ECLI:DE:BFH:2019:BA.160519.XIB13.19.0
BFH XI. Senat
UStG § 15 Abs 1 S 1 Nr 1 S 1, UStG § 15 Abs 1 S 1 Nr 1 S 2, UStG § 14 Abs 4 Nr 5, UStG § 22, AO § 162, AO § 163, AO § 227, FGO § 69, EGRL 112/2006 Art 168 Buchst a, EGRL 112/2006 Art 178 Buchst a, EGRL 112/2006 Art 226 Nr 6, AEUV Art 325, UStG VZ 2012 , UStG VZ 2013 , UStG VZ 2014
vorgehend Hessisches Finanzgericht , 13. Januar 2019, Az: 1 V 1470/18
Leitsätze
1. Nach Maßgabe der summarischen Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Steuerfestsetzungen im Verfahren um eine AdV ist ernstlich zweifelhaft, ob der Vorsteuerabzug aus Rechnungen im sog. Niedrigpreissegment hinsichtlich der Leistungsbeschreibung voraussetzt, dass die Art der gelieferten Gegenstände mit ihrer handelsüblichen Bezeichnung angegeben wird oder ob insoweit die Angabe der Warengattung ("Hosen", "Blusen", "Pulli") ausreicht .
2. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass der Vorsteuerabzug versagt werden darf, wenn die Lieferung, über die abgerechnet worden ist, nicht bewirkt worden ist .
3. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass der Vorsteuerabzug versagt werden darf, wenn der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt hatte, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war .
4. Es ist (weiterhin) ernstlich zweifelhaft, ob beim Vorsteuerabzug Gutglaubensschutz nur im Billigkeitsverfahren zu gewähren ist (Bestätigung der Rechtsprechung) .
5. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass das Recht auf Vorsteuerabzug grundsätzlich in dem Besteuerungszeitraum auszuüben ist, in dem der Leistungsempfänger die Leistung bezogen hat und im Besitz einer Rechnung ist .
6. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass auch bei der Umsatzsteuer im Falle von Verstößen des Steuerpflichtigen gegen die Aufzeichnungspflichten des § 22 UStG und bei sonstigen Buchführungsmängeln das FA zur Schätzung von Besteuerungsgrundlagen befugt sein kann. Diese Schätzungsbefugnis steht in Einklang mit dem Unionsrecht .
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Hessischen Finanzgerichts vom 14. Januar 2019 1 V 1470/18 aufgehoben.
Die Sache wird an das Hessische Finanzgericht zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten im Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung (AdV) vornehmlich darüber, ob dem Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) der Vorsteuerabzug aus Rechnungen über Textilien (Bekleidungsstücke) im sog. Niedrigpreissegment zu gewähren ist.
Der Antragsteller war in den Streitjahren (2012 bis 2014) im Bereich des Großhandels mit Textilien und Modeaccessoires im sog. Niedrigpreissegment tätig. Die Einkaufspreise je Artikel bewegten sich überwiegend im unteren bis mittleren einstelligen Euro-Bereich; teilweise lagen die Einkaufspreise zwischen 10 € und 28 €.
Der Antragsteller nahm in den Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre den Vorsteuerabzug u.a. aus Rechnungen der Firmen A-GmbH sowie der Firmen B, C, D, E, F-GmbH, G-GmbH und H vor. Als Artikelbezeichnung waren in den Rechnungen Angaben wie "Hosen", "Tops", "Shirts", "T-Shirts", "Kleider", "Bluse", "Weste", "Jacken" enthalten.
