ECLI:DE:BFH:2020:U.281020.XR36.19.0
BFH X. Senat
EStG § 25 Abs 4 S 1, EStG § 46 Abs 2 Nr 1, EStG § 46 Abs 2 Nr 3a, EStG § 46 Abs 5, EStDV § 70, FGO § 100 Abs 1 S 4, FGO § 121 S 1, EStG VZ 2017
vorgehend Thüringer Finanzgericht , 26. Juni 2019, Az: 3 K 261/19
Leitsätze
1. Auch wenn ein Steuerpflichtiger Gewinneinkünfte von mehr als 410 € erzielt, ist er nicht zur Übermittlung der Einkommensteuererklärung in elektronischer Form verpflichtet, wenn zusätzlich die Voraussetzungen eines der Veranlagungstatbestände nach § 46 Abs. 2 Nr. 2 bis 8 EStG erfüllt sind.
2. Es besteht kein genereller Vorrang des Veranlagungstatbestands des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG vor den anderen Veranlagungstatbeständen.
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Thüringer Finanzgerichts vom 27.06.2019 - 3 K 261/19 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass die Verfügung vom 17.10.2018 und die Einspruchsentscheidung vom 29.03.2019 rechtswidrig waren.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
I.
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 2017 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt werden. Beide Kläger erzielten im Streitjahr Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, wobei der Lohnsteuerabzug der Klägerin für einen Teil des Jahres nach der Lohnsteuerklasse V bemessen wurde. Der Kläger erzielte darüber hinaus gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb einer Photovoltaikanlage, die gesondert festgestellt wurden (11.600 €).
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Kläger sowohl nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 als auch nach § 46 Abs. 2 Nr. 3a des Einkommensteuergesetzes (EStG) zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung verpflichtet sind.
Die Kläger reichten ihre Einkommensteuererklärung 2017 in Papierform beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ‑‑FA‑‑) ein. Daraufhin erklärte das FA, die Einkommensteuererklärung gelte als nicht abgegeben. Es wies auf die Möglichkeiten der Schätzung sowie der Festsetzung von Verspätungszuschlägen und Zwangsmitteln hin.
Die Kläger vertraten die Auffassung, sie seien nicht zur Abgabe der Einkommensteuererklärung in elektronischer Form verpflichtet. Nach dem klaren Wortlaut des § 25 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 EStG seien die in § 46 Abs. 2 Nr. 2 bis 8 EStG genannten Veranlagungsfälle von der Pflicht zur elektronischen Übermittlung der Einkommensteuererklärung ausgenommen.
Am 17.10.2018 erließ das FA das im vorliegenden Verfahren angegriffene, mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Schreiben. Darin wurde ein Härtefallantrag (§ 150 Abs. 8 der Abgabenordnung ‑‑AO‑‑) abgelehnt, weil hierfür keine Gründe vorgetragen worden seien. Darüber hinaus vertrat das FA die Auffassung, der Verweis der Kläger auf § 46 Abs. 2 Nr. 3a EStG sei "ohne Relevanz", weil der Veranlagungstatbestand des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG erfüllt sei. Weiter hieß es: "Die von ihnen in Papierform abgegebene Erklärung für den Veranlagungszeitraum 2017 gilt somit grundsätzlich als nicht abgegeben. Daher bitte ich um elektronische Übermittlung der o.g. Erklärung bis zum 02.11.2018 nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz mittels Datenfernübertragung. Ich weise darauf hin, dass die Nichtabgabe innerhalb der gesetzten Frist gesetzlich normierte Sanktionen auslöst (Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO sowie Festsetzung von Verspätungszuschlägen bzw. Zwangsmitteln)."
Hiergegen legten die Kläger Einspruch ein. Dabei erläuterten sie, dass sie keinen Härtefallantrag nach § 150 Abs. 8 AO gestellt hätten. Vielmehr gehe es allein um die Auslegung des § 25 Abs. 4 Satz 1 EStG.
