ECLI:DE:BFH:2018:U.281118.IR61.16.0
BFH I. Senat
AO § 347 Abs 1, FGO § 118 Abs 2
vorgehend FG Münster, 20. Juli 2016, Az: 9 K 2794/15 K,F
Leitsätze
NV: Ein von einem fachkundigen Bevollmächtigten eingelegter Einspruch, der die angefochtenen Bescheide eindeutig und abschließend bezeichnet, ist nicht dahingehend auslegungsfähig, dass auch ein weiterer ‑‑im Einspruchsschreiben nicht benannter‑‑ Steuerbescheid angefochten werden soll .
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 21. Juli 2016 9 K 2794/15 K,F hinsichtlich des Körperschaftsteuerbescheids für 2012 aufgehoben.
Die Klage wird insoweit als unzulässig abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
I.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH, die mit einem Stammkapital von 25.000 € ausgestattet ist. Gesellschafter waren zunächst KR und HN mit Stammeinlagen von je 12.000 € sowie CN und IR mit Stammeinlagen von je 500 €. Nach dem Tode von HN am ... Januar 2013 ging dessen Geschäftsanteil auf CN als Vorerbin über, mit der die Gesellschaft fortgesetzt wurde.
Mit Vertrag vom 21. November 2013 trat CN ihren Geschäftsanteil von 500 € an KR und den geerbten Geschäftsanteil von 12.000 € an IR ab.
Mit Körperschaftsteuerbescheid 2012 (Streitjahr) vom 17. September 2013 ging der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) von einem Gesamtbetrag der Einkünfte der Klägerin von 40.057 € aus. Hiervon zog das FA den zum 31. Dezember 2011 festgestellten verbleibenden Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer von 19.571 € ab und setzte aufgrund eines zu versteuernden Einkommens von 20.486 € die Körperschaftsteuer auf 3.072 € fest. Den verbleibenden Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer auf den 31. Dezember 2012 stellte das FA mit 0 € fest.
Im Jahr 2013 entstand der Klägerin ein Verlust; die Summe der Einkünfte betrug ./. 16.827 €. Die Klägerin beantragte, diesen Verlust in das Jahr 2012 zurückzutragen. Das FA ging demgegenüber davon aus, der Verlust sei aufgrund der Bestimmung des § 8c Abs. 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes in der für 2013 geltenden Fassung (KStG) zu 50 % nicht rücktragsfähig, soweit er bis zum 21. November 2013 ‑‑dem Stichtag des sog. schädlichen Beteiligungserwerbs, der in der Veräußerung der insgesamt hälftigen Beteiligung an der Klägerin durch CN an jenem Tag gesehen werden müsse‑‑ entstanden sei. Den nicht rücktragsfähigen Betrag setzte das FA mit 7.491 € (16.827 € x 325/365 x 1/2) an.
Auf dieser Grundlage erließ das FA am 15. April 2015 einen geänderten Körperschaftsteuerbescheid für 2012, in dem es einen Verlustanteil in Höhe von 9.336 € (16.827 € ./. 7.491 €) aus dem Jahr 2013 zurücktrug, wodurch sich das zu versteuernde Einkommen auf 11.150 € und die festgesetzte Körperschaftsteuer auf 1.672 € verminderten.
Ebenfalls am 15. April 2015 erließ das FA einen Körperschaftsteuerbescheid für 2013, in dem es die Körperschaftsteuer auf 0 € festsetzte. Bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens wies das FA als Besteuerungsgrundlagen aus:
Summe der Einkünfte:
./. 16.827 €
Nach § 8c KStG nicht zu berücksichtigender Verlust des laufenden Veranlagungszeitraums:
7.491 €
Einkommen:
./. 9.336 €
Zu versteuerndes Einkommen:
./. 9.336 €
Des Weiteren stellte das FA am 15. April 2015 den verbleibenden Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 2013 gesondert mit 0 € fest.
