ECLI:DE:BFH:2017:U.170117.VIIIR7.13.0
BFH VIII. Senat
EStG § 15b, EStG § 20 Abs 2b, AO § 42, GG Art 3 Abs 1, GG Art 20 Abs 3, EStG VZ 2006
vorgehend Hessisches Finanzgericht , 16. Oktober 2012, Az: 1 K 2343/08
Leitsätze
1. Für die Annahme eines Steuerstundungsmodells i.S. des § 15b Abs. 1 EStG ist Voraussetzung, dass auf ein vorgefertigtes Konzept i.S. des § 15b Abs. 2 Satz 2 EStG zurückgegriffen wird. Das bloße Aufgreifen einer bekannten Gestaltungsidee führt nicht ohne Weiteres zur Annahme eines Steuerstundungsmodells .
2. Das vorgefertigte Konzept muss von einer vom Steuerpflichtigen verschiedenen Person (Anbieter/Initiator) erstellt worden sein. Charakteristisch ist insoweit die Passivität des Investors/Anlegers .
3. Setzt der Investor/Anleger eine von ihm selbst oder dem in seinem Auftrag tätigen Berater entwickelte oder modifizierte und individuell angepasste Investition um, liegt kein vorgefertigtes Konzept vor .
4. Beruhen Investitionen nicht auf einem vorgefertigten Konzept, sondern auf einer individuellen Gestaltung, so sind sie weder von § 15b EStG erfasst, noch als vom Gesetz missbilligte Gestaltung i.S. des § 42 Abs. 1 AO zur Vermeidung der Verlustverrechnungsbeschränkung des § 15b EStG anzusehen .
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 17. Oktober 2012 1 K 2343/08 und die im Feststellungsbescheid vom 9. Juli 2008 enthaltene Feststellung des verrechenbaren Verlustes nach § 15b Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes aufgehoben.
Die Kosten des gesamten Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob ein sog. Steuerstundungsmodell i.S. des § 15b des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr (2006) anzuwendenden Fassung (EStG) vorliegt.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Kommanditgesellschaft, deren Komplementärin eine weder am Gewinn noch am Verlust beteiligte Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist. Alleinige und geschäftsführende Kommanditistin der Klägerin war im Streitjahr die Beigeladene.
Die Beigeladene beauftragte am 18. November 2006 einen von ihrem Anlageberater empfohlenen Rechtsanwalt und Steuerberater bzw. dessen Sozietät (nachfolgend: R) mit der Erstellung "einer Struktur" für den Erwerb einer Schuldverschreibung über die Beteiligung an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft (sog. "Asset Linked Note") und bat um die Unterbreitung entsprechender Angebote. Daraufhin nahm R Kontakt zu vier Banken auf. In einem Schreiben vom 11. Dezember 2006 erteilte die Beigeladene dem R den Auftrag, die Investition in eine Schuldverschreibung über eine vermögensverwaltende Personengesellschaft umzusetzen. Der Auftrag umfasste die Erstellung von Berechnungen zur Vorteilhaftigkeit derartiger Investitionen und die konkrete Anfrage für eine Emission einer solchen Schuldverschreibung bei dem Kreditinstitut B. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) war auch die Ausarbeitung der für die Investition notwendigen Verträge umfasst.
R setzte sich am 12. Dezember 2006 nach Erstellung einer individuellen Berechnung der Investition auf der Grundlage eines Investitionsvolumens von X € mit dem Kreditinstitut B zwecks Realisierung der Emission einer Schuldverschreibung zu den errechneten Konditionen in Verbindung. R verhandelte mit B bzw. der zur Unternehmensgruppe der B gehörenden L über die Konditionen der Schuldverschreibung und des der Finanzierung dienenden Darlehens und stimmte deren Ausgestaltung unter Berücksichtigung der individuellen wirtschaftlichen und steuerlichen Verhältnisse der Beigeladenen ab.
