ECLI:DE:BFH:2016:U.141216.VIR49.15.0
BFH VI. Senat
EStG § 33 Abs 1, EStG § 33 Abs 2, EStG VZ 2007 , EStG VZ 2008 , FamFG § 137 Abs 1, ZPO § 623 Abs 1
vorgehend Hessisches Finanzgericht , 22. Februar 2015, Az: 12 K 3232/09
Leitsätze
NV: Rechtsstreitigkeiten um den Kindesunterhalt und den nachehelichen Unterhalt des geschiedenen Ehegatten sind keine mit den Scheidungsverfahren im Zwangsverbund zu entscheidenden Scheidungsfolgesachen und damit in Zusammenhang stehende Kosten sind nicht als außergewöhnliche Belastungen abziehbar, wenn den Steuerpflichtigen die Regelung des Kindesunterhalts und des Unterhalts des (geschiedenen) Ehegatten wie in einer bestehenden Ehe zur eigenverantwortlichen Gestaltung übertragen war. Ebenso sind Aufwendungen des Steuerpflichtigen für die Streitigkeiten mit seiner (geschiedenen) Ehefrau über das Aufenthaltsbestimmungs- und das Besuchsrecht für das gemeinsame Kind keine außergewöhnlichen Belastungen
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 23. Februar 2015 12 K 3232/09 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind miteinander in jeweils zweiter Ehe verheiratet. Sie machten für die Streitjahre (2007 und 2008) Aufwendungen wegen verschiedener Rechtsangelegenheiten als außergewöhnliche Belastungen geltend. Den Streitigkeiten lagen im Wesentlichen folgende Sachverhalte zugrunde:
1. Kindesunterhalt
Die Klägerin hat mit ihrem Ehemann aus erster Ehe einen gemeinsamen Sohn. Da der Kindesvater nicht bereit war, Unterhalt zu leisten, strengte die Klägerin gegen ihn einen Rechtsstreit beim Amtsgericht (AG) ‑‑Familiengericht‑‑ X über die Höhe des Kindesunterhalts an. In zweiter Instanz entschied das Oberlandesgericht (OLG) A mit Urteil vom ... . Nachdem diese Entscheidung vorlag, kam der Kindesvater seiner Zahlungsverpflichtung nach.2. nachehelicher Unterhalt
Der Kläger führte gegen seine geschiedene Ehefrau vor dem AG ‑‑Familiengericht‑‑ Y (Urteil vom ...) und sodann vor dem OLG B (Urteil vom ...) einen Rechtsstreit, mit dem er eine Reduzierung des von ihm zu leistenden nachehelichen Unterhalts begehrte.3. Aufenthaltsbestimmungs- und Besuchsrecht
Der Kläger beantragte beim AG ‑‑Familiengericht‑‑ Y die elterliche Sorge für seine Tochter künftig so auszugestalten, dass der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes bei ihm sei. Das Verfahren endete mit einer Vereinbarung zwischen dem Kläger und seiner geschiedenen Ehefrau über die künftige Ausgestaltung des Umgangsrechts.4. Verfahren hinsichtlich der Anlage U
Die geschiedene Ehefrau des Klägers hatte sich geweigert, die Anlage U zur Einkommensteuererklärung des Klägers für das Jahr ... zu unterzeichnen. Sie hatte die Anlage abgeändert und den Höchstbetrag von 13.805 € auf ... € reduziert. Mit Anwaltsschreiben vom ... wurde sie erfolgreich aufgefordert, die Anlage U mit dem ungekürzten Höchstbetrag zu unterzeichnen.In der Einkommensteuererklärung für 2007 machten die Kläger Gerichts- und Anwaltskosten sowie Aufwendungen für Kopien, Schreibmaterial und Porto in Zusammenhang mit den vorgenannten Rechtsstreitigkeiten in Höhe von insgesamt 3.839,91 € sowie Fahrtkosten in Höhe von 133 € als außergewöhnliche Belastungen geltend. Für 2008 begehrten die Kläger den Abzug von Gerichts- und Anwaltskosten sowie damit in Zusammenhang stehenden Aufwendungen für Büromaterialien und Porto in Höhe von insgesamt 4.885,61 € sowie Fahrtkosten zu Anwalts- und Gerichtsterminen in Höhe von 203,80 €. Die Anwaltskosten im Jahr 2008 entfielen zu 334,15 € auch auf eine arbeitsrechtliche Beratung der Klägerin wegen einer juristischen Auseinandersetzung mit ihrem Arbeitgeber.