ECLI:DE:BFH:2016:B.011216.XS6.16.0
BFH X. Senat
AO § 160, FGO § 115 Abs 2 Nr 1, FGO § 142
Leitsätze
1. NV: Das Verlangen, den Empfänger einer Zahlung zu benennen, kann ermessensfehlerhaft sein, wenn der Zahlende Opfer einer für ihn nicht durchschaubaren Täuschung geworden ist und sich ihm keine Zweifel hinsichtlich seines Geschäftspartners hätten aufdrängen müssen. Ob sich solche Zweifel hätten aufdrängen müssen, ist im Regelfall nach der Sichtweise eines objektiven Betrachters zu beurteilen .
2. NV: Die Zugehörigkeit zu einem ausländischen Kulturkreis verdrängt nicht die allgemein bei der Prüfung von Betrieben geltenden Darlegungs- und Nachweisanforderungen (Anschluss an den Senatsbeschluss vom 31. Mai 2016 X B 73/15, BFH/NV 2016, 1299) .
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Tatbestand
I. Die Antragstellerin wurde in den Streitjahren 2003 bis 2005 mit ihrem Ehemann (E) zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. E kam im Jahr 1991 aus Bosnien nach Deutschland und war hier zunächst als Arbeitnehmer tätig. Seit 2001 erzielte er mit der Montage von Baufertigelementen Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Er ermittelte seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung.
E leistete in den Streitjahren u.a. erhebliche Barzahlungen an vier Subunternehmen, die in der Rechtsform der GmbH auftraten. Schriftliche Werkverträge, Angebote, Annahmeerklärungen, Abrechnungspapiere sowie Unterlagen über die Abnahme der Leistungen existieren nicht. Die von den Subunternehmern gestellten Rechnungen enthalten keine genauen Leistungsbeschreibungen, sondern Angaben wie "vereinbarungsgemäß" oder "pauschal".
Im Rahmen einer bei E durchgeführten Außenprüfung kam der Prüfer zu der Auffassung, aufgrund vorliegender Unterlagen hätten drei der vier Subunternehmen keinen eigenen Geschäftsbetrieb unterhalten. In allen vier Fällen sei die wahre Identität der Geschäftsführer entweder nicht zu ermitteln gewesen oder die Geschäftsführer hätten ausgesagt, den E nicht zu kennen. Der Prüfer forderte E auf, die Personen zu benennen, an die die Barzahlungen letztlich gelangt seien. Nachdem E diesem Verlangen nicht nachkam, schlug der Prüfer vor, auf der Grundlage des § 160 der Abgabenordnung (AO) den Betriebsausgabenabzug für die folgenden Beträge zu versagen:
– 2003: 203.268,51 €,
– 2004: 201.383,20 €,
– 2005: 166.500,00 €.Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) folgte dem und erließ entsprechend geänderte Bescheide über Einkommensteuer und den Gewerbesteuermessbetrag für die Jahre 2003 bis 2005. E trug demgegenüber vor, er habe sich von seinen Subunternehmern vor Leistung der Barzahlungen Gewerbeanmeldungen, Handelsregistereintragungen, Nachweise über Bau-Haftpflichtversicherungen sowie Bestätigungen der Handwerkskammer und der Bau-Berufsgenossenschaft vorlegen lassen. Barzahlungen seien in weiten Teilen der Baubranche üblich. Ein "Bürokratismus" mit schriftlichen Vertragsunterlagen sei gesetzlich nicht vorgeschrieben.
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, ein Benennungsverlangen sei gerechtfertigt, wenn sich dem Steuerpflichtigen nach den Umständen des Einzelfalls objektiv Zweifel aufdrängen müssten, ob der Empfänger der Zahlungen diese ordnungsgemäß versteuern werde. Dies sei insbesondere bei Barzahlungen in erheblicher Höhe ‑‑hier: ca. 200.000 € jährlich‑‑ der Fall, wenn den Geschäftsbeziehungen keine schriftlichen Vereinbarungen zugrunde lägen. Es sei in keiner Weise nachprüfbar, für welche konkreten Leistungen die Zahlungen getätigt worden seien. Die tatsächlichen Empfänger der Barzahlungen seien nicht feststellbar. E sei auch nicht Opfer einer undurchschaubaren Täuschung geworden, da die Umstände des Sachverhalts stark vom Üblichen abwichen.
Die Antragstellerin begehrt, ihr Prozesskostenhilfe (PKH) für die bereits eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde zu bewilligen. Die Nichtzulassungsbeschwerde stützt sie auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
Entscheidungsgründe
II. Der Antrag ist unbegründet.
1. PKH erhält auf entsprechenden Antrag ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑ i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung ‑‑ZPO‑‑).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Die bereits erhobene Nichtzulassungsbeschwerde ist ‑‑bei erheblichen Zweifeln daran, ob die geltenden Darlegungsanforderungen überhaupt erfüllt sind‑‑ jedenfalls unbegründet.
a) Die Antragstellerin beruft sich weiterhin darauf, das Benennungsverlangen sei ermessensfehlerhaft gewesen, weil E Opfer einer für ihn nicht durchschaubaren Täuschung geworden sei und sich ihm keine Zweifel hinsichtlich seiner Geschäftspartner hätten aufdrängen müssen (vgl. hierzu Urteil des Bundesfinanzhofs vom 4. April 1996 IV R 55/94, BFH/NV 1996, 801, unter II.1.a). Sie führt weiter aus, in der bisherigen Rechtsprechung und Kommentierung ‑‑der das FG gefolgt sei‑‑ werde für diese Beurteilung auf die Sichtweise eines objektiven Betrachters abgestellt (z.B. Größenordnung der durchgeführten Arbeiten, Vorliegen schriftlicher Vertragsunterlagen, hohe Barzahlungen).
