ECLI:DE:BFH:2020:B.150920.IXB14.20.0
BFH IX. Senat
FGO § 96 Abs 1 S 1 Halbs 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 3
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht , 10. Dezember 2019, Az: 9 K 122/17
Leitsätze
NV: Ein Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten liegt u.a. dann vor, wenn das FG eine nach Aktenlage feststehende Tatsache, die richtigerweise in die Beweiswürdigung hätte einfließen müssen, unberücksichtigt lässt oder seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde legt, der dem protokollierten Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht.
Tenor
Die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 11.12.2019 - 9 K 122/17 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑), und nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zuzulassen.
1. Der von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) geltend gemachte Verfahrensmangel in Gestalt eines Verstoßes gegen den klaren Inhalt der Akten liegt nicht vor.
a) Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Zum Gesamtergebnis des Verfahrens gehört auch die Auswertung des Inhalts der dem Gericht vorliegenden Akten. Ein Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten liegt u.a. dann vor, wenn das Finanzgericht (FG) eine nach Aktenlage feststehende Tatsache, die richtigerweise in die Beweiswürdigung hätte einfließen müssen, unberücksichtigt lässt oder seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde legt, der dem protokollierten Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsbeschlüsse vom 28.04.2016 - IX B 18/16, BFH/NV 2016, 1173, Rz 21, und vom 11.01.2019 - IX B 126/17, BFH/NV 2019, 583, Rz 17).
b) Nach diesen Maßstäben kommt ein Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten vorliegend nicht in Betracht.
aa) Die Kläger sehen einen derartigen Verstoß darin, dass das FG von ihnen vorgelegte bzw. in den Gerichtsakten befindliche Schriftstücke nicht berücksichtigt habe, obwohl diese erkennbar entscheidungserheblich seien. Konkret geht es um die notariellen Urkunden vom 28.07.2002 (Ehevertrag, Anlage K3a zum Schriftsatz vom 04.12.2019), vom 10.08.2002 (Anlage K4a zum Schriftsatz vom 04.12.2019) und vom 04.11.2002 (Verpfändungsvereinbarung) sowie die privatschriftliche Vereinbarung vom 21.12.2007 (Anlage K1 zur Klageschrift).
bb) Indes hat das FG den aus dem Akteninhalt folgenden Sachverhalt umfassend gewürdigt und auf dieser Grundlage entschieden. Dies gilt insbesondere für die zuvor aufgeführten Dokumente. Sämtliche von den Klägern angeführte Urkunden haben Eingang in den Tatbestand des angefochtenen Urteils gefunden. Zudem hat sie das FG in seine Würdigung der Gesamtumstände des Streitfalls einbezogen.
(1) Dies gilt zunächst für die notariellen Urkunden vom 28.07. und 10.08.2002. Das FG hat den Ehevertrag der Kläger vom 28.07.2002 (rückwirkende Aufhebung des Güterstands der Gütertrennung) ebenso wie die Urkunde vom 10.08.2002, in der festgestellt worden ist, dass der Zugewinn des Klägers den Zugewinn der Klägerin um 20 Mio. € übersteigt ("woraus sich eine Ausgleichsforderung […] in Höhe von 10 Mio. € ergibt") zur Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung berücksichtigt. Es hat die Sachverhaltsumstände allerdings ‑‑abweichend von den Klägern‑‑ dahin gehend gewürdigt, dass keine Gründe für eine Rückabwicklung der Anteilsübertragung vorgelegen hätten, dem Kläger kein bereicherungsrechtlicher Anspruch zugestanden habe und eine Rückabwicklung nicht erfolgt sei.
(2) Entsprechendes gilt für die notarielle Urkunde vom 04.11.2002. Das FG hat die Verpfändung der Anteile ‑‑wenngleich unter Nennung des falschen Datums ("09.12.2002")‑‑ unter der Annahme, dass ein Zugewinnausgleichsanspruch besteht, für nicht nachvollziehbar gehalten; Sinn ergebe die Vereinbarung nur, wenn die Beteiligten die Absicherung eines möglicherweise später entstehenden Anspruchs vor Augen gehabt hätten.
(3) Auch die privatschriftliche Vereinbarung vom 21.12.2007 hat das FG bei seiner Entscheidungsfindung berücksichtigt. So hat es insbesondere darauf hingewiesen, dass die Vereinbarung auf die Abhängigkeit des Ausgleichsanspruchs von der Ehescheidung hingedeutet habe.
(4) Vor dem Hintergrund der Aufnahme der angeführten Urkunden in die tatsächlichen Feststellungen des FG und deren Berücksichtigung bei der Entscheidungsfindung kann ein Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten nicht festgestellt werden. Entgegen der Nichtzulassungsbeschwerde hat das FG die Bedeutung der als nicht beachtet gerügten Tatsachen durchaus erkannt. Dass die Vorinstanz aus dem Akteninhalt folgende tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte abweichend von der Auffassung der Kläger gewürdigt oder für nicht entscheidungserheblich angesehen hat, kann einer Verfahrensrüge wegen Verstoßes gegen den Akteninhalt nicht zum Erfolg verhelfen (Senatsbeschluss in BFH/NV 2016, 1173, Rz 22).
2. Im Kern rügen die Kläger eine fehlerhafte Vertragsauslegung durch das FG. Fehler bei der Vertragsauslegung stellen indes grundsätzlich Mängel bei der Anwendung des sachlichen Rechts dar und können die Zulassung der Revision nicht begründen (Senatsbeschluss vom 04.03.2016 – IX B 146/15, BFH/NV 2016, 925; Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 115 Rz 82 und 220). Dies gilt gleichermaßen für das weitere Vorbringen, die Zulassung der Revision sei jedenfalls wegen grundsätzlicher Bedeutung geboten. Auch dieses erschöpft sich in der Darlegung der angeblich fehlerhaften rechtlichen Würdigung des FG und genügt nicht ansatzweise den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO.
3. Von einer weiter gehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.