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) berücksichtigte von den geltend gemachten Beträgen für 2007 lediglich einzelne Fahrtkosten in Höhe von 67,20 € als außergewöhnliche Belastungen. Für das Jahr 2008 erkannte das FA die Anwaltskosten für die arbeitsrechtliche Beratung der Klägerin und damit zusammenhängende Fahrtkosten als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit an, die sich wegen des nicht ausgeschöpften Arbeitnehmerpauschbetrags aber nicht steuermindernd auswirkten. Außergewöhnliche Belastungen berücksichtigte das FA im Hinblick auf die geltend gemachten Rechtsverfolgungskosten für 2008 nicht.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage überwiegend statt. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. Mai 2011 VI R 42/10 (BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015) seien Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen, wenn sich der Steuerpflichtige nicht mutwillig oder leichtfertig auf den Prozess eingelassen habe. Im Streitfall hätten sich die Kläger auf die Zivilprozesse wegen Kindesunterhalt, nachehelichen Unterhalts, Aufenthaltsbestimmung und Besuchsrecht weder mutwillig noch leichtfertig eingelassen, sodass die hierfür angefallenen Anwalts- und Gerichtskosten als außergewöhnliche Belastungen anzuerkennen seien. Hinsichtlich der außergerichtlichen Beratung und Vertretung lägen demgegenüber keine Prozesskosten im Sinne des BFH-Urteils in BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015 vor. Die hierfür angefallenen Aufwendungen seien nicht als außergewöhnliche Belastungen abziehbar. In Bezug auf die geltend gemachten Kosten für Kopien, Büro- und Schreibmaterialien sowie Porto und die Fahrtkosten fehle es an hinreichendem Vortrag und an entsprechenden Nachweisen.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
Es beantragt,
das Urteil des Hessischen FG vom 23. Februar 2015 12 K 3232/09 aufzuheben und die Klage abzuweisen.Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Soweit das FG der Klage stattgegeben hat, hat es die geltend gemachten Aufwendungen zu Unrecht als außergewöhnliche Belastungen i.S. des § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) berücksichtigt.
1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 EStG). Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile vom 29. September 1989 III R 129/86, BFHE 158, 380, BStBl II 1990, 418, und vom 26. Juni 2014 VI R 51/13, BFHE 246, 326, BStBl II 2015, 9).
a) Mit Urteil vom 18. Juni 2015 VI R 17/14 (BFHE 250, 153, BStBl II 2015, 800) hat der erkennende Senat seine Rechtsprechung in dem Urteil in BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015 zur Abziehbarkeit von Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen, die auch das FG der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegt hat, aufgegeben und ist zu der früheren Rechtsprechung des BFH zurückgekehrt.
