ECLI:DE:BFH:2017:U.210217.VIIIR7.14.0
BFH VIII. Senat
EStG § 7 Abs 1 S 1, EStG VZ 2005 , EStG VZ 2006
vorgehend FG Nürnberg, 11. Dezember 2013, Az: 6 K 1496/12
Leitsätze
1. Wird vom Erwerber einer Vertragsarztpraxis ein Zuschlag zum Verkehrswert (Überpreis) gezahlt, spricht dies wie eine Zahlung, die sich ausschließlich am Verkehrswert orientiert, dafür, dass Gegenstand der Übertragung die Praxis des Übergebers als Chancenpaket ist. Auch in diesem Fall ist in einem durch den Kaufpreis abgegoltenen Praxiswert der Vorteil aus der Zulassung als Vertragsarzt untrennbar enthalten (Anschluss an BFH-Urteil vom 9. August 2011 VIII R 13/08, BFHE 234, 286, BStBl II 2011, 875).
2. Der Erwerb einer Praxis als Chancenpaket im Sinne des BFH-Urteils in BFHE 234, 286, BStBl II 2011, 875 kann auch vorliegen, wenn eine Gemeinschaftspraxis (Personengesellschaft) eine Einzelpraxis erwirbt und die Vertragsarztzulassung des Einzelpraxisinhabers vom Zulassungsausschuss einem Gesellschafter der Personengesellschaft erteilt wird. Dies kann auch dann gelten, wenn die Gemeinschaftspraxis nicht beabsichtigt, die ärztliche Tätigkeit in den bisherigen Räumen des Einzelpraxisinhabers fortzusetzen.
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 12. Dezember 2013 6 K 1496/12 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Nürnberg zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des gesamten Verfahrens übertragen.
Tatbestand
I.
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind ehemalige Gesellschafter einer inzwischen nicht mehr bestehenden radiologischen Gemeinschaftspraxis in der Rechtsform einer GbR. Die GbR wurde durch Einbringung aller Anteile in eine GmbH im Jahr 2011 vollbeendet.
Neben der GbR und einer weiteren Gemeinschaftspraxis für Radiologie betrieb S in X eine radiologisch-nuklearmedizinische Praxis als Einzelunternehmer. Die GbR war im Streitjahr 2004 zunächst in räumlicher Nähe zum Praxisstandort von S in X (Entfernung ca. 150 m) tätig und bot dieselben Leistungen für Kassenpatienten wie S an.
S beabsichtigte, seine Kassenarztpraxis aufzugeben und nur noch in einem Teilbereich (der Knochendichtemessung) am bisherigen Standort weiter privatärztlich tätig zu sein. Da der Planungsbereich X für Radiologen aufgrund eines Versorgungsgrads von 163,9 % gesperrt war, hätte ein Verzicht des S zum Erlöschen und Wegfall der Vertragsarztzulassung (§ 95 Abs. 7 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch in der in den Jahren 2003 und 2004 geltenden Fassung ‑‑SGB V‑‑) geführt. Die Neuerteilung einer Zulassung an einen Vertragsarzt konnte im zulassungsbeschränkten Bereich nur auf Grundlage einer Neuausschreibung im Rahmen eines Nachbesetzungsverfahrens durch den Zulassungsausschuss der Kassenärztlichen Vereinigung (§ 95 Abs. 1 und 2, § 103 Abs. 4 SGB V) erfolgen.
Die GbR traf mit S in einem "Praxisübernahmevertrag" im Mai 2003 folgende Vereinbarungen:
Nach der "Präambel" sollte bei Beendigung der Tätigkeit des S dessen Vertragsarztsitz auf die GbR bzw. einen von der GbR bestimmten Dritten gegen Zahlung eines Übernahmepreises im Erfolgsfall übergehen. Seitens der GbR war beabsichtigt, dass der Klägerin zu 3. (M), die Gesellschafterin der GbR war, die Zulassung erteilt werden sollte.
In Ziffer 2 "Übergangsvereinbarung" und Ziffer 3 "Procedere der Übertragung" verpflichteten sich die GbR und S, alles Erforderliche und Dienliche zu unternehmen, damit der Vertragsarztsitz übergehen konnte.
