ECLI:DE:BFH:2020:B.300920.IR76.17.0
BFH I. Senat
DBA POL 2003 Art 16, DBA POL 2003 Art 3 Abs 2, EStG § 39b Abs 6, EStG § 42d, EStG § 49 Abs 1 Nr 4 Buchst c, EStG § 49 Abs 1 Nr 4 Buchst d, AO § 191 Abs 1 S 1, AO § 191 Abs 5 Nr 1, AO § 169 Abs 2 S 1 Nr 2, EStG VZ 2010 , EStG VZ 2011 , EStG VZ 2012 , EStG VZ 2013 , VtrRKonv Art 31
vorgehend FG Hamburg, 08. November 2017, Az: 6 K 14/17
Leitsätze
Die vom OECD-Musterabkommen abweichende Sonderregelung des Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen 2003, in der die Besteuerungsbefugnis für Vergütungen einer Person in ihrer Eigenschaft als "bevollmächtigter Vertreter" geregelt wird, gilt auch für Geschäftsführer einer deutschen GmbH. Sie erfasst auch Abfindungen.
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 09.11.2017 - 6 K 14/17 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über einen Haftungsbescheid, durch den die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) für Lohnsteuer ihrer ehemaligen Geschäftsführerin, der Beigeladenen, in Anspruch genommen wird. Im Streit ist insbesondere die abkommensrechtliche Behandlung des laufenden Arbeitslohns und einer Abfindung.
Die Klägerin, eine inländische GmbH, bestellte die Beigeladene mit Wirkung ab dem 12.11.2007 bis zum 31.12.2010 zum Mitglied der Geschäftsführung und schloss mit ihr am ... 2007 einen entsprechenden Dienstvertrag. Die Beigeladene war für die Weiterentwicklung der Geschäftstätigkeit der Klägerin in Osteuropa zuständig und erfüllte ihre Aufgaben in der Republik Polen (Polen) sowie in ihrem Zweitbüro im Inland. Ihr stand ein Dienstwagen zur Verfügung, den sie auch privat nutzen durfte. Der Dienstvertrag wurde durch den Geschäftsführer-Anstellungsvertrag vom ... 2010 mit erhöhten Bezügen bis zum 31.12.2015 verlängert.
Die Beigeladene hatte ihren Wohnsitz ausschließlich in Polen. Ihre Tätigkeit übte sie teilweise in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland), zum überwiegenden Teil aber in Polen und anderen Staaten aus.
Im Juli 2013 wurde die Beigeladene von ihren Tätigkeiten freigestellt. Ihre Bestellung zur Geschäftsführerin wurde zum 01.09.2013 widerrufen und am ... 2013 im Handelsregister gelöscht. Auf Grundlage des Aufhebungsvertrags vom ... 2013 endete der Anstellungsvertrag zum 31.10.2013. Die Beigeladene erhielt für das Jahr 2013 u.a. ihr anteiliges Festgehalt (Jahresgehalt: ... €), eine variable Vergütung in Höhe von ... € sowie einen Betrag in Höhe von ... € zur Abgeltung von Urlaubsansprüchen. Zudem wurde in dem Aufhebungsvertrag eine Abfindung in Höhe von insgesamt ... € vereinbart. Von dieser Abfindung zahlte die Klägerin im Jahr 2013 insgesamt ... € an die Beigeladene.
Soweit die Beigeladene ihre Tätigkeit in Deutschland ausgeübt hatte, führte die Klägerin für das Festgehalt und die variable Vergütung zeitanteilig Lohnsteuer ab. Die Abfindungszahlung sowie der Vorteil aus der privaten Nutzung des Dienstwagens wurden nicht der Lohnsteuer unterworfen. Eine Freistellungsbescheinigung lag der Klägerin nicht vor.
Im Anschluss an eine Lohnsteueraußenprüfung nahm der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) die Klägerin hinsichtlich derjenigen Vergütungen und geldwerten Vorteile, für die bisher keine Lohnsteuer angemeldet und abgeführt worden war, mit dem Haftungsbescheid vom 25.11.2014 gemäß § 42d des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Anspruch. Der Haftungsbescheid betraf Lohnsteuer der Beigeladenen für den Zeitraum Januar 2010 bis Dezember 2013 in Höhe von insgesamt ... € zuzüglich Solidaritätszuschlag in Höhe von insgesamt ... €. Dabei berücksichtigte das FA einen geldwerten Vorteil aus der privaten Nutzung des Dienstwagens.