Am 21. April 2015 legte die durch einen Steuerberater vertretene Klägerin Einspruch gegen "Körperschaftsteuerbescheid 2013 vom 15. April 2015 und Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags vom 15. April 2015" ein. Zur Begründung führte sie aus, ein Verlustanteil von 14.937 € (324/365 von 16.827 €) sei in das Jahr 2012 zurückzutragen; lediglich der ab dem 21. November 2013 entstandene Verlustanteil von 1.890 € sei von der Verlustnutzung ausgeschlossen. Beantragt werde die Berichtigung "des o.a. Bescheides und der Folgebescheide".
Das FA wies die Einsprüche mit Einspruchsentscheidung vom 4. August 2015 zurück. Als Streitgegenstand bezeichnete es dort neben hier nicht relevanten gewerbesteuerlichen Bescheiden "Körperschaftsteuer 2013, gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrages (z)um 31.12.2013".
Die anschließende Klage erhob die Klägerin gemäß Klageschrift "wegen des im Rahmen des Körperschaftsteuerbescheides 2013 vom 15.04.2015 und des Bescheids über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrages zur Körperschaftsteuer auf den 31.12.2013 gemäß § 8c KStG nicht zu berücksichtigenden Verlustes 2013 in Höhe von 7.491 € in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.08.2015". Der ursprüngliche Klageantrag war darauf gerichtet, "den körperschaftsteuerlichen Verlust in Höhe von 16.827,- € ungekürzt gem. § 8 (1) KSt(G) in Verbindung mit § 10d EStG nach 2012 zurückzutragen".
Beim Erörterungstermin vor dem Berichterstatter des zuständigen Senats des Finanzgerichts (FG) Münster warf dieser die Frage auf, ob der Körperschaftsteuerbescheid 2013 und der Verlustfeststellungsbescheid zum 31. Dezember 2013 verfahrensrechtlich der richtige Ausgangspunkt für das Klagebegehren seien. Er könne aber der Auslegung nahetreten, dass mit dem Einspruch in Wahrheit der Körperschaftsteuerbescheid 2012 habe angefochten werden sollen und auch die Einspruchsentscheidung auf jenen Bescheid zu beziehen sei. In einer schriftsätzlichen Stellungnahme vom 8. Juni 2016 erklärte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, diese verfahrensrechtliche Frage stelle sich hier nicht, denn der angefochtene Verlustfeststellungsbescheid zum 31. Dezember 2013 sei Grundlagenbescheid mit Bindungswirkung für den Verlustrücktrag nach 2012. Mit dem Einspruch gegen den Bescheid über den verbleibenden Verlustvortrag zum 31. Dezember 2013 sei daher der zutreffende Bescheid angefochten worden, um den Verlustrücktrag nach 2012 im beantragten Umfang zu erreichen. Ein Einspruch gegen den Körperschaftsteuerbescheid 2012 als Folgebescheid sei gemäß § 351 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) nicht möglich.
In der mündlichen Verhandlung vor dem FG stellte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin sodann allerdings den Antrag, "den Körperschaftsteuerbescheid 2012 und 2013 sowie den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer auf den 31.12.2013, jeweils vom 15.4.2015 und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4.8.2015, dahingehend zu ändern, dass anstelle eines Verlustrücktrags in Höhe von 9.336 € ein Verlustrücktrag in Höhe von 16.827 € berücksichtigt wird".
Das FG hat der Klage mit Urteil vom 21. Juli 2016 9 K 2794/15 K,F (Entscheidungen der Finanzgerichte ‑‑EFG‑‑ 2016, 1546) im Hinblick auf die Körperschaftsteuerbescheide für 2012 und 2013 stattgegeben. Hinsichtlich des Bescheids über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer auf den 31. Dezember 2013 hat das FG die Klage wegen Fehlens einer Beschwer der Klägerin als unzulässig abgewiesen.
Nach Auffassung des FG seien Einspruch und Einspruchsentscheidung dahin auszulegen, dass auch der Körperschaftsteuerbescheid 2012 Gegenstand des Anfechtungsbegehrens und des Einspruchsverfahrens gewesen sei. Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass die Klägerin von Beginn an klargemacht habe, dass es ihr um den Verlustrücktrag in das Jahr 2012 gehe. In der Sache sei die Klage begründet, weil die Regelung des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG die Möglichkeit eines Verlustrücktrags in Bezug auf die unterjährig bis zum Zeitpunkt des schädlichen Beteiligungserwerbs entstandenen Verluste nicht einschränke.