Das FA wies den Einspruch zurück. Zur Begründung führte es aus, die Kläger seien vornehmlich nach dem Veranlagungstatbestand des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG ‑‑der in dem negativen Tatbestandsmerkmal des § 25 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 EStG nicht erwähnt werde‑‑ zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung verpflichtet. Diese Norm habe wegen des erweiterten Härteausgleichs Vorrang vor § 46 Abs. 2 Nr. 3a EStG.
Während des anschließenden Klageverfahrens erließ das FA am 20.05.2019 den Einkommensteuerbescheid 2017. In den Erläuterungen zum Bescheid heißt es u.a.: "Sie sind Ihrer gesetzlichen Verpflichtung, die Steuererklärung elektronisch nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz zu übermitteln, nicht nachgekommen. Die Abgabe Ihrer Steuererklärung in Papierform steht einer Nichtabgabe gleich, da Gründe für eine Anerkennung als Härtefall nicht vorliegen. Das Finanzamt hat die Steuer gleichwohl auf der Grundlage Ihrer in Papierform abgegebenen Steuererklärung festgesetzt."
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab (Entscheidungen der Finanzgerichte 2019, 1981). Es führte aus, die Kläger seien nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG zu veranlagen und daher nicht von der Ausnahmeregelung des § 25 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 EStG berührt. Dass auch der Veranlagungstatbestand des § 46 Abs. 2 Nr. 3a EStG erfüllt sei, spiele daneben keine Rolle. Denn § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG sei ‑‑insbesondere wegen des Härteausgleichs‑‑ grundsätzlich vorrangig. Außerdem korrespondiere die Pflicht zur elektronischen Übermittlung der Einkommensteuererklärung beim Bezug von Gewinneinkünften mit der Pflicht zur elektronischen Übermittlung der Gewinnermittlung nach § 5b EStG bzw. § 60 Abs. 4 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV). Diese Auslegung entspreche auch dem Gesetzeszweck. Der Gesetzgeber habe sich die Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung zu eigen machen wollen. Dies führe zur Vereinfachung bei den Steuerpflichtigen, ihren Beratern und der Finanzverwaltung.
Mit ihrer Revision vertreten die Kläger die Auffassung, falls der Senat im Erlass des Einkommensteuerbescheids 2017 ein erledigendes Ereignis sehen sollte, hätten sie wegen Wiederholungsgefahr ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts. Hierzu behaupten sie, das FA habe auch für den Veranlagungszeitraum 2018 die Abgabe der Einkommensteuererklärung in Papierform beanstandet und Sanktionen angedroht.
In der Sache selbst sind sie der Auffassung, das FG habe bei seiner Auslegung des § 25 Abs. 4 EStG den Wortlaut dieser Norm übergangen. Auch in den Gesetzesmaterialien seien die Veranlagungsgründe des § 46 Abs. 2 Nr. 2 bis 8 EStG ausdrücklich als Ausnahmetatbestände erwähnt (BTDrucks 16/10188, 25). Der Härteausgleich gebiete kein Rangverhältnis zwischen den einzelnen Nummern des § 46 Abs. 2 EStG. Dies zeige eine historische Auslegung anhand der Änderung des § 46 EStG durch das Steueränderungsgesetz 1992 (StÄndG 1992), mit dem der erweiterte Härteausgleich zwar auf § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG beschränkt worden sei, ohne dass damit aber eine materiell-rechtliche Änderung verbunden gewesen sein solle. Vor allem aber nehme die für den erweiterten Härteausgleich entscheidende Norm des § 70 EStDV unverändert auf sämtliche Veranlagungstatbestände Bezug.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
das angefochtene Urteil aufzuheben und festzustellen, dass die Verfügung vom 17.10.2018 und die Einspruchsentscheidung vom 29.03.2019 rechtswidrig waren.Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.Es ist in erster Linie der Auffassung, die Klage hätte bereits als unzulässig verworfen werden müssen, da der Erlass des Einkommensteuerbescheids 2017 zu einer Erledigung des Rechtsstreits und zu einem Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses geführt habe, ohne dass die Kläger vor dem FG hierauf mit einer Umstellung ihres aufrechterhaltenen Anfechtungsantrags reagiert hätten. Für 2017 drohten den Klägern keine Rechtsbeeinträchtigungen mehr. Im Revisionsverfahren könne die versäumte Umstellung auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage nicht mehr nachgeholt werden.
