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Urteil vom 08. November 2016, VII R 6/16

Energiesteuerliche Begünstigung von Wärmeverlusten in Fernwärmenetzen

ECLI:DE:BFH:2016:U.081116.VIIR6.16.0

BFH VII. Senat

EnergieStG § 54 Abs 1 S 1, EnergieStG § 54 Abs 1 S 2, AVBFernwärmeV § 5 Abs 1, StromStG § 2 Nr 3

vorgehend Thüringer Finanzgericht , 14. Dezember 2015, Az: 2 K 394/14

Leitsätze

NV: Einem Energieversorgungsunternehmen steht nach § 54 Abs. 1 EnergieStG auch für diejenige Erdgasmenge ein Entlastungsanspruch zu, die von ihm zusätzlich zum Ausgleich von Wärmeverlusten in dem von ihm betriebenen örtlichen Fernwärmenetz verheizt und als Eigenverbrauch geltend gemacht wird .

Tenor

Die Revision des Hauptzollamts gegen das Urteil des Thüringer Finanzgerichts vom 15. Dezember 2015 2 K 394/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat das Hauptzollamt zu tragen.

Tatbestand

  1. I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist ein kommunales Energieversorgungsunternehmen. Sie erhitzt Wasser durch Verbrennen von Erdgas in einer zentralen Heizkesselanlage. Das heiße Wasser leitet sie in ein von ihr betriebenes ca. 12 km langes, als Kreislauf ausgestaltetes Fernwärmenetz ein. Dem Netz entnehmen die an dieses angeschlossenen Verbraucher die im Wasser enthaltene thermische Energie über Wärmetauscher. Abhängig vom Wirkungsgrad der Heizanlage, dem Wärmebedarf der Nutzer und dem dafür erforderlichen Temperaturniveau des heißen Wassers, der Betriebsdauer und der Isolierung sowie der Länge des Rohrleitungssystems erzeugt und speist die Klägerin mehr thermische Energie in das Netz ein, als die Kunden, gemessen über Wärmemengenzähler, tatsächlich abnehmen. Die Differenz zwischen der von ihr erzeugten und der von den Verbrauchern tatsächlich abgenommenen thermischen Energie betrug im Streitjahr ... MWh, auf die 18,82 % des insgesamt von der Klägerin verwendeten Erdgases entfielen. Für diese Differenz beantragte die Klägerin unter Hinweis darauf, dass sie das Erdgas zur Erzeugung von im eigenen Unternehmen genutzter Wärme verwendet habe, eine Entlastung von der Energiesteuer nach § 54 Abs. 1 des Energiesteuergesetzes (EnergieStG).

  2. Zunächst gewährte der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt ‑‑HZA‑‑) die beantragte Entlastung für den geltend gemachten Eigenverbrauch. Am 19. November 2013 erließ das HZA jedoch einen Bescheid, mit dem es den gewährten Entlastungsbetrag zurückforderte. Eine Steuerentlastung für zur Erzeugung von Wärme verwendete Energieerzeugnisse könne seit 2011 nur noch gewährt werden, wenn die erzeugte Wärme nachweislich durch ein Unternehmen des Produzierenden Gewerbes oder ein Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft genutzt worden sei. Die von ihr als Unternehmen des Produzierenden Gewerbes erzeugte Wärme habe die Klägerin sowohl selbst genutzt als auch Dritten weitergegeben. Der dadurch entstandene Netzverlust sei nur noch mit dem Anteil zu berücksichtigen, der bei der Erzeugung von nachweislich von einem begünstigten Unternehmen genutzter Wärme anfalle. Am 5. November 2014 hat das HZA den Rückforderungsbescheid dahin geändert, dass die Energiesteuerentlastung für das Streitjahr auf 0 € festgesetzt und der überzahlte Betrag zurückgefordert wurde.