Die GbR war verpflichtet, mit dem rechtswirksamen Übergang des Vertragsarztsitzes auf einen ihrer Gesellschafter an S den vereinbarten Übernahmepreis zu bezahlen. Könne der Vertragsarztsitz nicht übertragen werden, entfalle die Zahlungsverpflichtung und der Vertrag werde gegenstandslos. S war verpflichtet, durch Einholung anwaltlicher oder sonstiger Beratung das erforderliche Procedere für die Übertragung des Vertragsarztsitzes abzuklären. Hierdurch sollte sichergestellt werden, dass "der gewünschte Erfolg, also die Übertragung des Sitzes", unter Wahrung des Berufs-, Zulassungs- und Kassenarztrechtes auf dem sichersten Weg tatsächlich erreicht werde. S verpflichtete sich, jeden Antrag auf Ausschreibung seines Vertragsarztsitzes inhaltlich mit der GbR abzustimmen.
Falls eine Sitzübertragung ein Jobsharing erfordere oder notwendig sei, dass S mit dem von der GbR vorgesehenen Übernehmer für eine Übergangsphase (von ca. ein bis zwei Quartalen) in eine neue Gemeinschaftspraxis eintrete und nach Ablauf der Übergangsphase aus dieser Gemeinschaftspraxis wieder austrete, um den durch den Austritt "freien" Sitz auf den verbleibenden Partner zu überführen, verpflichteten sich die GbR und S, alles zur Umsetzung und Durchführung einer solchen Vorgehensweise zu unternehmen.
Die GbR verpflichtete sich ferner, die Kosten einer rechtlichen Beratung des S zu tragen.
Zum Gegenstand der Übertragung ist in Ziffer 4 ("Praxis S") der Vereinbarung geregelt, dass der Praxisstandort des S von der GbR nicht übernommen werde, da S in seinen bisherigen Praxisräumen im Bereich der Knochendichtemessung weiterhin privatärztlich tätig bleiben wolle. Die zum Beendigungszeitpunkt der Behandlung von Kassenpatienten vorhandenen Wirtschaftsgüter und Vermögensgegenstände konnten ‑‑so die Vereinbarung‑‑ mit Ausnahme des Knochendichtemessgeräts von der GbR für den vereinbarten Übernahmepreis übernommen werden. Die Vertragsparteien erklärten, sie gingen aber davon aus, dass die medizinischen Geräte zum Stichtag wirtschaftlich verbraucht seien. Für den Fall, dass eine tatsächliche Übernahme dieser Geräte nicht erfolge, habe die GbR die Entsorgungskosten zu tragen. Es sollte von der GbR auch das Patientenarchiv des S samt der Archivaufnahmen übernommen werden.
Laufende Praxisvertragsverhältnisse (insbesondere der Mietvertrag) verblieben allein bei S. Den Personalbestand der Praxis des S hatte die GbR zu übernehmen, allerdings mussten die Personalkosten bis zum Übergangszeitpunkt reduziert werden. Andernfalls vermindere sich das vereinbarte Übernahmeentgelt um den Betrag, um den die Personalkostenreduktion nicht realisiert worden sei.
Über diese Vereinbarung verabredeten die Vertragsparteien unter Ziffer 5, strengstes Stillschweigen zu wahren. Ferner trafen sie eine Schiedsgerichtsvereinbarung (Ziffer 6). Auch der Schiedsrichter und ein von diesem bestimmter Sachverständiger sollten verpflichtet sein, über den Inhalt eines Schiedsgerichtsverfahrens Stillschweigen zu bewahren.
S hatte im Hinblick auf die geplante Praxisaufgabe im Juli 2002 ein Gutachten zum Wert der Praxis mit Bewertungsstichtag 31. Dezember 2001 in Auftrag gegeben. Nach dem Praxiswertgutachten vom 7. August 2002 wurde die Praxis nach der Ertragswertmethode bewertet und zunächst ein Ertragswert (inkl. Sachwerten) in Höhe von ... DM ermittelt. Dieser Wert wurde in einem Nachtrag zum Praxiswertgutachten vom 26. September 2002 auf ... DM (... €) angehoben. Der geänderte Wert wurde aufgrund eines um die Kosten bereinigten Gewinns der Jahre 2002 und 2003 in Höhe von ... DM ermittelt. Die von S in der Vergangenheit durchschnittlich erzielten Einnahmen aus der Behandlung von Kassen- und Privatpatienten blieben in der zweiten Wertermittlung unverändert. Zwischen der GbR und S wurde ein Übernahmepreis in Höhe von ... € vereinbart.
