ECLI:DE:BFH:2019:B.170719.IIB30.18.0
BFH II. Senat
FGO § 96 Abs 1 Halbs 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 3, FGO § 116 Abs 6, FGO § 81 Abs 1 S 1, AO § 8, ErbStG § 2 Abs 1 Nr 1 S 2 Buchst a, ErbStG § 2 Abs 1 Nr 1 S 2 Buchst b
vorgehend Hessisches Finanzgericht , 23. Oktober 2017, Az: 1 K 431/16
Leitsätze
1. Das FG verstößt gegen den klaren Inhalt der Akten, wenn es seine Entscheidung maßgeblich auf eine Zeugenaussage oder Unterlagen stützt, wobei weder die protokollierten Bekundungen des Zeugen noch die in den Akten befindlichen Unterlagen die durch das FG gezogenen Schlussfolgerungen stützen .
2. Beantragt der Beschwerdeführer im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nur eine teilweise Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit er beschwert ist, betrifft die Entscheidung aber einen nicht teilbaren Streitgegenstand, ist der Antrag dahingehend auszulegen, dass die vollständige Aufhebung des Urteils und die Zurückverweisung der Streitsache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG begehrt wird.
Tenor
Die Verfahren II B 30/18, 32-34/18 und 38/18 werden zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.
Auf die Beschwerden der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision werden die Urteile des Hessischen Finanzgerichts vom 24. Oktober 2017 - 1 K 431/16, 1 K 1140/16, 1 K 1150/16, 1 K 1152/16 und 1 K 1156/16 aufgehoben.
Die Sachen werden an das Hessische Finanzgericht zurückverwiesen.
Diesem werden die Entscheidungen über die Kosten der Beschwerdeverfahren übertragen.
Tatbestand
I.
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) lebte mehrere Jahre in eheähnlicher Gemeinschaft mit dem am 15. November 2012 verstorbenen italienischen Staatsangehörigen X in der Schweiz.
Bis zum 19. Juni 2002 betrieb die Klägerin in … ein Einzelunternehmen und wurde wegen ihres Wohnsitzes in der im Inland angemieteten Wohnung bis 2002 als unbeschränkt steuerpflichtig zur Einkommensteuer veranlagt. Unter der Wohnungsadresse war sie beim Einwohnermeldeamt der Stadt O bis Ende 2011 mit Hauptwohnsitz gemeldet. Mit notariell beurkundeter letztwilliger Verfügung vom 12. Juli 2011 (Testament) setzte X die Klägerin als Alleinerbin ein. Im Testament wird als Adresse der Klägerin die inländische Wohnung angegeben. Seit 1. Januar 2012 ist die Klägerin bei der Schweizer Meldebehörde angemeldet.
Die inländische Wohnung wurde durch den Aufsichtsdienst S betreut. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) suchte S die Wohnung täglich auf, leerte regelmäßig den Briefkasten, stellte im Winter die Heizung an und führte alle anstehenden Arbeiten (beispielsweise Reinigungsarbeiten) aus.
Nach Einleitung eines Steuerstrafverfahrens gegen die Klägerin u.a. wegen des Verdachts der Hinterziehung von Schenkungsteuer für den Zeitraum ab 2007 fand am 5. Februar 2014 eine Durchsuchung der inländischen Wohnung durch Beamte der Steuerfahndung in Anwesenheit der Mitarbeiter der S statt.
Am 19. März 2015 erließ der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) mehrere Schenkungsteuerbescheide gegenüber der Klägerin. Die Schenkungsteuer belief sich für die Zuwendungen im Jahr
2007 auf 4.784 €,2008 auf 8.993 €,
2010 auf 366.060 €,
2011 auf 7.800 € und
2012 auf 27.870 €.
