ECLI:DE:BFH:2020:B.240620.VR2.19.0
BFH V. Senat
UStG § 12 Abs 2 Nr 10, EGRL 112/2006 Art 98 Abs 2, EGRL 112/2006 Anh 3 Nr 5, PBefG § 21, PBefG § 22, PBefG § 42, UStG VZ 2012 , UStG VZ 2013 , UStG VZ 2014 , UStG VZ 2015 , UStG VZ 2016
vorgehend FG Nürnberg, 10. Dezember 2018, Az: 2 K 524/18
Leitsätze
NV: Linienverkehr i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG ist eine zwischen bestimmten Ausgangs- und Endpunkten eingerichtete regelmäßige Verkehrsverbindung, auf der Fahrgäste an bestimmten Haltestellen ein- und aussteigen können.
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 11.12.2018 - 2 K 524/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betrieb in den Jahren 2012 bis 2016 (Streitjahre) drei Personenschiffe auf dem Fluss A von der Altstadt bis zum Hafen und darüber hinaus auf dem Fluss B.
Die Klägerin verfügte über wasserrechtliche Genehmigungen "für den nichtliniengebundenen Personenverkehr (Gelegenheitsverkehr)" für das "Schiff 1" und das "Schiff 2" und eine weitere "Genehmigung für den Linienverkehr" für das "Schiff 3".
In den Streitjahren pendelte das "Schiff 3" mit einer Kapazität von rund 50 Personen sieben Monate nach festem Fahrplan zwischen einer Anlegestelle in der Altstadt auf dem linken Flussufer und einer Anlegestelle auf dem Gelände einer nördlich der Altstadt ausgerichteten Großveranstaltung. Die einfache Fahrt dauerte rund zehn Minuten. An beiden Anlegestellen konnten Fahrgäste zu- oder aussteigen. Fahrstrecke, Fahrplan und Fahrpreise waren in einem schriftlichen Vertrag vom Februar 2012 zwischen der Klägerin und der Trägergesellschaft der Großveranstaltung verbindlich festgelegt. "Schiff 1" und "Schiff 2" mit Kapazitäten von jeweils über 200 Personen wurden im gesamten Streitzeitraum für Rundfahrten eingesetzt, die an der Anlegestelle in der Altstadt auf dem rechten Flussufer begannen und endeten. Die Hafenrundfahrten fanden von März bis November abhängig von Wetter und Nachfrage statt, typischerweise täglich zwischen 11:00 und 16:00 Uhr im Stundentakt, sofern mindestens 20 Fahrgäste zusammenkamen. Zudem gab es in den Ferienzeiten mehrmals wöchentlich längere, von der Klägerin als solche bezeichnete "Ausflugsfahrten" über das Stadtgebiet hinaus sowie Sonderfahrten auf Vorbestellung.
Die Klägerin gab für die Streitjahre Umsatzsteuererklärungen ab, die nach § 168 der Abgabenordnung Steuerfestsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstanden. Im Januar 2017 begann der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) bei der Klägerin mit einer Außenprüfung, die in eine Fahndungsprüfung überging. Zum Abschluss der Prüfung trafen die Klägerin und das FA am 11.01.2018 eine tatsächliche Verständigung über die Höhe der angefallenen Fahrpreise. In rechtlicher Hinsicht vertrat das FA weiter die Auffassung, dass die Ausgangsumsätze der Klägerin vollständig dem allgemeinen Steuersatz unterliegen und erließ unter dem 23.03.2018 entsprechende Steuerbescheide für 2012 bis 2015 und unter dem 04.04.2018 für 2016.
Dagegen erhob die Klägerin Sprungklage zum Finanzgericht (FG), mit der sie die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes begehrte und die nur teilweise Erfolg hatte.
