ECLI:DE:BFH:2018:U.270918.VR9.17.0
BFH V. Senat
UStG § 1 Abs 1, UStG § 22 Abs 2 Nr 3, FGO § 96 Abs 1, FGO § 118 Abs 2, AO § 162, StGB § 181a Abs 1 Nr 2, UStG § 1 Abs 1, UStG § 22 Abs 2 Nr 3, UStG VZ 2005 , UStG VZ 2006 , UStG VZ 2007 , UStG VZ 2008
vorgehend FG München, 10. Mai 2016, Az: 3 K 3267/13
Leitsätze
1. NV: Für die Zurechnung von in einem Bordell oder FKK-Club erbrachten Prostitutionsumsätzen gelten die allgemeinen Grundsätze, nach denen zu beurteilen ist, ob eine Leistung dem unmittelbar Handelnden oder dem Unternehmer, in dessen Unternehmen er eingegliedert ist, zuzurechnen ist.
2. NV: Entscheidend ist, ob der Unternehmer nach den nach außen erkennbaren Gesamtumständen aufgrund von Organisationsleistungen selbst derjenige ist, der durch die Anwerbung von Prostituierten und deren Unterbringung das Bordell betreibt.
3. NV: Dabei kann maßgebend sein, ob der Unternehmer z.B. in seiner Werbung als Inhaber eines Bordells oder eines bordellähnlichen Betriebs als Erbringer sämtlicher vom Kunden erwarteten Dienstleistungen einschließlich der Verschaffung von Geschlechtsverkehr aufgetreten ist.
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Finanzgerichts München vom 11. Mai 2016 3 K 3267/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
I.
Streitig ist die Zurechnung von Prostitutionsumsätzen in den Jahren 2004 bis 2008 (Streitjahre).
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Insolvenzverwalter der X-GmbH (GmbH). Die GmbH betrieb in den Streitjahren einen FKK-Club. In ihren Räumen hatten die Gäste die Möglichkeit einer Kontaktanbahnung zu den dort anwesenden Prostituierten. Im Obergeschoss des FKK-Clubs konnten die Gäste mit den Prostituierten eines von insgesamt 15 Zimmern nutzen; eine feste Zimmerzuteilung gab es nicht. Für diese Leistungen erhob die GmbH sowohl von den Gästen als auch von den Prostituierten ein einheitliches Eintrittsgeld in Höhe von ... €. Auf ihrer Internetseite führte die GmbH den Vornamen, das Alter, die Körpergröße und die Konfektionsgröße der jeweils anwesenden Prostituierten auf. Die Prostituierten rechneten ihre Leistungen unmittelbar gegenüber dem jeweiligen Gast in bar ab; die Möglichkeit einer Kartenzahlung bestand nicht.
Im Anschluss an eine Steuerfahndungsprüfung änderte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) die Umsatzsteuer für die Streitjahre mit nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) geänderten Bescheiden, indem er die Umsätze der in den Clubräumen der GmbH tätigen Prostituierten umsatzsteuerrechtlich der GmbH zurechnete. Da die GmbH keine Aufzeichnungen über die Höhe der Prostitutionsumsätze geführt habe, schätzte das FA deren Höhe.
Während des Klageverfahrens eröffnete das Amtsgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH. Das FA meldete die streitgegenständlichen Steuerforderungen nebst Zinsen zur Insolvenztabelle an; im Prüfungstermin bestritt der Kläger diese Forderungen in vollem Umfang und beantragte mit Schreiben vom 6. März 2013 die Aufnahme des durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochenen Klageverfahrens.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2017, 1124 veröffentlichten Urteil ab. Die von Prostituierten in einem FKK-Club erbrachten Dienstleistungen seien grundsätzlich dem Clubbetreiber, der für einen störungsfreien Betriebsablauf innerhalb der vorgegebenen Öffnungszeiten sorge, zuzurechnen. Das gelte insbesondere, wenn sich die Leistungen der Prostituierten aus Sicht eines durchschnittlichen Kunden nach dem Gesamtbild der Verhältnisse als Teil der Gesamtleistung des Betreibers darstellten, auch wenn es sich hierbei um höchstpersönliche Dienstleistungen der Prostituierten handele und diese selbst das Entgelt bar vereinnahmten.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Revision, mit der er Verletzung materiellen Rechts (§ 13a Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1, § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes ‑‑UStG‑‑) geltend macht. Die Prostituierten hätten vorliegend im eigenen Namen und für eigene Rechnung gegenüber den Freiern gehandelt. Indem das FG die Leistungen der Prostituierten der GmbH als Bestandteil einer Gesamtleistung zurechne, wende es einen fehlerhaften Maßstab an, da vor der Beurteilung der Frage, ob eine Gesamtleistung vorliege, zunächst die Leistenden der zu beurteilenden Leistungen festgestellt werden müssten. Deshalb könne die Gesamtleistung schon aus systematischen Gründen kein Kriterium der Gesamtbetrachtung für die Bestimmung des Leistenden sein.