  3. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, der Klägerin stehe hinsichtlich einer Erdgasmenge von ... MWh ein Entlastungsbetrag zu. Für die vom HZA vorgenommene Beschränkung der Entlastungsfähigkeit der Netzverluste bestehe keine gesetzliche Grundlage. Die Klägerin sei Nutzerin der streitgegenständlichen Erdgasmenge gewesen, weil sie die zum Ausgleich des Netzverlustes verheizte Gasmenge nicht den Kunden zur Verfügung gestellt, sondern sie als Produktionsmittel für eigene betriebliche Zwecke genutzt habe. Nutzer der zur Aufrechterhaltung der Versorgung im Fernwärmenetz benötigten Energiemenge sei nicht der Verbraucher, sondern der Versorger, der nach der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme vom 20. Juni 1980 ‑‑AVBFernwärmeV‑‑ (BGBl I 1980, 742) gegenüber seinen Kunden verpflichtet sei, die vertraglich vereinbarten Wärmemengen jederzeit an der Übergabestelle zur Verfügung zu stellen und der auch das wirtschaftliche Risiko aus einer effizienten Verwendung des von ihm verwendeten Energieerzeugnisses trage. Den Verbrauchern, die den verhältnismäßig zuerkannten Netzverlust nicht zu eigenbetrieblichen Zwecken nutzten, werde die dem Netzverlust entsprechende Wärmemenge auch nicht im Rahmen des Belieferungsvertrags zur Verfügung gestellt. An diesen Überlegungen scheitere die vom HZA geforderte Aufteilung der Netzverluste. Schließlich könne sich das HZA zur Versagung der Entlastung nicht auf die Änderung des § 54 EnergieStG berufen, mit der der Gesetzgeber die Fälle des sog. "Schein-contractings" und eine missbräuchliche Inanspruchnahme der Steuerbegünstigung habe verhindern wollen.

  4. Mit seiner Revision macht das HZA eine unzutreffende Auslegung des § 54 EnergieStG durch das FG geltend. Durch das Haushaltsbegleitgesetz vom 9. Dezember 2010 (BGBl I 2010, 1885) sei diese Vorschrift mit dem Ziel geändert worden, die indirekte Nutzung der Steuerentlastung durch andere Endverbraucher als Unternehmen des Produzierenden Gewerbes und der Land- und Forstwirtschaft auszuschließen und einer Fehlentwicklung entgegenzuwirken (BTDrucks 17/3030, S. 43). Von einem Nutzen der im Netz verlorenen Wärme durch die Klägerin könne nicht ausgegangen werden, denn der Verlust trete unfreiwillig ein und biete der Klägerin auch keinen Vorteil. Vielmehr sei er ein mit der Wärmebeförderung über weite Entfernungen lediglich in Kauf genommener Umstand. Wäre bereits die Erfüllung von Lieferpflichten aus Wärmelieferungsverträgen ein Nutzen der Wärme, könnte die Klägerin Wärme steuerbegünstigt an Dritte liefern, ohne dass es auf deren Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Unternehmen ankäme. Deshalb komme es entscheidend darauf an, ob die Verluste im Zusammenhang mit der Wärmelieferung an ein begünstigtes Unternehmen angefallen seien, die nach den Vorgaben des § 54 Abs. 1 Satz 2 EnergieStG die Wärme für ihre Zwecke genutzt hätten. Anderenfalls würden ‑‑entgegen der klaren Intention des Gesetzgebers‑‑ im Ergebnis auch nicht begünstigte Verbraucher an der Steuerbegünstigung partizipieren.

  5. Die Klägerin schließt sich im Wesentlichen der Rechtsauffassung des FG an. Sie weist darauf hin, dass sie eine Entlastung für die Verwendung von Erdgas zur Erzeugung zusätzlicher Wärmemengen begehre, die erforderlich seien, um durch die Erwärmung des Rohrleitungsnetzes und den Erhalt eines bestimmten Temperaturniveaus den Betrieb des Fernwärmenetzes und damit den Wärmetransport sicherzustellen. Damit diene der Einsatz des Erdgases einem innerbetrieblichen Ziel und auch der ordnungsgemäßen Erfüllung der mit ihren Kunden abgeschlossenen Verträge. Abschnitt E 40.30.5 (Wärmeverteilung ohne Erzeugung) der Klassifikation der Wirtschaftszweige 2003 (WZ 2003) deute darauf hin, dass der Transport von Fernwärme eigenständig zu bewerten sei. Sie sei primärer Nutzer der zusätzlich erzeugten Wärmemengen, da der Betrieb des Fernwärmenetzes in ihrem originärem Zuständigkeitsbereich liege. Diese Betrachtung entspreche dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 24. September 2014 VII R 39/13 (BFHE 247, 176, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern ‑‑ZfZ‑‑ 2014, 310).

