ECLI:DE:BFH:2019:U.170719.VR27.17.0
BFH V. Senat
GG Art 6 Abs 2, GG Art 103 Abs 1, EUGrdRCh Art 24, UNKRÜbk Art 20, UStG § 4 Nr 16, UStG § 4 Nr 25, UStG § 19, EGRL 112/2006 Art 132 Abs 1 Buchst g, EGRL 112/2006 Art 133 Buchst c, FamFG § 7, FamFG § 158, FamFG § 168, SGB 8 § 2 Abs 3, SGB 8 § 50, UStAE Abschn 4.25.2, UStG VZ 2013
vorgehend FG Köln, 16. Mai 2017, Az: 9 K 3140/14
Leitsätze
Ein nach § 158 FamFG (Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit) gerichtlich bestellter Verfahrensbeistand kann sich auf die unionsrechtliche Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL berufen .
Tenor
Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 17.05.2017 - 9 K 3140/14 und der Umsatzsteuerbescheid 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.09.2014 aufgehoben und die Umsatzsteuer auf 0 € festgesetzt.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob die Umsätze der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) aus ihrer Tätigkeit als Verfahrensbeistand steuerfrei sind.
Die Klägerin, eine Diplom-Psychologin, Heilpraktikerin für Psychotherapie, Mediatorin und Systemische Beraterin, betreibt seit 2003 eine eigene Praxis. Im Streitjahr (2013) erbrachte sie u.a. Leistungen als Verfahrensbeistand nach § 158 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG). In ihrer Umsatzsteuer-Voranmeldung für das II. Quartal 2013 erklärte sie zunächst Ausgangsumsätze zum Regelsteuersatz von 15.966 €, legte gegen diese Voranmeldung aber Einspruch ein und beantragte unter Berufung auf die Steuerfreiheit nach Unionsrecht die Herabsetzung der Umsatzsteuer auf 0 €.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) wies den Einspruch als unbegründet zurück (Einspruchsentscheidung vom 29.09.2014). Im Laufe des Klageverfahrens erließ das FA einen Umsatzsteuer-Jahresbescheid 2013, in dem es hinsichtlich der streitgegenständlichen Leistungen von umsatzsteuerpflichtigen Umsätzen ausging. Die Klage vor dem Finanzgericht (FG) hatte keinen Erfolg. Nach dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2017, 1556 veröffentlichten Urteil sind die Leistungen der Klägerin weder nach nationalem Umsatzsteuerrecht (§ 4 Nr. 25 des Umsatzsteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung ‑‑UStG‑‑) noch nach Unionsrecht (Art. 132 Abs. 1 Buchst. g, h und i der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ‑‑MwStSystRL‑‑) steuerfrei.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts.
Die Tätigkeit als Verfahrensbeistand sei nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL steuerfrei. Der Verfahrensbeistand werde in für das Kind existenziellen Verfahren tätig, die den Kernbereich der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) sowie die völkerrechtliche Schutzverpflichtung aus Art. 12 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes beträfen. Damit erfülle der Verfahrensbeistand eine staatlich und völkerrechtlich begründete Schutzverpflichtung für Kinder, seine Tätigkeit sei mithin Ausfluss einer sozialen Fürsorgeverpflichtung.
Die Klägerin sei auch eine vom Mitgliedstaat anerkannte Einrichtung, da der Verfahrensbeistand durch das Gericht ausgewählt und bestellt werde. Der Verfahrensbeistand werde nach den in § 158 Abs. 7 FamFG festgelegten "Preisen" vergütet und unterliege daher ebenso strengen Kriterien der "öffentlichen Kontrolle" wie die Einrichtung des betreuten Wohnens im Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) "Les Jardins de Jouvence" vom 21.01.2016 - C-335/14 (EU:C:2016:36).