Die gegen den Haftungsbescheid erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) Hamburg mit Gerichtsbescheid vom 09.11.2017 - 6 K 14/17 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2018, 258) als unbegründet ab. Die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Klägerin durch Haftungsbescheid gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 Variante 1 der Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG seien erfüllt. Darüber hinaus habe das FA bei der Inanspruchnahme der Klägerin ermessensfehlerfrei gehandelt (§ 102 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). U.a. sei zu berücksichtigen, dass Deutschland nach Art. 16 Abs. 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 14.05.2003 (BGBl II 2004, 1305, BStBl I 2005, 350) ‑‑DBA-Polen 2003‑‑ das Besteuerungsrecht für die gesamte Vergütung der Beigeladenen (einschließlich geldwerter Vorteile und Abfindung) gehabt habe.
Die Klägerin macht mit ihrer Revision die Verletzung materiellen Rechts geltend und beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung sowie den Haftungsbescheid vom 25.11.2014 über Lohnsteuer und sonstige Lohnabzugsbeträge für die Zeit von Januar 2010 bis Dezember 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.12.2016 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a FGO. Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
Das FG hat die Klage gegen den Lohnsteuerhaftungsbescheid für den Zeitraum Januar 2010 bis Dezember 2013 vom 25.11.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.12.2016 zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hätte nicht nur für denjenigen Teil der laufenden Vergütungen, der auf die Tätigkeit der Beigeladenen in Deutschland entfiel, sondern für sämtliche Vergütungen der Beigeladenen (einschließlich geldwerter Vorteile und Abfindungszahlungen) Lohnsteuer i.S. der §§ 38 ff. EStG einbehalten, anmelden und abführen müssen. In Höhe der pflichtwidrig nicht einbehaltenen und abgeführten Lohnsteuer haftet sie gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 Variante 1 AO i.V.m. § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG. Für den Solidaritätszuschlag gilt Entsprechendes. Die Inanspruchnahme der Klägerin durch den Haftungsbescheid war auch frei von Ermessensfehlern (§ 102 FGO). Insbesondere hat das FG zu Recht entschieden, dass sich die Klägerin nicht auf eine abkommensrechtliche Freistellung der bisher nicht der Lohnsteuer unterworfenen Vergütungen berufen kann.
1. Der angefochtene Haftungsbescheid erfüllt die formellen und materiellen Tatbestandsvoraussetzungen des § 191 Abs. 1 Satz 1 Variante 1 AO i.V.m. § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG.
Gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er nach § 38 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 EStG bei jeder Lohnzahlung für Rechnung des Arbeitnehmers vom Arbeitslohn einzubehalten und nach § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG abzuführen hat. Dies gilt auch für den Solidaritätszuschlag (§ 1 Abs. 2 des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 in der für den Haftungszeitraum geltenden Fassung).
a) Nach zutreffender Auffassung des FG, die von den Beteiligten nicht angegriffen worden ist, war die Klägerin lohnsteuerrechtlich Arbeitgeberin der Beigeladenen.
b) Im Rahmen ihrer beschränkten Steuerpflicht (§ 1 Abs. 4 EStG) erzielte die Beigeladene Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 EStG der Lohnsteuer unterliegen. Das FG ist zutreffend von inländischen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gemäß § 19 EStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c EStG (hinsichtlich der laufenden Geschäftsführervergütung einschließlich der geldwerten Vorteile aus der PKW-Nutzung) und § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d EStG (hinsichtlich der als Abfindung geleisteten Zahlungen) ausgegangen.