Entscheidungsgründe

  1. II. Die Revision des HZA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das Urteil entspricht dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO). Das FG hat zu Recht entschieden, dass der Klägerin ein Entlastungsanspruch nach § 54 Abs. 1 EnergieStG für diejenige Erdgasmenge zusteht, die sie zusätzlich zum Ausgleich von Wärmeverlusten in dem von ihr betriebenen örtlichen Fernwärmenetz eingesetzt und als Eigenverbrauch geltend gemacht hat.

  2. 1. Nach § 54 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG wird eine Steuerentlastung auf Antrag u.a. für nachweislich versteuerte Energieerzeugnisse gewährt, die von einem Unternehmen des Produzierenden Gewerbes i.S. des § 2 Nr. 3 des Stromsteuergesetzes (StromStG) zu betrieblichen Zwecken verheizt worden sind. Eine Steuerentlastung für Energieerzeugnisse, die zur Erzeugung von Wärme verwendet worden sind, wird jedoch nur gewährt, soweit die erzeugte Wärme nachweislich durch ein Unternehmen des Produzierenden Gewerbes oder ein Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft genutzt worden ist.

  3. Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des FG, die für den erkennenden Senat nach § 118 Abs. 2 FGO bindend sind, handelt es sich bei der Klägerin um ein Unternehmen der Energieversorgung mit dem Geschäftsbereich Wärmeversorgung, das der Gruppe 40.3 (Wärmeversorgung) des Unterabschnitts EA (Energie- und Wasserversorgung) der WZ 2003 zuzuordnen ist. Aufgrund dieser Einordnung in die WZ 2003 gehört sie zu dem in § 54 Abs. 1 EnergieStG festgelegten Begünstigtenkreis. Ihre Geschäftstätigkeit umfasst sowohl das Netzmanagement als auch die Erzeugung von Wärme und deren Vertrieb an die jeweiligen Endverbraucher. Um das Produkt Wärme anbieten und zu den jeweiligen Übergabestellen transportieren zu können, ist der Betrieb des eigenen Rohrleitungssystems unabdingbar und damit Voraussetzung für die Ausübung der nach § 54 Abs. 1 EnergieStG begünstigten Tätigkeit. Über dieses Netz hat die Klägerin Wärme im vereinbarten Umfang jederzeit an der Übergabestelle zur Verfügung zu stellen. Aufgrund dieser Umstände ist im Streitfall davon auszugehen, dass die Klägerin die streitgegenständlichen Erdgasmengen, die auf den Verlustausgleich entfallen, i.S. des § 54 Abs. 1 EnergieStG im Rahmen des Netzmanagements zu eigenen betrieblichen Zwecken verheizt hat.

  4. 2. Dem danach der Klägerin zustehenden Entlastungsanspruch steht § 54 Abs. 1 Satz 2 EnergieStG nicht entgegen.