M, die vom 1. Januar bis 31. März 2004 in der Praxis von S als "Schnupperassistentin" ohne Honorar tätig war, wurde vom Zulassungsausschuss im Nachbesetzungsverfahren zum 1. April 2004 als Neuinhaberin einer Zulassung ausgewählt.
Der Praxisstandort der GbR in der X Innenstadt wurde anschließend noch bis Herbst 2004 betrieben. Ab dem 1. April 2004 unterhielt die GbR in X daneben einen neu eröffneten Standort am ..., den M von Beginn an betreute.
Vier Mitarbeiter der Praxis des S wurden von der GbR übernommen. Zwei von ihnen wurde mitgeteilt, die bisherige vertragsärztliche Praxis des S werde ab dem 1. April 2004 auf die GbR sowie der Vertragsarztsitz von S auf M übertragen. S werde daneben weiter privatärztlich tätig bleiben. Rechtlich liege ‑‑so die Mitteilung‑‑ ein Praxisübergang nach § 613a des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) vor.
Die GbR übernahm entsprechend der Vereinbarung das Patientenarchiv samt der Archivaufnahmen. Die medizinischen Geräte und das Praxisinventar des S wurden von der GbR nicht zur weiteren Nutzung übernommen.
Die GbR ermittelte ihren Gewinn im Wege der Einnahmenüberschussrechnung nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG). In ihren Gewinnermittlungen für die Streitjahre (2004 bis 2006) behandelte sie den Übernahmepreis in vollem Umfang als Anschaffungskosten für den Erwerb des Praxiswerts der Praxis des S, legte eine dreijährige Nutzungsdauer zugrunde und machte die Beträge der Absetzungen für Abnutzung (AfA) als Betriebsausgaben auf Ebene des Gesamthandsvermögens gewinnmindernd geltend.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) erließ zunächst erklärungsgemäß am 6. Oktober 2006 den gesonderten und einheitlichen Feststellungsbescheid für das Streitjahr 2004, am 7. Februar 2007 für das Streitjahr 2005 und am 15. Mai 2008 für das Streitjahr 2006 (jeweils unter Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung).
Im Rahmen einer bei der GbR für die Streitjahre durchgeführten Außenprüfung gelangte der Prüfer zu der Auffassung, dass der an S gezahlte Kaufpreis ausschließlich für den Erwerb der Vertragsarztzulassung aufgewendet worden sei und somit in vollem Umfang auf ein nicht abnutz- und damit nicht abschreibbares Wirtschaftsgut entfalle. Der Prüfer erhöhte den Gewinn der GbR in den Streitjahren um die bisher in Anspruch genommenen Abschreibungsbeträge. Das FA erließ am 10. Dezember 2008 entsprechend geänderte gesonderte und einheitliche Feststellungsbescheide für alle Streitjahre und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf.
Das Einspruchs- und das anschließende Klageverfahren blieben erfolglos. Die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) vom 12. Dezember 2013 6 K 1496/12 ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2014, 1179 veröffentlicht.
Mit der Revision begehren die Kläger weiterhin den Abzug von Betriebsausgaben aus der Abschreibung eines erworbenen Praxiswerts. Sie rügen die Verletzung materiellen Bundesrechts durch das FG.
Die Überleitung des Patientenstamms und der anderen wertbildenden Faktoren einer Praxis samt Übergang der Vertragsarztzulassung stehe nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 9. August 2011 VIII R 13/08 (BFHE 234, 286, BStBl II 2011, 875) der Annahme des Erwerbs nur des wirtschaftlichen Vorteils aus einer Vertragsarztzulassung entgegen. Das FG habe die rechtlichen Maßstäbe verkannt, die der BFH in dem Urteil in BFHE 234, 286, BStBl II 2011, 875 für die Abgrenzung des Erwerbs einer Sachgesamtheit mit den wertbildenden Faktoren (Praxis) vom eigenständigen Erwerb nur des wirtschaftlichen Vorteils aus einer Vertragsarztzulassung aufgestellt habe. Sie verweisen auf das Urteil des FG Köln vom 26. Januar 2012 6 K 4538/07 (EFG 2012, 1128), dessen Sachverhalt dem Streitfall weitgehend entspreche.
