ECLI:DE:BFH:2019:B.060319.VS25.18.0
BFH V. Senat
FGO § 74, FGO § 128, AO § 218 Abs 2
vorgehend FG Nürnberg, 29. Oktober 2018, Az: 2 K 451/17
Leitsätze
NV: Das Verfahren über die Erhebung der festgesetzten Umsatzsteuer ist für die Entscheidung über die Steuerfestsetzung nicht vorgreiflich. Das gilt auch dann, wenn noch kein Klageverfahren gegen den Abrechnungsbescheid anhängig ist, weil über den Einspruch gegen den Abrechnungsbescheid noch nicht entschieden wurde.
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Finanzgerichts Nürnberg vom 30. Oktober 2018 2 K 451/17 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
I.
Mit seiner Klage vom 31. März 2017 2 K 451/17 wendet sich der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) gegen die geänderten Umsatzsteuerbescheide 2007 bis 2010 sowie die erstmaligen Umsatzsteuerbescheide 2011 bis 2012. Zeitgleich beantragte er beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt ‑‑FA‑‑) den Erlass eines Abrechnungsbescheids und beim Finanzgericht (FG) die Aussetzung des Klageverfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung über gegenseitige Zahlungsverpflichtungen aus dem Abrechnungsbescheid.
Nachdem das FA unter dem 22. Mai 2017 einen Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) erlassen hatte, in dem es darüber entschied, "inwieweit die festgesetzte Umsatzsteuer getilgt wurde", lehnte der Berichterstatter des FG mit Beschluss vom 30. Oktober 2018 die Aussetzung des Verfahrens ab. Die im Abrechnungsbescheid geregelten Zahlungsansprüche beträfen nicht das Festsetzungs-, sondern das Abrechnungsverfahren, das Abrechnungsverfahren sei aber für die Entscheidung über die Steuerfestsetzung nicht vorgreiflich. Hiergegen richtet sich die ‑‑vom FG nicht abgeholfene und dem Bundesfinanzhof (BFH) vorgelegte‑‑ fristgerecht erhobene Beschwerde des Klägers.
Er macht geltend, im Streit über den Abrechnungsbescheid sei zu klären, ob eine Zahlungsverpflichtung bestehe. Der Abrechnungsbescheid sei angefochten und über den Einspruch noch nicht entschieden worden. Stelle sich heraus, dass keine Zahlungsverpflichtung bestehe, sei damit auch das Festsetzungsverfahren erledigt. Anders als in dem vom BFH im Beschluss vom 1. April 2015 V B 121/14 (BFH/NV 2015, 1003) entschiedenen Fall sei der Streit um den Abrechnungsbescheid somit vorgreiflich und das Klageverfahren auszusetzen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Beschluss des FG vom 30. Oktober 2018 aufzuheben und das Klageverfahren 2 K 451/17 wegen Umsatzsteuer 2007 bis 2012 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Abrechnungsbescheids vom 22. Mai 2017 auszusetzen.Das FA hat keine Stellungnahme abgegeben und auch keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
II.
Die nach § 128 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässige Beschwerde ist unbegründet und daher durch Beschluss zurückzuweisen (§ 132 FGO). Das FG hat die Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO zu Recht abgelehnt.
1. Nach § 74 FGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen ist. Die Entscheidung hängt dann von einem Rechtsverhältnis ab, das Gegenstand eines anderen Verfahrens ist, wenn die Entscheidung des anderen Gerichts oder der Behörde vorgreiflich ist, d.h. wenn das Rechtsverhältnis, über das in dem anderen Verfahren entschieden wird, die Entscheidung, die in dem auszusetzenden Verfahren zu treffen ist, rechtlich beeinflusst (Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 74 FGO Rz 7; Herbert in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 74 Rz 2, m.w.N.).
2. Im Streitfall ist das anhängige Rechtsbehelfsverfahren über das Bestehen oder Nichtbestehen von Zahlungsansprüchen wegen festgesetzter Umsatzsteuer (Einspruch gegen Abrechnungsbescheid vom 22. Mai 2017) für die Entscheidung über die Steuerfestsetzung nicht in diesem Sinne vorgreiflich. Während in dem Einspruchsverfahren zum Abrechnungsbescheid über Zahlungsansprüche im Rahmen des Erhebungsverfahrens entschieden wird, geht es in dem anhängigen Klageverfahren darum, ob die Umsatzsteuer in zutreffender Höhe festgesetzt wurde. Die Frage des Bestehens von Zahlungsansprüchen ist aber ohne rechtlichen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung und daher nicht vorgreiflich (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2015, 1003, sowie vom 16. Mai 2007 V B 75/06, BFH/NV 2007, 1688; Herbert in Gräber, a.a.O., § 74 FGO Rz 17; Brandis in Tipke/Kruse, a.a.O., § 74 Rz 7; zum umgekehrten Fall der Vorgreiflichkeit des Festsetzungsverfahrens gegenüber dem Erhebungsverfahren vgl. BFH-Urteil vom 8. März 2012 V R 24/11, BFHE 236, 274, BStBl II 2012, 466, Rz 42, m.w.N.).
Nicht entscheidungserheblich ist das Vorbringen des Klägers, wonach sich der Streitfall von dem in BFH/NV 2015, 1003 entschiedenen Fall dadurch unterscheidet, dass dort bereits eine Klage gegen den Abrechnungsbescheid anhängig gewesen sei, während vorliegend über den Einspruch gegen den Abrechnungsbescheid vom 22. Mai 2017 noch nicht entschieden wurde. Da der Streit über die zutreffende Abrechnung nicht für das Steuerfestsetzungsverfahren vorgreiflich ist, kommt es nicht auf das Stadium an, in dem sich dieser Streit befindet.
Soweit nach Ansicht des Klägers das Rechtsschutzbedürfnis für den Rechtsstreit über die Steuerfestsetzung bei einer Abhilfe seines Einspruchs gegen den Abrechnungsbescheid entfalle, begründet dies keine Vorgreiflichkeit des Verfahrens gegen den Abrechnungsbescheid. Das Nichtbestehen von Zahlungsansprüchen hat keinen Einfluss auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Steuerfestsetzung.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 1 i.V.m. § 135 Abs. 2 FGO.