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des FG und den Umsatzsteuerbescheid 2013 zuletzt geändert durch Bescheid vom 24.02.2016 und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.09.2014 aufzuheben und die Umsatzsteuer auf 0 € festzusetzen.Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.Die Klägerin erbringe mit ihrer Tätigkeit als Verfahrensbeistand keine eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Leistungen, da sie lediglich in Gerichtsverfahren auftrete und dort die Interessen der betroffenen Kinder zur Geltung bringe (Abschn. 4.25.2 Abs. 9 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses ‑‑UStAE‑‑). Eine umfassende Personen- oder Vermögenssorge werde hingegen nicht wahrgenommen. Bei Kindern könne keine generelle Schutzbedürftigkeit i.S. von Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der MwStSystRL unterstellt werden, vielmehr sei für Leistungen gegenüber Kindern die ‑‑im Streitfall nicht einschlägige‑‑ unionsrechtliche Steuerbefreiungsvorschrift des Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL zu prüfen.
§ 158 FamFG stelle keine "spezifische" Vorschrift i.S. der EuGH-Rechtsprechung dar, da eine gesetzliche Vorgabe hinsichtlich der fachlichen und persönlichen Anforderungen an einen geeigneten Verfahrensbeistand fehle und somit spezielle Anforderungen an die Person des Verfahrensbeistands nicht geregelt seien.
Auch der Gesetzgeber gehe von der Steuerpflicht der Leistungen eines Verfahrensbeistands aus. In § 158 Abs. 7 Satz 2 und 4 FamFG sei für die Fälle der berufsmäßigen Tätigkeit als Verfahrensbeistand ausdrücklich eine Vergütung "incl. der auf die Vergütung entfallenden Umsatzsteuer" vorgesehen (BTDrucks 16/9733, S. 294 zur Neuregelung des § 158 Abs. 7 FamFG).
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Klägerin ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und der Klage stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat die Voraussetzungen der Steuerfreiheit nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL zu eng ausgelegt und die Leistungen der Klägerin als Verfahrensbeistand daher zu Unrecht nicht als steuerfrei behandelt.
1. Die Leistungen der Klägerin sind allerdings ‑‑wie zwischen den Beteiligten zu Recht nicht umstritten ist‑‑ nicht nach § 4 Nr. 25 UStG steuerfrei. Sie erbringt weder Leistungen der Jugendhilfe nach § 2 Abs. 2 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) oder nach § 2 Abs. 3 Nr. 6 i.V.m. § 50 SGB VIII (Mitwirkung in Verfahren vor den Familiengerichten) noch die in § 4 Nr. 25 Satz 3 unter a bis c im Einzelnen bezeichneten Leistungen.
2. Das FG hat aber zu Unrecht eine Umsatzsteuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL ausgeschlossen. Entgegen dem Urteil des FG erbringt die Klägerin steuerbegünstigte Leistungen und ist auch als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt.
Nach dieser Vorschrift befreien die Mitgliedstaaten "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen ..., einschließlich derjenigen, die durch ... Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden". Die Steuerbefreiung knüpft an leistungs- und an personenbezogene Voraussetzungen an: Es muss sich um eng mit der Sozialfürsorge oder der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen handeln, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen Einrichtungen erbracht werden, die von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit im Wesentlichen sozialem Charakter anerkannt worden sind (Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 18.08.2005 - V R 71/03, BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143, Rz 45 und 46, und vom 07.12.2016 - XI R 5/15, BFHE 256, 550, BFH/NV 2017, 863; EuGH-Urteil Kingscrest Associates Ltd. und Montecello Ltd. vom 26.05.2005 - C-498/03, EU:C:2005:322, Umsatzsteuer-Rundschau ‑‑UR‑‑ 2005, 453, Rz 34).
a) Die Leistungen der Klägerin als Verfahrensbeistand sind "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen".