Denke man den Gedanken des FG zu Ende, dass die Übernahme einer Einzelpraxis durch eine Gemeinschaftspraxis nur unter dem Gesichtspunkt der Reduzierung von Praxen am Markt zu würdigen und ein starkes Indiz nur für den Übergang einer Vertragsarztzulassung sei, würde dies bedeuten, dass eine größere Praxis in einem zulassungsbeschränkten Gebiet grundsätzlich keine Einzelpraxis übernehmen könne, deren Standort nicht fortgeführt werde. Eine Rechtfertigung für diese Sichtweise sei nicht erkennbar.
Die Kläger beantragen,
das angefochtene Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die gesonderten und einheitlichen Feststellungsbescheide für die Streitjahre vom 10. Dezember 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. September 2012 dergestalt zu ändern, dass weitere Betriebsausgaben für Abschreibungen aus einem erworbenen Praxiswert im Streitjahr 2004 in Höhe von ... €, im Streitjahr 2005 in Höhe von ... € und im Streitjahr 2006 in Höhe von ... € berücksichtigt werden.Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.Die von der Rechtsprechung aufgestellte Voraussetzung, dass sich der Kaufpreis ausschließlich nach dem Verkehrswert richten müsse, um vom Erwerb einer Praxis ausgehen zu können, sei im Streitfall nicht erfüllt. Der von der GbR gezahlte Betrag übersteige den Wert der Praxis nach beiden Gutachten. Das FG habe den Aufschlag von knapp 30 % auf den zuletzt ermittelten Wert zutreffend als Indiz für den Erwerb nur des wirtschaftlichen Vorteils aus der Vertragsarztzulassung gewürdigt. Eine Aufspaltung des gezahlten Kaufpreises in einen Preis für die Praxis und einen für den wirtschaftlichen Vorteil aus der Vertragsarztzulassung sei nicht vorzunehmen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet.
Die Vorentscheidung ist aufzuheben. Entgegen der Würdigung des FG hat die GbR die Anschaffungskosten in Höhe von ... € zum Erwerb der materiellen Wirtschaftsgüter der Praxis des S und eines Praxiswerts aufgewendet. Sie kann daher in den Streitjahren Betriebsausgaben in Form von AfA für diese in Anspruch nehmen.
Die Sache ist allerdings nicht spruchreif und zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Der Senat kann auf Grundlage der bisherigen Feststellungen des FG nicht beurteilen, ob die GbR AfA-Beträge in der geltend gemachten Höhe abziehen kann. Zudem wird das FG zu Unrecht unterbliebene notwendige Beiladungen nachzuholen haben.
1. Nach der Rechtsprechung des Senats ist für die Ermittlung der AfA nach § 7 Abs. 1 Satz 1 EStG zwischen dem Erwerb des Betriebs einer Vertragsarztpraxis als Sachgesamtheit (mit sämtlichen materiellen Wirtschaftsgütern und einem Praxiswert) und dem Erwerb nur des immateriellen Wirtschaftsguts des "mit einer Vertragsarztzulassung verbundenen wirtschaftlichen Vorteils" zu unterscheiden (BFH-Urteil in BFHE 234, 286, BStBl II 2011, 875).
a) Erwirbt der Käufer eine Vertragsarztpraxis (den "Betrieb") als einheitliches Chancenpaket, lassen sich die Anschaffungskosten ‑‑soweit sie nicht auf die erworbenen materiellen Wirtschaftsgüter zu verteilen sind‑‑ nicht in solche für den Erwerb des immateriellen Wirtschaftsguts "Praxiswert" und andere immaterielle Wirtschaftsgüter (wie den "Vorteil aus einer Vertragsarztzulassung" oder einen Patientenstamm) aufteilen. Das mit der Praxis erworbene Chancenpaket setzt sich aus den verschiedenen wertbildenden Einzelbestandteilen zusammen (Patientenstamm, Standort, Umsatz, Facharztgruppe etc.) und wird ‑‑neben den einzeln bewertbaren materiellen Wirtschaftsgütern der Praxiseinrichtung‑‑ in der Regel hauptsächlich durch den als immaterielles Wirtschaftsgut abschreibbaren Praxiswert repräsentiert. In dem erworbenen immateriellen Wirtschaftsgut "Praxiswert" sind somit insbesondere der "Vorteil aus der Vertragsarztzulassung" und der Patientenstamm "mitenthalten". Wie beim Geschäftswert des Betriebs eines Gewerbetreibenden handelt es sich auch beim Praxiswert um einen Inbegriff einer Anzahl von im Einzelnen nicht messbaren Faktoren. Eine gesonderte Bewertung des Vorteils aus der Zulassung neben oder statt des Praxiswerts kommt aus Gründen der Praktikabilität nicht in Betracht, weil ein sachlich begründbarer Aufteilungs- und Bewertungsmaßstab nicht ersichtlich ist (s. zum Ganzen BFH-Urteile in BFHE 234, 286, BStBl II 2011, 875, Rz 19 f.; vom 21. Februar 2017 VIII R 56/14, BFHE 257, 112).