Nach Durchführung einer Außenprüfung beim Antragsteller vertrat der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) in den Umsatzsteuer-Änderungsbescheiden für die Streitjahre vom 5. Juni 2018 die Auffassung, dass
-
die Ausgangsumsätze des Antragstellers wegen Verletzung der Aufzeichnungspflichten des § 22 des Umsatzsteuergesetzes (UStG), unzutreffender Verbuchung der Warenverkäufe, fehlender Kassenaufzeichnungen und Kassenblätter, und wegen Kassenfehlbeträgen zu erhöhen seien;
-
der Vorsteuerabzug aus zwei Rechnungen der A-GmbH vom 19. Dezember 2011 und vom 21. Dezember 2011 zu versagen sei, da eine Doppelerfassung dieser Lieferungen in den Jahren 2011 und 2012 nicht ausgeschlossen werden könne;
-
der Vorsteuerabzug aus einer Rechnung des H vom 22. September 2014 zu versagen sei, weil es sich um einen innergemeinschaftlichen Erwerb gehandelt habe;
-
der Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der Firmen B, C, D, E, F-GmbH und G-GmbH nicht anzuerkennen sei, weil nach dem Ergebnis der Ermittlungen verschiedener Steuerfahndungsstellen gegen diese Lieferanten den streitgegenständlichen Rechnungen tatsächlich kein Leistungsaustausch zugrunde gelegen habe. Der Vorsteuerabzug sei außerdem zu versagen, weil die Leistungsbeschreibungen nicht ausreichend seien.
Der Antragsteller legte gegen diese Bescheide Einspruch ein und beantragte gleichzeitig AdV, die das FA mit Bescheid vom 22. August 2018 ablehnte.
Das Hessische Finanzgericht (FG) lehnte mit Beschluss vom 14. Januar 2019 1 V 1470/18 den Antrag auf Gewährung von AdV ab und ließ die Beschwerde zu. Es führte zur Begründung der Ablehnung aus, nach summarischer Prüfung sei weder die Erhöhung der für die Streitjahre erklärten Umsätze für 2012 und 2013 noch die Versagung des Vorsteuerabzugs aus den Rechnungen der A-GmbH vom 19. Dezember 2011 und vom 21. Dezember 2011 zu beanstanden. Die Buchführungsmängel seien vom Prüfer hinreichend erläutert worden. Das Recht auf Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der A-GmbH sei im Dezember 2011 entstanden. Da der Antragsteller für das Vorliegen der Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs aus diesen Rechnungen im Jahr 2012 darlegungs- und beweispflichtig sei und keine entsprechenden Buchführungsunterlagen für 2011 vorgelegt habe, sei der Vorsteuerabzug für das Jahr 2012 zu versagen. Auch die Abweichungen der Bescheide von den Steuererklärungen hinsichtlich der innergemeinschaftlichen Erwerbe unterliege nach Aktenlage keinem ernstlichen Zweifel. Außerdem habe das FA den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der B, C, D, E, F-GmbH und G-GmbH zu Recht versagt, weil diese Rechnungen keine hinreichenden Leistungsbeschreibungen enthielten. Es verwies insoweit zur Begründung auf das Urteil des Hessischen FG vom 12. Oktober 2017 1 K 2402/14 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2018, 335). Dem stehe auch nicht das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) Barlis 06 vom 15. September 2016 C-516/14 (EU:C:2016:690, Deutsches Steuerrecht ‑‑DStR‑‑ 2016, 2216) entgegen.
Auf die Frage, ob die Firmen wirtschaftlich aktiv gewesen seien und tatsächlich Leistungsaustauschverhältnisse bestanden hätten, komme es nach Auffassung des FG nicht an.
Mit seiner Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, macht der Antragsteller geltend, das FG habe zu Unrecht ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide verneint. Hinsichtlich der Rechnung der A-GmbH stehe dem Antragsteller das Recht auf Vorsteuerabzug erst dann zu, wenn er die Rechnung besitze. Erst in dem Besteuerungszeitraum, in dem beide Voraussetzungen erfüllt seien, sei der Vorsteuerabzug zu gewähren. Die Beweislast für das Vorliegen der Rechnung trage der Unternehmer. Deren Vorliegen sei jedoch unstreitig. Außerdem habe das FG zu Unrecht den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der B, C, D, E, F-GmbH und G-GmbH mangels hinreichender Leistungsbeschreibung versagt. Er beruft sich diesbezüglich auf den Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 14. März 2019 V B 3/19 (zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, DStR 2019, 874).
