ECLI:DE:BFH:2017:U.260717.IIIR4.16.0
BFH III. Senat
AO § 12, InvZulG 2010 § 2 Abs 1 S 1 Nr 2, InvZulG 2010 § 3 Abs 1 S 1 Nr 1, HGB § 84
vorgehend Thüringer Finanzgericht , 02. Dezember 2015, Az: 1 K 534/15
Leitsätze
NV: Die zu einer Bäckereikette eines Investors gehörenden Verkaufsläden sind nicht dessen Betriebsstätten, wenn der Investor dort keine eigene gewerbliche Tätigkeit ausübt. Für die Einrichtung solcher Läden kann auch dann keine Investitionszulage gewährt werden, wenn vor Ort die Backerzeugnisse durch die selbständigen Betreiber der Läden aufgebacken werden.
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Thüringer Finanzgerichts vom 3. Dezember 2015 1 K 534/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine im Fördergebiet ansässige GmbH & Co. KG, befasst sich mit der Herstellung von Backwaren. Diese und andere Lebensmittel (auch Kaffeegetränke) werden über Ladengeschäfte vertrieben, die zuvor von der Klägerin angemietet wurden. In diesen Räumlichkeiten verkaufen die Vertragspartner der Klägerin in deren Namen und für deren Rechnung die Lebensmittel aufgrund von "Kommissionsverträgen" zu den von der Klägerin empfohlenen Preisen; auch werden kleine Imbisse angeboten. Die Klägerin stellte den Vertragspartnern den jeweiligen Verkaufsladen nebst Einrichtung unentgeltlich zur Verfügung. Die Vertragspartner waren verpflichtet, die Läden zu den üblichen Öffnungszeiten mit genügend Personal offen zu halten. Bei einem Verstoß sollte die Klägerin berechtigt sein, eigenes Personal auf Kosten des Vertragspartners einzusetzen.
Im Jahr 2011 richtete die Klägerin an verschiedenen Orten im Fördergebiet neue Verkaufsläden ein. Darüber hinaus investierte sie in bereits bestehende Ladengeschäfte. Für die damit zusammenhängenden und für weitere Investitionen beantragte sie im Jahr 2013 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ‑‑FA‑‑) die Gewährung einer Investitionszulage von 57.872,60 €. Dies war für das FA Anlass, bei der Klägerin eine Außenprüfung durchzuführen. Der Prüfer war der Auffassung, der Betrieb der Klägerin gehöre zwar gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Investitionszulagengesetzes 2010 (InvZulG 2010) zum verarbeitenden Gewerbe, jedoch seien die Verkaufsstellen keine Betriebsstätten der Klägerin i.S. von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b InvZulG 2010. Das FA schloss sich dieser Ansicht an und setzte durch Bescheid vom 14. November 2013 eine Investitionszulage von 6.799,80 € für Wirtschaftsgüter fest, deren Anschaffung nicht mit den Investitionen in den Ladengeschäften zusammenhing. Mit dem dagegen gerichteten Einspruch machte die Klägerin geltend, die Verkaufsstellen seien als Betriebsstätten ihres Betriebs anzusehen.
Der Rechtsbehelf hatte keinen Erfolg, ebenso wenig die anschließend erhobene Klage (Urteil vom 3. Dezember 2015 1 K 534/15, Entscheidungen der Finanzgerichte ‑‑EFG‑‑ 2016, 1625). Das Finanzgericht (FG) war der Ansicht, die Wirtschaftsgüter, für die das FA die Investitionszulage nicht gewährt habe, gehörten nicht zum Betrieb der Klägerin, auch seien die Verkaufsläden keine Betriebsstätten der Klägerin. Die Läden seien allein den "Kommissionären" zuzuordnen, nicht auch der Klägerin. Deren jeweilige Vertragspartner seien Handelsvertreter i.S. des § 84 des Handelsgesetzbuchs (HGB). Die Klägerin habe keine Einwirkungsmöglichkeit auf die Geschäftsräume sowie auf die Verkaufstätigkeit gehabt, abgesehen von der ‑‑im Streitfall irrelevanten‑‑ Möglichkeit, eigenes Personal unter eingeschränkten Voraussetzungen zu stellen. Die Vertragspartner der Klägerin könnten auch nicht als Subunternehmer angesehen werden, ebenso wenig habe die Klägerin eine Betriebsstätte in der jeweiligen Betriebsstätte der Vertragspartner begründet. Sie sei nicht befugt gewesen, die Einrichtung oder Anlage der "Kommissionäre" nach den Bedürfnissen ihres Unternehmens zu nutzen. Auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes sei keine Investitionszulage zu gewähren.