b) Der Erwerb einer Praxis als Sachgesamtheit ist abzugrenzen von dem sog. "Sonderfall", in dem zwar vom Veräußerer und Erwerber im Nachbesetzungsverfahren gemäß § 103 Abs. 4 Satz 1 SGB V gegenüber dem Zulassungsausschuss kundgetan wird, es gehe um die Übernahme der ausgeschriebenen Praxis als solcher, sich der Sachverhalt aber wirtschaftlich betrachtet so darstellt, dass nur die mit der Vertragsarztzulassung verbundenen Marktchancen (Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung im Zulassungsbereich) übertragen werden sollen (s. BFH-Urteile in BFHE 234, 286, BStBl II 2011, 875; vom 21. Februar 2017 VIII R 56/14, BFHE 257, 112, und VIII R 24/16, nicht amtlich veröffentlicht). Es wird in diesem Fall nur der Vorteil aus dem Innehaben der Vertragsarztzulassung (nicht die Praxis) zum Gegenstand des Veräußerungs- und Erwerbsvorgangs gemacht und hierdurch zu einem selbständigen Wirtschaftsgut konkretisiert (BFH-Urteil in BFHE 234, 286, BStBl II 2011, 875, Rz 25). Die vom Erwerber an den früheren Zulassungsinhaber gezahlten Beträge sind als Anschaffungskosten ausschließlich für den Erwerb des Vorteils aus der Vertragsarztzulassung, der ‑‑entgegen der Auffassung der Kläger‑‑ nicht abnutz- und damit auch nicht abschreibbar ist (s. zur Vermeidung von Wiederholungen BFH-Urteil vom 21. Februar 2017 VIII R 56/14, BFHE 257, 112), anzusehen. Die Feststellungslast bezüglich der Umstände, dass entgegen dem äußeren Anschein nicht eine Praxis als Chancenpaket, sondern nur der Vorteil aus der Zulassung veräußert und erworben werden soll, liegt beim Finanzamt (zutreffend FG Köln, Urteil in EFG 2012, 1128, Rz 20).
2. Ob Gegenstand der Übertragung auf den Erwerber die Vertragsarztpraxis als Chancenpaket oder nur der wirtschaftliche Vorteil aus der Vertragsarztzulassung ist, ist ausgehend von den vertraglichen Vereinbarungen der Beteiligten und deren tatsächlicher Umsetzung im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu bestimmen.
a) Bei dieser Gesamtwürdigung kommt insbesondere der Kaufpreisbemessung maßgebliche Bedeutung zu.
Zahlt der Erwerber einen Preis in Höhe des Verkehrswerts der Vertragsarztpraxis, indiziert dies, dass die Praxis als Chancenpaket Gegenstand der Übertragung ist, da sich der Kaufpreis in diesem Fall maßgeblich nach der Patientenstruktur und der damit verbundenen Ertragskraft der Praxis richtet (s. BFH-Urteile in BFHE 234, 286, BStBl II 2011, 875; vom 21. Februar 2017 VIII R 56/14, BFHE 257, 112).