aa) Hierbei handelt es sich um einen eigenständigen Begriff des Unionsrechts, der eine unionsrechtliche Definition erfordert (vgl. EuGH-Urteil Kingscrest Associates Ltd. und Montecello Ltd., EU:C:2005:322, Rz 22, m.w.N.). Gleichwohl hat der EuGH diesen Begriff in seiner bisherigen Rechtsprechung weder definiert noch näher umschrieben, sondern sich darauf beschränkt, für die jeweils streitgegenständlichen Tätigkeiten zu entscheiden, ob diese unter die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL fallen. Zu den nach bisheriger EuGH-Rechtsprechung befreiten Umsätzen gehören die Kinderbetreuung einschließlich der Vermittlung von Tageseltern (EuGH-Urteile Kinderopvang Enschede vom 09.02.2006 - C-415/04, EU:C:2006:95, BFH/NV 2006, Beilage 3, 256, Rz 27), der Betrieb von Heimen für betreutes Wohnen; Kingscrest Associates Ltd. und Montecello Ltd., EU:C:2005:322) sowie die Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung für körperlich oder wirtschaftlich hilfsbedürftige Personen (EuGH-Urteil Ambulanter Pflegedienst Kügler GmbH vom 10.09.2002 - C-141/00, EU:C:2002:473, BFH/NV 2003, Beilage 1, 30, Rz 44).
Die Klägerin erbrachte zwar keine derartigen oder vergleichbaren Betreuungs- oder Pflegeleistungen. Bei der Prüfung der leistungsbezogenen Voraussetzung der unionsrechtlichen Steuerbefreiung ist allerdings zu berücksichtigen, ob der Personenkreis der Leistungsempfänger im Hinblick auf deren Bedürftigkeit dem Personenkreis der Sachverhalte entspricht, bei denen die Rechtsprechung das Merkmal der mit der Fürsorge oder der sozialen Sicherheit eng verbundenen Leistungen bereits bejaht hat (BFH-Urteil vom 01.12.2010 - XI R 46/08, BFHE 232, 232, Rz 30).
bb) Die Aufgabe des Verfahrensbeistands besteht darin, das Interesse des Kindes festzustellen und im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens zur Geltung zu bringen. Dabei hat er das Kind über Gegenstand, Ablauf und möglichen Ausgang des Verfahrens in geeigneter Weise zu informieren (§ 158 Abs. 4 Satz 1 und 2 FamFG).
(1) Kinder gehören nach der o.g. EuGH-Rechtsprechung zu dem begünstigten Personenkreis. Ihre Schutzbedürftigkeit ergibt sich nicht nur aus der staatlichen Schutzpflicht (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG), sondern auch aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EuGRCh). Nach Art. 24 Abs. 1 EuGRCh haben Kinder Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind, gemäß Art. 24 Abs. 2 EuGRCh muss das Wohl des Kindes bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen oder privater Einrichtungen eine vorrangige Erwägung sein. Hinzu kommt, dass die Bundesrepublik Deutschland als Vertragsstaat der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) in der Pflicht steht, für Minderjährige einen "besonderen Schutz und Beistand" sicherzustellen (Art. 20 Abs. 1 UN-KRK).
(2) Der erkennende Senat kann offen lassen, ob Kinder "generell" als schutzbedürftig anzusehen sind und jegliche Leistungen ihnen gegenüber als "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen" qualifiziert werden könnten. Denn ein Verfahrensbeistand ist nur zu bestellen, soweit dies zur Wahrnehmung der Interessen des Kindes "erforderlich" ist. Hierzu zählt § 158 Abs. 2 FamFG fünf Regelbeispiele auf, in denen dies grundsätzlich zu bejahen ist und in denen daher von einer besonderen Schutzbedürftigkeit des Kindes auszugehen ist. Eine Bestellung ist erforderlich, wenn das Interesse des Kindes zu dem seiner gesetzlichen Vertreter in erheblichem Gegensatz steht, also wenn die Eltern das Verfahren zur Wahrung ihrer eigenen Interessen führen und die eigenen Interessen vor die des Kindes stellen (§ 158 Abs. 2 Nr. 1 FamG), bei teilweiser oder vollständiger Entziehung der Personensorge wegen Gefährdung des Kindeswohls (§ 158 Abs. 2 Nr. 2 FamFG), bei einer Trennung des Kindes von der Obhutsperson (§ 158 Abs. 2 Nr. 3 FamFG) , bei einer Anordnung der Herausgabe oder Verbleibens des Kindes (§ 158 Abs. 2 Nr. 4 FamFG) sowie beim Ausschluss oder einer wesentlichen Beschränkung des Umgangsrechts (§ 158 Abs. 2 Nr. 5 FamFG).