Gegen das Urteil wendet sich die Klägerin mit der Revision. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, das FG habe die Verkaufsstellen zu Unrecht nicht als ihre Betriebsstätten beurteilt. Diese seien unentgeltlich an die Vertragspartner überlassen worden, im Gegensatz zu den Fällen, über die der Bundesfinanzhof (BFH) in den vom FG zitierten Urteilen entschieden habe. Es habe keine Laufzeiten gegeben, wie dies bei Verpachtungen üblich sei. Das unternehmerische Risiko für die Investitionen sei bei ihr verblieben. Sie ‑‑die Klägerin‑‑ habe die Filialen zeitweise mit eigenem Personal betrieben. Die Öffnungszeiten der Verkaufsstellen seien exakt vorgegeben gewesen. Die Betreiber der Verkaufsstellen seien damit nicht in der Lage gewesen, die Arbeitszeit frei zu gestalten, was wesentlich für die Definition des freien Handelsvertreters sei. Das Aufbacken der "Teiglinge" in den Verkaufsstellen sei der letzte Produktionsschritt und sei von ihr ‑‑der Klägerin‑‑ exakt vorgegeben gewesen. Die Vertragspartner seien insoweit keine Handelsvertreter, sondern Verrichtungsgehilfen, durch die nach dem BFH-Beschluss vom 13. November 1962 I B 224/61 U (BFHE 76, 201, BStBl III 1963, 71) eine Betriebsstätte betrieben werden könne. Das FA habe die Verkaufsstellen für frühere Jahre bei der Gewährung von Investitionszulage als Betriebsstätten behandelt und auch bei der Zerlegung der Gewerbesteuer als solche beurteilt.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil aufzuheben und den Investitionszulagenbescheid 2011 vom 14. November 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31. Juli 2015 dahingehend zu ändern, dass die Investitionszulage um 51.294,35 € erhöht wird.Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG war zu Recht der Ansicht, dass die Ladengeschäfte, in denen die von der Klägerin produzierten und gelieferten Produkte verkauft wurden, nicht als deren Betriebsstätten anzusehen sind.
1. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 InvZulG 2010 wird eine Investitionszulage gewährt für die Anschaffung und Herstellung von neuen abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, die zu einem Erstinvestitionsvorhaben gehören (Nr. 1), mindestens fünf Jahre nach Beendigung dieses Vorhabens zum Anlagevermögen eines Betriebs oder einer Betriebsstätte eines begünstigten Betriebs i.S. des § 3 Abs. 1 InvZulG 2010 des Anspruchsberechtigten im Fördergebiet gehören (Nr. 2 Buchst. a), in einer Betriebsstätte eines begünstigten Betriebs des Anspruchsberechtigten im Fördergebiet verbleiben (Nr. 2 Buchst. b) und in jedem Jahr zu nicht mehr als zehn Prozent privat genutzt werden (Nr. 2 Buchst. c).
