ECLI:DE:BFH:2017:U.170517.VR54.16.0
BFH V. Senat
UStG § 18 Abs 9, UStDV § 61 Abs 2 S 3, EGRL 9/2008 Art 10
vorgehend FG Köln, 19. Januar 2016, Az: 2 K 2807/12
Leitsätze
Auch die Kopie einer Rechnungskopie ist eine Kopie der Rechnung i.S. von § 61 Abs. 2 Satz 3 UStDV a.F.
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 20. Januar 2016 2 K 2807/12 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
I.
Am 27. September 2011 stellte die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) einen Antrag auf Vergütung von Vorsteuerbeträgen für den Zeitraum Januar bis Dezember 2010 in Höhe von 16.694,56 €. Dem Antrag waren auf elektronischem Wege unter anderem Rechnungsdokumente der Firma A beigefügt, welche den Aufdruck "COPY 1" trugen. Dabei handelte es sich um die Positionen 34 bis 40 und 42 bis 49 der Anlage zum Vergütungsantrag. Hieraus ergab sich ein Vorsteuerabzug von 9.300,33 €.
Am 29. Juni 2012 erteilte der Beklagte und Revisionskläger (das Bundeszentralamt für Steuern ‑‑BZSt‑‑) einen Vergütungsbescheid, nach dem Vorsteuerbeträge in Höhe von 6.699,74 € zu vergüten waren. Im Übrigen lehnte das BZSt den Antrag ab, da insoweit keine eingescannten Originalrechnungen vorgelegt worden seien. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein und fügte diesem eingescannte Originalrechnungen bei. Im Einspruchsverfahren erließ das BZSt einen Änderungsbescheid, mit dem ein Zusatzbetrag von 409,44 € vergütet wurde. Im Übrigen wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.
Demgegenüber hatte die Klage zum Finanzgericht (FG) Erfolg. Nach dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2016, 419 veröffentlichten Urteil des FG hat die Klägerin die Anforderungen erfüllt, die sich aus § 61 Abs. 2 Satz 3 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung in seiner im Streitjahr geltenden Fassung (UStDV) auf der Grundlage der Ermächtigung in § 18 Abs. 9 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) ergeben. Unter Berücksichtigung von Art. 10 der Richtlinie 2008/9/EG zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige (Richtlinie 2008/9/EG) sei mit dem Vergütungsantrag auf elektronischem Weg eine Kopie der Rechnung einzureichen. Dabei müsse nicht das Original der Rechnung unmittelbarer Ausgangspunkt der elektronischen Übersendung sein. Eine einschränkende Auslegung, nach der nicht auch eine Kopie der Rechnung elektronisch übersandt werden könne, sei nicht möglich.
Hiergegen wendet sich das BZSt mit seiner Revision. Die Klägerin habe innerhalb der Antragsfrist lediglich die elektronische Kopie einer Kopie des Rechnungsoriginals eingereicht. Dies genüge nicht zur Fristwahrung, da § 61 Abs. 2 Satz 3 UStDV wie die Vorgängerregelung auszulegen sei. Dies werde durch die ab 30. Dezember 2014 geltende Neufassung des § 61 Abs. 2 Satz 4 UStDV, der nur deklaratorische Bedeutung zukomme, bestätigt. Hierfür spreche auch ein Vergleich mit § 15 UStG. Erforderlich sei eine originalgetreue Reproduktion. Die Kopie müsse vom Original angefertigt werden. Der Besitz des Originals sei materielle Anspruchsvoraussetzung. Erforderlich sei ein "Scan" des Originals. Dies diene der Vermeidung von Missbrauchsgefahren. Die im Streitjahr geltende Neuregelung habe nur eine Verfahrensvereinfachung bezweckt, durch die die Nachweispflichten nicht verringert werden sollten. Im Hinblick auf den Zusatz Copy 1 bestehe keine Identität zwischen Kopien und Original.
Das BZSt beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen, hilfsweise das Verfahren für eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) auszusetzen.Das Urteil des FG entspreche dem Gesetzeswortlaut und dem Neutralitätsgrundsatz. Der EuGH sei zu fragen, ob es einem Mitgliedstaat im Rahmen der Art. 10 und Art. 15 der Richtlinie 2008/8/EG gestattet sei, dass er jedem Antragsteller verpflichtend auferlege, seinem Vergütungsantrag auf elektronischem Weg die Rechnungen als eingescannte Originale beizufügen, wenn das Entgelt für den Umsatz mindestens 1.000 €, bei Rechnungen über den Bezug von Kraftstoff mindestens 250 € betrage. Bejahendenfalls sei auch zu fragen, ob die deutsche Steuerbehörde im Lichte der Grundsätze der Neutralität und Verhältnismäßigkeit, die Grundprinzipien des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems darstellten, die Grenzen dessen überschritten habe, was erforderlich sei, indem sie dem Steuerpflichtigen das Recht auf Erstattung der Vorsteuer endgültig mit dem Argument versage, dass er seinem Vergütungsantrag auf elektronischem Weg die Rechnungen als eingescannte Originale hätte beifügen müssen, obwohl die nationale Vorschrift im Streitjahr vorsah, dass dem Vergütungsantrag auf elektronischem Weg die Rechnungen in Kopie beizufügen sind.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des BZSt ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin die Antragsfrist gewahrt hat, da auch die Kopie einer Rechnungskopie als Kopie der Rechnung anzusehen ist.
