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Urteil vom 20. Dezember 2017, III R 2/17

Abzug des hälftigen Behinderten-Pauschbetrags bei der Einzelveranlagung von Ehegatten

ECLI:DE:BFH:2017:U.201217.IIIR2.17.0

BFH III. Senat

EStG § 26a Abs 2, EStG § 33b Abs 1, EStG § 33b Abs 2, EStG § 33b Abs 3, EStG VZ 2014 , EStG § 33

vorgehend Thüringer Finanzgericht , 30. November 2016, Az: 1 K 221/16

Leitsätze

Nach § 26a Abs. 2 Satz 2 EStG ist auf übereinstimmenden Antrag der Ehegatten der grundsätzlich einem Ehegatten zustehende Behinderten-Pauschbetrag (vgl. § 33b Abs. 1 bis 3 EStG) bei der Einzelveranlagung der Ehegatten jeweils zur Hälfte abzuziehen.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Thüringer Finanzgerichts vom 1. Dezember 2016  1 K 221/16 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.

  1. Streitig ist, ob im Rahmen der Einzelveranlagung von Ehegatten auf deren übereinstimmenden Antrag der dem einem Ehegatten zustehende Behinderten-Pauschbetrag bei beiden Ehegatten jeweils zur Hälfte abzuziehen ist.

  2. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist verheiratet und wurde im Veranlagungszeitraum 2014 (Streitjahr) antragsgemäß einzelveranlagt. Übereinstimmend mit seiner Ehefrau beantragte er in seiner Einkommensteuerklärung für 2014, die Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen sowie die Steuerermäßigung für haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnisse, Dienstleistungen und Handwerkerleistungen gemäß § 26a Abs. 2 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG) jeweils zur Hälfte aufzuteilen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) versagte in dem den Kläger betreffenden Einkommensteuerbescheid für 2014 vom 15. Januar 2016 den hälftigen Abzug des Behinderten-Pauschbetrags der Ehefrau des Klägers; der Einspruch hatte keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 10. März 2016).

  3. Das Finanzgericht (FG) gab der dagegen erhobenen Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2017, 405 veröffentlichten Urteil statt und setzte die Einkommensteuer des Klägers unter Berücksichtigung des hälftigen Behinderten-Pauschbetrags der Ehefrau fest. Zur Begründung führte das FG im Wesentlichen aus, § 26a Abs. 2 Satz 2 EStG lasse die Übertragung des halben Behinderten-Pauschbetrags des einen Ehegatten auf den anderen Ehegatten zu.

  4. Mit der Revision rügt das FA eine Verletzung von § 26a Abs. 2 EStG.

  5. Das FA beantragt,
    die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils abzuweisen.

  6. Der Kläger hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat der Klage zu Recht stattgegeben; das Urteil entspricht dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO).

  2. 1. Das FG hat zutreffend entschieden, dass der im Streitjahr der Ehefrau des Klägers zustehende Behinderten-Pauschbetrag (vgl. § 33b Abs. 1 bis 3 EStG) aufgrund eines übereinstimmenden Antrags der Ehegatten gemäß § 26a Abs. 2 Satz 2 EStG beim Kläger im Rahmen seiner Einzelveranlagung zur Hälfte abzuziehen war.

  3. 2. Gemäß § 26a Abs. 2 Sätze 1 und 2 EStG werden Sonderausgaben, außergewöhnliche Belastungen und die Steuerermäßigung nach § 35a EStG demjenigen Ehegatten zugerechnet, der die Aufwendungen wirtschaftlich getragen hat. Auf übereinstimmenden Antrag der Ehegatten werden sie jeweils zur Hälfte abgezogen.

  4. a) Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, dass § 26a Abs. 2 Satz 2 EStG den Ehegatten im Rahmen der Einzelveranlagung ermöglicht, auf übereinstimmenden Antrag den einem Ehegatten zustehenden Behinderten-Pauschbetrag (vgl. § 33b Abs. 1 bis 3 EStG) zur Hälfte bei dem anderen Ehegatten abzuziehen, da die vom Behinderten-Pauschbetrag erfassten Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen i.S. des § 26a Abs. 2 Satz 1 EStG anzusehen sind und § 33b Abs. 1 bis 3 EStG keine gegenüber § 26a Abs. 2 Satz 2 EStG spezielle Aufteilungsregelung enthält.

  5. b) Bereits aus dem Wortlaut "außergewöhnliche Belastungen" folgt ‑‑auch ohne einen Klammerverweis auf die §§ 33 bis 33b EStG‑‑, dass § 26a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 EStG (auch) solche Aufwendungen erfasst, die über den Behinderten-Pauschbetrag i.S. des § 33b Abs. 1 EStG abgedeckt werden (anders z.B. Blümich/Ettlich, § 26a EStG Rz 25; Pflüger in Herrmann/Heuer/ Raupach ‑‑HHR‑‑, § 26a EStG Rz 60; Nacke in Littmann/Bitz/ Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 33b Rz 51a). Der Pauschbetrag für behinderungsbedingte Aufwendungen i.S. des § 33b Abs. 1 EStG kann grundsätzlich auch nur "anstelle" einer Steuerermäßigung nach § 33 EStG für außergewöhnliche Belastungen geltend gemacht werden (vgl. z.B. Blümich/K. Heger, § 33b EStG Rz 11). Denn Sinn und Zweck der Pauschbetragsregelung ist es gerade, typisierend zu unterstellen, dass bestimmten Gruppen von behinderten Menschen gewisse außergewöhnliche Belastungen erwachsen (vgl. z.B. Blümich/K. Heger, § 33b EStG Rz 4, m.w.N.; Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 28. September 1984 VI R 164/80, BFHE 142, 377, BStBl II 1985, 129, unter 1.c, m.w.N., und BFH-Beschluss vom 13. Juli 2011 VI B 20/11, BFH/NV 2011, 1863, Rz 9, m.w.N.).