Nach dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2019, 299 veröffentlichten Urteil des FG ergab sich die Steuersatzermäßigung nicht aus den landesrechtlichen Genehmigungen. Maßgeblich sei der Begriff des Linienverkehrs in § 42 des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG). Danach seien im Streitfall nur die Fahrten des "Schiffs 3" vom und zum Veranstaltungsgelände im Jahr 2012 als Linienverkehr mit Schiffen steuersatzermäßigt. Demgegenüber seien die Rundfahrten mit "Schiff 1" und "Schiff 2", etwaige einzelne Fahrten mit "Schiff 3" in den Jahren 2013 bis 2016 und Sonderfahrten kein Linienverkehr entsprechend § 42 PBefG, da die Klägerin diese nicht regelmäßig angeboten habe und für sie keine §§ 21, 22 PBefG vergleichbare Betriebs- und Beförderungspflicht bestanden habe.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Revision. Für den Linienverkehr sämtlicher Schiffe hätten ab 2012 städtische Genehmigungen für den Linienverkehr mit Schiffen vorgelegen. Das Linienangebot sei saisonal im Stundentakt verfügbar gewesen. Alle Genehmigungen seien rechtmäßig ergangen. Diese Genehmigungen seien entgegen dem FG-Urteil mit den Bescheiden nach dem PBefG vergleichbar. Unabhängig von diesen Genehmigungen ergebe sich ein Linienverkehr auch nach objektiven Kriterien. Die maßgeblichen Kriterien einer eingerichteten Verkehrsverbindung, regelmäßiger Fahrgastbeförderung und Fahrgastfreiheit seien erfüllt. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe bereits entschieden, dass hinsichtlich der Regelmäßigkeit des Linienverkehrs maßgeblich sei, dass der Linienverkehr für das Fahrgastpublikum vorhersehbar wiederkehrend auf derselben Strecke über eine gewisse Dauer stattfinde, so dass sich die Fahrgäste auf die Benutzung einrichten könnten. Ein sog. Rahmenfahrplan, der hier vorliege, genüge. Das FG habe keine Feststellungen dahingehend getroffen, dass Fahrten unterblieben seien. Die Vorhersehbarkeit der Beförderung sei nur eines von mehreren Kriterien, wie das Beispiel der erschöpften Fahrgastkapazität zeige. Das Ausbleiben von Fahrten aufgrund von schlechten Witterungsverhältnissen sei auch in anderen Fällen wie etwa bei Skiliften nicht maßgeblich. Der Genehmigungsbescheid, die Einrichtung der Verkehrsverbindung und die Fahrgastfreiheit seien zu berücksichtigen. Zudem habe das FG den Sachverhalt nur mangelhaft aufgeklärt, obwohl sie, die Klägerin, Beweisanträge gestellt habe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Umsatzsteuerbescheide 2012 bis 2015 vom 23.03.2018 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer auf … € (2012), … € (2013), … € (2014) und auf … € (2015) festgesetzt wird, sowie den Umsatzsteuerbescheid 2016 vom 04.04.2018 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer auf … € festgesetzt wird.Das FA beantragt,
die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.Die Beweisanträge seien aus Sicht des FG unerheblich gewesen. Die Klägerin habe das Unterbleiben der Beweiserhebung in der mündlichen Verhandlung nicht gerügt. Sie habe sich nicht hinreichend mit der Urteilsbegründung des FG befasst. Das FG habe zutreffend eine Bindung an die nach Landesrecht erteilten Genehmigungen verneint. Unionsrechtlich müssten für die Personenbeförderung mit Schiffen die Voraussetzungen entsprechend dem PBefG gelten. Das FG habe zutreffend auf die Betriebs- und Beförderungspflicht abgestellt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die ‑‑entgegen der Auffassung des FA zulässige‑‑ Revision der Klägerin für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Das FG hat im Umfang der Klageabweisung im Ergebnis zutreffend entschieden, dass die Klägerin nicht zur Anwendung des ermäßigten Steuersatzes berechtigt ist.
1. Die Steuer ermäßigt sich nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) insbesondere für die Beförderungen von Personen im genehmigten Linienverkehr mit Schiffen.
Unionsrechtliche Grundlage ist Art. 98 Abs. 2 i.V.m. Anh. III Nr. 5 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Danach können die Mitgliedstaaten einen ermäßigten Steuersatz auf die Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks anwenden. Die den Mitgliedstaaten zuerkannte Wahrnehmung der Möglichkeit einer selektiven Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes unterliegt allerdings der zweifachen Bedingung des Inhalts, dass zum einen für die Zwecke der Anwendung des ermäßigten Satzes nur konkrete und spezifische Aspekte der in Rede stehenden Kategorie von Leistungen herausgelöst werden, und zum anderen der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird (vgl. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union Pro Med Logistik und Pongratz vom 27.02.2014 - C-454/12 und C-455/12, EU:C:2014:111, Rz 45, BStBl II 2015, 437).
2. § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG definiert den Begriff des genehmigten Linienverkehrs mit Schiffen nicht. Auch das PBefG enthält hierzu keine Regelungen.
Der BFH orientiert sich bei der Auslegung des Begriffs des Linienverkehrs mit Schiffen an der Regelung zum Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen in § 42 Satz 1 PBefG.
