ECLI:DE:BFH:2019:U.120319.IXR34.17.0
BFH IX. Senat
EStG § 10 Abs 4b S 3, EStG § 2 Abs 3, EStG § 10d Abs 1 S 1, EStG § 10d Abs 2 S 1, EStG VZ 2012
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg , 01. Februar 2017, Az: 3 K 834/15
Leitsätze
1. Der Hinzurechnungsbetrag nach § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG erhöht nicht den Gesamtbetrag der Einkünfte (§ 2 Abs. 3 EStG) .
2. Die Hinzurechnung nach § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG findet auch statt, wenn sich die erstattete Zahlung im Zahlungsjahr nicht steuermindernd ausgewirkt hat .
Tenor
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg vom 2. Februar 2017 3 K 834/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand
I.
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) werden im Streitjahr (2012) zur Einkommensteuer zusammen veranlagt.
Nach einer Außenprüfung (Bericht vom 5. Mai 2011) änderte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) die Einkommensteuerbescheide der Kläger für die Jahre 2000, 2001, 2003, 2005, 2008, 2009 und 2010. Dadurch kam es im Streitjahr zu einem Kirchensteuer-Erstattungsüberhang. Der verbleibende Verlustvortrag zum 31. Dezember 2011 betrug 13.251.836 €.
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr erklärten die Kläger Kirchensteuererstattungsüberhänge von jeweils 84.217 € als sonstige Einnahmen. Das FA folgte dem nicht. Im geänderten Einkommensteuerbescheid für 2012 vom 25. September 2014 ermittelte es einen positiven Gesamtbetrag der Einkünfte ohne die erklärten sonstigen Einkünfte aus Kirchensteuererstattungen und nahm in gleicher Höhe den Verlustabzug vor. Danach rechnete es den Klägern einen positiven Erstattungsüberhang aus Kirchensteuern (166.744 €) hinzu und reduzierte diesen um abziehbare Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen. Daraus ergab sich nach Abzug eines Kinderfreibetrags ein zu versteuerndes Einkommen von 148.717 €. Das FA setzte die Einkommensteuer für 2012 auf 61.686 € fest.
Dagegen legten die Kläger Einspruch ein, den das FA als unbegründet zurückwies (Einspruchsentscheidung vom 2. März 2015).
Im Klageverfahren haben die Kläger argumentiert, die Hinzurechnung des Kirchensteuer-Erstattungsüberhangs erhöhe den Gesamtbetrag der Einkünfte und werde durch den anschließenden Verlustabzug neutralisiert, so dass im Streitjahr keine Einkommensteuer entstanden sei. Die davon abweichende Veranlagung widerspreche dem Ziel der gesetzlichen Regelung. Da sich die Kirchensteuer aufgrund von Verlustvorträgen in den Vorjahren nicht ausgewirkt habe, dürfe sich auch ein Erstattungsüberhang bei vorhandenem Verlustvortrag nicht steuererhöhend auswirken.
Auf Nachfrage teilte das FA dem Finanzgericht (FG) mit, es könne nicht (mehr) festgestellt werden, in welchen Jahren die Zahlungen geleistet worden seien, die zu den Erstattungen geführt hätten.
Während des Klageverfahrens änderte das FA den streitbefangenen Einkommensteuerbescheid am 23. Januar 2017 erneut und setzte den Hinzurechnungsbetrag wegen des Kirchensteuer-Erstattungsüberhangs um 85 € niedriger mit 166.659 € an. Die festgesetzte Einkommensteuer verminderte sich dadurch um 36 € auf 61.650 €.
Das FG hat die Klage nach mündlicher Verhandlung abgewiesen. Der Hinzurechnungsbetrag nach § 10 Abs. 4b Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erhöhe nicht den Gesamtbetrag der Einkünfte. Das ergebe sich aus § 10d Abs. 1 und 2 EStG, wonach nicht ausgeglichene negative Einkünfte vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen sind. Daran habe der Gesetzgeber bei Einführung von § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG nichts ändern wollen. Die Vorschrift sei auch nicht teleologisch auf Fälle zu reduzieren, in denen sich die Kirchensteuerzahlung steuermindernd ausgewirkt habe. Voraussetzung für die Hinzurechnung sei allein das Vorhandensein eines Erstattungsüberhangs. Außerdem sei die Hinzurechnung unter systematischen Gesichtspunkten belastungsneutral. So seien Fälle denkbar, in denen sich die Zahlung in vollem Umfang ausgewirkt habe und die Hinzurechnung des Erstattungsüberhangs keine Steuererhöhung auslöse.
Mit ihrer Revision verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Sie rügen die Verletzung von § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG.
Die Kläger beantragen,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer unter Abänderung des geänderten Einkommensteuerbescheids vom 23. Januar 2017 auf 0 € festzusetzen.Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das angefochtene Urteil hält rechtlicher Nachprüfung stand.
1. Nach § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG ist ein Erstattungsüberhang bei der gezahlten Kirchensteuer (§ 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG) dem Gesamtbetrag der Einkünfte hinzuzurechnen.
a) Die durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 vom 1. November 2011 (BGBl I 2011, 2131) eingeführte Vorschrift ist am 1. Januar 2012 in Kraft getreten und mithin im Streitfall anwendbar. Es kommt insofern auf den Zufluss (§ 11 EStG) der Erstattung an.
b) Der Hinzurechnungsbetrag nach § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG erhöht ‑‑wie das FG zutreffend angenommen hat‑‑ nicht den Gesamtbetrag der Einkünfte (§ 2 Abs. 3 EStG). Das ergibt sich zwar nicht eindeutig aus dem Wortlaut der Vorschrift. Insbesondere eine Formulierung in der Gesetzesbegründung, wonach ein Erstattungsüberhang "bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte" hinzuzurechnen sei (BTDrucks 17/5125, S. 37), deutet scheinbar in eine andere Richtung. Vordergründig ergibt sich die Antwort auch nicht aus § 2 EStG. Der Hinzurechnungsbetrag nach § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG ist dort nicht ausdrücklich erwähnt. Und auch aus § 10d Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 EStG ergibt sich nur, dass der Verlustabzug vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen vorzunehmen ist. An welcher Stelle der Hinzurechnungsbetrag zu berücksichtigen ist, ergibt sich daraus ebenfalls nicht, denn der Hinzurechnungsbetrag gehört weder zu den Sonderausgaben noch zu den außergewöhnlichen Belastungen oder sonstigen Abzugsbeträgen.