cc) Hinzu kommt, dass sich ‑‑wie das FG zu Recht festgestellt hat‑‑ die Tätigkeit der Klägerin als Verfahrensbeistand zwar von den Aufgaben der Jugendhilfe nach §§ 2 Abs. 3, 50 SGB VIII unterscheidet. Zu den Aufgaben der Jugendhilfe gehört die Mitwirkung in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (z.B. Kindschaftssachen, Abstammungssachen, Adoptionssachen, Gewaltschutzsachen), während der Verfahrensbeistand das Interesse des Kindes festzustellen und im gerichtlichen Verfahren zur Geltung zu bringen hat. Die Tätigkeit des Verfahrensbeistands steht jedoch im Regelfall in unmittelbarem Zusammenhang mit der Tätigkeit des Jugendamts in Jugendhilfesachen und ist daher als "eng" mit der Sozialfürsorge verbundene Leistung zu qualifizieren.
Dem steht nicht entgegen, dass der Verfahrensbeistand als "Anwalt des Kindes" bezeichnet wird (vgl. Salgo, "Der Anwalt des Kindes", Köln 1996; Schlemm in Bahrenfuss, FamFG, 3. Aufl. 2017, § 158 Rz 1) und die Bestellung eines Verfahrensbeistands unterbleiben oder aufgehoben werden soll, wenn die Interessen des Kindes von einem Rechtsanwalt angemessen vertreten werden (§ 158 Abs. 5 FamFG). Denn der Verfahrensbeistand wird mit dem Akt der Bestellung zum "Beteiligten" (§ 158 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 7 FamFG) und hat damit die Aufgabe, die Rechte des Betroffenen wahrzunehmen, ohne an dessen Weisungen gebunden zu sein. Es handelt sich daher weder um ein rechtsanwaltliches Mandatsverhältnis (Schruth in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 2. Aufl. 2018, § 50 SGB VIII Rz 70) noch um eine anwaltsspezifische Tätigkeit (Schumann in Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, Band 4, Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, § 158, Rz 34).
b) Entgegen der Ansicht des FG ist der Verfahrensbeistand auch als soziale Einrichtung anerkannt.
aa) Einer Anerkennung als Einrichtung steht nicht entgegen, dass es sich bei der Klägerin um eine natürliche Person handelt. Denn der Begriff "Einrichtung" ist weit genug, um auch natürliche Personen (vgl. EuGH-Urteil Gregg vom 07.09.1999 - C-216/97, EU:C:1999:390, UR 1999, 419, Rz 21) und private Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht (vgl. dazu EuGH-Urteile Kingscrest Associates Ltd. und Montecello Ltd., EU:C:2005:322, Rz 35 und 40; MDDP vom 28.11.2013 - C- 319/12, EU:C:2013:778, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2014, 177, Rz 28 und 31) zu erfassen.
bb) Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH legt Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL die Voraussetzungen und Modalitäten der Anerkennung nicht fest. Vielmehr ist es Sache des innerstaatlichen Rechts jedes Mitgliedstaats, die Regeln aufzustellen, nach denen Einrichtungen die erforderliche Anerkennung gewährt werden kann. Dabei haben die nationalen Behörden im Einklang mit dem Unionsrecht und unter der Kontrolle der nationalen Gerichte die für die Anerkennung maßgeblichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Zu diesen gehören
- das Bestehen spezifischer Vorschriften, bei denen es sich um nationale oder regionale Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, Steuervorschriften oder Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit handeln kann,
- das mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse,
- die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, und
- die Übernahme der Kosten der fraglichen Leistungen zum großen Teil durch Krankenkassen oder durch andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit (EuGH-Urteile Kügler vom 10.09.2002 - C-141/00, EU:C:2002:473, Rz 54 und 58, und Zimmermann vom 15. November 2012 C-174/11, EU:C:2012:716, Rz 26).cc) Im Streitfall folgt die Anerkennung der Klägerin als soziale Einrichtung aus dem Bestehen einer spezifischen Vorschrift für Verfahrensbeistände, deren Tätigkeit im Gemeinwohlinteresse sowie dem Neutralitätsprinzip.