Das FA ging davon aus, dass diese Erwerbe der unbeschränkten Steuerpflicht unterlägen. Die Klägerin habe einen inländischen Wohnsitz in ihrer Wohnung unterhalten, die vollständig mit Festnetztelefon, Möbeln, Kleidung und Bad-Accessoires ausgestattet gewesen sei. Das nach den Ermittlungen der Steuerfahndung gefertigte Bewegungsprofil der Jahre 2004 bis 2013 zeige, dass die Klägerin während der maßgeblichen Zeiträume sich längere Zeit im Inland aufgehalten und hier ihren Lebensmittelpunkt gehabt habe.
Die Einsprüche und Klagen hatten überwiegend keinen Erfolg. Das FG verhandelte am 21. August 2017 und am 24. Oktober 2017 mündlich. Am 21. August 2017 hörte es zu der Dauer und dem Umfang der Nutzung der inländischen Wohnung durch die Klägerin u.a. den Zeugen E (Mitarbeiter der S) und zu den Feststellungen im Rahmen des Ermittlungsverfahrens und der Durchsuchung der Wohnung als Zeugen u.a. die Beamten der Steuerfahndung Zeuge A, Zeuge B und Zeuge C. Am 24. Oktober 2017 verlas das FG u.a. die schriftlichen Aussagen der Zeuginnen K (Schwester der Klägerin) und I (Nichte der Klägerin).
In den Urteilsbegründungen führte das FG aus, bei den Zahlungen an die Klägerin handle es sich um freigebige Zuwendungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG). Die Zuwendungen fielen zumindest unter die erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG, da die Klägerin sich im Jahr 2007 zumindest noch nicht länger als fünf Jahre im Ausland aufgehalten habe, ohne einen inländischen Wohnsitz zu haben. Die Klägerin habe zumindest bis in das Jahr 2008 hinein ihre zum dauerhaften Wohnen geeignete Mietwohnung regelmäßig in einem Umfang aufgesucht und genutzt, der einer Aufgabe des Wohnsitzes entgegenstehe. So seien von ihr im Februar/März 2008 und von August bis Oktober 2008 in O Arzttermine wahrgenommen, Geschäfte aufgesucht und vom Festnetzanschluss der Wohnung diverse Telefongespräche geführt worden. Die Inlandsaktivitäten der Klägerin würden durch die glaubhafte Aussage des Zeugen E i.V.m. den Protokollen der S bestätigt. Die Klägerin habe nach der Aussage des Zeugen E die täglichen Kontrolltermine der S stets für die Zeiträume abbestellt, in denen sie sich in ihrer Wohnung aufgehalten habe. Danach ergebe sich, dass die Klägerin vom 11. Februar 2008 bis 26. Mai 2008 und ab dem 19. August 2008 keine Kontrollen ihrer Wohnung habe durchführen lassen. Diese Zeiträume würden sich mit den vorgelegten Unterlagen über die Inlandsaktivitäten der Klägerin und das durch das FA gefertigte Bewegungsprotokoll decken.
Mit ihren Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin geltend, die Rechtssache habe nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) grundsätzliche Bedeutung und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordere nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH). Außerdem rügt sie nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO diverse Verfahrensmängel, auf denen die Urteile beruhen könnten. Das FA tritt den Beschwerden entgegen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerden sind begründet. Das FG hat gegen den klaren Inhalt der Akten verstoßen, indem es seine Entscheidungen u.a. maßgeblich auf eine Aussage des Zeugen E i.V.m. Protokollen der S gestützt hat, wobei weder die protokollierten Bekundungen des Zeugen E noch die in den Akten befindlichen Protokolle der S ergeben, dass die Klägerin vom 11. Februar 2008 bis 26. Mai 2008 und ab 19. August 2008 keine Kontrollen der inländischen Wohnung durchführen ließ. Wegen dieses Verfahrensfehlers (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 96 Abs. 1 Halbsatz 1 FGO) sind die Urteile des FG aufzuheben und die Sachen nach § 116 Abs. 6 FGO an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Eine teilweise Aufhebung des Urteils 1 K 431/16, in dem die Schenkungsteuer wegen Berücksichtigung eines anderen Umrechnungskurses für die im Jahr 2010 erfolgten Zuflüsse auf dem Konto der Klägerin bei der Schweizer Bank herabgesetzt wurde, kommt nicht in Betracht. Das Urteil 1 K 431/16 betrifft nur einen nicht teilbaren Streitgegenstand, nämlich die Steuerfestsetzung für 2010. Das FA hat für alle Zahlungen an die Klägerin im Jahr 2010 die Schenkungsteuer in einem Betrag festgesetzt. Der von der Klägerin geltend gemachte Verfahrensfehler betrifft das dazu ergangene Urteil 1 K 431/16 des FG, das deshalb nur insgesamt aufgehoben werden kann. Aus diesem Grund ist der Antrag der Klägerin, der auf die Aufhebung des FG-Urteils 1 K 431/16 gerichtet ist, soweit sie dadurch beschwert ist, dahin auszulegen, dass sie die vollständige Aufhebung dieses Urteils und die Zurückverweisung der Streitsache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG begehrt.
1. Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz FGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Zum Gesamtergebnis des Verfahrens gehört auch die Auswertung des Inhalts der dem Gericht vorliegenden Akten. Ein Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten liegt u.a. dann vor, wenn das FG eine nach Aktenlage feststehende Tatsache, die richtigerweise in die Beweiswürdigung hätte einfließen müssen, unberücksichtigt lässt oder seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt hat, der dem protokollierten Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht. Entsprechendes gilt, wenn die Entscheidung des FG auf einer Zeugenaussage beruht, die mit den protokollierten Bekundungen eines Zeugen nicht im Einklang steht (BFH-Beschluss vom 22. März 2011 - X B 151/10, BFH/NV 2011, 1165, Rz 11).
2. Letzteres trifft in den Streitfällen ‑‑wie die Klägerin in ihren Beschwerdebegründungsschriften zutreffend gerügt hat‑‑ zu.
a) Nach den Ausführungen des FG in den angefochtenen Urteilen soll der Zeuge E bekundet haben, die Klägerin habe den täglichen Kontrolltermin der S stets für die Zeiträume abbestellt, in denen sie sich in ihrer Wohnung aufgehalten habe. Hieraus ergebe sich i.V.m. den Protokollen der S, dass die Klägerin vom 11. Februar 2008 bis 26. Mai 2008 und ab dem 19. August 2008 keine Kontrollen ihrer Wohnung habe durchführen lassen.
Dies widerspricht der im Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 21. August 2017 festgehaltenen Aussage des Zeugen E. Ausweislich dieses Protokolls hat der Zeuge E bekundet, die Kontrollen seien von der Klägerin telefonisch abgesagt worden, wenn sie in ihrer Wohnung anwesend gewesen sei. Wie oft dies der Fall gewesen sei, könne er ‑‑der Zeuge E‑‑ nicht mehr sagen. Nicht protokolliert ist, dass die Abbestellung der Kontrolltermine "stets" erfolgt ist. Die vom FG in die Würdigung einbezogenen Protokolle der S, die einen Nachweis über die Absage der Kontrolltermine durch die Klägerin bei ihrer Anwesenheit in der Wohnung für die Zeit vom 11. Februar 2008 bis 26. Mai 2008 und ab dem 19. August 2008 darstellen sollen, befinden sich nicht bei den vorgelegten Akten. Abgeheftet sind nur Protokolle über Kontrollen der S in der Zeit ab 30. Dezember 2008, die einen Rückschluss auf vorhergehende Zeiträume nicht zulassen. Protokolle über Kontrollbesuche der S in der Wohnung können jedoch für die Frage der An- oder Abwesenheit der Klägerin in ihrer inländischen Wohnung nur herangezogen werden, wenn sie vorliegen und aussagekräftig sind und sich die Klägerin dazu äußern konnte.
b) Die Urteile können auch auf diesem Verfahrensmangel beruhen i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO. Die durch das FG angeführten Zeiträume im Jahr 2008, in denen die Klägerin stets die Kontrolltermine der S abgesagt haben und daher sich in ihrer Wohnung aufgehalten haben soll, waren für das FG entscheidungserheblich. Auf ihrer Grundlage nahm das FG an, die Klägerin habe die inländische Wohnung im Jahr 2008 in einem Umfang genutzt, der über einen bloßen Besuchscharakter hinausgehe. Daher habe sie weiterhin einen inländischen Wohnsitz gehabt und sei zumindest nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG unbeschränkt steuerpflichtig gewesen.