Die GmbH biete im Übrigen lediglich die Plattform für die Leistungen der Prostituierten in Form des FKK-Clubs. Ob es zu einem Vertragsschluss zwischen Prostituierter und Freier komme, hänge davon ab, ob diese sich über die Modalitäten einigen könnten. Bestätigt werde dies durch die Beschlüsse des Landgerichts X und des Oberlandesgerichts Y, die übereinstimmend zu dem Ergebnis gelangt seien, dass die Prostituierten die Leistungen selbständig und unmittelbar an die Freier ausgeführt hätten.
Zu dieser Auffassung komme auch der Bundesrechnungshof, der in seinem Bericht vom 24. Januar 2014 festgestellt habe, dass Prostituierte im Regelfall selbständig tätig seien. Das werde auch dadurch bestätigt, dass es sich bei Prostituiertenleistungen um höchstpersönliche Dienstleistungen handele, bei denen eine erhöhte Wahrscheinlichkeit dafür spreche, dass sie auf eigene Rechnung erbracht würden.
Dem FA habe auch keine Schätzungsbefugnis zugestanden, denn die GmbH sei gar nicht in der Lage gewesen, Kenntnis von den Besteuerungsgrundlagen zu erlangen, ohne sich gemäß § 180a, § 181a des Strafgesetzbuchs (StGB) strafbar zu machen. Denn eine strafbare dirigistische Zuhälterei liege nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 9. Juni 2015 2 StR 75/15, Neue Zeitschrift für Strafrecht ‑‑NStZ‑‑ 2015, 638) bereits vor, wenn eine andauernde Kontrolle der Geldeinnahmen, der Buchführung und der Preisgestaltung für sexuelle Dienstleistungen durch den Bordellbetreiber erfolge.
Der Kläger beantragt,
das FG-Urteil aufzuheben und die Widersprüche gegen die vom FA als Insolvenzforderung angemeldeten Umsatzsteuerforderungen in Höhe von... € für 2004,
... € für 2005,
... € für 2006,
... € für 2007
und ... € für 2008
sowie die vom FA als Insolvenzforderungen angemeldeten Umsatzsteuerzinsforderungen in Höhe von
... € für 2004,... € für 2005,
... € für 2006,
sowie ... € für 2007
für begründet zu erklären.Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Die Würdigung des FG, der zufolge die Prostitutionsumsätze der GmbH gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG zuzurechnen sind, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
1. Für die Zurechnung von in einem Bordell oder FKK-Club erbrachten Prostitutionsumsätzen gelten die allgemeinen Grundsätze, nach denen zu beurteilen ist, ob eine Leistung dem unmittelbar Handelnden oder dem Unternehmer, in dessen Unternehmen er eingegliedert ist, zuzurechnen ist (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 25. November 2009 V B 31/09, BFH/NV 2010, 959; vom 29. Januar 2008 V B 201/06, BFH/NV 2008, 827; vom 31. März 2006 V B 181/05, BFH/NV 2006, 2138, jeweils m.w.N.).
Es kommt darauf an, ob der Unternehmer nach den nach außen erkennbaren Gesamtumständen aufgrund von Organisationsleistungen selbst derjenige ist, der durch die Anwerbung von Prostituierten und deren Unterbringung das Bordell betreibt (BFH-Urteile vom 19. Februar 2014 XI R 1/12, BFH/NV 2014, 1398; vom 17. Dezember 2014 XI R 16/11, BFHE 248, 436, BStBl II 2015, 427; vom 22. August 2013 V R 18/12, BFHE 243, 32, BStBl II 2013, 1058; BFH-Beschlüsse vom 7. Februar 2017 V B 48/16, BFH/NV 2017, 629; vom 21. Januar 2015 XI B 88/14, BFH/NV 2015, 864). Dabei kann maßgebend sein, ob der Unternehmer z.B. in seiner Werbung als Inhaber eines Bordells oder eines bordellähnlichen Betriebs als Erbringer sämtlicher vom Kunden erwarteten Dienstleistungen einschließlich der Verschaffung von Geschlechtsverkehr aufgetreten ist (BFH-Urteil vom 21. Februar 1991 V R 11/91, BFH/NV 1991, 844; BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2010, 959, Rz 2).
Regelmäßig ergibt sich aus den abgeschlossenen zivilrechtlichen Vereinbarungen, wer bei einem Umsatz als Leistender anzusehen ist. Leistender ist deshalb in der Regel derjenige, der die Lieferungen oder sonstigen Leistungen im eigenen Namen gegenüber einem anderen selbst oder durch einen Beauftragten ausführt. Ob eine Leistung dem Handelnden oder einem anderen zuzurechnen ist, hängt grundsätzlich davon ab, ob der Handelnde gegenüber Dritten im eigenen Namen oder berechtigterweise im Namen eines anderen bei Ausführung entgeltlicher Leistungen aufgetreten ist (z.B. BFH-Urteile vom 5. April 2001 V R 5/00, BFH/NV 2001, 1307, Rz 15; vom 28. Juni 2000 V R 70/99, BFH/NV 2001, 210; BFH-Beschluss vom 17. Mai 2017 V R 42/16, BFH/NV 2017, 1465).