Der Antragsteller beantragt, den Beschluss des Hessischen FG vom 14. Januar 2019 1 V 1470/18 aufzuheben und die Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre vom 5. Juni 2018 von der Vollziehung auszusetzen.
Das FA beantragt sinngemäß, die Beschwerde zurückzuweisen.
Es bringt vor, hinsichtlich der Rechnung der A-GmbH könne nicht ausgeschlossen werden, dass diese im Jahr 2011 erfasst wurde. Die Feststellungslast trage der Antragsteller. Hinsichtlich der übrigen streitigen Rechnungen sei der Vorsteuerabzug aus weiteren Gründen zu versagen. Rechnungsaussteller und leistender Unternehmer seien nicht identisch. Es bestünden auch Zweifel an der tatsächlichen Durchführung der Umsätze. Außerdem habe der Antragsteller wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteilige, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen sei. Da die Rechnungsaussteller wirtschaftlich inaktiv gewesen seien, erscheine es unglaubhaft, dass der Antragsteller davon angeblich nichts gewusst habe.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde (§ 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑) ist teilweise begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG. Vom FG sind weitere tatsächliche Feststellungen zu den übrigen vom FA vorgebrachten Versagungsgründen für den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der B, C, D, E, F-GmbH und G-GmbH zu treffen.
1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsaktes bestehen.
a) Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 11. Juli 2013 XI B 41/13, BFH/NV 2013, 1647, Rz 16; vom 2. Juli 2014 XI S 8/14, BFH/NV 2014, 1601). Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 26. September 2014 XI S 14/14, BFH/NV 2015, 158, Rz 33; vom 20. Januar 2015 XI B 112/14, BFH/NV 2015, 537, Rz 15, jeweils m.w.N.). Zur Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 25. April 2013 XI B 123/12, BFH/NV 2013, 1273, Rz 12; vom 17. Dezember 2015 XI B 84/15, BFHE 252, 181, BStBl II 2016, 192, Rz 22; vom 31. März 2016 XI B 13/16, BFH/NV 2016, 1187, Rz 14).
b) Ernstliche Zweifel können danach z.B. bestehen, wenn die streitige Rechtsfrage höchstrichterlich noch nicht entschieden wurde und im Schrifttum oder in der Rechtsprechung der Finanzgerichte unterschiedliche Auffassungen vertreten werden (BFH-Beschlüsse vom 29. Juli 2009 XI B 24/09, BFHE 226, 449, BFH/NV 2009, 1567, Rz 22; vom 26. April 2010 V B 3/10, BFH/NV 2010, 1664, Rz 20). Ist die Rechtslage nicht eindeutig, ist über die zu klärende Frage nicht im summarischen Verfahren der AdV zu entscheiden (z.B. BFH-Beschlüsse vom 25. November 2005 V B 75/05, BFHE 212, 176, BStBl II 2006, 484, Rz 26; vom 15. Oktober 2015 I B 93/15, BFHE 251, 309, BStBl II 2016, 66, Rz 7; in BFHE 252, 181, BStBl II 2016, 192, Rz 31).
2. Nach diesen Grundsätzen bestehen im Streitfall insoweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuer-Änderungsbescheide, als das FA den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der B, C, D, E, F-GmbH und G-GmbH mangels hinreichender Leistungsbeschreibung versagt hat. Der Senat verweist insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf den zur amtlichen Veröffentlichung bestimmten BFH-Beschluss in DStR 2019, 874, mit dem der V. Senat zu dieser Frage in jenem Verfahren AdV gewährt hat.
