ECLI:DE:BFH:2020:B.080420.IXB88.19.0
BFH IX. Senat
FGO § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2, FGO § 96 Abs 2, FGO § 115 Abs 2 Nr 3, FGO § 116 Abs 3 S 3, GG Art 103 Abs 1
vorgehend FG München, 24. Juli 2019, Az: 11 K 2478/17
Leitsätze
1. NV: Die schlüssige Rüge einer Divergenz erfordert die Darlegung, dass das FG bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Auffassung vertritt als der BFH, ein anderes FG oder ein anderes oberstes Bundesgericht .
2. NV: Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten oder nicht bekannten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste .
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts München vom 25.07.2019 - 11 K 2478/17 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sind nicht gegeben. Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) hat den geltend gemachten Zulassungsgrund der Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung in Gestalt einer Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt (dazu unter 1.). Der gerügte Verfahrensmangel in Gestalt einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes ‑‑GG‑‑, § 96 Abs. 2 FGO) liegt nicht vor (dazu unter 2.).
1. Die vom FA vorgebrachte Rüge einer Divergenz ist nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt worden.
a) Die schlüssige Rüge einer Divergenz erfordert die Darlegung, dass das Finanzgericht (FG) bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Auffassung vertritt als der BFH oder ein anderes FG. Gleiches gilt für Entscheidungen eines anderen obersten Bundesgerichts. Dabei muss das FG seinem Urteil einen entscheidungserheblichen (tragenden) abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den ebenfalls tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung des anderen Gerichts nicht übereinstimmt.
Im Einzelnen sind für die schlüssige Rüge einer Divergenz gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO die angeblichen Divergenzentscheidungen genau ‑‑mit Datum und Aktenzeichen oder Fundstelle‑‑ zu bezeichnen sowie tragende, abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits gegenüberzustellen, um die Abweichung deutlich zu machen. Dies erfordert auch die Darlegung, dass es sich im Streitfall um einen gleichen oder vergleichbaren Sachverhalt handelt, so dass sich in der angefochtenen und in der Divergenzentscheidung dieselbe Rechtsfrage stellt.
b) Diese Voraussetzungen erfüllt das Vorbringen des FA nicht. Das FA benennt zwar mehrere BFH-Entscheidungen, die u.a. zu einem anderen Ergebnis ‑‑Einordnung als Bestechungsgeld‑‑ kommen. Es fehlt aber an der Herausarbeitung der tragenden abstrakten Rechtsätze des FG und einer Gegenüberstellung mit den tragenden abstrakten Rechtssätzen aus den zitierten BFH-Entscheidungen.
Ebenso wird nicht herausgearbeitet, ob und in welchem Umfang es sich um gleiche oder vergleichbare Sachverhalte handelt. Dass der BFH in den angeführten Divergenzentscheidungen zu einem anderen Ergebnis kommt, hat seinen Grund nicht in der Zugrundelegung einer abweichenden Rechtsauffassung. Vielmehr liegen den genannten Divergenzentscheidungen durchweg andere Sachverhalte zugrunde. So ging es in den vom FA angeführten BFH-Entscheidungen vom 26.01.2000 - IX R 87/95 (BFHE 191, 274, BStBl II 2000, 396) und vom 20.07.2007 - XI B 193/06 (BFH/NV 2007, 1887) um Arbeitnehmer, die im Rahmen der Auftragsvergabe Bestechungsgelder annahmen. Den BFH-Entscheidungen vom 21.11.1997 - X R 124/94 (BFHE 184, 540, BStBl II 1998, 133) und vom 20.01.2009 - IX R 34/07 (BFHE 224, 252, BStBl II 2009, 532) lagen gar keine Bestechungszahlungen zugrunde. In keiner der vom FA zitierten Entscheidungen ging es um die hier streitige Frage der Annahme eines Darlehensvertrags.
2. Auch der gerügte Verstoß gegen das Recht auf Gehör in Gestalt einer Überraschungsentscheidung liegt nicht vor.
a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör i.S. von Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 und § 119 Nr. 3 FGO verpflichtet das Gericht u.a., die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und sich mit dem entscheidungserheblichen Kern des Vorbringens auseinanderzusetzen. Dabei ist das Gericht naturgemäß nicht verpflichtet, der tatsächlichen Würdigung oder der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11.06.2008 - 2 BvR 2062/07, Deutsches Verwaltungsblatt 2008, 1056; BFH-Beschluss vom 11.05.2011 - V B 113/10, BFH/NV 2011, 1523). Art. 103 Abs. 1 GG und § 96 Abs. 2 FGO sind erst dann verletzt, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalls ergibt, dass das Gericht das Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (vgl. u.a. BFH-Beschlüsse vom 10.09.2014 - IX S 10/14, BFH/NV 2015, 47, und vom 23.03.2016 - IX B 22/16, BFH/NV 2016, 1013).
Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst das Recht der Verfahrensbeteiligten, sich vor Erlass einer Entscheidung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und ‑‑gegebenenfalls‑‑ Beweisergebnissen zu äußern, sowie in rechtlicher Hinsicht alles vorzutragen, was sie für wesentlich halten. Darüber hinaus gebietet es der Anspruch auf rechtliches Gehör, für die Prozessbeteiligten überraschende Entscheidungen zu unterlassen. Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten oder nicht bekannten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn ein entscheidungserheblicher Umstand vom FG erst mit dem Endurteil in das Verfahren eingebracht wird (z.B. Senatsbeschluss vom 23.02.2017 - IX B 2/17, juris, Rz 15, m.w.N.).
b) In Anwendung dieser Grundsätze ist ein Verstoß gegen den Anspruch des FA auf rechtliches Gehör nicht festzustellen. Dass das FG das Vorliegen eines Darlehensvertrags bejaht hat, war für das FA mit Blick auf den bisherigen Prozessverlauf vorhersehbar und nicht überraschend. Die Einordnung des streitigen Vorgangs als Darlehen war bereits mit den Schreiben des Klägers und Beschwerdegegners (Kläger) vom 22.02.2018 und vom 27.02.2019 in das Verfahren eingeführt worden. Mit Schreiben vom 05.12.2018 hat das FG auf die Einlassung des Klägers hingewiesen, wonach es sich bei dem streitigen Vorgang um ein Darlehen handeln könne. Am 18.03.2019 hat der Kläger zudem die Entscheidung des FG Düsseldorf vom 19.02.2019 - 10 K 3672/15 E übersandt. In diesem Verfahren war ein vergleichbares Darlehensverhältnis mit einem Mitgesellschafter des Klägers Gegenstand der Ausführungen des Gerichts. Zudem hat sich das FA in seinen Schreiben vom 11.12.2018 und 15.05.2019 selbst mit der Frage der Einordnung des streitigen Vorgangs als Darlehensverhältnis befasst.
3. Von einer weiter gehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.