Über den Gesamtbetrag der Vergütungen im Haftungszeitraum und die sich ‑‑bei Annahme einer umfassenden Lohnsteuerpflicht‑‑ daraus ergebende Höhe der Lohnsteuer zuzüglich Solidaritätszuschlag besteht zwischen den Beteiligten im Revisionsverfahren kein Streit. Dies gilt auch für die Höhe der dem Haftungsbescheid zugrunde liegenden Differenz zu der von der Klägerin tatsächlich einbehaltenen und abgeführten Lohnsteuer zuzüglich Solidaritätszuschlag. Der Senat sieht keine Anhaltspunkte, diese vom FG zugrunde gelegten Beträge in Zweifel zu ziehen.
c) Die Pflicht der Klägerin zur Einbehaltung der Lohnsteuer war nicht durch Vorlage einer Freistellungsbescheinigung gemäß § 39b Abs. 6 EStG a.F. entfallen.
Nach dieser Vorschrift erteilt das Betriebsstättenfinanzamt auf Antrag des Arbeitnehmers oder des Arbeitgebers eine Bescheinigung, wenn der vom Arbeitgeber gezahlte Arbeitslohn nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) von der Lohnsteuer freizustellen ist. Zwar wurde § 39b Abs. 6 EStG a.F. (ebenso wie die besonderen Vorschriften zur Durchführung des Lohnsteuerabzugs für beschränkt einkommensteuerpflichtige Arbeitnehmer gemäß § 39d EStG a.F.) durch das Gesetz zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz ‑‑BeitrRLUmsG‑‑) vom 07.12.2011 (BGBl I 2011, 2592, BStBl I 2011, 1171) zum 01.01.2012 gestrichen und durch eine Mitteilung im Verfahren der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale gemäß § 39 Abs. 4 Nr. 5 EStG n.F. ersetzt. § 39b Abs. 6 EStG a.F. galt aber gemäß § 52 Abs. 50g und 51b EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG für den gesamten Haftungszeitraum weiter fort (vgl. Bundesministerium der Finanzen vom 08.11.2018, BStBl I 2018, 1137, Rz 6 und 89 ff.).
Nach den bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) lag eine Freistellungsbescheinigung i.S. des § 39b Abs. 6 EStG a.F. zum Zeitpunkt der streitigen Zahlungen weder vor noch war sie beantragt. Unter Berücksichtigung des Art. 29 DBA-Polen 2003 folgt daraus, dass die Klägerin die Lohnsteuer für den an die Beigeladene gezahlten Arbeitslohn auch dann einbehalten und abführen musste, wenn nach dem DBA-Polen 2003 eine (teilweise) Freistellung von der inländischen Einkommensteuer vorgesehen war (Senatsurteil vom 12.06.1997 - I R 72/96, BFHE 183, 30, BStBl II 1997, 660 zur vergleichbaren Regelung in Art. 25b des DBA-Frankreich und in Abgrenzung zum Senatsurteil vom 10.05.1989 - I R 50/85, BFHE 157, 142, BStBl II 1989, 755).
d) Auch die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen einer Inanspruchnahme der Klägerin durch Haftungsbescheid lagen vor.
Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass weder ein Verschulden der Klägerin (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 19.05.2009 - VI B 8/08, BFH/NV 2009, 1454) noch eine Festsetzung der zugrunde liegenden Steuerschuld (BFH-Urteil vom 15.02.2011 - VII R 66/10, BFHE 232, 313, BStBl II 2011, 534 zur Lohnsteuer, m.w.N.; vgl. auch BFH-Beschluss vom 21.05.2004 - V B 212/03, BFH/NV 2004, 1368, m.w.N.) erforderlich waren.
§ 191 Abs. 5 Nr. 1 AO stand der Inanspruchnahme der Klägerin ebenfalls nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift hätte der angefochtene Haftungsbescheid nicht ergehen dürfen, soweit die Steuer gegen den Steuerschuldner nicht festgesetzt worden ist und wegen des Ablaufs der Festsetzungsfrist auch nicht mehr festgesetzt werden kann. Dies ist Folge des allgemeinen Grundsatzes der Akzessorietät der Haftungsschuld. Maßgebend ist der Zeitpunkt des Erlasses des Haftungsbescheids, d.h. eine anschließende Festsetzungsverjährung der zugrunde liegenden Steuerschuld ist unschädlich (BFH-Urteil vom 11.07.2001 - VII R 28/99, BFHE 195, 510, BStBl II 2002, 267).