Gegen das FG-Urteil richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des FA. Dieses ist der Auffassung, bei einem unterjährigen schädlichen Beteiligungserwerb schränke § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG auch die Rücktragsmöglichkeit der bis zum schädlichen Beteiligungserwerb entstandenen laufenden Verluste ein. Es stützt sich dafür auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 4. Juli 2008 (BStBl I 2008, 736, Rz 30).
Der erkennende Senat hat das Verfahren betreffend den Körperschaftsteuerbescheid für 2013 mit Beschluss vom 28. November 2018 I R 61/16 gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) abgetrennt; dieses wird nunmehr unter dem Aktenzeichen I R 41/18 geführt. Verbliebener Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die Klage gegen den Körperschaftsteuerbescheid für 2012.
Das FA beantragt (sinngemäß), das FG-Urteil in Bezug auf den Körperschaftsteuerbescheid für 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin tritt den Ausführungen des FA in der Sache entgegen, stellt jedoch keinen förmlichen Antrag.
Das BMF ist dem Revisionsverfahren gemäß § 122 Abs. 2 Satz 1 FGO beigetreten. Es stützt die Auffassung des FA und hält darüber hinaus die Sichtweise des FG für unzutreffend, dass Gegenstand des Einspruchs und des Einspruchsverfahrens auch der Körperschaftsteuerbescheid für das Jahr 2012 gewesen sei. Einen förmlichen Antrag stellt das BMF nicht.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des FG-Urteils, soweit dieses der Klage gegen den Körperschaftsteuerbescheid für 2012 stattgegeben hat, und zur Abweisung der diesbezüglichen Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Diese ist unzulässig, weil der Erhebung der Klage kein Einspruchsverfahren vorausgegangen ist.
1. Gemäß § 44 Abs. 1 FGO ist die Klage in den Fällen, in denen ein außergerichtlicher Rechtsbehelf gegeben ist, grundsätzlich nur zulässig, wenn das Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder zum Teil erfolglos geblieben ist. Im Hinblick auf den Körperschaftsteuerbescheid für 2012 hat die Klägerin jedoch von der gemäß § 347 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO eröffneten außergerichtlichen Rechtsbehelfsmöglichkeit des Einspruchs keinen Gebrauch gemacht. Entgegen der Sichtweise der Vorinstanz kann die Einspruchserklärung vom 21. April 2015 nicht dahin verstanden werden, dass auch der dort nicht erwähnte Körperschaftsteuerbescheid für 2012 angefochten werden sollte.
a) Allerdings ist der Senat als Revisionsgericht nach den Maßgaben von § 118 Abs. 2 FGO grundsätzlich an die Auslegung der Einspruchserklärung durch die Vorinstanz gebunden, da es sich bei dem Einspruch nicht um eine Prozesshandlung, sondern um einen vorprozessualen Rechtsbehelf handelt (Senatsurteil vom 5. Februar 1992 I R 76/91, BFHE 168, 1, BStBl II 1992, 995; Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 11. Februar 2009 X R 51/06, BFHE 226, 1, BStBl II 2009, 892). Revisionsrechtlich in vollem Umfang nachprüfbar ist indes, ob ein Einspruch auslegungsbedürftig ist. Hieran fehlt es, wenn die Erklärung nach Wortlaut und Zweck einen eindeutigen Inhalt hat (BFH-Urteil in BFHE 226, 1, BStBl II 2009, 892).
