ECLI:DE:BFH:2019:U.260919.VR36.18.0
BFH V. Senat
UStG § 1 Abs 1 Nr 1, UStG VZ 2009 , UStG VZ 2010 , UStG VZ 2011 , UStG VZ 2012
vorgehend FG Nürnberg, 15. Oktober 2018, Az: 2 K 703/18
Leitsätze
NV: Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, im Mahlen von Getreide einerseits und der Zugabe von Zusatzstoffen andererseits umsatzsteuerrechtlich eigenständige Leistungen zu sehen.
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 16.10.2018 - 2 K 703/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
I.
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) mahlte in den Streitjahren (2009 bis 2012) mit einer auf einem LKW installierten mobilen Mahl- und Mischanlage (Anlage) auf Bauernhöfen bereitgestelltes Getreide. Dabei gab er nach individuellen Vorgaben der Bauern Futteröl, Mineralfutter sowie andere Zusatzstoffe hinzu. Zudem verkaufte er auch Futteröl. Die Anlage saugte das Getreide aus dem Lager des Kunden an, schrotete oder quetschte es abhängig von der vom Kunden gewünschten Konsistenz des Futters und leitete es in einen Mischbehälter weiter. In dem Mischbehälter gab der Kläger entsprechend den Vorgaben des jeweiligen Auftraggebers Futteröl oder Mineralfutter oder beides zu. Das Futteröl kam direkt aus einem in die Anlage integrierten Tank, das Mineralfutter wurde auf dem LKW in Säcken mitgeführt, die über eine Fördervorrichtung in den Mischbehälter entleert wurden. Die Mischung und die Zugabe von Futteröl und Mineralfutter begannen, sobald der erste Schrot in den Mischbehälter gelangt und noch bevor das letzte Getreide gemahlen oder gequetscht war. War der Mahl- und Mischvorgang abgeschlossen, gab die Anlage das fertige Futter aus. Das Futteröl sollte vorrangig den Schrot mit zusätzlichem Nährstoff (Fett) anreichern und wurde für unterschiedliche Tierarten und Fütterungszwecke in unterschiedlicher Dosierung zugegeben. Da es den beim Mahlen entstehenden Staub band, erleichterte es zudem die Futteraufnahme durch das Vieh.
Im Anschluss an eine Umsatzsteuersonderprüfung ging der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) davon aus, dass das Mahlen und Mischen von Getreide unter Zugabe von Futteröl, Mineralfutter und anderen Zusatzstoffen eine einheitliche Leistung sei, die dem allgemeinen Steuersatz unterliege. Es lägen daher keine ermäßigt zu besteuernden Lieferungen vor. Das FA erließ daher entsprechend geänderte Änderungsbescheide für die Streitjahre.
In dem geänderten Umsatzsteuerbescheid 2009 vom 29.12.2015 hob das FA den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Einspruch ein. In den geänderten Umsatzsteuerbescheiden 2010 bis 2012 vom 09.08.2016 blieb der Vorbehalt der Nachprüfung bestehen. Den Vorbehalt der Nachprüfung für 2010 hob das FA mit Umsatzsteuerbescheid vom 28.11.2016 auf. Dagegen legte der Kläger Einspruch ein. Das FA erließ am 07.03.2018 für 2009, 2011 und 2012 aus im vorliegenden Verfahren nicht streitigen Gründen geänderte Umsatzsteuerbescheide, in denen es die Umsatzsteuer 2009 auf 135.850,21 €, die Umsatzsteuer 2011 auf 187.759,38 € und die Umsatzsteuer 2012 auf 134.861,61 € festsetzte. Dabei ging es davon aus, dass der reine Verkauf von Rapsöl dem ermäßigten Steuersatz unterliege. Mit den geänderten Umsatzsteuerbescheiden für 2011 und 2012 vom 07.03.2018 hob das FA den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Gegen diese Bescheide legte der Kläger abermals Einspruch ein. Mit Einspruchsentscheidungen vom 30.04.2018 wies das FA die Einsprüche zurück.
Demgegenüber gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt. Nach seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2018, 2066 veröffentlichten Urteil liegen zwei umsatzsteuerrechtlich eigenständige Leistungen vor, wenn ein Unternehmer von Bauern bereitgestelltes Getreide mahlt und mischt und dabei nach Wunsch des Kunden von ihm selbst beschafftes Futteröl zur Nährstoffanreicherung und/oder Mineralfutter hinzugibt. Das Mahlen und Mischen sei eine sonstige Leistung. Die Zugabe von Futteröl und Mineralfutter sei eine Lieferung, die dem ermäßigten Steuersatz unterliege. Das Verhältnis der Preise für das Schroten/Quetschen einerseits, Futteröl und/oder Mineralfutter andererseits stehe der Annahme zweier eigenständiger Leistungen nicht entgegen. Dieses Verhältnis hänge von der konkreten Dosierung von Futteröl und Mineralfutter im Einzelfall ab. Bestätigt werde dies durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) zur Bedeutung der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem für die Abgrenzung von Leistungseinheit und Leistungsmehrheit. Dem habe sich der Bundesfinanzhof (BFH) angeschlossen.