3. Allerdings kann auch bei nur summarischer Prüfung zum derzeitigen Verfahrensstand nicht beurteilt werden, ob ernstliche Zweifel daran bestehen, dass das FA den Vorsteuerabzug zu Recht aus anderen Gründen versagt hat. Dazu sind vom FG weitere Feststellungen zu treffen.
a) Das FA hat den Vorsteuerabzug versagt, weil es angenommen hat, dass die in den Rechnungen genannten Lieferungen nicht stattgefunden haben. Daran bestehen keine ernstlichen Zweifel, sofern die Rechnungsaussteller nicht Lieferer gewesen sein sollten (vgl. zur erforderlichen Abgrenzung in Strohmann-Fällen BFH-Urteile vom 10. November 2010 XI R 15/09, BFH/NV 2011, 867, Rz 17 ff.; vom 12. Mai 2011 V R 25/10, BFH/NV 2011, 1541, Rz 20 ff.; vom 20. Oktober 2016 V R 36/14, BFH/NV 2017, 327, Rz 10 f.; s. auch Beschluss des Bundesgerichtshofs ‑‑BGH‑‑ vom 29. Januar 2015 1 StR 216/14, wistra - Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht 2015, 189, Rz 19, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BGH). Denn das Recht auf Vorsteuerabzug hängt davon ab, dass die entsprechenden Umsätze tatsächlich bewirkt wurden; kein Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn die Lieferung des Gegenstands nicht bewirkt wurde (vgl. EuGH-Urteil SGI und Valériane vom 27. Juni 2018 C-459/17, C-460/17, EU:C:2018:501, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ‑‑HFR‑‑ 2018, 679, Rz 41 und 36).
Der Unternehmer, der den Vorsteuerabzug geltend macht, trägt die Feststellungslast für alle Tatsachen, die den Vorsteuerabzug begründen (vgl. EuGH-Urteil SGI und Valériane, EU:C:2018:501, HFR 2018, 679, Rz 39; BFH-Urteile vom 5. Dezember 2018 XI R 22/14, BFHE 263, 354, DStR 2019, 271, Rz 21; vom 13. Dezember 2018 V R 65/16, BFH/NV 2019, 303, Rz 26).
b) Es entspricht außerdem der ständigen Rechtsprechung des BFH, dass der Vorsteuerabzug zu versagen ist, wenn aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt hatte, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19. Dezember 2014 XI B 12/14, BFH/NV 2015, 534, Rz 23; vom 12. September 2014 VII B 99/13, BFH/NV 2015, 161, Rz 21 ff.).
Dies steht im Übrigen in Einklang mit der sich aus Art. 4 Abs. 3 des Vertrags über die Europäische Union, Art. 325 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ergebenden Verpflichtung der Mitgliedstaaten, alle Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, die geeignet sind, die Erhebung der gesamten in ihrem Hoheitsgebiet geschuldeten Mehrwertsteuer zu gewährleisten und den Betrug zu bekämpfen (vgl. EuGH-Urteile Paper Consult vom 19. Oktober 2017 C-101/16, EU:C:2017:775, HFR 2017, 1177, Rz 43 und 47; M.A.S. und M.B. vom 5. Dezember 2017 C-42/17, EU:C:2017:936, HFR 2018, 179, Rz 30 ff.). Soweit der Senat im BFH-Beschluss in BFHE 226, 449, BFH/NV 2009, 1567 zu § 6a UStG in Bezug auf die Missbrauchs-Rechtsprechung des EuGH noch ernstliche Zweifel bejaht hatte, sind diese durch das EuGH-Urteil R vom 7. Dezember 2010 C-285/09 (EU:C:2010:742, BStBl II 2011, 846) beseitigt worden (vgl. dazu auch EuGH-Urteil Italmoda vom 18. Dezember 2014 C-131/13, C-163/13 und C-164/13, EU:C:2014:2455, HFR 2015, 200; Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Juni 2011 2 BvR 542/09, HFR 2011, 1145).