b) Die von einem fachkundigen Berufsträger abgegebene Einspruchserklärung der Klägerin vom 21. April 2015 hat einen eindeutigen Inhalt gehabt. Sie benennt als angefochtene Bescheide unzweideutig und abschließend den Körperschaftsteuerbescheid 2013 und den Verlustfeststellungsbescheid auf den 31. Dezember 2013. Der Einspruchserklärung ist kein Anhalt dafür zu entnehmen, dass zusätzlich zu den beiden ausdrücklich benannten Bescheiden auch noch andere Bescheide angefochten werden sollten. Der auf die Berichtigung "des o.a. Bescheides und der Folgebescheide" lautende Antrag der Klägerin zeigt unmissverständlich, dass die Klägerin der Auffassung war, die angestrebte Erhöhung des Verlustrücktrags in das Jahr 2012 durch Anfechtung der das Jahr 2013 betreffenden Bescheide erreichen zu können. Dies wird im Übrigen durch den erstinstanzlichen Schriftsatz der Klägerin vom 8. Juni 2016 bestätigt, in dem sie den im Erörterungstermin vom Berichterstatter geäußerten Zweifeln daran, ihr eigentliches Rechtsschutzziel durch Anfechtung der in der Einspruchserklärung benannten Bescheide erreichen zu können, ausdrücklich entgegengetreten ist und die Auffassung kundgetan hat, die Anfechtung des Körperschaftsteuerbescheids 2012 wäre unzulässig gewesen, weil es sich dabei im Hinblick auf den Verlustrücktrag um einen Folgebescheid zu dem Verlustfeststellungsbescheid auf den 31. Dezember 2013 gehandelt habe.
Die Einspruchserklärung bezeichnet die angefochtenen Bescheide in einer klaren und eindeutigen Weise und lässt für Zweifel keinen Raum. Die Vorinstanz ist zu ihrer gegenteiligen Sichtweise nur dadurch gelangt, dass sie bereits eine rechtliche Prüfung dahingehend vorgenommen hat, ob die Klägerin ihr eigentliches Rechtsschutzziel mit der Anfechtung der bezeichneten Bescheide würde erreichen können. Da dies aus seiner Sicht nicht der Fall war, hat das FG denjenigen Bescheid in die Einspruchserklärung "hineingelesen", der nach seiner Auffassung richtigerweise hätte angefochten werden müssen. Bei dieser Vorgehensweise handelt es sich indessen nicht mehr um eine Auslegung, sondern um eine Korrektur der Einspruchserklärung, die mit dem Grundsatz der rechtsschutzgewährenden Auslegung nicht gerechtfertigt werden kann.
2. Im Übrigen lässt sich auch der Einspruchsentscheidung des FA ‑‑deren Auslegung durch das FG vom BFH vollen Umfangs überprüfbar ist (vgl. Senatsurteil vom 4. Juni 2008 I R 72/07, BFH/NV 2008, 1977, m.w.N.)‑‑ kein Anhalt für einen Erklärungswillen der Behörde dahingehend entnehmen, auch über einen Einspruch der Klägerin gegen den Körperschaftsteuerbescheid 2012 entscheiden zu wollen. Dort werden lediglich die von der Klägerin angegebenen Bescheide als Verfahrensgegenstände bezeichnet. Dass das FA sich in der Begründung der Einspruchsentscheidung sachlich mit der von der Klägerin in der Einspruchsbegründung aufgeworfenen materiell-rechtlichen Frage zur Höhe des zulässigen Verlustrücktrags in das Jahr 2012 auseinandergesetzt hat, lässt entgegen der Ansicht der Klägerin keinen Schluss darauf zu, dass das FA den Körperschaftsteuerbescheid für 2012 als Gegenstand des Einspruchsverfahrens betrachtet haben könnte.
Entsprechendes gilt auch für die Klageschrift, in der der Prozessbevollmächtigte der Klägerin wiederum nur den Körperschaftsteuerbescheid für 2013 und den Verlustfeststellungsbescheid zum 31. Dezember 2013 benannt hat. Der Körperschaftsteuerbescheid für 2012 ist erstmals in dem in der mündlichen Verhandlung vor dem FG gestellten Klageantrag in das Anfechtungsbegehren der Klägerin aufgenommen worden. In der Sache handelt es sich dabei folglich um eine Klageerweiterung, der jedoch mangels Durchführung eines Vorverfahrens kein Erfolg beschieden sein kann.
3. Das FG ist von einer anderen Auffassung ausgegangen. Sein Urteil ist daher aufzuheben. Die Sache ist entscheidungsreif; die Klage ist als unzulässig abzuweisen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.