ECLI:DE:BFH:2018:U.150518.VIIR14.17.0
BFH VII. Senat
AO § 256, AO § 356 Abs 2 S 1, AO § 150 Abs 8, EStG § 5b Abs 2 S 1, EStG VZ 2013 , AO § 328, AO § 5
vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht , 07. März 2017, Az: 1 K 149/15
Leitsätze
1. NV: Eine unbillige Härte i.S. der § 5b Abs. 2 Satz 1 EStG und § 150 Abs. 8 AO ergibt sich nicht durch ein behauptetes Ausspähungsrisiko, auch wenn der Steuerpflichtige ein sicherheitsrelevantes Unternehmen betreibt .
2. NV: Das Merkmal der unbilligen Härte ist ein im gerichtlichen Verfahren überprüfbarer Rechtsbegriff (Fortführung der BFH-Rechtsprechung, Beschluss des Großen Senats des BFH vom 28. November 2016 GrS 1/15, BFHE 255, 482, BStBl II 2017, 393) .
3. NV: Wenn weder eine wirtschaftliche noch eine persönliche Unzumutbarkeit vorliegt, kann aus anderen Gründen eine unbillige Härte gegeben sein .
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 8. März 2017 1 K 149/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH, die sicherungstechnische Einrichtungen herstellt und vertreibt.
Für den Veranlagungszeitraum 2013 reichte die Klägerin die Körperschaftsteuer-, Gewerbesteuer- und Umsatzsteuererklärung sowie die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ‑‑FA‑‑) in Papierform ein. Nachdem die Klägerin der Aufforderung zur elektronischen Übermittlung nicht nachgekommen war, drohte das FA die Festsetzung eines Zwangsgelds in Höhe von jeweils 500 € an. Daraufhin übermittelte die Klägerin lediglich die Steuererklärungen in elektronischer Form.
Wegen der Nichtabgabe der Bilanz und der GuV setzte das FA ein Zwangsgeld in Höhe von insgesamt 500 € fest. Die von der Klägerin angebotene Übermittlung der geforderten Unterlagen auf einem Datenträger lehnte das FA in der Einspruchsentscheidung ab.
Die daraufhin erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Das FG wertete den Einspruch gegen die Zwangsgeldfestsetzung zugleich als Einspruch gegen die Aufforderung zur Übermittlung von Bilanz und GuV durch Datenfernübertragung (nachfolgend auch E-Bilanz) nach § 5b des Einkommensteuergesetzes (EStG) und urteilte, die Anforderung sei weder persönlich noch wirtschaftlich unzumutbar (§ 150 Abs. 8 Satz 1 der Abgabenordnung ‑‑AO‑‑ i.V.m. § 5b Abs. 2 Satz 2 EStG).
Eine wirtschaftliche Unzumutbarkeit ergebe sich nicht durch ein behauptetes erhöhtes Ausspähungsrisiko. Eine konkrete Gefahr habe die Klägerin nicht substantiiert dargelegt, konkrete Sicherheitslücken des angewendeten SSL-Verfahrens habe sie nicht benannt. Auch fehle es an weitergehenden Angaben zu ihrer besonderen Gefährdung. Der Hinweis auf die Eigenart des Betriebs und der dort erzeugten Produkte sei nicht ausreichend. Anhaltspunkte dafür, dass es in der Vergangenheit zur Ausspähung von Bilanzdaten im Rahmen der elektronischen Übermittlung gekommen sei, seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Die abstrakte Gefahr, dass Dritte (eventuell bestehende) Sicherheitslücken zur gezielten Ausspähung übermittelter Bilanzdaten nutzen könnten, begründe keine wirtschaftliche Unzumutbarkeit. Das verbleibende Restrisiko von Sicherheitslücken sei nicht zu vermeiden und im überwiegenden Interesse des Gemeinwohls hinzunehmen (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 14. März 2012 XI R 33/09, BFHE 236, 283, BStBl II 2012, 477, unter II.3.c).
Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision. Sie hält die Zwangsgeldfestsetzung für ermessensfehlerhaft, weil sie die angeforderte Bilanz und GuV in Papierform übersandt und eine Übermittlung per Datenträger angeboten habe. Anders als die von ihr elektronisch übersandten Steuererklärungen ermögliche die E-Bilanz Rückschlüsse auf sensible Kalkulationsdaten, weshalb die Geheimhaltung existenzielle Bedeutung habe. Mit den wirtschaftlichen Risiken für ihr Unternehmen, das sich nicht mit jedem beliebigen steuerpflichtigen Freiberufler vergleichen lasse, hätten sich weder das FA noch das FG hinreichend auseinandergesetzt.
Die Übernahme der Daten aus dem angebotenen Datenträger verursache nur einen geringen Mehraufwand. In anderem Zusammenhang mache die Finanzverwaltung durchaus Gebrauch von dem Instrument der Datenträgerüberlassung. Weil der Gesetzgeber auf die verbindliche Anordnung zur Einrichtung weiterer technischer Zugangswege verzichtet habe, komme den Härtefallregelungen unter den Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit eine entscheidende Bedeutung zu.