2. Die Wirtschaftsgüter, für die das FA keine Investitionszulage gewährt hat, waren zwar Betriebsvermögen und gehörten damit zum Anlagevermögen des Betriebs der Klägerin (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a InvZulG 2010), sie sind jedoch nicht während des Bindungszeitraums von fünf Jahren in einer Betriebsstätte der Klägerin verblieben (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b InvZulG 2010).
a) Der Begriff der Betriebsstätte richtet sich auch im Investitionszulagenrecht nach § 12 der Abgabenordnung ‑‑AO‑‑ (Senatsurteile vom 30. Juni 2005 III R 47/03, BFHE 210, 538, BStBl II 2006, 78, und vom 18. März 2009 III R 2/06, BFH/NV 2009, 1457; Senatsbeschluss vom 31. Oktober 2011 III B 7/11, BFH/NV 2012, 267). Nach § 12 Satz 1 AO ist eine Betriebsstätte jede feste Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit eines Unternehmens dient. Betriebsstätten sind auch Ein- oder Verkaufsstellen (§ 12 Satz 2 Nr. 6 AO).
b) Die feste Geschäftseinrichtung oder Anlage muss der Tätigkeit des Unternehmens unmittelbar dienen (z.B. BFH-Urteile vom 10. Februar 1988 VIII R 159/84, BFHE 153, 188, BStBl II 1988, 653, und vom 22. Dezember 2015 I R 40/15, BFHE 253, 174, BStBl II 2016, 537). Erforderlich ist, dass dort eine eigene unternehmerische Tätigkeit ausgeübt wird (BFH-Urteil in BFHE 153, 188, BStBl II 1988, 653). Diese Voraussetzung ist im Allgemeinen erfüllt, wenn der Unternehmer selbst, seine Arbeitnehmer, fremdes weisungsabhängiges Personal oder Subunternehmer tätig werden oder wenn ihm die gewerbliche Tätigkeit des Pächters einer Geschäftseinrichtung oder Anlage zuzurechnen ist (Senatsurteile in BFHE 210, 538, BStBl II 2006, 78, sowie vom 30. Juni 2005 III R 76/03, BFHE 210, 551, BStBl II 2006, 84).
c) Auch beim Einsatz eines Subunternehmers muss der Hauptunternehmer in der Geschäftseinrichtung oder Anlage, in welcher der Subunternehmer tätig ist, eigene gewerbliche Handlungen vornehmen. Derartige Tätigkeiten, die auch in einer Überwachung des Subunternehmers bestehen können, begründen nur dann eine Betriebsstätte des Hauptunternehmers, wenn sie eine gewisse Nachhaltigkeit aufweisen (BFH-Urteil vom 13. Juni 2006 I R 84/05, BFHE 214, 178, BStBl II 2007, 94; Buciek in Beermann/Gosch, AO § 12 Rz 20, m.w.N.). Auch in dem von der Klägerin zur Stützung ihrer Rechtsauffassung angeführten BFH-Beschluss in BFHE 76, 201, BStBl III 1963, 71 war entscheidend, dass an einer Baustelle eigene Arbeitskräfte des Unternehmers eingesetzt waren, die laufend die dort beschäftigten Subunternehmer beaufsichtigten und überwachten. Das bloße Recht zum Betreten der zur Nutzung überlassenen Räume, zur Prüfung der Geschäftsvorfälle oder zur Kontrolle des Betriebsablaufs ist nicht ausreichend (BFH-Urteil in BFHE 153, 188, BStBl II 1988, 653).
3. Nach diesen Grundsätzen hat das FG im Streitfall zu Recht angenommen, dass die Verkaufsläden nicht unmittelbar der Tätigkeit des Unternehmens der Klägerin dienten.
a) Die Betreiber dieser Läden, die als "Kommissionäre" bezeichneten Vertragspartner der Klägerin, verkauften in deren Namen und für deren Rechnung, jedoch mit eigenem Personal Backwaren und sonstige Lebensmittel. Insoweit lag keine eigengewerbliche unmittelbare Tätigkeit der Klägerin vor, sondern eine solche der Vertragspartner. Auch soweit diese in den Produktionsprozess eingebunden waren, weil die von der Klägerin in die Ladengeschäfte gelieferten Waren ("Teiglinge") zum Teil erst noch vor Ort aufgebacken werden mussten, fehlte es an eigenbetrieblichen Handlungen der Klägerin. Anderweitige nachhaltige eigenbetriebliche Handlungen der Klägerin lagen nach den bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) nicht vor. Aus dem "Kommissionsvertrag" ergibt sich außerdem, dass die Vertragspartner nicht derart rechtlich abhängig waren, dass die in den Verkaufsstellen ausgeübten gewerblichen Tätigkeiten als eigene gewerbliche Tätigkeiten der Klägerin anzusehen gewesen wären. Wegen des Fehlens einer unmittelbaren eigengewerblichen Betätigung der Klägerin in den einzelnen Ladengeschäften können diese auch nicht als ihre Verkaufsstellen i.S. von § 12 Satz 2 Nr. 6 AO angesehen werden (Senatsurteile in BFHE 210, 538, BStBl II 2006, 78, sowie in BFHE 210, 551, BStBl II 2006, 84).