  6. c) Gegen diese Auslegung sprechen auch nicht der systematische Zusammenhang zwischen § 26a Abs. 2 Satz 2 EStG und § 26a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 EStG sowie der in letzterer Vorschrift zum Ausdruck gekommene Grundsatz der Individualbesteuerung (anders z.B. Blümich/Ettlich, § 26a EStG Rz 25; HHR/ Pflüger, § 26a EStG Rz 60). Denn soweit § 26a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 EStG außergewöhnliche Belastungen demjenigen Ehegatten zurechnet, "der die Aufwendungen wirtschaftlich getragen hat", ist dies typisierend derjenige Ehegatte, dem der Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b Abs. 1 bis 3 EStG zusteht (vgl. HHR/Schüler-Täsch, § 33b EStG Rz 16). § 26a Abs. 2 Satz 2 EStG regelt hingegen gerade eine Ausnahme von dem Grundsatz der Individualbesteuerung. Die in dieser Ausnahme zum Ausdruck gekommene Wertung des Gesetzgebers, dem Selbstbestimmungsrecht der Ehegatten (vgl. § 1360 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) auch bei der Zuordnung bestimmter Aufwendungen in beschränktem Umfang Geltung zu verschaffen (vgl. HHR/Pflüger, § 26a EStG Rz 52), rechtfertigt auch eine abweichende Zuordnung des Pauschbetrags.

  7. d) Auch § 33b Abs. 1 bis 3 EStG enthält keine gegenüber § 26a Abs. 2 Satz 2 EStG spezielle Regelung für die hälftige Aufteilung des einem Ehegatten zustehenden Behinderten-Pauschbetrags im Rahmen der Einzelveranlagung von Ehegatten (anders z.B. Lochte in Frotscher, EStG, Freiburg 2011, § 26a Rz 30; Blümich/Ettlich, § 26a EStG Rz 25 f.; K. Schneider in Littmann/Bitz/Pust, a.a.O., § 26a Rz 66a; Nacke in Littmann/ Bitz/Pust, a.a.O., § 33b Rz 51a). Dieses Verständnis entspricht der bisherigen Rechtsprechung des Senats zu § 26a Abs. 2 Satz 1 EStG in der bis zum 31. Dezember 2011 geltenden Fassung (vgl. z.B. Senatsurteil vom 19. April 2012 III R 1/11, BFHE 237, 325, BStBl II 2012, 861, Rz 12). Hieran hält der Senat insoweit fest. Denn es ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 26a Abs. 2 EStG von der bisherigen Möglichkeit einer hälftigen Aufteilung des Behinderten-Pauschbetrags abrücken wollte.

  8. e) Aus den Gesetzesmaterialien zum Steuervereinfachungsgesetz 2011 vom 1. November 2011 (BGBl I 2011, 2131) folgt nichts anderes. Soweit in der Begründung der Entwurfsfassung des Finanzausschusses des Bundestags zu § 26a Abs. 2 EStG ausgeführt wird, es werde dem Prinzip der Individualbesteuerung Rechnung getragen (vgl. BTDrucks 17/6146, S. 14), verdeutlicht der Gesetzgebungsvorgang, dass damit das Regel-/Ausnahmeverhältnis der Zurechnung der Aufwendungen in Bezug genommen ist. Denn während § 26a Abs. 2 EStG i.d.F. des Gesetzentwurfes der Bundesregierung noch für den Regelfall die hälftige Zurechnung außergewöhnlicher Belastungen vorsah und nur auf Antrag den vollständigen Abzug bei dem Ehegatten, der die Aufwendungen wirtschaftlich getragen hat (vgl. BTDrucks 17/5125, S. 9), wurde auf Empfehlung des Bundesrates in der Entwurfsfassung des Finanzausschusses dieses Regel-/Ausnahmeverhältnis umgekehrt (vgl. BTDrucks 17/5125, S. 63; 17/6146, S. 14; 17/6105, S. 12). Damit soll § 26a Abs. 2 EStG ersichtlich insoweit dem Prinzip der Individualbesteuerung Rechnung tragen, als im Regelfall außergewöhnliche Belastungen demjenigen Ehegatten zugerechnet werden, der diese auch wirtschaftlich getragen hat (§ 26a Abs. 2 Satz 1 EStG). Mit Blick auf die Wertung des § 33b Abs. 1 bis 3 EStG ist dies ‑‑wie dargelegt‑‑ typisierend derjenige Ehegatte, dem der Behinderten-Pauschbetrag zusteht. Auf übereinstimmenden Antrag erfolgt jedoch jeweils ein hälftiger Abzug (§ 26a Abs. 2 Satz 2 EStG). Zwar wird § 26a Abs. 2 EStG mit der Reduzierung auf diese beiden Zuordnungsalternativen gegenüber der Vorgängerregelung ‑‑die zudem eine freie steueroptimale Zuordnung bestimmter Kosten vorsah‑‑ wesentlich vereinfacht, nicht aber weitergehend eingeschränkt (vgl. S. Schneider, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 26a Rz C 26).

  9. 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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