Danach ist Linienverkehr eine zwischen bestimmten Ausgangs- und Endpunkten eingerichtete regelmäßige Verkehrsverbindung, auf der Fahrgäste an bestimmten Haltestellen ein- und aussteigen können. Ausgangs- und Endpunkt der Strecke müssen im Vorhinein fest bestimmt sein. Hinsichtlich der Regelmäßigkeit des Linienverkehrs ist ausschlaggebend, dass er für das Fahrgastpublikum vorhersehbar wiederkehrend ‑‑auf derselben Strecke und über eine gewisse Dauer‑‑ stattfindet, so dass sich Fahrgäste auf die Benutzung einrichten können. Außerdem muss die sog. Fahrgastfreiheit insofern gewährleistet sein, als ein Linienverkehr einem unbestimmten und unbeschränkten Personenkreis offensteht und auf der Hin- und Rückfahrt ein Fahrgastwechsel eintreten kann oder zumindest wenigstens möglich sein muss. Unerheblich ist demgegenüber, ob eine allgemeine Betriebs- und Beförderungspflicht nach §§ 21, 22 PBefG besteht, so dass lediglich darauf abzustellen ist, dass die für einen Linienverkehr erforderliche Regelmäßigkeit und Fahrgastfreiheit auch die wesentlichen Elemente der Beförderungspflicht nach § 22 PBefG umfasst (BFH-Urteil vom 28.08.2019 - XI R 27/17, BFH/NV 2020, 108).
3. Soweit das FG die Klage abgewiesen hat, hat es dies zum einen damit begründet, dass die wasserrechtlichen Genehmigungen, die der Klägerin nach Landesrecht erteilt wurden, für die umsatzsteuerrechtliche Behandlung nicht bindend sind. Dies ist schon deshalb zutreffend, da sich diese Genehmigungen nach ihrer Rechtsgrundlage in Art. 28 Abs. 4 des Bayerischen Wassergesetzes auf die "Schiff- und Floßfahrt" im Allgemeinen ohne spezifischen Bezug zu einer entgeltlichen Personenbeförderung beziehen.
Zum anderen hat das FG bei der durch die BFH-Rechtsprechung vorgegebenen Prüfung von § 42 PBefG die Steuersatzermäßigung verneint, da die hierfür erforderliche regelmäßige Verkehrsverbindung fehlt. Das FG begründete dies damit, dass sich die Fahrgäste der Klägerin nicht, wie für eine regelmäßige Verkehrsverbindung entsprechend § 42 PBefG erforderlich, auf das Vorhandensein einer Verbindung einrichten konnten, da die Klägerin ihre Rundfahrten von Wetter und Nachfrage abhängig machte und nur fuhr, wenn sich mindestens 20 Teilnehmer einfanden, was das FG einem Handzettel der Klägerin aus dem Streitjahr 2016 und deren Außenauftritt im Jahr 2017 entnahm. Es bestünden keine Anhaltspunkte, dass es sich in früheren Jahren anders verhalten haben könnte, zumal das Geschäftsmodell der Klägerin seit langem im Wesentlichen unverändert bestehe. Aus Sicht einzelner Fahrgäste oder kleinerer Gruppen sei damit immer ein Unsicherheitselement verblieben. Dies sei kennzeichnend für einen Gelegenheitsverkehr. Diese Würdigung, die bereits für sich zur Verneinung der Steuersatzermäßigung ausreicht, ist möglich, verstößt nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze und bindet daher den Senat (§ 118 Abs. 2 FGO). Im Hinblick hierauf ist es unerheblich, dass das FG seine Entscheidung darüber hinaus entgegen der BFH-Rechtsprechung (s. oben unter II.2.) mit dem Fehlen einer Betriebs- und Beförderungspflicht begründet hat.
Die Überlegungen der Klägerin zu den mechanischen Aufstiegshilfen aller Art ("Skilift") ändern hieran nichts, da es dort nicht auf einen Linienverkehr ankommt.
4. Der geltend gemachte Verfahrensfehler liegt nicht vor. Ausweislich des Sitzungsprotokolls hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung keine weiteren Beweisanträge gestellt und das Unterbleiben einer Beweiserhebung insoweit auch nicht gerügt. Damit hat die Klägerin ihr Rügerecht verloren. Der im finanzgerichtlichen Verfahren geltende Untersuchungsgrundsatz ist eine Verfahrensvorschrift, auf deren Einhaltung ein Beteiligter ausdrücklich oder durch Unterlassen einer Rüge verzichten kann (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung). Das Unterlassen der rechtzeitigen Rüge hat den endgültigen Rügeverlust zur Folge (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 16.01.2018 - VI R 2/16, BFH/NV 2018, 712).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.