c) Ernstlich zweifelhaft wäre indessen weiterhin (vgl. dazu BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2015, 537, Rz 19; vom 18. Februar 2015 V S 19/14, BFH/NV 2015, 866, Rz 30 ff.), sofern die tatsächlichen Voraussetzungen hierfür vorlägen (vgl. zur Abgrenzung auch BFH-Beschluss vom 7. Dezember 2016 XI R 31/14, BFH/NV 2017, 487, Rz 8 und 9), ob auch beim Vorsteuerabzug Gutglaubensschutz bereits im Festsetzungsverfahren gewährt werden kann (verneinend BFH-Urteile vom 22. Juli 2015 V R 23/14, BFHE 250, 559, BStBl II 2015, 914, Rz 31 ff.; vom 10. September 2015 V R 17/14, BFH/NV 2016, 80, Rz 48). Nachdem der EuGH die ihm vom Senat dazu gestellte Vorlagefrage (vgl. BFH-Beschluss vom 6. April 2016 XI R 20/14, BFHE 254, 152, Frage 2) nicht beantworten musste (vgl. EuGH-Urteil Geissel und Butin vom 15. November 2017 C-374/16, C-375/16, EU:C:2017:867, HFR 2018, 88, Rz 51), sind die in Rz 60 ff. des Vorlagebeschlusses in BFHE 254, 152 aufgeworfenen Fragen weiterhin ungeklärt.
d) Ausgehend davon kann aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des FG und der dem Senat vorliegenden Finanzgerichtsakte nicht beurteilt werden, ob aus anderen als vom FG angenommenen Gründen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Änderungsbescheide bestehen. Der Senat verweist die Sache diesbezüglich an das FG zurück.
aa) Zwar ergeht die Entscheidung über einen Antrag auf AdV wegen dessen Eilbedürftigkeit aufgrund des Prozessstoffs, der sich aus den dem Gericht vorliegenden Unterlagen, insbesondere den Akten und den präsenten Beweismitteln ergibt, aus denen das Gericht seine Feststellungen zum Sachverhalt zu treffen hat, und es besteht im Beschwerdeverfahren für den BFH als Tatsachengericht grundsätzlich selbst die Befugnis und Pflicht zur Tatsachenfeststellung (vgl. BFH-Beschluss vom 10. Januar 2013 XI B 33/12, BFH/NV 2013, 783, Rz 19).
bb) Jedoch ist nach der Rechtsprechung des BFH auch eine Zurückverweisung des Verfahrens zur ergänzenden Tatsachenfeststellung durch das FG nach den §§ 132, 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 572 Abs. 3 der Zivilprozessordnung möglich, weil der BFH als Revisions- und Beschwerdegericht in erster Linie die Aufgabe hat, die Entscheidungen der Finanzgerichte zu überprüfen (vgl. BFH-Beschluss vom 20. Juli 2012 V B 82/11, BFHE 237, 545, BStBl II 2012, 809, Rz 31 ff.), die Sachnähe des FG, bei dem die Hauptsache anhängig ist, für eine Zurückverweisung spricht (vgl. BFH-Beschluss vom 5. Dezember 2018 VIII B 130/18, BFH/NV 2019, 282, Rz 17) und das FG die Aufgabe der ergänzenden Tatsachenfeststellung in der Regel schneller und effektiver erfüllen kann (vgl. BFH-Beschluss vom 6. November 2008 IV B 126/07, BFHE 223, 294, BStBl II 2009, 156, Rz 18). Von dieser Befugnis macht der Senat aus den genannten Gründen Gebrauch.
4. Unbegründet ist die Beschwerde hingegen, soweit sie sich gegen die Hinzuschätzung von Ausgangsumsätzen sowie gegen die Versagung des Vorsteuerabzugs aus den angeblichen Leistungen der A-GmbH und des H wendet.
a) Da der Antragsteller bei summarischer Prüfung die Aufzeichnungspflichten des § 22 UStG verletzt hat, ist das FG zu Recht davon ausgegangen, dass das FA gemäß § 162 AO dem Grunde nach zur Schätzung befugt ist (vgl. BFH-Urteile vom 14. Dezember 2011 XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921, Rz 19 ff.; vom 27. September 2018 V R 9/17, BFH/NV 2019, 127, Rz 20; s. zur Schätzung bei sonstigen Buchführungsmängeln auch BFH-Urteil in BFH/NV 2019, 303, Rz 30 ff.; zur unionsrechtlichen Zulässigkeit von Schätzungen im Bereich der Mehrwertsteuer s. EuGH-Urteile Maja Marinova vom 5. Oktober 2016 C-576/15, EU:C:2016:740, HFR 2016, 1034; Fontana vom 21. November 2018 C-648/16, EU:C:2018:932, HFR 2019, 67). Die Ausführungen in der Beschwerdebegründung sind nicht dazu geeignet, ernstliche Zweifel an der Höhe der Schätzung zu begründen.