Hilfsweise schließt sich das FA den Gründen des vorinstanzlichen Urteils an.
Die Kläger vertreten zu der verfahrensrechtlichen Problematik die Ansicht, der Einkommensteuerbescheid 2017 lasse nicht erkennen, dass das FA damit nicht mehr an der angegriffenen Aufforderung zur elektronischen Übermittlung der Einkommensteuererklärung festhalten wolle. Vielmehr werde im Steuerbescheid ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Pflicht zur elektronischen Übermittlung der Steuererklärung weiterhin nicht erfüllt sei. Selbst wenn im Erlass des Steuerbescheids ein erledigendes Ereignis zu sehen sein sollte ‑‑worauf das FG die Kläger gemäß § 76 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hätte hinweisen müssen‑‑, wäre nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Umstellung in eine Fortsetzungsfeststellungsklage auch während des Revisionsverfahrens noch zulässig.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Entscheidung des Senats in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).
1. Im Ergebnis zu Recht hat das FG die seinerzeit erhobene Anfechtungsklage als zulässig angesehen. Insbesondere hatte sich das Begehren der Kläger durch den Erlass des Einkommensteuerbescheids 2017 vom 20.05.2019 nicht erledigt.
Ob eine Erledigung eingetreten ist, ist ausschließlich danach zu beurteilen, ob der Regelungsgehalt des zu beurteilenden Verwaltungsakts fortwirkt (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 26.09.2007 - I R 43/06, BFHE 219, 13, BStBl II 2008, 134, unter II.1.d). In dem angefochtenen Verwaltungsakt hatte das FA angeordnet, dass die Kläger bis zum 02.11.2018 ihre Einkommensteuererklärung 2017 in elektronischer Form zu übermitteln haben. Diese Anordnung hat das FA in dem Einkommensteuerbescheid nicht zurückgenommen. Vielmehr hat es in den Erläuterungen zum Bescheid ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Kläger ihrer ‑‑vom FA angenommenen‑‑ gesetzlichen Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung der Steuererklärung nicht nachgekommen seien und die Abgabe der Steuererklärung in Papierform einer Nichtabgabe gleichstehe. Damit wirkte die im angefochtenen Verwaltungsakt ausgesprochene Regelung auch nach Erlass des Einkommensteuerbescheids fort.
2. Ein erledigendes Ereignis ist erst mit der vom FA am 27.05.2020 ‑‑während des Revisionsverfahrens‑‑ abgegebenen Erklärung eingetreten, es bedürfe für 2017 keiner elektronischen Übermittlung der Einkommensteuererklärung mehr, und den Klägern drohten für 2017 auch keine sonstigen Rechtsbeeinträchtigungen mehr. Damit hält das FA der Sache nach nicht mehr an dem Regelungsgehalt seiner Verfügung vom 17.10.2018 fest. Dies gilt ungeachtet dessen, dass das FA auf die Bitte der Senatsvorsitzenden um Klarstellung am 22.09.2020 erklärt hat, es halte an seiner Rechtsansicht fest, dass die Kläger zur elektronischen Übermittlung der Einkommensteuererklärung für 2017 verpflichtet gewesen seien. Denn auch aus diesem Schreiben wird deutlich, dass das FA von den Klägern eine solche Übermittlung für das Streitjahr nicht mehr fordern wird.