Wird vom Erwerber sogar ein Zuschlag zum Verkehrswert (Überpreis) gezahlt, kann ‑‑entgegen der Ansicht des FG‑‑ nichts anderes gelten. Die Zahlung eines solchen Zuschlags zum Verkehrswert indiziert erst recht, dass Gegenstand der Übertragung die Praxis als Chancenpaket ist. Denn der Erwerber vergütet neben der Ertragskraft des Patientenstamms dann noch weitere wertbildende Faktoren der Praxis, die durch das Wirtschaftsgut Praxiswert verkörpert werden. Auch bei Zahlung eines Zuschlags zum Verkehrswert ist die Vertragsarztzulassung untrennbarer Bestandteil des veräußerten und erworbenen Wirtschaftsguts "Praxiswert" (s. unter II.1.a).
b) Wird der erfolgreiche Übergang der Vertragsarztzulassung auf den Praxiserwerber im Nachbesetzungsverfahren gemäß § 103 Abs. 4 SGB V von den Parteien zur Bedingung oder Geschäftsgrundlage für das Zustandekommen des Praxisübernahmevertrags gemacht, hat diese vertragliche Gestaltung keine Indizwirkung dafür, dass es dem Erwerber um den Erwerb nur des wirtschaftlichen Vorteils aus der Zulassung geht. Eine vertragliche Verzahnung zwischen der Bindungswirkung des zivilrechtlichen Kaufvertrags und dem Ausgang des Nachbesetzungsverfahrens ist Ausfluss der Regelung des § 103 Abs. 4 SGB V und des Umstands, dass das öffentlich-rechtliche Nachbesetzungsverfahren und die zivilrechtliche Praxisübernahme voneinander unabhängige Rechtsakte sind (s. Urteil des Bundessozialgerichts ‑‑BSG‑‑ vom 29. September 1999 B 6 KA 1/99 R, BSGE 85, 1).
c) Der Erwerb einer Praxis als Chancenpaket im Sinne des BFH-Urteils in BFHE 234, 286, BStBl II 2011, 875 kann entgegen der Auffassung des FG auch vorliegen, wenn eine Gemeinschaftspraxis (Personengesellschaft) eine Einzelpraxis samt der wertbildenden Faktoren erwirbt und die Vertragsarztzulassung des Übergebers vom Zulassungsausschuss einem Gesellschafter der Personengesellschaft neu erteilt wird (ebenso FG Köln, Urteil in EFG 2012, 1128). Dass als Folge dieser Entscheidung des Zulassungsausschusses eine "Praxis vom Markt genommen" und der Kreis der Anbieter für die betroffenen ärztlichen Leistungen eingeengt wird, ist für sich betrachtet kein Indiz dafür, dass es den Parteien des Praxisübergabevertrags ausschließlich um die Überleitung der wirtschaftlichen Vorteile aus einer Zulassung im Zulassungsbereich geht.
d) Dies gilt auch dann, wenn die Gemeinschaftspraxis ‑‑wie hier‑‑ nicht beabsichtigt, die ärztliche Tätigkeit in den bisherigen Räumen des Einzelpraxisinhabers fortzusetzen. Auch die Rechtsprechung des BSG verlangt für eine Praxisfortführung i.S. des § 103 Abs. 4 Satz 3 SGB V nicht, dass der Nachfolger eines ausscheidenden Vertragsarztes auf Dauer die bisherigen Patienten in denselben Praxisräumen mit Unterstützung desselben Praxispersonals und unter Nutzung derselben medizinisch-technischen Infrastruktur behandelt oder zumindest behandeln will (BSG-Urteil in BSGE 85, 1).
3. Nach diesem Maßstab ist die tatsächliche und rechtliche Würdigung des FG, die GbR habe den Kaufpreis ausschließlich für den Übergang des wirtschaftlichen Vorteils aus der Vertragsarztzulassung gezahlt, rechtsfehlerhaft. Nach den Gesamtumständen des Streitfalls hat die GbR die Praxis des S als Chancenpaket erworben. Die Vorentscheidung wird daher aufgehoben.