Im Streitfall hat das FA den an die Klägerin gerichteten Lohnsteuerhaftungsbescheid bereits im Jahr 2014 erlassen. Zu diesem Zeitpunkt war die vierjährige Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO) für die Lohnsteuerschulden der Beigeladenen für den Haftungszeitraum Januar 2010 bis Dezember 2013 ‑‑auch ohne Rückgriff auf § 171 Abs. 15 AO‑‑ noch nicht abgelaufen. Entsprechendes gilt für die Einkommensteuerschulden der Beigeladenen, so dass es nicht darauf ankommt, ob zumindest im Rahmen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftung nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG allein auf die Lohnsteuer abzustellen ist (vgl. BFH-Urteil vom 06.03.2008 - VI R 5/05, BFHE 220, 307, BStBl II 2008, 597, und BFH-Beschluss vom 17.03.2016 - VI R 3/15, BFH/NV 2016, 994 zur Berechnung der Festsetzungsfristen; auch BFH-Urteil vom 21.09.2017 - VIII R 59/14, BFHE 259, 411, BStBl II 2018, 163 zur Kapitalertragsteuer, und Senatsurteil vom 07.11.2019 - I R 46/17, BFHE 267, 323, BStBl II 2020, 552 zur Bauabzugsteuer) oder ob ‑‑und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen‑‑ (auch) die individuelle Einkommensteuerschuld Bedeutung erlangt (vgl. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.10.2018 - 4 K 4263/17, Revision BFH VI R 47/18; Gersch in Herrmann/Heuer/Raupach, § 42d EStG Rz 22 und 75; Schmidt/Krüger, EStG, 39. Aufl., § 42d Rz 2 und 11, jeweils m.w.N.).
2. Das FG hat zu Recht entschieden, dass das FA den angefochtenen Haftungsbescheid ermessenfehlerfrei erlassen hat (§ 102 FGO). Dies gilt sowohl für das Auswahl- als auch für das Entschließungsermessen.
a) Hinsichtlich des Auswahlermessens hat das FG zutreffend nicht beanstandet, dass das FA von den Gesamtschuldnern i.S. des § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG die Klägerin als Arbeitgeberin und nicht die Beigeladene als Arbeitnehmerin in Anspruch genommen hat. Die Erwägung des FA, wegen des ausländischen Wohnsitzes der Beigeladenen auf die Klägerin als Haftungsschuldnerin zurückzugreifen, war frei von Ermessensfehlern (vgl. auch Senatsbeschlüsse vom 03.12.1996 - I B 44/96, BFHE 181, 562, BStBl II 1997, 306; vom 08.11.2000 – I B 59/00, juris; Senatsurteil vom 19.12.2012 - I R 81/11, BFH/NV 2013, 698, jeweils m.w.N.).
b) Im Rahmen des Entschließungsermessens hat das FG im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die Haftungsinanspruchnahme im Streitfall nicht wegen eines entschuldbaren Rechtsirrtums ausgeschlossen sein kann (vgl. hierzu BFH-Urteile vom 18.09.1981 - VI R 44/77, BFHE 134, 149, BStBl II 1981, 801; vom 24.01.1992 - VI R 177/88, BFHE 167, 359, BStBl II 1992, 696; vom 18.08.2005 - VI R 32/03, BFHE 210, 420, BStBl II 2006, 30; Schmidt/Krüger, a.a.O., § 42d Rz 26).
Dies folgt bereits daraus, dass die Klägerin nach Aktenlage im Namen der Beigeladenen für sämtliche Jahre des Haftungszeitraums vor Ablauf der jeweiligen Kalenderjahre Anträge auf Erteilung einer Bescheinigung für beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer gestellt hat, ohne Angaben in Teil E der Antragsvordrucke zu machen. Teil E betraf aber gerade die Möglichkeit, sich abkommensrechtliche Freistellungen durch eine entsprechende Freistellungsbescheinigung vom Betriebsstättenfinanzamt bestätigen zu lassen. Da die Klägerin diese Möglichkeit nicht genutzt hat, geht ein etwaiger Irrtum über die Anwendbarkeit und Reichweite der abkommensrechtlichen Freistellungen in jedem Fall zu ihren Lasten.