Am gleichen Tag erfolgte die Gründung der Klägerin, deren Zweck der Erwerb und die Verwaltung der in § 3 des Gesellschaftsvertrages näher beschriebenen Anleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren sein sollte. Der Kapitalanteil der Beigeladenen belief sich auf X €. Die Dauer der Gesellschaft war bis zur Endfälligkeit der Anleihen befristet. Die für die Gründung erforderlichen Verträge fertigte R.
Am 19. Dezember 2006 zeichneten die Beigeladene und die Geschäftsführerin der Komplementärin der Klägerin für die Klägerin Schuldverschreibungen der L im Nennbetrag von Y € und erklärten die Einzahlung des Nennbetrages zum 20. Dezember 2006. Gemäß den Anleihebedingungen sollten die Schuldverschreibungen am 20. Dezember 2016 zum Nennbetrag zurückgezahlt werden. Die Schuldverschreibungen waren jährlich mit einem festen Zinssatz bezogen auf den gesamten Nennbetrag verzinst. Die Zinsen waren jährlich nachschüssig jeweils am 20. Dezember eines Jahres zahlbar, erstmals am 20. Dezember 2007, letztmals zum Endfälligkeitstermin. Zusätzlich sollte am Endfälligkeitstermin die Zahlung eines festen, in zwei Teilbeträge gesplitteten Bonus erfolgen, so dass sich zum Endfälligkeitstermin eine garantierte Zins- und Bonuszahlung in Höhe von insgesamt Z € ergab. Darüber hinaus war am Fälligkeitstermin die Zahlung eines an einen Index gekoppelten variablen Bonuszinses vorgesehen.
Mit Darlehensvertrag vom 20. Dezember 2006 gewährte B der Klägerin ein Darlehen zur Finanzierung des Erwerbs der gezeichneten Schuldverschreibungen in Höhe von Y € zuzüglich eines Disagios in Höhe von ... €. Die Laufzeit des Darlehens betrug zehn Jahre, beginnend mit dessen Auszahlung am 20. Dezember 2006, endend am 20. Dezember 2016. Das Disagio war am Tag der Darlehensauszahlung zu entrichten und wurde bei der Auszahlung vom Bruttodarlehensbetrag einbehalten. Die Darlehnszinsen waren vorschüssig jeweils zum 20. Dezember eines Jahres zu zahlen. Die Forderungen des B aus dem Darlehensvertrag wurden durch die Verpfändung der von der Klägerin erworbenen Schuldverschreibungen besichert. Die aufgrund der Darlehensvereinbarung am 20. Dezember 2006 zu entrichtenden Zahlungen beliefen sich insgesamt auf Z €.
In ihrer Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für 2006 vom 24. Juli 2007 erklärte die Klägerin dementsprechend negative Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von Z €.
Das ursprünglich zuständige Finanzamt stellte mit Bescheid vom 9. Juli 2008 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes nach § 15b Abs. 4 EStG für 2006 Einnahmen der Klägerin in Höhe von 0 € sowie Werbungskosten zu ausländischen Zinsen und anderen Erträgen ohne Dividenden in Höhe von Z € fest, wovon Z € unter § 20 Abs. 2b i.V.m. § 15b EStG fielen. Der Beigeladenen wurde der Gesamtbetrag als Werbungskosten zugerechnet. Darüber hinaus stellte das Finanzamt einen nicht ausgleichs-/abzugsfähigen Verlust des Wirtschaftsjahres in Höhe von Z € sowie einen steuerpflichtigen verrechenbaren Verlust am Ende des Wirtschaftsjahres in gleicher Höhe fest.
Die hiergegen von der Klägerin erhobene Sprungklage blieb ohne Erfolg. Das FG vertrat in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2013, 510 veröffentlichten Urteil vom 17. Oktober 2012 1 K 2343/08 die Auffassung, bei der Gründung der Klägerin zum Zwecke des Erwerbs einer zu 100 % fremdfinanzierten Inhaberschuldverschreibung mit Bonuszinsabrede bei Kopplung des variablen Bonuszinses an die Entwicklung eines Indexwertes durch deren einzige Kommanditistin und dem Erwerb der Inhaberschuldverschreibung mit Bonuszinsabrede durch die Klägerin handele es sich um ein Steuerstundungsmodell i.S. des § 15b Abs. 1 EStG.