Zivilprozesskosten sind demnach nur insoweit abziehbar, als der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührt. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, kann der Steuerpflichtige auch bei unsicheren Erfolgsaussichten zur Durchsetzung oder Abwehr eines zivilrechtlichen Anspruchs aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen, sodass die Prozesskosten zwangsläufig i.S. von § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen (z.B. Senatsurteile vom 15. Juni 2016 VI R 34/14, BFH/NV 2016, 1549, und vom 19. November 2015 VI R 42/14, BFH/NV 2016, 739).
b) Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Seine Entscheidung hat daher keinen Bestand. Der Senat kann aufgrund der vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen aber in der Sache selbst entscheiden. Die von den Klägern getragenen Kosten in Zusammenhang mit dem Kindesunterhalt, dem nachehelichen Unterhalt sowie dem Aufenthaltsbestimmungs- und Besuchsrecht sind nicht als außergewöhnliche Belastungen steuermindernd zu berücksichtigen.
aa) Der Senat führt für die bis einschließlich 2012 geltende Fassung des § 33 EStG die Rechtsprechung zur Berücksichtigung von durch Ehescheidungsverfahren entstandenen Prozesskosten als außergewöhnliche Belastungen fort (z.B. Senatsurteile vom 20. Januar 2016 VI R 70/12, BFH/NV 2016, 905, und vom 28. April 2016 VI R 15/15, BFH/NV 2016, 1545). Danach sind zwar die mit dem Gerichtsverfahren verbundenen Kosten für die Scheidung und den Versorgungsausgleich als zwangsläufig entstanden anzusehen und dementsprechend als außergewöhnliche Belastungen abziehbar. Aber Kosten für außerhalb des so genannten Zwangsverbunds durch das Familiengericht oder außergerichtlich im Zusammenhang mit der Ehescheidung getroffene Regelungen werden nicht als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt. Das gilt unabhängig davon, ob für die Scheidungsfolgesachen noch § 623 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) a.F. anzuwenden ist oder schon § 137 Abs. 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG). Folgesachen sind auch Kindschaftssachen, die die Übertragung oder Entziehung der elterlichen Sorge, das Umgangsrecht oder die Herausgabe eines gemeinschaftlichen Kindes der Ehegatten oder das Umgangsrecht eines Ehegatten mit dem Kind des anderen Ehegatten betreffen, wenn ein Ehegatte vor Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug in der Scheidungssache die Einbeziehung in den Verbund beantragt, es sei denn, das Familiengericht hält die Einbeziehung aus Gründen des Kindeswohls nicht für sachgerecht (s. § 137 Abs. 3 FamFG und § 623 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO a.F.).
Entscheidend ist, dass der Gesetzgeber den früheren Eheleuten Inhalt und Verfahren der Regelung ihrer Verhältnisse im Wesentlichen in gleicher Weise zur eigenverantwortlichen Gestaltung übertragen hat wie in bestehender Ehe oder im Fall nichtehelicher Familienbeziehungen (z.B. Senatsurteil in BFH/NV 2016, 1545, m.w.N.).
bb) Nach diesen Maßstäben scheidet im Streitfall eine Berücksichtigung der geltend gemachten Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung aus. Die Rechtsstreitigkeiten um den Kindesunterhalt und den nachehelichen Unterhalt des geschiedenen Ehegatten (s. dazu auch Senatsurteil vom 18. Februar 2016 VI R 56/13, BFH/NV 2016, 1150) waren keine mit den Scheidungsverfahren der Kläger im Zwangsverbund zu entscheidenden Scheidungsfolgesachen. Den Klägern war die Regelung des Kindesunterhalts und des Unterhalts des (geschiedenen) Ehegatten wie in einer bestehenden Ehe zur eigenverantwortlichen Gestaltung übertragen. Dies schließt es aus, die für die entsprechenden Verfahren angefallenen Gerichts- und Anwaltskosten als zwangsläufig entstandene außergewöhnliche Belastungen anzusehen. Ebenso sind auch die Aufwendungen des Klägers für die Streitigkeiten mit seiner (geschiedenen) Ehefrau über das Aufenthaltsbestimmungs- und das Besuchsrecht für das gemeinsame Kind (s. dazu auch Senatsurteile vom 10. März 2016 VI R 38/13, BFH/NV 2016, 1009, und in BFH/NV 2016, 1545) nicht als außergewöhnliche Belastungen steuermindernd zu berücksichtigen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.