ECLI:DE:BFH:2018:U.140618.IIIR20.17.0
BFH III. Senat
EStG § 26 Abs 1, EStG § 26a, EStG § 26c, AO § 175 Abs 1 S 1 Nr 2, AO § 351 Abs 1, EStG VZ 2008
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 29. Mai 2016, Az: 4 K 4262/14
Leitsätze
1. Erfüllen Ehegatten die Voraussetzungen der Ehegattenveranlagung (§ 26 Abs. 1 EStG), können sie nach der im Jahr 2008 geltenden Rechtslage zwischen getrennter Veranlagung (§ 26a EStG), Zusammenveranlagung (§ 26b EStG) sowie der besonderen Veranlagung im Jahr der Eheschließung (§ 26c EStG) wählen und die einmal getroffene Wahl bis zur Unanfechtbarkeit eines Berichtigungs- oder Änderungsbescheides frei widerrufen . Dieses Wahlrecht besteht auch dann, wenn einer der Ehegatten zuvor einzeln veranlagt wurde .
2. Eine Zusammenveranlagung setzt in einem solchen Fall voraus, dass der Bescheid des anderen Ehegatten geändert werden kann. Falls dieser bestandskräftig ist, kommt als Rechtsgrundlage § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO auch dann in Betracht, wenn der andere Ehegatte besonders veranlagt wurde .
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 30. Mai 2016 4 K 4262/14 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Berlin-Brandenburg zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.
Tatbestand
I.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erklärte in seiner am 18. Januar 2010 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ‑‑FA‑‑) eingegangenen Einkommensteuererklärung für 2008, seit dem "20.08.2009" verheiratet zu sein, obwohl er bereits seit dem 20. September 2008 verheiratet war (20.8.2009 statt 20.9.2008). Weitere Angaben zur Ehefrau und zur Wahl der Veranlagungsart enthielt die Erklärung nicht.
Das FA setzte die Einkommensteuer für das Streitjahr (2008) gegenüber dem Kläger mit Bescheid vom 4. Februar 2010 auf 0 € fest. Aufgrund einer Mitteilung vom 1. November 2011 über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2008 erging am 16. November 2011 ein geänderter Bescheid, mit dem die Einkommensteuer auf 4.947 € festgesetzt wurde. Nach einer geänderten Mitteilung über die gesondert festgestellten Besteuerungsgrundlagen minderte sich die Einkommensteuer für 2008 sodann durch Bescheid vom 2. Januar 2012 wieder auf 0 €.
Am 6. Januar 2012 beantragten der Kläger und seine Ehefrau für das Jahr 2008 die Zusammenveranlagung. Dem Antrag war eine gemeinsame Einkommensteuererklärung der Eheleute beigefügt; als Datum der Eheschließung war zutreffend der 20. September 2008 angegeben. Beigefügt war ferner der Einkommensteuerbescheid der Ehefrau für 2008 vom 13. April 2010. Für sie war eine besondere Veranlagung für den Veranlagungszeitraum der Eheschließung durchgeführt und die Einkommensteuer auf 13.017 € festgesetzt worden (§ 26c des Einkommensteuergesetzes ‑‑EStG‑‑ in der bis 2011 geltenden Fassung ‑‑EStG a.F.‑‑). Das FA lehnte den Antrag auf Zusammenveranlagung dem Kläger gegenüber ab.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es entschied, der Kläger habe in seiner Einkommensteuererklärung keines der Wahlrechte zur Ehegattenveranlagung ausgeübt, d.h. zur Zusammenveranlagung (§ 26b EStG), zur getrennten Veranlagung (§ 26a EStG a.F.) oder zur besonderen Veranlagung (§ 26c EStG a.F.). Die erstmalige Ausübung des Wahlrechts könne nicht nachträglich durch einen Antrag auf gemeinsame Veranlagung nachgeholt werden. Das Veranlagungswahlrecht könne zwar geändert werden, wenn ein Änderungsbescheid ergehe (z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 27. Oktober 2015 X R 44/13, BFHE 252, 94, BStBl II 2016, 278). Der Kläger wolle aber nicht das Wahlrecht anders ausüben, etwa von der vormals getrennten zur Zusammenveranlagung, sondern begehre den Wechsel von der Einzelveranlagung zur Zusammenveranlagung. Eine Änderung der Wahlrechtsausübung könne aber nur dann als rückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) angesehen werden, wenn innerhalb der Ehegattenveranlagungsarten gewechselt werde, weil die Wahl der Veranlagungsart kein Merkmal des gesetzlichen Tatbestands der Einzelveranlagung sei (FG Hamburg, Urteil vom 1. August 2013 2 K 279/12, juris). Der Einzelveranlagungsbescheid sei danach zwar rechtswidrig, aber nicht nichtig. Andere Änderungsvorschriften (z.B. § 129 AO, § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO) kämen nicht in Betracht.
Der Kläger rügt die Verletzung materiellen Rechts. Er meint, er sei nicht einzeln, sondern getrennt veranlagt worden. Das FG habe zudem seine Ehefrau zu Unrecht nicht beigeladen und dadurch rechtliches Gehör versagt.