(1) Die Anerkennung der Klägerin ergibt sich insbesondere aus § 158 Abs. 1 FamFG als einer spezifischen Vorschrift i.S. der EuGH-Rechtsprechung. Danach hat das Gericht dem minderjährigen Kind einen "geeigneten" Verfahrensbeistand zu bestellen, soweit dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist. Eine besondere fachliche Qualifikation ist zwar nicht gesetzlich geregelt, nach der Gesetzesbegründung zu § 158 FamFG soll aber eine Person bestellt werden, die "persönlich und fachlich geeignet ist, das Interesse des Kindes festzustellen und sachgerecht in das Verfahren einzubringen" (BTDrucks 16/6308, S. 238). Durch den Hinweis auf die "Geeignetheit" des Verfahrensbeistands wird klargestellt, dass bestimmte Mindestanforderungen im Hinblick auf Aus- und Vorbildung des Verfahrensbeistands und die von ihm bei der Arbeit zu beachtenden Standards einzuhalten sind (vgl. Kammergericht Berlin, Senat für Familiensachen, Beschluss vom 19.02.2014 - 17 UF 5/14, Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe 2014, 285, Rz 24, m.w.N.). Diese Anforderungen umfassen Kenntnisse auf den Gebieten des Familien- und Kindschaftsrechts, des SGB VIII, des Familienverfahrensrechts und der Entwicklungspsychologie. Die Person soll über Techniken und Kompetenzen verfügen, um Minderjährige zu verstehen und mit ihnen kommunizieren zu können; sie muss ferner über Vermittlungskompetenzen verfügen (Ahlert, Der Verfahrensbeistand nach § 158 FamFG, Marburg, 2010). Dem entspricht, dass der Verfahrensbeistand gemäß § 158 Abs. 1 i.V.m. Abs. 6 FamFG entlassen werden kann, wenn er nachträglich als nicht mehr geeignet erscheint (Hammer in Prütting/Helms, Kommentar zum FamFG, 4. Aufl. 2018, § 158 Rz 54; Oberlandesgericht ‑‑OLG‑‑ Karlsruhe, Beschluss vom 01.08.2013 - 5 UF 62/13, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht ‑‑FamRZ‑‑ 2014, 1136, Rz 7; OLG Hamburg vom 14.04.2016 - 12 UF 140/15, FamRZ 2016, 1694; OLG Hamm vom 16.07.2007 - 4 UF 9/07, FamRZ 2007, 2002).
Entgegen der Ansicht des FA steht einer Qualifikation als "spezifische" Vorschrift i.S. der EuGH-Rechtsprechung nicht entgegen, dass die Anforderungen an die Person des Verfahrensbeistands i.S. beruflicher Qualifikation nicht im Einzelnen gesetzlich geregelt sind (vgl. BFH-Urteil vom 25.04.2013 - V R 7/11, BFHE 241, 475, BStBl II 2013, 976, unter II.2.c bb (1), Rz 23 zur "Eignung" des Berufsbetreuers nach § 1897 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Es genügt insoweit die gerichtliche Bestellung und Überwachung der Qualifikation eines "geeigneten" Verfahrensbeistands.
(2) An der Tätigkeit eines Verfahrensbeistands in Kindschaftssachen besteht ein besonderes Gemeinwohlinteresse. Die Pflege und Erziehung der Kinder und Jugendlichen obliegt zwar primär den Eltern (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG). Verfolgen diese jedoch gegensätzliche Interessen, die mit denen ihrer Kinder in Konflikt geraten, muss den Kindern die Möglichkeit eingeräumt werden, ihr eigenes Interesse in einer den Anforderungen des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) entsprechenden Eigenständigkeit im Verfahren geltend zu machen. Wird ein solcher Beistand nicht bestellt, verletzt dies die Grundrechte der betreffenden Kinder aus Art. 6 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29.10.1998 - 2 BvR 1206/98, BVerfGE 99, 145, Rz 78, zum Verfahrenspfleger nach § 50 des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit als Vorgänger des Verfahrensbeistands). Denn aus der verfassungsrechtlichen Verankerung des Kindeswohls in Art. 6 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ergibt sich die Pflicht, das Kindeswohl verfahrensrechtlich dadurch zu sichern, dass den Kindern bereits im familiengerichtlichen Verfahren ein Pfleger zur Wahrung ihrer Interessen zur Seite gestellt wird.