Die daraufhin von den Klägern vorgenommene Umstellung ihres ursprünglichen Anfechtungsantrags in einen Fortsetzungsfeststellungsantrag ist gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 121 Satz 1 FGO zulässig, da die Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts haben (vgl. BFH-Urteil vom 12.06.1996 - II R 71/94, BFH/NV 1996, 873, unter II.1., m.w.N.). Ein solches berechtigtes Interesse ist u.a. gegeben, wenn ein konkreter Anlass für die Annahme besteht, das FA werde die von den Klägern für rechtswidrig erachtete Maßnahme in absehbarer Zukunft wiederholen (BFH-Urteil in BFHE 219, 13, BStBl II 2008, 134, unter II.1.c, m.w.N.). Dies ist hier der Fall, da die Kläger dargelegt haben, dass das FA auch für das Folgejahr 2018 auf einer Abgabe der Einkommensteuererklärung in elektronischer Form besteht und für den Fall der Nichtabgabe entsprechende Sanktionen angedroht hat.
3. Der Fortsetzungsfeststellungsantrag ist begründet. Die Verfügung des FA vom 17.10.2018 war rechtswidrig. Die Kläger waren für den Veranlagungszeitraum 2017 nicht zur Abgabe der Einkommensteuererklärung in elektronischer Form verpflichtet.
a) Die Kläger sind für den Veranlagungszeitraum 2017 gemäß § 25 Abs. 1 EStG zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung verpflichtet, weil die Voraussetzungen der Veranlagungstatbestände des § 46 Abs. 2 Nr. 1 und 3a EStG erfüllt sind.
Eine solche Einkommensteuererklärung ist gemäß § 25 Abs. 3 EStG grundsätzlich in eigenhändig unterschriebener Form abzugeben. Diese Verpflichtung haben die Kläger erfüllt.
b) Abweichend davon ist die Einkommensteuererklärung jedoch nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung zu übermitteln, wenn Einkünfte nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 EStG erzielt werden und es sich nicht um einen der Veranlagungsfälle gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 2 bis 8 EStG handelt (§ 25 Abs. 4 Satz 1 EStG).
Der Kläger hat zwar Gewinneinkünfte nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 15 EStG erzielt. Da die Kläger aber (auch) unter den Veranlagungstatbestand des § 46 Abs. 2 Nr. 3a EStG fallen, fehlt es an der ‑‑negativ formulierten‑‑ weiteren Voraussetzung des § 25 Abs. 4 Satz 1 EStG.
aa) Der Gesetzeswortlaut spricht ‑‑dies gesteht im Revisionsverfahren erstmals auch das FA zu‑‑ für die Auffassung der Kläger. Danach genügt es für die Erfüllung dieses Ausnahmetatbestands von der Pflicht zur elektronischen Übermittlung, wenn einer der Veranlagungsfälle des § 46 Abs. 2 Nr. 2 bis 8 EStG erfüllt ist. Dies ist bei den Klägern der Fall. Dass dieses Ergebnis ‑‑so offenbar die Auffassung von FA und FG‑‑ dann nicht gelten soll, wenn zusätzlich der Veranlagungstatbestand des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG erfüllt ist, lässt sich dem Gesetzeswortlaut nicht entnehmen.
Soweit das FG formuliert: "Nach dem Wortlaut des § 25 Abs. 4 Satz 1 2. Halbsatz EStG greift die Pflicht zur elektronischen Übermittlung dann nicht, wenn neben den Gewinneinkünften Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit mit Steuerabzug erzielt werden und die positive Summe der Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, sowie die positive Summe der Progressionseinkünfte jeweils den Betrag von 410 € nicht übersteigen", entspricht dies offensichtlich nicht dem im Streitjahr geltenden Wortlaut der hier maßgeblichen Norm.
bb) In der Literatur ist die Auslegung des § 25 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 EStG umstritten. Allerdings äußern sich etliche derjenigen Literaturstimmen, die das FG für seine Auffassung zitiert hat, tatsächlich nicht konkret zu der hier entscheidungserheblichen Frage. So geben zahlreiche Kommentierungen lediglich den Gesetzeswortlaut wieder und machen dadurch deutlich, dass sie für eine vom Wortlaut abweichende Auslegung keinen Anlass sehen (Blümich/Heuermann, § 25 EStG Rz 104; Schmidt/Seeger, EStG, 39. Aufl., § 25 Rz 5; Pfirrmann in Kirchhof, EStG, 19. Aufl., § 25 Rz 12; Seelig in BeckOK EStG, § 25 Rz 115; Egner/Geißler in Kanzler/Kraft/Bäuml/Marx/Hechtner, 5. Aufl., § 25 EStG, Rz 66; Hettler in Lademann, EStG, § 25 EStG Rz 47). Der Gesetzeswortlaut stützt aber ‑‑wie dargelegt‑‑ gerade die Ansicht der Kläger.