Der Kläger hat keinen ausdrücklichen Antrag gestellt; er beantragt sinngemäß,
den Bescheid über die Ablehnung des Antrags auf Zusammenveranlagung vom 13. Januar 2012 und die Einspruchsentscheidung vom 5. November 2014 aufzuheben und das FA zu verpflichten, ihn mit seiner Ehefrau zusammen zu veranlagen.Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet, sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der nicht spruchreifen Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
Der Kläger hat wirksam beantragt, mit seiner Ehefrau zusammen veranlagt zu werden (1.). Die Zusammenveranlagung wäre, da der Bescheid der Ehefrau geändert werden könnte, durchzuführen, wenn der Kläger und seine Ehefrau alle Voraussetzungen der Ehegattenveranlagung erfüllten (2.). Da dies vom FG nicht festgestellt und vom FA bestritten wurde, ist der Rechtsstreit nicht entscheidungsreif (4.).
1. Der Kläger hat den Antrag auf Zusammenveranlagung wirksam gestellt.
a) Erfüllen Ehegatten die Voraussetzungen der Ehegattenveranlagung ‑‑gültige Ehe, unbeschränkte Steuerpflicht, kein dauerndes Getrenntleben (§ 26 Abs. 1 EStG)‑‑, können sie für das Streitjahr zwischen getrennter Veranlagung (§ 26a EStG a.F.) und Zusammenveranlagung (§ 26b EStG) wählen. Im Jahr der Eheschließung können sie auch die besondere Veranlagung nach § 26c EStG a.F. wählen und die einmal getroffene Wahl bis zur Unanfechtbarkeit eines Berichtigungs- oder Änderungsbescheides ‑‑vorbehaltlich rechtsmissbräuchlichen oder willkürlichen Verhaltens‑‑ frei widerrufen (BFH-Urteile vom 19. Mai 1999 XI R 97/94, BFHE 189, 63, BStBl II 1999, 762; vom 24. Januar 2002 III R 49/00, BFHE 198, 12, BStBl II 2002, 408). Dieses Wahlrecht kann bis zum Eintritt der Bestandskraft der Steuerfestsetzung ausgeübt werden und wird daher durch einen Berichtigungs- oder Änderungsbescheid bis zu dessen Unanfechtbarkeit neu eröffnet (Senatsurteile in BFHE 198, 12, BStBl II 2002, 408; vom 3. März 2005 III R 22/02, BFHE 209, 454, BStBl II 2005, 690; vom 30. August 2012 III R 40/10, BFH/NV 2013, 193, Rz 16; vom 25. September 2014 III R 5/13, BFH/NV 2015, 811, betr. Antrag auf Zusammenveranlagung nach Bestandskraft der Bescheide beider Ehegatten). Die sich aus § 26 Abs. 2 Satz 4 EStG i.d.F. des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 ‑‑StVereinfG 2011‑‑ vom 1. November 2011 (BGBl I 2011, 2131) ergebenden Einschränkungen gelten erstmals für den Veranlagungszeitraum 2013 und sind daher im Streitfall nicht anwendbar (§ 52 Abs. 68 EStG i.d.F. des StVereinfG 2011).
b) Wird ein Steuerpflichtiger, der als Ehegatte nach § 26a EStG a.F. getrennt, nach § 26b EStG zusammen oder nach § 26c EStG a.F. besonders zu veranlagen ist, stattdessen rechtswidrig einzeln veranlagt, so kann er dagegen innerhalb der Einspruchsfrist (§ 355 Abs. 1 AO) Einspruch einlegen (Senatsurteil vom 15. März 2017 III R 12/16, BFHE 259, 229). Stattdessen kann er bis zur Bestandskraft der Steuerfestsetzung auch die Durchführung eines anderen, wesensverschiedenen Veranlagungsverfahrens beantragen (Senatsurteil vom 19. Mai 2004 III R 18/02, BFHE 206, 201, BStBl II 2004, 980, Rz 24), also auch die Zusammenveranlagung mit seinem Ehegatten anstelle der erfolgten Einzelveranlagung.
c) Dies gilt auch, wenn der Steuerpflichtige bereits zuvor rechtswidrig, aber bestandskräftig einzeln veranlagt wurde und sodann ‑‑wie hier aufgrund geänderter Beteiligungseinkünfte‑‑ ein Änderungsbescheid ergeht, in dem er wiederum einzeln veranlagt wird.
aa) Verwaltungsakte, die unanfechtbare Verwaltungsakte ändern, können nach § 42 FGO i.V.m. § 351 Abs. 1 AO nur insoweit angegriffen werden, als die Änderung reicht, wenn sich aus den Regelungen über die Aufhebung und Änderung von Verwaltungsakten nicht etwas anderes ergibt. Die Reichweite der Prüfung wird damit durch die bereits bestandskräftige Regelung in dem Ursprungsbescheid begrenzt und ‑‑bei zahlenmäßigen Feststellungen‑‑ auf den Differenzbetrag zu dem Änderungsbescheid beschränkt (BFH-Urteil vom 14. September 2017 IV R 28/14, BFH/NV 2018, 1, Rz 43).