Es ist nicht auszuschließen, dass das FG zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre, wenn es die Aussage des Zeugen E und die vermeintlichen Protokolle der S für die Zeit vom 11. Februar 2008 bis 26. Mai 2008 und ab dem 19. August 2008 nicht berücksichtigt hätte. Die Verfahren betreffen zwar vom FA als Zuwendungen gewertete Zahlungen in den Jahren 2007, 2008 und 2010 bis 2012, wobei die erste Zahlung am 21. März 2007 und die letzte Zahlung am 18. Juli 2012 erfolgt ist. Für die Annahme einer unbeschränkten Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG ist es erforderlich, dass sich die Klägerin als deutsche Staatsangehörige zum Zeitpunkt der Ausführung der Zahlungen nicht länger als fünf Jahre dauernd im Ausland aufgehalten hat, ohne im Inland einen Wohnsitz zu haben. Daher würde es ausreichen, wenn die Klägerin zumindest bis 18. Juli 2007 einen inländischen Wohnsitz inne hatte. Auf einen inländischen Wohnsitz im Jahr 2008 käme es insoweit nicht an. Das FG hat aber seine Entscheidungen nicht nur auf das Wohnverhalten der Klägerin im Jahr 2007, sondern in maßgeblicher Weise auch auf die Nutzung der inländischen Wohnung im Jahr 2008 gestützt.
3. Da das FG seine Pflicht aus § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO verletzt hat und hierdurch die Voraussetzungen des § 116 Abs. 6 FGO erfüllt sind, war auf die weiteren Rügen der Klägerin nicht mehr im Einzelnen einzugehen.
4. Für das weitere Verfahren weist der Senat ‑‑ohne Bindungswirkung‑‑ auf Folgendes hin:
a) Bezüglich der Vernehmung der Zeuginnen K und I wird das FG zu entscheiden haben, ob es ermessensgerecht ist, eine schriftliche Bekundung anzuordnen.
aa) Nach § 81 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das Gericht den Beweis in der mündlichen Verhandlung zu erheben. Der Sinn des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und des aus ihm folgenden Gebots, Zeugen grundsätzlich selbst zu hören und sich nicht mit nur schriftlich übermittelten Bekundungen derselben zu begnügen, besteht darin, es dem Gericht zu ermöglichen, aufgrund des persönlichen Eindrucks von den Zeugen und durch kritische Nachfrage die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen zu überprüfen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 17. Mai 2005 - VII R 76/04, BFHE 210, 70, unter II.1.b). Die schriftliche Bestätigung eines Zeugen reicht daher im Allgemeinen nicht aus.
Ausnahmsweise kann das FG die schriftliche Beantwortung einer Beweisfrage anordnen, wenn es dies im Hinblick auf den Inhalt der Beweisfrage und die Person des Zeugen für ausreichend erachtet (§ 82 FGO i.V.m. § 377 Abs. 3 der Zivilprozessordnung ‑‑ZPO‑‑). Der Zeuge muss über die allgemeine Aussagetüchtigkeit hinaus die für eine schriftliche Auskunft vorauszusetzende besondere Erkenntnis- und Erklärungsfähigkeit sowie auch Vertrauenswürdigkeit besitzen. Die Anordnung steht im Ermessen des Gerichts und eignet sich nur für Ausnahmefälle, in denen es nicht auf den persönlichen Eindruck ankommt (Hennigfeld/Rosenke in: FGO - eKommentar, § 82 - Fassung vom 1. Januar 2017, Rz 28). Eine schriftliche Beweisaufnahme ist in der Regel nicht ermessensgerecht, wenn persönliche Bindungen zu einer Partei bestehen, etwa wenn der Zeuge z.B. mit der Klägerseite verwandt ist (vgl. Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 82 FGO Rz 91; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 82 FGO Rz 36; Stiepel in Gosch, FGO § 82 Rz 81; Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl., § 377 Rz 8).