(3) Darüber hinaus wäre ein Ausschluss der Klägerin von der Steuerfreiheit im Hinblick auf die für Betreuungsvereine bestehende Steuerfreiheit nicht mit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität zu vereinbaren.
Neben freiberuflich tätigen Rechtsanwälten, Pädagogen sowie Kinder- und Jugendpsychologen werden auch Mitarbeiter von Betreuungsvereinen vom Familiengericht zum Verfahrensbeistand in Kindschaftssachen bestellt (Hammer in Prütting/Helms, FamFG, 4. Aufl. 2018, § 158 Rz 27; Schumann in Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, § 158 FamFG Rz 18). In diesem Fall steht der Vergütungsanspruch in entsprechender Anwendung des § 277 Abs. 4 FamFG dem Betreuungsverein zu (Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 27.11.2013 - XII ZB 682/12, FamRZ 2014, 373). Soweit der Betreuungsverein ‑‑wie im Regelfall‑‑ einem anerkannten Verband der freien Wohlfahrtspflege (z.B. Caritasverband) angeschlossen ist, sind die von ihm erbrachten Leistungen steuerfrei (vgl. hierzu FG Niedersachsen, Urteil vom 14.01.2010 - 5 K 162/09, Betreuungsrechtliche Praxis 2010, 141; FamRZ 2010, 1477, Leitsatz).
(4) Das FG ist zwar zu Recht davon ausgegangen, dass keine Übernahme der Kosten durch Krankenkassen oder andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit erfolgt, da die Kosten des Verfahrensbeistands lediglich Auslagen des Gerichts darstellen, die dem Kostenschuldner nach Maßgabe von §§ 81, 83 FamFG aufzuerlegen sind; soweit § 158 Abs. 7 Satz 5 FamFG regelt, dass der Aufwendungsersatz und die Vergütung stets aus der Staatskasse zu zahlen sind, folgt daraus nur, dass die Beteiligten keine Vorschüsse zu leisten haben.
Die fehlende Kostenübernahme steht ‑‑entgegen der Auffassung des FG‑‑ einer Steuerfreiheit aber nicht entgegen, da die Anerkennung als soziale Einrichtung im Rahmen einer Gesamtwürdigung aus § 158 Abs. 1 FamFG als einer spezifischen Vorschrift für Verfahrensbeistände, deren Tätigkeit im Gemeinwohlinteresse sowie dem Neutralitätsprinzip folgt. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass bei der Prüfung der Anerkennung mehrere Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind und die Anerkennung nicht voraussetzt, dass alle für die Anerkennung in Betracht kommenden Kriterien kumulativ vorliegen müssen (EuGH-Urteil Zimmermann, EU:C:2012:716, Rz 31; BFH-Urteile in BFHE 241, 475, BStBl II 2013, 976, Rz 28, sowie vom 08.06.2011- XI R 22/09, BFHE 234, 448, BFH/NV 2011, 1804).
dd) Unerheblich ist insoweit auch, dass der EuGH im Urteil Ordre des barreaux francophones et germanophone u.a. vom 28.07.2016 - C-543/14 (EU:C:2016:605) die Berufsgruppe der Rechtsanwälte von der Befreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL ausgeschlossen hat, weil sie im Hinblick auf ihr Gesamtziel und die fehlende Dauerhaftigkeit eines etwaigen sozialen Engagements nicht als gemeinnützig angesehen werden kann (EuGH-Urteil Ordre des barreaux francophones et germanophone u.a., EU:C:2016:605, Leitsatz 3 Satz 3 sowie Rz 62 bis 65). Dieses Urteil betrifft die fehlende Anerkennung von Anwälten für ihre Tätigkeit in Prozesskostenhilfeverfahren. Die Klägerin ist jedoch weder als Anwältin tätig noch übt sie eine anwaltsspezifische Tätigkeit aus (vgl. Ausführungen unter II.2.a bb (3)). Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit der Rechtsfigur des Verfahrensbeistands kein neues Berufsbild schaffen wollte (Schumann in Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, § 158 FamFG Rz 18, m.w.N.). Gegen die Anerkennung eines Verfahrenspflegers als soziale Einrichtung kann daher nicht geltend gemacht werden, dass diese Tätigkeit nur eines der Ziele einer weitergehenden freiberuflichen Tätigkeit darstellt.
ee) Die Steuerfreiheit der Leistungen als Verfahrensbeistand scheitert nicht an Art. 133 Buchst. c MwStSystRL.