§ 351 Abs. 1 AO begrenzt aber lediglich den Umfang der Anfechtung eines Steuerbescheides. War ein Steuerpflichtiger bereits zuvor als Ehegatte veranlagt worden, so ist das Begehren auf Änderung der Veranlagungsart nicht als Anfechtung zu verstehen, sondern als ein auf Durchführung einer erneuten Veranlagung gerichtetes Verpflichtungsbegehren. Die im Zusammenhang mit der Änderung eines Steuerbescheides erneut ausgeübte Wahl der Veranlagungsart löst die Rechtsfolgen der §§ 26a bis 26c EStG (a.F.) aus, lässt aber die Besteuerungsgrundlagen im Übrigen unberührt und ist daher nicht nach § 351 Abs. 1 AO ausgeschlossen (Senatsurteil in BFHE 198, 12, BStBl II 2002, 408; vom 31. Januar 2013 III R 15/10, BFH/NV 2013, 1071). Mit dem Antrag auf Durchführung eines anderen Veranlagungsverfahrens wird der Steuerbescheid mithin nicht i.S. von § 351 Abs. 1 AO "angegriffen".
Da der Steuerbescheid durch ein anderes Veranlagungsverfahren nicht angegriffen wird, kommt es auch nicht darauf an, ob von einer Ehegattenveranlagungsart zu einer anderen oder von einer Einzelveranlagung zu einer Ehegattenveranlagung gewechselt werden soll. § 351 Abs. 1 AO schließt eine Zusammenveranlagung mithin auch dann nicht aus, wenn zuvor einzeln veranlagt wurde.
bb) Nicht zu folgen ist der Auffassung des FG, der Ausübung des Veranlagungswahlrechts durch den Kläger stehe entgegen, dass diese nicht als rückwirkendes Ereignis (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO) gewertet werden könne, weil zuvor eine Einzelveranlagung stattgefunden habe.
Der angefochtene Bescheid vom 2. Januar 2012 wäre wegen des innerhalb der Einspruchsfrist gestellten Antrags auf Zusammenveranlagung zu ändern. Eines rückwirkenden Ereignisses bedarf es dazu nicht. Die Vorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO kommt stattdessen als verfahrensrechtliche Grundlage für die Änderung der Steuerfestsetzung gegenüber dem anderen Ehegatten in Betracht, wenn diese bereits bestandskräftig ist (Senatsurteil in BFHE 209, 454, BStBl II 2005, 690), hier also der Ehefrau des Klägers.
2. Die beantragte Zusammenveranlagung setzt weiter voraus, dass der bestandskräftige Bescheid der Ehefrau des Klägers geändert werden kann. Rechtsgrundlage dafür wäre § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, da sich die Änderung des Veranlagungswahlrechts ‑‑von der besonderen zur Zusammenveranlagung‑‑ als rückwirkendes Ereignis darstellt.
Auf die Frage, ob eine bestandskräftige Einzelveranlagung die nachträgliche Zusammenveranlagung ausschließt, weil die Wahl der Zusammenveranlagung dann kein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO wäre (so FG Hamburg, Urteil vom 1. August 2013 2 K 279/12, juris), kommt es nicht an, da die Ehefrau nicht einzeln, sondern als Ehegatte gemäß § 26c Abs. 1 EStG a.F. besonders veranlagt wurde.
Das FA weist zwar zutreffend auf die Parallelen zwischen der besonderen Veranlagung und der Einzelveranlagung hin sowie darauf, dass die Prozessbevollmächtigte des Klägers im Antrag auf Zusammenveranlagung (unzutreffend) ausgeführt hatte, dass die Ehefrau einzeln veranlagt worden sei. Das ist jedoch unerheblich, da die besondere Veranlagung voraussetzt, dass Ehegatten die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG erfüllen und diese Form der Veranlagung auch wählen. Maßgebend für § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist die Änderung dieses Wahlrechts und nicht, dass Ehegatten nach § 26c EStG a.F. materiell so behandelt werden, als hätten sie die Ehe nicht geschlossen.
3. Da die Revision schon mit der Sachrüge Erfolg hat, braucht der Senat über die Verfahrensrüge des Klägers nicht zu entscheiden.
4. Die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen reichen nicht aus, um das FA zur Zusammenveranlagung zu verpflichten. Dazu müssten der Kläger und seine Ehefrau die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG ‑‑wirksame Ehe, unbeschränkte Steuerpflicht, kein dauerndes Getrenntleben‑‑ zu einem beliebigen Zeitpunkt des betreffenden Veranlagungszeitraums erfüllt haben (z.B. Senatsurteil vom 22. August 2007 III R 89/06, BFH/NV 2008, 351, Rz 12). Es fehlt jedoch die Feststellung, dass der Kläger und seine Ehefrau im Streitjahr ‑‑anders als vom FA vermutet‑‑ nicht dauernd getrennt gelebt haben.
5. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.