bb) Im Streitfall sind die Zeuginnen I und K mit der Klägerin verwandt. Die Zeugin K ist die Schwester und die Zeugin I die Nichte der Klägerin. Das FG hat in seinen Urteilen die Aussage der Zeugin K als glaubhaft gewürdigt und bei der Würdigung der Aussage der Zeugin I zu Lasten der Klägerin ein eigenes wirtschaftliches Interesse der Zeugin I angenommen. Aufgrund der lediglich schriftlichen Aussagen der beiden Zeuginnen konnte sich das FG keinen persönlichen Eindruck von ihnen machen. Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme schließt aber aus, dass das Gericht schriftliche Erklärungen von Personen, die es als Zeugen hätte vernehmen können, tatsächlich jedoch nicht vernommen hat, so berücksichtigt, als ob es diese Personen als Zeugen vernommen hätte (BFH-Urteil vom 16. Januar 1975 - IV R 180/71, BFHE 115, 202, BStBl II 1975, 526, unter 3.a).
Ein Verfahrensfehler nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, der für sich bereits zur Zulassung der Revision führen würde, liegt allerdings diesbezüglich in den angefochtenen Urteilen nicht vor. Bei dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 81 Abs. 1 Satz 1 FGO) handelt es sich um einen Verfahrensgrundsatz, auf den die Prozessbeteiligten durch rügeloses Verhandeln zur Sache verzichten können, mit der Folge, dass sie ihr Rügerecht verlieren (§ 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO; BFH-Beschluss vom 11. Januar 2011 - I B 87/10, BFH/NV 2011, 836, Rz 14). Ausweislich des Sitzungsprotokolls hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 24. Oktober 2017 die lediglich schriftlichen Bekundungen der Zeuginnen nicht gerügt, sondern zur Sache verhandelt.
b) Sollte das FG im zweiten Rechtsgang wiederum zu der Auffassung gelangen, bei den Zahlungen an die Klägerin handle es sich um freigebige Zuwendungen, wird es zu prüfen haben, ob die Klägerin zum Zeitpunkt der jeweils streitigen Zahlung unbeschränkt steuerpflichtig nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. a oder b ErbStG war. Das würde voraussetzen, dass sie im Inland einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hatte (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. a ErbStG) oder sich als deutsche Staatsangehörige noch nicht länger als fünf Jahre dauernd im Ausland aufgehalten hat, ohne im Inland einen Wohnsitz zu haben (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG).
aa) Die Frage, ob eine natürliche Person im Inland einen Wohnsitz hat, beurteilt sich nach § 8 der Abgabenordnung (AO). Danach kommt es darauf an, ob die betroffene Person im Inland eine Wohnung unter Umständen inne hat, die darauf schließen lassen, dass sie die Wohnung beibehalten und benutzen wird.
Begibt sich ein Steuerpflichtiger ins Ausland, ist zu prüfen, ob er seinen vorher im Inland begründeten Wohnsitz während seines Auslandsaufenthalts beibehalten oder aufgegeben hat. Der Wohnsitz wird erst dann aufgegeben, wenn die Voraussetzungen des § 8 AO nicht mehr erfüllt sind. Ob dies der Fall ist, richtet sich ebenfalls nach objektiv erkennbaren Umständen (BFH-Urteil vom 24. Juli 2018 - I R 58/16, BFH/NV 2019, 104, Rz 16 f.).
Ein Steuerpflichtiger kann gleichzeitig mehrere Wohnsitze haben und diese können im Inland und/oder Ausland belegen sein. Demgemäß ist es auch für das Vorliegen eines Wohnsitzes im Inland ohne Bedeutung, ob dieser den Mittelpunkt der Lebensinteressen der betreffenden Person bildet (BFH-Urteil vom 10. April 2013 - I R 50/12, BFH/NV 2013, 1909, Rz 13).