2. Das FG ist von diesen Grundsätzen ausgegangen und hat den vorliegenden Sachverhalt für den erkennenden Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO) dahingehend gewürdigt, dass die Prostitutionsumsätze der GmbH zuzurechnen sind.
a) Die Würdigung des Sachverhalts ist grundsätzlich allein dem FG vorbehalten, das hierbei nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entscheiden muss (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die auf diese Weise zustande gekommene Entscheidung kann im Revisionsverfahren nur daraufhin überprüft werden, ob das FG entweder von einem unzureichend aufgeklärten Sachverhalt ausgegangen ist oder mit seiner Sachverhaltswürdigung gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen hat. Die Schlussfolgerungen des FG sind revisionsrechtlich bindend, wenn sie zwar nicht zwingend, aber möglich sind (z.B. BFH-Urteil vom 3. Mai 2017 X R 9/14, BFH/NV 2017, 1164, Rz 26; BFH-Beschluss vom 5. Juli 2016 X B 201/15, BFH/NV 2016, 1572, Rz 20).
b) Das FG hat u.a. berücksichtigt, dass die GmbH mit ihrem Internetauftritt den Eindruck erweckt habe, selbst Anbieterin der sexuellen Dienstleistungen zu sein und damit geworben habe, dass täglich ein "Minimum" von 40 Mädchen anwesend sei. Das habe nahegelegt, dass die Prostituierten aus Sicht der Freier austauschbar erschienen. Zudem habe die GmbH unter ihrem Namen und ihrer eigenen Telefonnummer in Printmedien und im Internet geworben. Auch sei keine Kontaktmöglichkeit (etwa mit deren eigenen Telefonnummern) zu den einzelnen Prostituierten beworben worden. Schließlich habe die GmbH nicht nur die Räume, sondern auch die zur Ausübung der Prostitution erforderliche Ausstattung ‑‑insbesondere Betten und Bettwäsche‑‑ zur Verfügung gestellt. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Freier regelmäßig bei Verlassen des Gebäudes an der Rezeption und damit durch Angestellte der GmbH nach ihrer Zufriedenheit mit ihrem Aufenthalt gefragt worden seien und hierdurch der Eindruck vermittelt worden sei, dass die Möglichkeit zu Reklamationen auch über die Leistungen der Prostituierten bestehe.
Diese Feststellungen lassen ohne Verstoß gegen Denkgesetze den Schluss zu, dass die GmbH durch Organisationsleistungen und durch ihr Auftreten nach außen selbst den bordellartigen Betrieb geführt habe. Ob es sich bei Prostitutionsleistungen um höchstpersönliche Leistungen handelt, spielt dabei keine Rolle.
3. Das FG hat auch zu Recht entschieden, dass das FA zur Schätzung der Prostitutionsumsätze befugt war. Bei Steuerpflichtigen, die ihren Aufzeichnungspflichten nach § 22 Abs. 2 Nr. 3 UStG nicht nachkommen, ist die Bemessungsgrundlage nach § 162 AO zu schätzen (BFH-Urteil vom 23. April 2015 V R 32/14, BFH/NV 2015, 1106, Rz 9). Gründet die Schätzungsbefugnis ‑‑wie hier‑‑ darauf, dass der Steuerpflichtige Unterlagen nicht vorlegen kann (§ 162 Abs. 2 Satz 2 AO), so ist es unerheblich, warum er sie nicht vorlegen kann, namentlich, ob ihn hieran ein Verschulden trifft (BFH-Urteil vom 28. Oktober 2015 X R 47/13, BFH/NV 2016, 171, Rz 17).
Eine etwaige Strafbarkeit nach § 181a Abs. 1 Nr. 2 StGB steht dem nicht entgegen. Es erschließt sich dem Senat nicht, wie der Kläger zu der Auffassung gelangt, aus dem Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 9. Juni 2015 2 StR 75/15 (NStZ 2015, 638) folge eine Strafbarkeit nach dieser Vorschrift bereits bei der bloßen Aufzeichnung der Umsätze der Prostituierten. Der Entscheidung des BGH zufolge ist für die Strafbarkeit gemäß § 181a Abs. 1 Nr. 2 StGB ein Verhalten des Täters erforderlich, das geeignet ist, die Prostituierte in Abhängigkeit von ihm zu halten, ihre Selbstbestimmung zu beeinträchtigen, sie zu nachhaltiger Prostitutionsausübung anzuhalten oder ihre Entscheidungsfreiheit in sonstiger Weise nachhaltig zu beeinflussen. Kontrollmaßnahmen, wie sie auch einem Arbeitgeber möglich sind, sind von dirigierenden Handlungen i.S. des § 181a Abs. 1 Nr. 2 StGB abzugrenzen (BGH, a.a.O., Rz 7). Das kann zwar auch bei einer andauernden Kontrolle der Geldeinnahmen, der Buchführung und der Preisgestaltung für die sexuellen Dienstleistungen der Fall sein, wenn dadurch eine wirtschaftliche Abhängigkeit der Prostituierten bewirkt wird, die ihr eine Lösung aus der Prostitution erschwert. So verhält es sich hier aber ersichtlich nicht.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.