  5. a) Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber die Fälle des sog. "Schein-contractings" einschränken und eine missbräuchliche Inanspruchnahme von Steuervorteilen verhindern (vgl. Jansen in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, EnergieStG, StromStG, § 54 EnergieStG Rz 19). Ausweislich der Gesetzesbegründung trägt die Regelung dem Umstand Rechnung, dass die Begünstigung der Unternehmen des Produzierenden Gewerbes und der Land- und Forstwirtschaft für nicht begünstigte Unternehmen aus anderen Wirtschaftszweigen einen Anreiz geschaffen hat, insbesondere die energieintensive Erzeugung von Kälte, Wärme, Licht, Druckluft und mechanische Energie auf begünstigte Unternehmen auszulagern. Um die faktische Inanspruchnahme der Steuerentlastung durch nicht begünstigte Unternehmen weitgehend auszuschließen, wurde die Regelung getroffen, dass u.a. der Verbrauch von Energieerzeugnissen für diese Zwecke nur begünstigt ist, soweit die genannten Erzeugnisse auch durch ein Unternehmen des Produzierenden Gewerbes oder ein Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft tatsächlich genutzt werden (BTDrucks 17/3030, S. 43, 45). Aufgrund der dargestellten Intention des Gesetzgebers ließe sich eine Auslegung des § 54 Abs. 1 Satz 2 EnergieStG vertreten, nach der diese Bestimmung nur auf solche Unternehmen anzuwenden ist, die, ohne Erzeuger zu sein, von einem Versorger mit thermischer Energie beliefert werden, denn nur dann kann es sich um einen Fall des contractings handeln. Im Streitfall bedarf die Auslegungsfrage jedoch keiner abschließenden Klärung, denn die Klägerin ist auch als tatsächlicher Nutzer der Wärme anzusehen.

  6. b) Wie der erkennende Senat zur Parallelvorschrift des § 9b Abs. 1 Satz 2 StromStG entschieden hat, schließt die durch die Gesetzesmaterialien belegte Zielsetzung der Vorschrift aus, den Begriff des Nutzers der Energie dahin zu deuten, dass als solcher auch derjenige angesehen werden kann, der die Nutzenergie im Rahmen einer vertraglichen Vereinbarung erzeugt, ohne sie unmittelbar selbst einzusetzen (Senatsurteil in BFHE 247, 176, ZfZ 2014, 310). Eine solche Konstellation liegt im Streitfall jedoch nicht vor. Denn das zur Erzeugung der thermischen Energie verwendete Erdgas wurde mit dem Ziel eingesetzt, in dem von der Klägerin in ihrem Zuständigkeitsbereich betriebenen Fernwärmenetz eine bestimmte Betriebstemperatur zu erreichen und aufrechtzuerhalten. Ohne den Verlustausgleich wäre es der Klägerin nicht möglich gewesen, ihren vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen. Unter diesen Gesichtspunkten ist der Leitungsverlust untrennbar als mit der wirtschaftlichen Tätigkeit eines Energieversorgungsunternehmens verbunden anzusehen, das sich zur Belieferung seiner Kunden eines Rohrleitungsnetzes bedient.

  7. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber nach § 2 Nr. 3 StromStG alle Unternehmen in die Begünstigung einbezogen hat, die dem Abschnitt E (Energie- und Wasserversorgung) zuzuordnen sind. Somit sollen nach der Intention des Gesetzgebers auch solche Unternehmen in den Genuss des Steuervorteils kommen, deren Tätigkeit auf die Verteilung von Dampf und Warmwasser beschränkt ist und die der Unterklasse 40.30.5 (Wärmeverteilung ohne Erzeugung) WZ 2003 zuzuordnen sind. Daraus folgt, dass auch der Betrieb eines zur Verteilung von Wärme notwendigen Fernwärmenetzes für sich gesehen grundsätzlich eine begünstigte Tätigkeit darstellt. Auch hinsichtlich der zur Aufrechterhaltung der im Fernwärmenetz erforderlichen Betriebstemperatur verwendeten Erdgasmengen ist die Klägerin somit als originärer und tatsächlicher Nutzer anzusehen. Andere Unternehmen können die durch dieses Erdgas erzeugte Wärme schon deshalb nicht nutzen, weil die dem Verlustausgleich dienende thermische Energie dem Betrieb des Fernwärmenetzes dient, d.h. in diesem verbraucht wird, und daher nicht gleichzeitig an einer Übergabestelle von Vertragspartnern der Klägerin dem Netz entnommen werden kann.

  8. 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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