Hiergegen wendet sich das FA mit der Revision. Es liege eine einheitliche Leistung vor. Der Kläger erbringe auch reine Mahlleistungen, z.B. zur Verwendung des Mahlguts in Biogasanlagen. Bei den streitigen Lieferungen komme es demgegenüber auch auf die Mischung mit Öl und Mineralfutter an, damit sich der Energiegehalt des Futters erhöhe. Die Beimischung sei somit prägend und untrennbar mit den anderen Leistungselementen verbunden. Der Wert der Beimischungen habe in der Regel weniger als die Hälfte des Werts der Gesamtleistung ausgemacht. Eine Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf die einheitliche Leistung sei nur möglich, wenn der Wert der Beimischungen mehr als die Hälfte des Werts der Gesamtleistung ausmache.
Das FA beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Zusatzstoffe dienten nicht dazu, das Mahlen zu ermöglichen. Sie seien erst nach dem Mahlen zugegeben worden. Es lägen getrennte Leistungen vor, da Kunden auch nur Mahlleistungen ohne Bezug von Zusatzstoffen empfangen konnten. Der Empfängerkreis (Landwirte) sei zu berücksichtigen. Der Preis für die Zusatzstoffe sei nicht unerheblich gewesen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Wie das FG zutreffend entschieden hat, liegen mehrere Leistungen vor, die nach dem jeweils für sie geltenden Steuersatz zu versteuern sind. Denn für die Abgrenzung von einheitlicher Leistung zu getrennten Leistungen kommt es darauf an, ob sich die jeweiligen Leistungen aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers nach ihrem wirtschaftlichen Gehalt als eigenständige Leistungen, als Haupt- und Nebenleistung oder als komplexe Leistung darstellen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 14.02.2019 - V R 22/17, BFHE 264, 83, BStBl II 2019, 350).
1. Nach ständiger Rechtsprechung ist bei Anwendung von § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) jede Leistung grundsätzlich als eigenständig anzusehen. Abweichend hiervon erfolgt eine Zusammenfassung zu einer Leistung in zwei Fällen. Zum einen liegt eine einheitliche Leistung vor, wenn eine oder mehrere Einzelleistungen eine Hauptleistung bilden und die andere Einzelleistung oder die anderen Einzelleistungen eine oder mehrere Nebenleistungen bilden, die das steuerliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Eine Leistung ist insbesondere dann Neben- und nicht Hauptleistung, wenn sie für die Kundschaft keinen eigenen Zweck hat, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen (vgl. z.B. EuGH-Urteil Bog u.a. vom 10.03.2011 - C-497/09, EU:C:2011:135, BStBl II 2013, 256, Rz 54; BFH-Urteil vom 10.01.2013 - V R 31/10, BFHE 240, 380, BStBl II 2013, 352, Rz 19 ff.). Zum anderen kann sich eine einheitliche Leistung daraus ergeben, dass zwei oder mehrere Handlungen oder Einzelleistungen des Steuerpflichtigen für den Kunden so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv einen einzigen untrennbaren wirtschaftlichen Vorgang bilden, dessen Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre (vgl. z.B. EuGH-Urteile Bog u.a., EU:C:2011:135, BStBl II 2013, 256, Rz 53; Deutsche Bank AG vom 19.07.2012 - C-44/11, EU:C:2012:484, BStBl II 2012, 945, Rz 21).
2. Danach ist das FG rechtsfehlerfrei von zwei eigenständigen Leistungen ausgegangen, da die Voraussetzungen für eine Zusammenfassung zu einer Leistung nicht vorliegen. Das Mahlen von Getreide einerseits und die Zugabe der Zusatzstoffe andererseits standen nicht in einem Verhältnis von Haupt- und Nebenleistung. Denn die Zugabe der Zusatzstoffe diente nicht dazu, den Mahlvorgang unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen, sondern der Folgeverwendung als Tierfutter. Da die Kunden des Klägers regelmäßig auch nur Mahlleistungen in Anspruch nahmen, handelte es sich auch nicht um einen einzigen untrennbaren wirtschaftlichen Vorgang, dessen Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre.
3. Somit hat das FG zutreffend entschieden, dass auf den Mahl- und Mischvorgang der Regelsteuersatz und auf die Abgabe der Zusatzstoffe der für sie geltende ermäßigte Steuersatz anzuwenden ist.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.