Andere Autoren formulieren demgegenüber, die Veranlagungsfälle nach § 46 Abs. 2 Nr. 2 bis 8 EStG seien nur "bei Geringfügigkeit" ausgenommen, ohne aber diese vom Gesetzeswortlaut abweichende Auffassung zu begründen (vgl. Geurts, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 25 Rz C 15; Schneider in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 25 Rz 50; Schmieszek in Bordewin/Brandt, § 25 EStG Rz 38; Seelig in BeckOK EStG, § 25 Rz 119; Lochte, in Frotscher/Geurts, EStG, Freiburg 2018, § 25 Rz 72).
Gerade gegenteilig will Pflüger (in Herrmann/Heuer/Raupach ‑‑HHR‑‑, § 25 EStG Rz 69) ‑‑ebenfalls ohne Begründung‑‑ Arbeitnehmer mit Nebeneinkünften über 410 € generell von der Verpflichtung zur Übermittlung einer elektronischen Einkommensteuererklärung ausnehmen.
cc) Soweit das FG einen Vorrang des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG gegenüber den anderen Veranlagungstatbeständen annimmt, ist dem nicht zu folgen. Diese ‑‑auch von einigen Literaturstimmen vertretene (Heuermann in Heuermann/Wagner, Lohnsteuer, Rz N 176; HHR/Tillmann, § 46 EStG Rz 4; Blümich/Brandl, § 46 EStG Rz 2, 160)‑‑ Auffassung wird damit begründet, dass § 46 Abs. 5 EStG ‑‑die formellgesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Rechtsverordnung über den sog. erweiterten Härteausgleich‑‑ seit ihrer Neufassung durch das StÄndG 1992 vom 25.02.1992 (BGBl I 1992, 297) ihren Anwendungsbereich nur noch auf § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG beschränkt (zuvor § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis 7 EStG), die anderen Veranlagungstatbestände aber nicht mehr erwähnt. Demgegenüber ist § 70 EStDV ‑‑als diejenige Vorschrift, die den erweiterten Härteausgleich tatsächlich regelt‑‑ durch das StÄndG 1992 nicht geändert worden, gilt ausweislich ihres Wortlauts bis heute weiterhin für sämtliche Veranlagungstatbestände nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis 7 EStG und geht insoweit über die parlamentsgesetzliche Ermächtigungsgrundlage hinaus. Die damit ‑‑scheinbar‑‑ aufgeworfene Problematik der Bindung der Verordnung an ihre Ermächtigungsgrundlage löst sich indes auf, wenn man bedenkt, dass § 46 Abs. 5 EStG und § 70 EStDV tatbestandlich zwingend Nebeneinkünfte von mehr als 410 € voraussetzen. In diesen Fällen ist also immer der Veranlagungstatbestand des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG erfüllt, so dass es für die Anwendung des erweiterten Härteausgleichs nicht mehr auf die weiteren Veranlagungstatbestände ankommt (vgl. Schmidt/Kulosa, 39. Aufl., § 46 EStG Rz 48; dieser Gedanke lag ausweislich der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zum StÄndG 1992 vom 07.11.1991, BTDrucks 12/1506, 175, wohl auch der Gesetzesänderung zugrunde).
Aus dieser ‑‑allein auf den erweiterten Härteausgleich beschränkten‑‑ Besonderheit kann aber nicht gefolgert werden, dass auch in solchen Fällen, in denen andere einkommensteuergesetzliche Regelungen einzelne Nummern des § 46 Abs. 2 EStG in Bezug nehmen, ein genereller Vorrang der Nr. 1 gegeben sein soll.
dd) Ein vom Wortlaut abweichender Normzweck wird jedenfalls nicht mit hinreichender Eindeutigkeit erkennbar.