3. Schließlich hat das FG rechtsfehlerfrei entschieden, dass das DBA-Polen 2003 keine ‑‑auch keine teilweise‑‑ Freistellung der Geschäftsführervergütungen der Beigeladenen von der inländischen Besteuerung vorsieht. Deutschland hat als Ansässigkeitsstaat der Klägerin gemäß Art. 16 DBA-Polen 2003 das Besteuerungsrecht für sämtliche Geschäftsführervergütungen der Beigeladenen (einschließlich der Abfindung).
Im Streitfall kann es deshalb dahingestellt bleiben, ob und inwieweit eine durch abkommensrechtliche Freistellung niedrigere Einkommensteuerschuld der Beigeladenen im Rahmen der Prüfung der Ermessensentscheidung (§ 102 FGO) zu berücksichtigen gewesen wäre. Entsprechendes gilt für die Frage, welchen Einfluss es hat, dass zum Zeitpunkt der Lohnzahlungen keine Freistellungsbescheinigung i.S. des § 39b Abs. 6 EStG a.F. erteilt oder beantragt war, sowie für die hiermit zusammenhängende Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine solche Bescheinigung rückwirkend erteilt werden könnte.
a) Nach der deutschen Sprachfassung des Art. 16 Abs. 1 DBA-Polen 2003 können "Aufsichtsrats- oder Verwaltungsratsvergütungen" und ähnliche Zahlungen, die eine in Polen ansässige Person "in ihrer Eigenschaft als Mitglied des Aufsichts- oder Verwaltungsrats" einer in Deutschland ansässigen Gesellschaft bezieht, in Deutschland besteuert werden. Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen 2003 erweitert diese Regelung auf Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in Polen ansässige Person "in ihrer Eigenschaft als bevollmächtigter Vertreter" einer in Deutschland ansässigen Gesellschaft bezieht.
Dagegen bezieht sich die polnische Sprachfassung des Art. 16 Abs. 1 DBA-Polen 2003 (BGBl II 2004, 1305) nicht auf den Verwaltungsrat, sondern auf die Geschäftsführung bzw. den Vorstand ("zarzadu", "zarzadzie spolki"). Nach der Schlussklausel des DBA-Polen 2003 sind die deutsche und die polnische Sprachfassung gleichermaßen verbindlich.
b) Auch wenn in der deutschen Sprachfassung des Art. 16 DBA-Polen 2003 Geschäftsführer einer GmbH nicht ausdrücklich erwähnt werden, sind sie als "bevollmächtigter Vertreter" i.S. des Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen 2003 anzusehen (Prokisch in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl., Art. 16 Rz 23a; Schmidt in Haase, AStG/DBA, 3. Aufl., Art. 16 MA Rz 44; Bernhardt/Piekielnik, Internationales Steuerrecht 2005, 366; wohl auch Kahlenberg, Internationale Steuer-Rundschau 2018, 435, 437; a.A. Reith in Wassermeyer, Polen Art. 16 Rz 19).
aa) Zur Ermittlung des Regelungsgehalts eines völkerrechtlichen Vertrags ist das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23.05.1969 ‑‑WÜRV‑‑ (BGBl II 1985, 927) heranzuziehen, das seit Inkrafttreten des Zustimmungsgesetzes vom 03.08.1985 (BGBl II 1985, 926) am 20.08.1987 (BGBl II 1987, 757) in innerstaatliches Recht transformiert ist (Senatsurteile vom 11.07.2018 - I R 44/16, BFHE 262, 354; vom 30.05.2018 - I R 62/16, BFHE 262, 54). Danach sind DBA nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen (Art. 31 Abs. 1 WÜRV). Maßgeblich sind insbesondere der Wortlaut des Vertrags (Art. 31 Abs. 2 WÜRV) und die gewöhnliche Bedeutung der verwendeten Ausdrücke (vgl. Senatsurteil vom 27.02.2019 - I R 73/16, BFHE 263, 525, BStBl II 2019, 394).