Ein inländischer Wohnsitz kann auch dann zur unbeschränkten Steuerpflicht eines Steuerpflichtigen führen, wenn der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen sich im Ausland befindet (vgl. zur unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 des Einkommensteuergesetzes BFH-Urteil vom 28. Januar 2004 - I R 56/02, BFH/NV 2004, 917, unter II.3.d).
Ein Wohnsitz nach § 8 AO setzt neben zum dauerhaften Wohnen geeigneten Räumen das Innehaben der Wohnung in dem Sinn voraus, dass der Steuerpflichtige tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit ‑‑wenn auch in größeren Zeitabständen‑‑ aufsucht. Der Wohnsitzbegriff setzt keinen Aufenthalt während einer Mindestzeit voraus. Erforderlich ist aber eine Nutzung, die über bloße Besuche, kurzfristige Ferienaufenthalte und das Aufsuchen der Wohnung zu Verwaltungszwecken hinausgeht (BFH-Urteil vom 25. September 2014 - III R 10/14, BFHE 247, 239, BStBl II 2015, 655, Rz 14 f., m.w.N.). Auch unregelmäßige Aufenthalte in einer Wohnung können zur Aufrechterhaltung eines dortigen Wohnsitzes führen (BFH-Urteil in BFH/NV 2004, 917, unter II.3.b). Ausreichend ist z.B. eine Nutzung der Wohnung zweimal jährlich für mehrere Wochen (BFH-Urteil vom 23. November 1988 - II R 139/87, BFHE 155, 29, BStBl II 1989, 182).
Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ausschließlich nach tatsächlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu beurteilen. Wegen dieser objektiven Betrachtungsweise ist es daher z.B. ohne Bedeutung, wo jemand polizeilich gemeldet ist. (BFH-Urteile vom 27. April 1995 - III R 57/93, BFH/NV 1995, 967, unter 1., und vom 22. August 2007 - III R 89/06, BFH/NV 2008, 351, unter II.1.). Auch die Angabe einer Postadresse reicht für einen Wohnsitz nicht aus.
Die Beurteilung, ob die Umstände auf eine Beibehaltung und Nutzung der Wohnung schließen lassen, liegt weitgehend auf tatsächlichem Gebiet. Das FG hat die Tatsachen, die auf einen Wohnsitz schließen lassen, festzustellen und zu würdigen (BFH-Urteil in BFH/NV 2019, 104, Rz 11 f.).
bb) Im Streitfall könnte sich hinsichtlich der im Schenkungsteuerbescheid für das Jahr 2007 als freigebige Zuwendung erfassten Zahlung auf das Konto der Klägerin vom 21. März 2007 in Höhe von € eine unbeschränkte Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG bereits daraus ergeben, dass sich die Klägerin zum Zeitpunkt der Ausführung der Zahlung noch nicht länger als fünf Jahre dauernd im Ausland aufgehalten hat, ohne im Inland einen Wohnsitz zu haben. Denn bis zum 19. Juni 2002 betrieb die Klägerin ihr Einzelunternehmen in O und war unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Dafür, dass sie ‑‑wie sie vorträgt‑‑ ihren inländischen Wohnsitz schon im Jahr 2000 aufgegeben habe, wurden keine Nachweise erbracht. Daher liegt es nahe, dass sie bis zur Aufgabe ihres Einzelunternehmens ihre Wohnung als inländischen Wohnsitz i.S. des § 8 AO genutzt hat.