Das FA schließt sich den Ausführungen des FG an. Ein Einlesen der auf dem Datenträger übermittelten Datensätze sei wegen der besonderen Sicherheitsstandards nicht möglich. Weil nicht vorgeschrieben sei, die E-Bilanz von dem betrieblichen Server abzusenden, könne der Zugriff auf den Server der Klägerin vermieden werden. Die Problematik des "Ausspähens" treffe jede Person und jedes Unternehmen. Eine existenzvernichtende Gefährdung habe die Klägerin nicht nachgewiesen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das Urteil entspricht dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO).
Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin auch die Bilanz und GuV elektronisch dem FA übermitteln muss und eine unbillige Härte i.S. des § 5b Abs. 2 Satz 1 EStG nicht vorliegt.
1. Der Bescheid über die Festsetzung des Zwangsgelds in Höhe von 500 € ist rechtmäßig. Das FG hat zutreffend angenommen, dass die Voraussetzungen der §§ 328 ff. AO für die Festsetzung des Zwangsgelds vorliegen und keine Ermessensfehler erkennbar sind.
2. Auch die zugrunde liegende Aufforderung zur Abgabe der E-Bilanz ist rechtmäßig.
a) Das FG hat zutreffend angenommen, dass sich der Einspruch auch gegen die Aufforderung zur Abgabe der E-Bilanz richtete und die Klägerin mit ihren Einwendungen nicht nach § 256 AO ausgeschlossen ist.
Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Verwaltungsakt sind zwar gemäß § 256 AO außerhalb des Vollstreckungsverfahrens mit den hierfür zugelassenen Rechtsbehelfen zu verfolgen. Allerdings kann im Verfahren über die Festsetzung von Zwangsgeldern auch dann noch über die Rechtmäßigkeit der vorangegangenen Anordnungsverfügung entschieden werden, wenn diese noch nicht unanfechtbar geworden ist und Einwendungen gegen ihre Rechtmäßigkeit erhoben werden, weil in diesem Fall davon auszugehen ist, dass auch die Anordnungsverfügung mit dem Einspruch angefochten ist (Senatsurteile vom 20. Oktober 1981 VII R 13/80, BFHE 135, 141, BStBl II 1982, 371; vom 2. November 1994 VII R 94/93, BFH/NV 1995, 754).
Die Klägerin hat mit ihrem Einspruch zugleich Einwendungen gegen die Aufforderung zur Abgabe der E-Bilanz erhoben. Da die Aufforderung nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen war, ist der Einspruch fristgerecht innerhalb der Jahresfrist des § 356 Abs. 2 Satz 1 AO eingelegt worden.
b) Das FA stützt die Aufforderung zur elektronischen Übermittlung der E-Bilanz zutreffend auf § 5b EStG i.d.F. des Gesetzes zur Modernisierung und Entbürokratisierung des Steuerverfahrens (Steuerbürokratieabbaugesetz vom 20. Dezember 2008, BGBl I 2008, 2850). Mit Rechtsverordnung (Anwendungszeitpunktverschiebungsverordnung vom 20. Dezember 2010, BGBl I 2010, 2135) wurde dessen Anwendungsbeginn um ein Jahr verschoben, so dass die elektronische Übermittlung erstmals auf Wirtschaftsjahre, die nach dem 31. Dezember 2011 beginnen, anzuwenden ist.
aa) Nach § 5b Abs. 1 Satz 1 EStG ist der Inhalt der Bilanz sowie der GuV nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung zu übermitteln. Auf Antrag kann das FA nach § 5b Abs. 2 Satz 1 EStG zur Vermeidung unbilliger Härten auf eine elektronische Übermittlung verzichten. Dem Antrag ist nach § 150 Abs. 8 Satz 1 AO, auf welchen § 5b Abs. 2 Satz 2 EStG verweist, zu entsprechen, wenn die elektronische Übermittlung für den Steuerpflichtigen wirtschaftlich oder persönlich unzumutbar ist. Dies ist nach § 150 Abs. 8 Satz 2 AO insbesondere der Fall, wenn die Schaffung der technischen Möglichkeiten für eine elektronische Übermittlung nur mit einem nicht unerheblichen finanziellen Aufwand möglich wäre oder der Steuerpflichtige nach seinen individuellen Kenntnissen und Fähigkeiten nicht oder nur eingeschränkt in der Lage ist, die Möglichkeiten der elektronischen Übermittlung zu nutzen.