Dem entsprechend sind abkommensrechtliche Begriffe nach der Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 25.02.2004 - I R 42/02, BFHE 206, 5, BStBl II 2005, 14; vom 26.08.2010 - I R 53/09, BFHE 231, 63, BStBl II 2019, 147) zunächst nach dem Wortlaut und den Definitionen des Abkommens und sodann nach dem Sinn und dem Vorschriftenzusammenhang innerhalb des Abkommens auszulegen. Auf die Begriffsbestimmungen des innerstaatlichen Rechts ist grundsätzlich erst auf einer nachgelagerten Prüfungsebene zurückzugreifen.
bb) Hiervon ausgehend ist im Streitfall festzustellen, dass der Begriff "bevollmächtigter Vertreter" des Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen 2003 nicht in dem Abkommen definiert ist. Außerdem lässt sich unter Berücksichtigung der gewöhnlichen Bedeutung dieses Begriffs aus dem Wortlaut keine Beschränkung auf rechtsgeschäftlich bevollmächtigte Vertreter herleiten. Vielmehr handelt es sich um eine allgemeine Formulierung, die grundsätzlich auch diejenigen Vertreter erfassen kann, deren gesetzliche Vertretungsmacht auf einer organschaftlichen Stellung beruht.
Darüber hinaus ist im Rahmen der abkommensrechtlichen Auslegung entscheidend, dass Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen 2003 eine Erweiterung des Art. 16 Abs. 1 DBA-Polen 2003 darstellt, der seinerseits auf Art. 16 des Musterabkommens der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD-Musterabkommen ‑‑OECD-MustAbk‑‑) beruht. Art. 16 OECD-MustAbk zielt darauf ab, die Besteuerungsrechte für Aufsichtsrats- und Verwaltungsratsvergütungen nicht wie in Art. 15 OECD-MustAbk nach dem Tätigkeitsortsprinzip, sondern nach dem Ansässigkeitsort der Gesellschaft zuzuordnen. Hintergrund sind vor allem praktische Schwierigkeiten bei der Feststellung, wo solche Leistungen erbracht werden (Art. 16 Nr. 1 OECD-Musterkommentar). Teilweise ist diese Sonderregelung in den von Deutschland abgeschlossenen DBA ausdrücklich auf Geschäftsführer erweitert worden (Beispiele bei Prokisch in Vogel/Lehner, a.a.O., Art. 16 Rz 21 ff.). Aus den ausdrücklichen Regelungen anderer DBA lässt sich aber nicht der Umkehrschluss ziehen, dass das Fehlen der Bezugnahme auf Geschäftsführer in Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen 2003 gegen ihre Einbeziehung in den Regelungsbereich dieser Vorschrift spricht. Vielmehr enthält Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen 2003 eine besonders weitgehende Ergänzung, die (auch) Generalbevollmächtigte und Prokuristen erfasst. Es bestehen keine Anhaltspunkte, weshalb bei solch einer umfangreichen Erweiterung gerade Geschäftsführer ausgenommen sein sollen.
Im Übrigen werden polnische Gerichte und Verwaltungsbehörden wegen der polnischen Sprachfassung des Art. 16 Abs. 1 DBA-Polen 2003, der sich ausdrücklich auch auf Geschäftsführer bezieht, zumindest in der Konstellation des Streitfalls ‑‑in Polen ansässige Geschäftsführerin einer in Deutschland ansässigen Gesellschaft‑‑ ebenfalls von einer Besteuerung der gesamten Geschäftsführervergütungen in Deutschland ausgehen. Ob die Beigeladene von sich aus die streitigen Einkünfte in Polen erklärt und im Wege der Selbstveranlagung der polnischen Besteuerung unterworfen hat, spielt insofern keine Rolle.
cc) Art. 3 Abs. 2 DBA-Polen 2003 führt zu keinem anderen Ergebnis, ohne dass es einer abschließenden Entscheidung über dessen Verhältnis zu den Auslegungsgrundsätzen des WÜRV bedarf (vgl. hierzu Nachweise im Senatsurteil in BFHE 263, 525, BStBl II 2019, 394).
Nach Art. 3 Abs. 2 DBA-Polen 2003 soll ‑‑wenn der Zusammenhang nichts anderes erfordert‑‑ ein nicht im Abkommen definierter Begriff diejenige Bedeutung haben, die ihm nach dem Steuerrecht des Anwenderstaates in dem jeweiligen Anwendungszeitraum zukommt (sog. lex-fori-Klausel). Im Streitfall weicht das Begriffsverständnis des nationalen Rechts aber nicht von dem Ergebnis der abkommensrechtlichen Auslegung ab.