cc) Im Hinblick auf die übrigen Zahlungen an die Klägerin ist für die Annahme einer zumindest erweiterten unbeschränkten Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG festzustellen, ob objektive Umstände den Schluss zulassen, dass die Klägerin auch nach dem 19. Juni 2002 und bis zumindest 18. Juli 2007 ‑‑die im Jahr 2012 letzte angenommene Zahlung an die Klägerin erfolgte am 18. Juli 2012‑‑, möglicherweise aber auch bis zum Jahr 2012 ihren inländischen Wohnsitz beibehalten hat. Dafür hat das FG festzustellen, ob und in welchen konkreten Zeiträumen die Klägerin in der Zeit zwischen der Aufgabe ihres Geschäftes in O (19. Juni 2002) und der letzten angenommenen Zahlung an die Klägerin im Jahr 2012 (18. Juli 2012) die Wohnung in einem Umfang nutzte, der über einen bloßen Besuchscharakter hinausgeht. Eine über einen bloßen Besuchscharakter hinausgehende Nutzung der Wohnung in einem Zeitraum, der noch nicht länger als fünf Jahre vor der jeweiligen Zahlung liegt, ist ebenfalls ausreichend für § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG.
Nicht ausreichend für eine Besteuerung der Zahlungen in den Jahren 2008, 2010, 2011 und 2012 ist ‑‑wie das FG zur unbeschränkten Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG ausführt‑‑, dass sich die Klägerin als deutsche Staatsangehörige im Jahr 2007 noch nicht länger als fünf Jahre im Ausland befunden habe, ohne einen inländischen Wohnsitz zu haben; denn die angeblichen Zuwendungen wurden später ausgeführt. Ebenso wenig reicht die pauschale Angabe aus, die Klägerin habe bis in das Jahr 2008 hinein die Wohnung regelmäßig in einem nicht so unerheblichen Umfang genutzt, dass sie dort ‑‑neben ihrem Wohnsitz in der Schweiz‑‑ einen weiteren Wohnsitz gehabt habe. Erforderlich sind vielmehr Angaben zum Zeitpunkt (Bezeichnung des Monats/der Monate) und der konkreten Dauer (Angabe der Tage/Wochen), in denen das FG von einer Nutzung der inländischen Wohnung durch die Klägerin ausgeht, die einen Wohnsitz i.S. des § 8 AO bedingt und entweder an diesem Zeitpunkt zu einer unbeschränkten Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. a ErbStG führt oder in den folgenden fünf Jahren die unbeschränkte Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG auslöst.
dd) Als Indizien für eine tatsächliche Nutzung der inländischen Wohnung kann das FG u.a. die vom Festnetzanschluss geführten Telefongespräche und den Wasser- und Stromverbrauch in der Wohnung heranziehen. Auch im Inland vom Mobiltelefon der Klägerin geführte Telefonate und dem Bewegungsprofil tatsächlich zu entnehmende inländische Termine und Aktivitäten in der Umgebung von O unter Angabe des konkreten Datums und der konkreten Aktivität lassen den Schluss zu, dass die Klägerin zu diesen Zeitpunkten ihre Wohnung genutzt hat.
ee) Der Umstand, dass die Klägerin eine möblierte und mit Gegenständen für den täglichen Bedarf ausgestattete Wohnung vorhielt, lässt für sich allein nicht den Schluss zu, die Klägerin habe die Wohnung in einem Umfang tatsächlich genutzt, der über einen bloßen Besuchscharakter hinausgeht. Das Vorhalten einer eingerichteten und funktionsfähigen Wohnung ist vielmehr nur ein Indiz für zum dauerhaften Wohnen geeignete Räume.
5. Das FG wird weiter zu prüfen haben, ob die angefochtenen Steuerbescheide, in denen mehrere Steuerfälle zusammengefasst sind, nach § 119 Abs. 1 i.V.m. § 157 Abs. 1 Satz 2 AO inhaltlich hinreichend bestimmt sind (vgl. BFH-Urteil vom 30. August 2017 - II R 46/15, BFHE 259, 370, BStBl II 2019, 38, Rz 17, 18). Die Höhe und überwiegend auch das Datum der einzelnen, in einem Jahr getätigten Zuwendungen werden zwar jeweils in einer Anlage zum Steuerbescheid angeführt; nur für die Übernahme der Arztrechnungen wird kein Datum angegeben. Es fehlen aber gesonderte Steuerberechnungen für die einzelnen Zuwendungen.
6. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.