b) Ebenfalls zu Recht hat das FG angenommen, dass bei summarischer Prüfung keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Umsatzsteuer-Änderungsbescheids für das Jahr 2012 insoweit besteht, als der Vorsteuerabzug aus den angeblichen Leistungen der A-GmbH versagt worden ist.
aa) Der Steuerpflichtige kann sein Recht auf Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG, Art. 178 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) nur dann ausüben, wenn er eine Rechnung besitzt (vgl. EuGH-Urteile Kommission/Luxemburg vom 4. Mai 2017 C-274/15, EU:C:2017:333, HFR 2017, 654, Rz 67; Volkswagen vom 21. März 2018 C-533/16, EU:C:2018:204, HFR 2018, 421, Rz 42 und 43). Das Recht auf Vorsteuerabzug ist grundsätzlich für den Zeitraum auszuüben, in dem zum einen dieses Recht entstanden ist und zum anderen der Steuerpflichtige im Besitz einer Rechnung ist (vgl. EuGH-Urteile Terra Baubedarf-Handel vom 29. April 2004 C-152/02, EU:C:2004:268, HFR 2004, 709, Rz 34; Senatex vom 15. September 2016 C-518/14, EU:C:2016:691, HFR 2016, 1029, Rz 35). Davon gehen neben dem FG auch beide Beteiligte aus.
bb) Gemessen daran ist, da die Rechnungen der A-GmbH im Jahr 2011 ausgestellt worden sind, bei summarischer Prüfung davon auszugehen, dass das Recht auf Vorsteuerabzug im Jahr 2011 (und damit vor den Streitjahren) ausgeübt werden kann.
cc) Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller erst im Jahr 2012 in den Besitz der Rechnungen der A-GmbH gelangt sein könnte, bestehen, wie das FG zu Recht angenommen hat, bei summarischer Prüfung nicht. Die Beschwerde enthält dazu keine substantiierten Einwendungen, die angesichts der Feststellungslast des Antragstellers (s. oben unter II.3.a) geeignet wären, ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Umsatzsteuerbescheids für das Jahr 2012 zu wecken.
dd) Die Frage, ob in extremen Ausnahmefällen, in dem der Vorsteuerabzug ansonsten unmöglich gemacht oder auf unverhältnismäßige Weise verwehrt würde, ernstlich zweifelhaft sein könnte, ob ein Vorsteuerabzug ohne eine auf den Leistungsempfänger lautende Rechnung i.S. des § 14 Abs. 4 UStG, Art. 226 MwStSystRL möglich sein könnte (vgl. dazu EuGH-Urteile Polski Trawertyn vom 1. März 2012 C-280/10, EU:C:2012:107, HFR 2012, 461, Rz 39 ff.; Vadan vom 21. November 2018 C-664/16, EU:C:2018:933, HFR 2019, 65, Rz 42), bedarf im Streitfall, in dem der Antragsteller die Rechnungen der A-GmbH besitzt, keiner Entscheidung.
c) Zur Versagung des Vorsteuerabzugs in Bezug auf die Rechnung des H enthält die Beschwerde auch keine Angriffe, die geeignet wären, ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Festsetzungen zu begründen. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass bei nicht erkannter innergemeinschaftlicher Lieferung und innergemeinschaftlichem Erwerb der Vorsteuerabzug hinsichtlich der in der Rechnung des H unrichtig ausgewiesenen Umsatzsteuer zu versagen ist (vgl. dazu allgemein EuGH-Urteil Kreuzmayr vom 21. Februar 2018 C-628/16, EU:C:2018:84, HFR 2018, 337, Rz 43, 46 ff.).
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 2 FGO.