Der Begriff "bevollmächtigter Vertreter" wird nur im nationalen Zivilrecht als Abgrenzung zum organschaftlichen Vertreter verwendet, dessen Handeln der juristischen Person wie Eigenhandeln zuzurechnen ist (vgl. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.05.2017 - II ZB 7/16, BGHZ 215, 69). Im nationalen Steuerrecht hat der Begriff dagegen keine einschränkende Bedeutung. Vielmehr kann ein organschaftlich handelnder Geschäftsführer steuerrechtlich ständiger "Vertreter" i.S. des § 13 AO sein (Senatsurteil vom 23.10.2018 - I R 54/16, BFHE 263, 102, BStBl II 2019, 365). Entsprechendes muss auch für die Formulierung "bevollmächtigter Vertreter" gelten, da die zusätzliche Voraussetzung einer Bevollmächtigung nicht gleichbedeutend mit einer Begrenzung auf rechtsgeschäftliche Bevollmächtigungen ist.
c) Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen 2003 erfasst die gesamten Geschäftsführervergütungen der Beigeladenen einschließlich der Abfindung.
Nach ihrem Wortlaut regelt die Vorschrift ein Besteuerungsrecht für "Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen", die von einer Person "in ihrer Eigenschaft als bevollmächtigter Vertreter einer Gesellschaft" bezogen werden.
Aufgrund dieses Wortlauts ist die Rechtsprechung des Senats zur Behandlung von Abfindungen nach abkommensrechtlichen Regelungen, die Art. 15 OECD- MustAbk nachgebildet sind, nicht entsprechend anwendbar. Zwar hat der Senat zu solchen abkommensrechtlichen Regelungen wiederholt entschieden, dass Abfindungen anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses nicht im Tätigkeitsstaat, sondern im Ansässigkeitsstaat des Arbeitnehmers zu besteuern sind, da es sich nicht um ein Entgelt für die frühere Tätigkeit, sondern um ein Entgelt für den Verlust des Arbeitsplatzes handelt (vgl. Senatsurteile vom 02.09.2009 - I R 111/08, BFHE 226, 276, BStBl II 2010, 387; vom 10.06.2015 - I R 79/13, BFHE 250, 110, BStBl II 2016, 326; vom 11.04.2018 - I R 5/16, BFHE 261, 27, BStBl II 2018, 761). Dabei hat er aber maßgeblich auf die in Art. 15 Abs. 1 Satz 2 OECD-MustAbk geregelte Verknüpfung mit der Tätigkeit ("dafür") abgestellt.
Nach Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen 2003 genügt es dagegen, wenn die Vergütung in der "Eigenschaft als bevollmächtigter Vertreter" bezogen wird. Damit knüpft die Vorschrift nicht an die konkrete Tätigkeit, sondern lediglich an den Status des Steuerpflichtigen an, im Streitfall also an den Status der Beigeladenen als Geschäftsführerin der Klägerin. Deshalb werden auch Abfindungen erfasst, die aufgrund der Beendigung dieses Status gezahlt werden (s. Senatsurteil vom 24.07.2013 - I R 8/13, BFHE 245, 291, BStBl II 2014, 929 zum DBA-Frankreich; vgl. auch Prokisch in Vogel/Lehner, a.a.O., Art. 16 Rz 4c; Tcherveniachki in Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl., Art. 16 Rz 38). Der konkrete Zeitpunkt der Zahlung ist dabei unerheblich. Weder die tatsächliche Beendigung der Geschäftsführertätigkeit noch der Widerruf der Bestellung, die Löschung der Eintragung im Handelsregister oder die Beendigung des Anstellungsvertrags ändern etwas daran, dass die Abfindung aufgrund des (früheren) Status als Geschäftsführer gezahlt wird.
Folge des Vorstehenden ist zudem, dass es im anhängigen Verfahren auf die Anwendbarkeit des § 50d Abs. 12 EStG n.F., der eine Ausweitung des deutschen Besteuerungsrechts für Abfindungen zur Folge haben soll (BTDrucks 18/10506, S. 78), nicht ankommt.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.