob die vom FA vorgenommene Aufteilung der Finanzierungskosten auf die Renteneinkünfte und die Einkünfte aus Kapitalvermögen in den Streitjahren zutreffend ist und wird diese im zweiten Rechtsgang unter Beachtung des Senatsurteils in BFHE 263, 216, BStBl II 2019, 231 nachzuholen haben.

  8. 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 2 FGO.

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