Liegt eine persönliche oder wirtschaftliche Unzumutbarkeit vor, besteht ein Anspruch des Steuerpflichtigen auf den Verzicht der Finanzbehörde auf elektronische Übermittlung des Inhalts der E-Bilanz (vgl. BFH-Urteil in BFHE 236, 283, BStBl II 2012, 477, Rz 38; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler ‑‑HHSp‑‑, § 150 AO Rz 53: wirtschaftliche oder persönliche Unzumutbarkeit als verdichtete Form der unbilligen Härte; Schindler in Gosch, AO § 150 Rz 59). Die Auslegung dieser unbestimmten Rechtsbegriffe ist gerichtlich voll überprüfbar, es liegt kein nur begrenzt überprüfbarer behördlicher Beurteilungsspielraum vor (Martini, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 5b Rz C2).
bb) Das FA hat den durch Einreichung der Bilanz/GuV in Papierform konkludent gestellten Antrag (vgl. hierzu FG Nürnberg, Beschluss vom 5. August 2014 2 V 676/14, Entscheidungen der Finanzgerichte ‑‑EFG‑‑ 2014, 1846, und FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. Februar 2018 3 K 3249/17, EFG 2018, 706), auf elektronische Übermittlung der E-Bilanz zu verzichten, zutreffend abgelehnt.
(1) Die Klägerin hat keinen Anspruch gemäß § 150 Abs. 8 Satz 1 AO, weil ihr die elektronische Übermittlung weder persönlich noch wirtschaftlich unzumutbar ist. Die genannten Regelbeispiele ("insbesondere") sind nicht gegeben.
Eine persönliche Unzumutbarkeit ist nicht ersichtlich. Das ergibt sich bereits daraus, dass die Klägerin in der Lage war, durch ihren Steuerberater die Steuererklärungen elektronisch zu übermitteln.
Eine wirtschaftliche Unzumutbarkeit ergibt sich ‑‑bei offensichtlichem Vorliegen der technischen Möglichkeiten für die elektronische Übermittlung‑‑ nicht aus dem behaupteten Ausspähungsrisiko. Der BFH hat bereits mehrfach entschieden, dass das allgemeine Risiko eines sog. "Hacker-Angriffs" im überwiegenden Interesse des Gemeinwohls hinzunehmen ist (BFH-Urteile vom 18. Januar 2012 II R 49/10, BFHE 235, 151, BStBl II 2012, 168, betr. Übermittlung der Identifikationsnummer; in BFHE 236, 283, BStBl II 2012, 477, Rz 70, betr. Umsatzsteuer-Voranmeldungen; BFH-Beschluss vom 14. Februar 2017 VIII B 43/16, BFH/NV 2017, 729, betr. Einkommensteuererklärung). Auch die Erkenntnisse aus der "NSA-Affäre" und den "Snowden-Enthüllungen" sind keine neuen Gesichtspunkte, welche eine andere Sichtweise erfordern (BFH-Beschluss in BFH/NV 2017, 729). Die elektronische Übermittlung der Daten ist nicht manipulationsanfälliger als die papiergebundene Abgabe (BFH-Urteil in BFHE 236, 283, BStBl II 2012, 477, Rz 69). Im Übrigen ergibt sich aus den tatsächlichen Feststellungen des FG ‑‑an die der Senat nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist‑‑ keine konkrete Gefahr für die Klägerin.
(2) Liegen die Voraussetzungen nach § 150 Abs. 8 AO nicht vor, steht es nach § 5b Abs. 2 Satz 1 EStG im Ermessen der Finanzbehörde, zur Vermeidung unbilliger Härten auf eine elektronische Übermittlung zu verzichten (vgl. BFH-Urteil in BFHE 236, 283, BStBl II 2012, 477, Rz 72 zu § 18 Abs. 1 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes; Heuermann in HHSp, § 150 AO Rz 54; Schindler in Gosch, AO § 150 Rz 62).
Ein solches Ermessen steht dem FA allerdings nur zu, wenn eine unbillige Härte gegeben ist. Wie der Große Senat des BFH in seinem Beschluss vom 28. November 2016 GrS 1/15 (BFHE 255, 482, BStBl II 2017, 393) zum sog. Sanierungserlass betont hat, handelt es sich bei dem in den §§ 227 und 163 AO verwendeten Begriff der unbilligen Härte um einen gerichtlich überprüfbaren Rechtsbegriff und um die gesetzliche Voraussetzung einer Ermessensentscheidung. Diese Erwägungen lassen sich auf den Begriff der unbilligen Härte in § 5b Abs. 2 EStG übertragen.
Auch wenn die Voraussetzungen des § 150 Abs. 8 AO nicht vorliegen, kann aus anderen Gründen eine unbillige Härte gegeben sein (Schindler in Gosch, AO § 150 Rz 62; Beispiele bei Martini, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 5b Rz C14 f.). Allerdings hat die Klägerin über ihre Sicherheitsbedenken hinaus keine Gründe vorgetragen, die zu einer solchen unbilligen Härte führen könnten.
Es kommt mithin nicht darauf an, ob das FA den Antrag der Klägerin auf Übersendung der Daten auf CD oder USB-Stick ablehnen durfte, denn die Voraussetzungen einer Ermessensentscheidung waren nicht gegeben. Im Übrigen sieht das Gesetz nur zwei Formen der Übermittlung vor, per Datenfernübertragung oder in Papierform (so ausdrücklich BFH-Beschluss vom 17. August 2015 I B 133/14, BFH/NV 2016, 72, betr. Körperschaftsteuererklärung). Für eine andere Form, wie die Übermittlung per Datenträger, ist kein Raum.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.