Vor diesem Hintergrund sieht die Antragstellerin die Rechtsfrage, ob ‑‑entgegen der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung‑‑ auf die individuellen Fähigkeiten und Erfahrungen des Betroffenen abzustellen sei, als grundsätzlich bedeutsam (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) an.
b) Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Außerdem muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein (Senatsbeschluss vom 19. Januar 2011 X B 43/10, BFH/NV 2011, 636, unter II.1.).
aa) Dabei erfordert die schlüssige Darlegung der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage ein konkretes und substantiiertes Eingehen darauf, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen diese umstritten ist (Senatsbeschlüsse vom 5. Mai 2011 X B 149/10, BFH/NV 2011, 1348, Rz 13, und vom 18. Mai 2011 X B 124/10, BFH/NV 2011, 1838, Rz 8, beide m.w.N.).
Daran fehlt es in der Beschwerdebegründung vollständig. Dort wird lediglich die persönliche Auffassung der Antragstellerin zu der aufgeworfenen Rechtsfrage dargestellt. Belege aus Rechtsprechung und Literatur finden sich hingegen ‑‑mit Ausnahme von Nachweisen der bisherigen, nicht erkennbar umstrittenen Rechtsprechung‑‑ nicht.
bb) Im Übrigen dürfte die Rechtsfrage in einem künftigen Revisionsverfahren auch nicht klärungsfähig sein, weil das Revisionsgericht an die vom FG festgestellten Tatsachen gebunden wäre (§ 118 Abs. 2 FGO), die vorliegend vom FG festgestellten Tatsachen aber keine Subsumtion unter den von der Antragstellerin für zutreffend gehaltenen Rechtssatz zulassen.
Im Verwaltungs- und Klageverfahren hatte sich der seinerzeit noch verfahrensbeteiligte E ‑‑soweit ersichtlich‑‑ noch nicht auf seine vermeintlich individuell fehlenden Fähigkeiten und Erfahrungen berufen. Folglich hatte das FG keine Gelegenheit, die hierfür maßgebenden Tatsachen festzustellen. Entsprechende Rechtsausführungen sind dem Gericht vielmehr erstmals im Beschwerdeverfahren unterbreitet worden. Auch in diesem Verfahrensstadium trägt die Antragstellerin aber keine konkreten Tatsachen für individuell fehlende Fähigkeiten vor ‑‑was vom Rechtsmittelgericht ohnehin nicht berücksichtigt werden dürfte‑‑, sondern beruft sich pauschal darauf, dass E erst im Jahr 1991 nach Deutschland eingewandert sei und erst im Jahr 2001 die gewerbliche Tätigkeit aufgenommen habe.
Daraus allein lässt sich aber keinesfalls auf eine geschäftliche Unerfahrenheit schließen. Es gibt keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass derjenige, der sich ‑‑hier zugunsten der Antragstellerin auf das erste Streitjahr bezogen‑‑ erst seit 13 Jahren in Deutschland aufhält und erst seit drei Jahren gewerblich tätig ist, nicht zu der Erkenntnis fähig ist, dass bei Geschäften im Volumen von 200.000 € jährlich, die ohne schriftliche Vertragsunterlagen und ausschließlich gegen Barzahlung abgewickelt werden, ein höheres Risiko der Verschleierung der Identität des Vertragspartners als im Normalfall besteht.
Ergänzend verweist der Senat auf seine Rechtsprechung, wonach die Zugehörigkeit zu einem ausländischen Kulturkreis nicht die allgemein bei der Prüfung von Betrieben geltenden Darlegungs- und Nachweisanforderungen verdrängt (vgl. Senatsbeschluss vom 31. Mai 2016 X B 73/15, BFH/NV 2016, 1299, Rz 26).
2. Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen. In Ermangelung eines Gebührentatbestands nach dem Kostenverzeichnis zum Gerichtskostengesetz (GKG) werden keine Gerichtskosten erhoben (§ 3 Abs. 2 GKG). Kosten, die dem Gegner entstanden sind, werden nicht erstattet (§ 142 FGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO).
3. Der Senat stellt die Entscheidung über die noch bei ihm anhängige Nichtzulassungsbeschwerde bis einen Monat nach Bekanntgabe dieses Beschlusses zurück. Der Antragstellerin wird damit Gelegenheit zur Prüfung einer Rücknahme des von ihr eingelegten Rechtsmittels gegeben. Im Vergleich zu einer förmlichen Entscheidung, mit der die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen würde, wäre die Rücknahme mit einer Ermäßigung der Gerichtsgebühren auf die Hälfte verbunden (vgl. Nr. 6501 des Kostenverzeichnisses, Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).