b) Der Hinweis der Klägerin auf § 84 HGB sowie darauf, dass den Vertragspartnern die Öffnungszeiten der Ladengeschäfte vertraglich vorgegeben waren, führt zu keiner anderen Beurteilung. Nach § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB ist als Handelsvertreter selbständig, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Wer, ohne i.S. des § 84 Abs. 1 HGB selbständig zu sein, ständig damit betraut ist, für einen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen, gilt gemäß § 84 Abs. 2 HGB als Arbeitnehmer. Allein aus dem Umstand, dass die Ladenöffnungszeiten vertraglich festgelegt waren, kann jedoch nicht gefolgert werden, dass die Vertragspartner der Klägerin als deren Arbeitnehmer und die Ladengeschäfte damit als deren Betriebsstätten anzusehen gewesen wären. Die festen Ladenöffnungszeiten führen schon deshalb nicht zu einer Bestimmung der Arbeitszeit i.S. von § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB, weil die Vertragspartner der Klägerin nicht in eigener Person für eine Ladenöffnung zu vorgegebenen Zeiten zu sorgen hatten, sondern sich dafür ihres eigenen Personals bedienen konnten. Sie schuldeten insoweit nicht ihre eigene Arbeitskraft. Auch ist ein unselbständiger Handelsvertreter voll in den Betrieb des Geschäftsherrn eingegliedert und unterliegt dessen Weisungen (BFH-Urteil vom 31. Oktober 1974 IV R 98/71, BFHE 113, 525, BStBl II 1975, 115). Davon kann im Streitfall nicht gesprochen werden.
4. Die Wirtschaftsgüter, für die das FG keine Investitionszulage gewährt hat, sind auch nicht in der Betriebsstätte der Klägerin an deren Sitz verblieben. Unter "Verbleiben in einer Betriebsstätte des Anspruchsberechtigten" ist eine dauerhafte zeitliche und räumliche Beziehung des Wirtschaftsguts zur Betriebsstätte des Investors zu verstehen. Auch bei einer kurzfristigen Nutzungsüberlassung von bis zu drei Monaten kann ein Wirtschaftsgut der Betriebsstätte des Investors zuzurechnen sein (z.B. Senatsurteil vom 28. Februar 2013 III R 6/12, BFH/NV 2013, 1268). Im Streitfall waren die Kommissionsverträge nicht auf eine kurzfristige, sondern auf eine langfristige Nutzungsüberlassung ausgerichtet. Ein "Verbleiben" am Sitz der Klägerin war ausgeschlossen.
5. Das FG hat zutreffend einen Vertrauensschutz im Hinblick darauf, dass das FA in früheren Jahren die Verkaufsstellen sowohl in zulagen- als auch in gewerbesteuerrechtlicher Hinsicht als Betriebsstätten der Klägerin behandelt hat, abgelehnt. Denn die Einhaltung der rechtlichen Vorschriften ist bei jedem Antrag auf Investitionszulage erneut durch das FA zu prüfen. Eine frühere, der objektiven Rechtslage widersprechende rechtliche Beurteilung durch das FA hindert eine spätere zutreffende Rechtsanwendung bei einem späteren Zulagenantrag nicht, sofern sich das FA nicht durch Zusagen gebunden hat (s. Senatsurteil vom 21. März 2002 III R 30/99, BFHE 198, 184, BStBl II 2002, 547, unter Hinweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Juni 1993 1 BvR 1346/89, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1993, 544).
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.