a) Für den beabsichtigten Erwerb der Vertragsarztpraxis des S mit den wertbildenden Faktoren spricht im Streitfall bereits maßgeblich die Zahlung eines Kaufpreises in Höhe eines Zuschlags zum Verkehrswert, von dem das FG im Streitfall ausgegangen ist (s. unter II.2.a). Auch in diesem Fall orientiert sich der Kaufpreis an der Ertragskraft und Patientenstruktur der Praxis des Veräußerers. Die vom FA in der mündlichen Verhandlung betonte Auffassung, bei einem auf Überweisungen beruhenden Patientenzulauf in einer Facharztpraxis könne kein Patientenstamm veräußert und erworben werden, weshalb quasi zwingend nur die Zulassung Übertragungsgegenstand sei, teilt der Senat nicht. Entscheidend ist, ob die Parteien des Übertragungsvertrags die Praxis als solche übertragen wollen und deshalb einen Kaufpreis in Höhe des Verkehrswerts oder darüber vereinbaren. Ob sich der Verkehrswert nach der Ertragskraft eines dauerhaften Patientenstamms oder überzuleitender sog. Zuweiserbindungen bemisst, spielt für die Beurteilung des Vertragsgegenstands keine Rolle.
b) Die aufgrund der Zahlung eines Kaufpreises oberhalb des Verkehrswerts bestehende Vermutung, dass Gegenstand des Erwerbs die Praxis des S als solche war, wird auch durch die weiteren festgestellten Umstände des Streitfalls bestätigt.
aa) Verfügt eine Praxis nicht oder nur teilweise über einen festen Patientenstamm an Kassenpatienten ‑‑wie vom FG im Streitfall in Rz 74, 77 der Vorentscheidung in EFG 2014, 1179 bindend festgestellt (§ 118 Abs. 2 FGO)‑‑, weil der Ertrag maßgeblich auf dem Spektrum der angebotenen Untersuchungen und der Zuweisung (Überweisung) von Patienten durch andere Ärzte beruht, ist ebenfalls ein maßgebliches Indiz für den beabsichtigten Erwerb des Chancenpakets der Praxis des Übergebers, ob und inwieweit die Vertragsparteien Bemühungen entfalten, um den Patientenstamm der Kassen- und Privatpatienten und die Zuweiserbindungen auf den Erwerber überzuleiten. Solche Bemühungen haben S und die GbR im Streitfall aber entgegen der Schlussfolgerung des FG entfaltet.
aaa) Das FG hat festgestellt, die Tätigkeit des S und der GbR habe innerhalb eines eng begrenzten örtlichen Wirkungskreises stattgefunden und das Einzugsgebiet radiologischer Praxen sei im Vergleich zu anderen ärztlichen Fachrichtungen ohnehin groß (Rz 63 der Vorentscheidung in EFG 2014, 1179). Zudem hat es festgestellt, nach Beendigung der Tätigkeit des S und des Übergangs der Vertragsarztzulassung auf M habe es nur noch einen Mitbewerber der GbR im radiologischen Bereich am selben Ort gegeben, sodass mit einem Zulauf von Patienten bei der GbR zu rechnen war (Rz 77 der Vorentscheidung in EFG 2014, 1179).
bbb) Somit ist im Streitfall ein Indiz für die beabsichtigte Überleitung der Zuweiserbindungen von S auf die GbR auch darin zu sehen, dass M vor der Übergabe in der Praxis des S tätig war (s.a. FG Köln, Urteil in EFG 2012, 1128, Rz 23). M war in der Praxis des S zwar nur kurzzeitig tätig, was angesichts der festgestellten Konkurrenzsituation radiologischer Praxen mit lediglich einem Mitbewerber der GbR am Standort X aber durchaus ausreichend gewesen sein kann. Der vom FG betonte Umstand, dass diese Tätigkeit unentgeltlich erfolgte, schließt es nicht aus, dass durch diese Mitarbeit Patienten- und Zuweiserbindungen von S auf die GbR übergeleitet werden sollten.
bb) Die Übernahme des Patientenarchivs durch die GbR spricht ebenfalls maßgeblich für die beabsichtigte und erwartete Überleitung des Patientenstamms und der Zuweiserbindungen auf die GbR. Die entgegenstehende Würdigung des FG, die Übernahme des Patientenarchivs durch die GbR habe nur dem Zweck gedient, S von seiner öffentlich-rechtlichen Aufbewahrungspflicht zu entlasten, hält der Senat angesichts der festgestellten Gesamtumstände des Streitfalls für denkfehlerhaft. War seitens der Vertragsparteien davon auszugehen, dass nur noch zwei Anbieter radiologischer Praxen am Markt blieben und deshalb auch frühere Patienten des S die Praxis der GbR aufsuchen würden, liegt es auf der Hand, dass die GbR das Archiv des S übernehmen wollte, um es später für die Behandlung und Verlaufskontrolle dieser Patienten nutzen zu können.