Dem Zweck der Vorschrift entspricht es jedoch, dass Kirchensteuererstattungen, die im Erstattungsjahr nicht mit gleichartigen Zahlungen ausgeglichen werden können, quasi wie negative Sonderausgaben zu behandeln sind (so Schmidt/Heinicke, EStG, 31. Aufl. (2012), § 10 Rz 9). Erstattungsüberhänge bei Kirchensteuern sollten nach der Vorstellung des Gesetzgebers nur noch im Jahr der Erstattung berücksichtigt werden, um ein "Wiederaufrollen der Steuerfestsetzungen" der Vorjahre zu vermeiden (BTDrucks 17/5125, S. 21). Der Hinzurechnungsbetrag ist deshalb im Berechnungsschema an der Stelle zu berücksichtigen, an der die vorrangige Verrechnung eingreift und an der die Sonderausgaben zu berücksichtigen wären. Für eine davon abweichende Behandlung ist kein sachlicher Grund ersichtlich. Dies entspricht auch der ganz überwiegenden Ansicht im Schrifttum (Kulosa in Herrmann/Heuer/Raupach ‑‑HHR‑‑, § 10 EStG Rz 413; BeckOK EStG/Fissenewert, 3. Ed [01.02.2019], EStG § 10 Rz 545.1; Schmidt/Heinicke, EStG, 36. Aufl., § 10 Rz 8, der die bis zur 35. Aufl. a.a.O. vertretene Gegenauffassung offenbar aufgegeben hat; a.A., jedoch ohne Begründung: Scharfenberg/Marbes, Der Betrieb 2011, 2282, 2283 und Gebhardt, Der Ertrag-Steuer-Berater 2012, 30, 31).
c) Die Hinzurechnung nach § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG findet auch statt, wenn sich die erstattete Zahlung im Zahlungsjahr nicht steuermindernd ausgewirkt hat. Die Vorschrift enthält eine zulässige Typisierung; sie dient der Vereinfachung des Steuervollzugs. Zwar erachtet der Gesetzgeber die Hinzurechnung des Erstattungsüberhangs bei Basiskrankenversicherungsbeiträgen und Kirchensteuern deshalb für geboten, weil sich die gezahlten Beträge in der Vergangenheit (in voller Höhe) ausgewirkt haben (BTDrucks 17/5125, S. 37). Das bedeutet aber nicht, dass sie sich im Einzelfall tatsächlich ausgewirkt haben müssen. Müsste in jedem Einzelfall ermittelt werden, ob (und ggf. in welcher Höhe) sich die erstattete Zahlung steuerlich ausgewirkt hat, würde der Vereinfachungszweck verfehlt. Die Annahme, dass sich die Beiträge zur Basiskrankenversicherung und die gezahlten Kirchensteuern steuerlich in voller Höhe auswirken, entspricht indes dem Regelfall. Etwas anderes kann aus Gründen der formellen Gleichbehandlung auch dann nicht gelten, wenn (ohne weiteres) feststeht, dass sich eine Zahlung nicht ausgewirkt hat.
Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen dagegen nicht. Zur früheren Rechtslage hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass es für die Gegenrechnung der Erstattung nicht darauf ankommt, ob sich die erstatteten Beträge im Zahlungsjahr steuerlich ausgewirkt haben (BFH-Beschluss vom 19. Januar 2010 X B 32/09, BFH/NV 2010, 1250; BFH-Urteil vom 6. Juli 2016 X R 6/14, BFHE 254, 341, BStBl II 2016, 933). Zwar könne es dazu kommen, dass sich Kirchensteuerzahlungen steuerlich nicht auswirken, obwohl eine tatsächliche und endgültige wirtschaftliche Belastung vorliege. Die Verrechnungsmethode sei jedoch unter systematischen Gesichtspunkten belastungsneutral, denn sie könne auch zu dem entgegen gesetzten Ergebnis führen. Diese Erwägungen sind auf die neue Rechtslage übertragbar (ebenso HHR/Kulosa, § 10 EStG Rz 413).
Im Streitfall steht nach Aktenlage nicht fest, dass sich die erstatteten Zahlungen in den jeweiligen Zahlungsjahren steuerlich nicht ausgewirkt haben. Das FG hat dazu keine Feststellungen getroffen. Aber selbst wenn dies so wäre, müssten die Kläger das Ergebnis nach geltender Rechtslage hinnehmen, denn ebenso gut hätte der Fall eintreten können, dass sich eine Kirchensteuerzahlung in voller Höhe ausgewirkt hat, während der Hinzurechnungsbetrag im Erstattungsjahr eine Erhöhung der Einkommensteuer nicht auslöst (bei hohem negativem Gesamtbetrag der Einkünfte). Ein übergeordnetes Gebot der steuerlichen Berücksichtigung von Privataufwendungen besteht nicht. Die Regelung in § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG würde den verfassungsrechtlichen Anforderungen deshalb schon dann genügen, wenn sie nicht willkürlich differenziert. Dafür sind Anhaltspunkte indes nicht ersichtlich.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.