Danach können die Mitgliedstaaten die Steuerbefreiung davon abhängig machen, dass die von den Einrichtungen verlangten Preise von den zuständigen Behörden genehmigt sein müssen oder die genehmigten Preise nicht übersteigen; bei Umsätzen, für die eine Preisgenehmigung nicht vorgesehen ist, müssen die verlangten Preise unter den Preisen liegen, die der Mehrwertsteuer unterliegende gewerbliche Unternehmen für entsprechende Umsätze fordern. Unabhängig von der Frage, ob das UStG die durch Art. 133 MwStSystRL eingeräumte Ermächtigung wirksam ausgeübt hat (vgl. hierzu BFH-Urteil in BFHE 241, 475, BStBl II 2013, 976, Rz 33) liegen im Streitfall behördlich genehmigte Preise vor. Die Festsetzung der Vergütung (sog. Fallpauschalen) richtet sich aufgrund der Verweisung in § 158 Abs. 7 Satz 6 nach § 168 Abs. 1, Abs. 4 FamFG und erfolgt durch Anweisung der Zahlung durch den Kostenbeamten oder nach § 168 Abs. 1 Satz 1 durch förmliche Festsetzung durch den Rechtspfleger (Hammer in Prütting/Helms, FamFG, § 158 Rz 63, m.w.N.). In beiden Varianten handelt das die Vergütung festsetzende Familiengericht damit funktional als zuständige Behörde.
c) Einer Steuerfreiheit nach Unionsrecht kann nicht entgegengehalten werden, dass der Gesetzgeber in § 158 Abs. 7 Satz 4 FamFG von der Umsatzsteuerpflicht der Vergütung des Verfahrensbeistands ausgeht. Die Gesetzesformulierung ("… die auf die Vergütung anfallende Umsatzsteuer …") ist dahingehend auslegbar, dass die Umsatzsteuer nur dann als Bestandteil der Vergütung anzusehen ist, wenn sie nach geltendem Umsatzsteuerrecht geschuldet wird.
3. Das von anderen Grundsätzen ausgehende Urteil des FG verletzt Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL und ist daher aufzuheben.
a) Die Klägerin übt als Verfahrensbeistand eine eng mit der sozialen Fürsorge verbundene Tätigkeit aus und ist aufgrund einer Gesamtwürdigung der maßgeblichen Kriterien auch als soziale Einrichtung anerkannt. Für die Steuerfreiheit ihrer Leistungen kann sich die Klägerin mangels hinreichender Umsetzung in nationales Recht auf die für sie günstige Befreiungsnorm des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL unmittelbar berufen (BFH-Urteile vom 18.08.2015 - V R 13/14, BFHE 251, 282, Rz 15, und in BFHE 241, 475, BStBl II 2013, 796, Rz 19 ff.).
b) Soweit sich aus Abschn. 4.25.2 UStAE ergeben sollte, dass für gerichtlich bestellte Verfahrensbeistände auch die Berufung auf die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL ausgeschlossen wird, folgt der Senat dem nicht.
4. Die Sache ist i.S. einer Klagestattgabe spruchreif. Sind die Leistungen der Klägerin als Verfahrensbeistand steuerfrei, bleiben diese bei der Berechnung der Umsatzgrenze des § 19 Abs. 1 UStG außer Betracht. Der Gesamtumsatz des Vorjahres übersteigt dann nicht 17.500 € und der des Streitjahres nicht 50.000 €. Die Umsatzsteuer ist daher antragsgemäß auf 0 € herabzusetzen.