cc) Für den beabsichtigten Erwerb der Praxis des S durch die GbR spricht weiter, dass die Übernahme von Mitarbeitern des S gemäß § 613a BGB verpflichtend war, mithin arbeitsrechtlich von einem Übergang des Betriebs auf die GbR auszugehen war.
dd) Hinzu tritt, dass die GbR im Streitfall entgegen der Auslegung des Übernahmevertrags durch das FG auch die veralteten Geräte und das Inventar des S und damit weitere Gegenstände der Praxiseinrichtung erworben hat. Die GbR und S gingen zwar davon aus, dass die medizinischen Geräte des S zum Stichtag wirtschaftlich verbraucht seien und eine Übernahme durch die GbR (zur Nutzung) nicht erfolgen werde. Die GbR hatte S aber von den Entsorgungskosten des veralteten Praxisinventars freizustellen (Rz 9, 75 der Vorentscheidung in EFG 2014, 1179). Ihr stand es danach frei, dieses zu nutzen oder zu entsorgen.
c) Der Erwerb der Praxis des S durch die GbR wird schließlich nicht dadurch in Frage gestellt, dass diese die Tätigkeit nicht in den bisherigen Praxisräumen des S fortführen wollte. Denn es ist angesichts der vom FG festgestellten Umstände des Streitfalls offensichtlich, dass die berechtigte Erwartungshaltung der GbR und des S darin bestand, dass trotz der Verlagerung der Behandlungsräume innerhalb X die Zuweiserbindungen erhalten bleiben und die früheren Patienten des S die Praxis der GbR aufsuchen würden.
d) Nach alledem steht fest, dass die GbR die Praxis des S als Chancenpaket erworben hat und die Anschaffungskosten in Höhe von ... € auf die erworbenen materiellen Wirtschaftsgüter der Praxis und einen Praxiswert aufzuteilen sind.
4. Die Sache ist nicht spruchreif.
a) Ob die in den Gewinnermittlungen der Streitjahre als Betriebsausgaben geltend gemachten Abschreibungsbeträge im Ergebnis zutreffend sind, kann der Senat auf Grundlage der Feststellungen des FG, das hierzu von seinem Standpunkt aus zutreffend keine Feststellungen treffen musste, nicht überprüfen. Dies hängt davon ab, inwieweit die Anschaffungskosten in Höhe von ... € auf die von S erworbenen materiellen Wirtschaftsgüter und einen Praxiswert aufzuteilen sind (s. zur Ermittlung der Anschaffungskosten für einen Praxiswert BFH-Beschluss vom 29. April 2011 VIII B 42/10, BFH/NV 2011, 1345, Rz 4; BFH-Urteil vom 13. März 1991 I R 83/89, BFHE 164, 61, BStBl II 1991, 595, unter II.1.a). Das FG wird im zweiten Rechtsgang die geltend gemachte AfA-Bemessungsgrundlage zu prüfen haben. Die von der GbR der AfA-Ermittlung zugrunde gelegte dreijährige Nutzungsdauer für den Praxiswert war zwischen den Beteiligten bislang nicht streitig und ist nicht zu beanstanden. Sie liegt am unteren Ende innerhalb der von der Rechtsprechung anerkannten drei- bis fünfjährigen Nutzungsdauer für entgeltlich erworbene Einzelpraxiswerte (BFH-Urteil vom 24. Februar 1994 IV R 33/93, BFHE 174, 230, BStBl II 1994, 590, unter 4.).
b) Schließlich hat das FG nach Aktenlage diejenigen Gesellschafter der GbR nicht notwendig beigeladen, die in den Streitjahren neben den Klägern noch Mitunternehmer der GbR waren und später aus der GbR ausgeschieden sind (§ 60 Abs. 3, § 48 Abs. 1 Nr. 3 FGO). Da die Vorentscheidung aufzuheben und der Rechtsstreit zur weiteren Sachverhaltsermittlung an das FG zurückzuverweisen ist, sieht der Senat von einer Nachholung der Beiladungen im Revisionsverfahren ab (§ 123 Abs. 1 Satz 2 FGO). Das FG wird im zweiten Rechtsgang die Vollständigkeit der Beiladungen zu prüfen und diese nachzuholen haben.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.