1. Auf der Grundlage von § 18 Abs. 9 Satz 2 UStG ordnete § 61 Abs. 2 Satz 3 UStDV im Streitjahr an, dass dem Vergütungsantrag "auf elektronischem Weg die Rechnungen und Einfuhrbelege in Kopie beizufügen" sind, wenn das Entgelt für den Umsatz oder die Einfuhr mindestens 1.000 €, bei Rechnungen über den Bezug von Kraftstoffen mindestens 250 € beträgt. Unionsrechtliche Grundlage war hierfür Art. 10 der Richtlinie 2008/9/EG. Danach kann der Mitgliedstaat der Erstattung verlangen, dass der Antragsteller zusammen mit dem Erstattungsantrag "auf elektronischem Weg eine Kopie der Rechnung oder des Einfuhrdokuments einreicht", wenn bestimmte Steuerbemessungsgrundlagen überschritten sind.
2. Wie das FG zutreffend entschieden hat, ist das Erfordernis, "auf elektronischem Weg die Rechnungen und Einfuhrbelege in Kopie beizufügen" auch dann gewahrt, wenn es sich nicht um eine Kopie des Originals, sondern um eine Kopie handelt, die von einer Kopie des Originals angefertigt wurde. Auch das BZSt räumt ein, dass "letztlich jede elektronische Kopie auch eine Kopie des Originals darstellt".
a) Hierfür spricht bereits, dass eine Kopie des Originals auch dann vorliegt, wenn von einer Kopie eine weitere Kopie angefertigt wird. Auch die Kopie einer Kopie des Originals ist ‑‑mittelbar‑‑ eine Kopie des Originals. Sie ist ein originalgetreues Abbild des Originaldokuments und damit wie vom BZSt gefordert eine "originalgetreue Reproduktion". Dass diese mit einem die Kopie kenntlichmachenden Zusatz versehen ist, spielt hierfür keine Rolle.
b) Sachgründe, die ein Unmittelbarkeitserfordernis dergestalt begründen, dass es sich bei der auf elektronischem Weg beizufügenden Kopie um eine direkte Kopie des Originals handeln muss, bestehen nicht.
Das FG hat dies zutreffend mit den Besonderheiten der Übertragung auf elektronischem Weg begründet. Diese Übertragungsform schließt es anders als bei einer papiermäßigen Übersendung von Originalen aus, auf dem übermittelten Dokument Markierungen anzubringen, die eine wiederholte missbräuchliche Nutzung einer Rechnung zu Vergütungszwecken verhindert oder sicherstellt, dass der Antragsteller im Besitz der Originaldokumente war. Es kann mit einer Kopie naturgemäß auch nicht geprüft werden, ob an dem Original nach dem Anfertigen der Kopie Manipulationen vorgenommen wurden. Eine Prüfung des Originaldokuments auf seine Authentizität ist ebenso ausgeschlossen, ohne dass es darauf ankommt, ob es sich bei der elektronisch beigefügten Kopie um eine unmittelbare Kopie des Originals oder um die Kopie einer Originalkopie handelt. Im Hinblick hierauf besteht entgegen der Rechtsauffassung des BZSt kein Erfordernis, die Kopie unmittelbar vom Original anzufertigen.
c) Der erkennende Senat berücksichtigt dabei auch, dass für das BZSt bei begründeten Zweifeln jeglicher Art nach § 61 Abs. 2 Satz 4 UStDV die Möglichkeit besteht, die Vorlage von Rechnungen im Original zu verlangen.
d) Zudem trägt die zutreffende Auslegung des FG dem Grundsatz der rechtsschutzgewährenden Auslegung von Verfahrensvorschriften (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes) Rechnung (vgl. allgemein Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 17. September 2014 VI B 75/14, BFH/NV 2015, 51; vom 17. Januar 2002 VI B 114/01, BFHE 198, 1, BStBl II 2002, 306, und vom 21. Juli 2016 V S 20/16 (PKH), BFH/NV 2016, 1734). Um eine derartige Verfahrensvorschrift handelt es sich auch bei § 61 Abs. 2 Satz 3 UStDV, aus dem sich Anforderungen für den fristgebundenen Vergütungsantrag ergeben.