FA und FG sind letztlich der Auffassung, § 25 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 EStG sei statt seines tatsächlichen Wortlauts ("und es sich nicht um einen der Veranlagungsfälle gemäß § 46 Absatz 2 Nummer 2 bis 8 handelt") dahingehend auszulegen und anzuwenden, als ob dieser Satzteil lauten würde: "und die in § 46 Absatz 2 Nummer 1 genannte Betragsgrenze überschritten wird" bzw. ‑‑sprachlich schwerer verständlich, aber juristisch noch hinreichend exakt‑‑: "und die Pflicht zur Veranlagung nicht ausschließlich auf § 46 Absatz 2 Nummer 2 bis 8 beruht".
Die Gesetzesmaterialien zur Schaffung des § 25 Abs. 4 EStG sind insoweit unklar (Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Steuerbürokratieabbaugesetz vom 02.09.2008, BTDrucks 16/10188, 25). Dort heiß es: "Mit der gesetzlichen Änderung wird für alle, die Einkünfte nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 EStG erzielen (Gewinneinkünfte der Gewerbetreibenden, Land- und Forstwirte sowie selbständig Tätigen im Sinne des § 18 EStG), eine Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung der Einkommensteuererklärung eingeführt. Bei geringfügigen Gewinneinkünften, die im Rahmen einer Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG erklärt werden bzw. in Fällen des § 46 Abs. 2 Nr. 2 bis 7 EStG soll es bei der freiwilligen Möglichkeit zur elektronischen Abgabe der Erklärung bleiben." Dort wird zwar bei Gewinneinkünften die Voraussetzung der Geringfügigkeit genannt; unabhängig davon ("bzw.") wird aber ausgeführt, dass es in den Fällen des § 46 Abs. 2 Nr. 2 bis 7 EStG bei der Freiwilligkeit der elektronischen Übermittlung bleiben soll.
ee) Jedenfalls bei solchen Normen, die ‑‑wie § 25 Abs. 4 EStG‑‑ nicht nur Spezialfragen regeln, die ausschließlich für einen eng umgrenzten, in aller Regel fachkundig beratenen Kreis von Steuerpflichtigen relevant sind, sondern sich an die Allgemeinheit der Steuerpflichtigen richten, ist im Zweifel einer Auslegung der Vorrang zu geben, die mit dem Gesetzeswortlaut in Einklang steht und daher ein Höchstmaß an Rechtssicherheit gewährleistet, sofern nicht ein klar erkennbarer Normzweck eine vom Wortlaut abweichende Auslegung gebietet.
Vorliegend wird nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit erkennbar, dass § 25 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 EStG einen Normzweck verfolgen soll, der für eine vom Wortlaut abweichende Auslegung streitet. Zwar führen FA und FG hierfür den Umstand an, dass bei Gewinneinkünften die Gewinnermittlung entweder nach § 5b EStG (Bilanzierung) oder nach § 60 Abs. 4 EStDV (Einnahmen-Überschuss-Rechnung) elektronisch zu übermitteln ist. Dies ist nach Auffassung des Senats indes kein zwingender ‑‑und schon gar kein aus der Norm heraus erkennbarer‑‑ Grund für eine vom Wortlaut nicht getragene Auslegung. Denn die elektronische Gewinnermittlung mit ihren zahlreichen Kennzahlen bleibt unter dem Gesichtspunkt einer effizienten Verwaltung (u.a. automatisierter Vergleich mit den Vorjahres-Kennzahlen und dadurch schnelle Erkennung wesentlicher Veränderungen) auch dann sinnvoll, wenn die Einkommensteuererklärung als solche ‑‑in die der Gewinn ohnehin nur als auf eine einzige Zahl zusammengefasstes Ergebnis der detaillierten Gewinnermittlung eingetragen wird‑‑ in Papierform abgegeben wird.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.