3. Die hiergegen gerichteten Einwendungen des BZSt greifen nicht durch.
a) Soweit das BZSt geltend macht, dass die im Streitjahr geltende Regelung in § 61 Abs. 2 Satz 3 UStDV "im Lichte der Vorgängerregelung ausgelegt werden" müsste, nach der die Rechnung fristgebunden im Original vorzulegen war (vgl. BFH-Urteil vom 19. November 2014 V R 39/13, BFHE 248, 399, BStBl II 2015, 352), folgt der erkennende Senat dem nicht. Dass "Rechnungen nunmehr elektronisch und nicht mehr physisch einzureichen sind", führt nicht dazu, dass "mit dem Begriff Kopie nur eine Kopie des Originals der Rechnung gemeint sein kann". Denn es ist unerheblich, dass eine derartige Auslegung "der alten Regelung ... am Nächsten kommt", wenn ‑‑wie das FG zutreffend dargelegt hat‑‑ die mit der alten Regelung verfolgten Zwecke aufgrund der Besonderheiten der elektronischen Übermittlung obsolet geworden sind (s. oben II.2.b).
b) Über die Bedeutung und die Unionsrechtskonformität der ab 30. Dezember 2014 geltenden Neufassung des § 61 Abs. 2 Satz 3 UStDV, wonach eingescannte Originale einzureichen sind, ist im Streitfall nicht zu entscheiden. Denn eine rückwirkende Anwendung dieser Verfahrensregelung auf Zeiträume vor ihrem Inkrafttreten kommt nicht in Betracht. Die Neuregelung hat im Hinblick auf die eindeutigen Unterschiede im Wortlaut auch keine nur deklaratorische Bedeutung, die eine Berücksichtigung im Streitfall ermöglichen könnte.
c) Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem vom BZSt angestellten Vergleich mit dem Vorsteuerabzug nach § 15 UStG. § 15 regelt die Voraussetzungen, die alle Unternehmer für den Vorsteuerabzug gleichermaßen zu erfüllen haben. Die Vorschrift gilt gleichermaßen im Regelbesteuerungsverfahren ‑‑z.B. im Inland ansässiger Unternehmer‑‑ wie auch für das Vergütungsverfahren auf der Grundlage von § 18 Abs. 9 UStG.
Unzutreffend ist dabei die Annahme des BZSt, dass "die Vorlage des Originals eine – wenn nicht die zwingende - Voraussetzung für den Vorsteuerabzug ist". Denn Originale sind nach § 61 Abs. 2 Satz 3 UStDV gerade nicht vorzulegen. Im Übrigen folgt aus dem Erfordernis des Rechnungsbesitzes bei dem den Vorsteuerabzug begehrenden Unternehmer (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 23. Oktober 2014 V R 23/13, BFHE 247, 480, BStBl II 2015, 313, zum Nachweis der Inrechnungstellung) nicht auch eine Pflicht zur Vorlage der Originalrechnung beim Finanzamt oder beim BZSt. Für das Vergütungsverfahren ergibt sich dies zudem im Umkehrschluss aus § 61 Abs. 2 Satz 4 UStDV.
d) Soweit das BZSt auf die fehlende Möglichkeit hinweist, im Ausland ansässige Unternehmer im Rahmen von Sonder- oder Außenprüfungen zu kontrollieren, rechtfertigt dies es nicht, Verfahrensvorschriften ohne Sachgrund (s. oben II.2.b) einengend auszulegen.
e) Zudem folgt der erkennende Senat nicht der Auffassung des BZSt, durch die Neuregelung hätten im Streitjahr die Nachweispflichten nicht verringert werden sollen. Die mit der Neuregelung bezweckte Verfahrensvereinfachung durch elektronische Antragstellung ist vielmehr zwingend mit einer Nachweiserleichterung verbunden, da die nunmehr genügende elektronische Einreichung von Kopien einen geringeren Beweiswert als die körperliche Einreichung von Originalen hat. Somit ist mit dem Verzicht auf die Vorlage von Originalrechnungen eine Minderung der fristgebundenen Beweisanforderung zwingend verbunden.
4. Der Senat hat nicht zu entscheiden, ob das BZSt die Verfahrensrüge einer Überraschungsentscheidung ordnungsgemäß dargelegt hat. Soweit sich das BZSt durch das klagestattgebende Urteil überrascht sieht, da "in einem der Parallelverfahren" ein richterlicher Hinweis auf das klageabweisende FG-Urteil vom 16. September 2015 2 K 3594/11 erfolgt sei, kann sich hieraus eine Überraschungsentscheidung schon deshalb nicht ergeben, da dieses FG-Urteil noch zur alten bis 2009 geltenden Rechtslage ergangen ist.
5. Auf die von der Klägerin angeregte Vorlage zum EuGH kommt es nicht an, da der Senat an der zutreffenden Auslegung des Unionsrechts, soweit dieses für die Auslegung des nationalen Rechts von Bedeutung ist, keine Zweifel hat.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.