Die hiergegen gerichtete Revision begründet die Klägerin mit der Verletzung von Bundesrecht. Entgegen der Auffassung des FG sei § 15b EStG nicht anwendbar, da es an einem vorgefertigten Konzept fehle.
Die Klägerin und die Beigeladene beantragen,
das angefochtene Urteil der Vorinstanz und die im Feststellungsbescheid 2006 vom 9. Juli 2008 enthaltene Feststellung eines verrechenbaren Verlustes nach § 15b Abs. 4 EStG aufzuheben.Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) beantragt,
die Revision zurückzuweisen.Es ist der Auffassung, das FG habe die Voraussetzungen des § 15b EStG zu Recht bejaht.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und der Klage stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
Das FG ist rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ein Steuerstundungsmodell i.S. des § 15b EStG vorliegt. Die im Bescheid vom 9. Juli 2008 enthaltene Feststellung eines verrechenbaren Verlustes nach § 15b Abs. 4 EStG für 2006 ist daher rechtswidrig. Die Sache ist spruchreif. Die Feststellung des verrechenbaren Verlustes war antragsgemäß aufzuheben.
1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist allein die Feststellung des verrechenbaren Verlustes gemäß § 15b Abs. 4 EStG.
a) In dem angefochtenen Bescheid vom 9. Juli 2008 hat das ursprünglich zuständige Finanzamt von der in § 15b Abs. 4 Satz 5 EStG vorgesehenen Möglichkeit, die gesonderte Feststellung nach § 15b Abs. 4 Satz 1 EStG mit der gesonderten und einheitlichen Feststellung der entsprechenden Einkünfte aus dem ‑‑nach Ansicht des FA vorliegenden‑‑ Steuerstundungsmodell zu verbinden, Gebrauch gemacht. Jedoch hat die Klägerin mit ihrer (Sprung-)Klage allein die in dem Bescheid vom 9. Juli 2008 (auch) enthaltene Feststellung des verrechenbaren Verlustes nach § 15b Abs. 4 EStG angefochten.
aa) Bei der entsprechenden Auslegung der Klageschrift ist der Senat weder an die Feststellungen des FG gebunden (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 6. Juli 1999 VIII R 17/97, BFHE 189, 302, BStBl II 2000, 306, m.w.N.) noch an die Fassung des Klageantrags (vgl. § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO).
bb) Zwar bezieht sich der von der Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren gestellte Klageantrag und auch die Betreffzeile der Klageschrift ‑‑ohne nähere Differenzierung‑‑ auf den Bescheid für 2006 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes nach § 15b Abs. 4 EStG vom 9. Juli 2008. Gleichwohl folgt hieraus nicht, dass die Klägerin auch die in dem Bescheid erfolgte gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2006 anfechten wollte. Denn sie hat weder die Höhe der im Streitjahr festgestellten Einkünfte aus Kapitalvermögen noch die Verteilung des Ergebnisses auf die Beigeladene angegriffen. Ihre Ausführungen in der Klagebegründung und auch der ergänzende Zusatz im Klageantrag, der auf die "ersatzlose Streichung der Feststellung 'davon fallen unter § 20 (2b) i.V.m. § 15b EStG' sowie die ersatzlose Streichung der Erläuterungen in der Anlage" zielt, machen deutlich, dass es der Klägerin allein um die Klärung der Frage der Verrechenbarkeit des Verlustes ging. Dementsprechend war lediglich die Feststellung des verrechenbaren Verlustes gemäß § 15b Abs. 4 EStG Gegenstand der Sprungklage.
b) Die Klägerin war in Bezug auf die streitige Feststellung des verrechenbaren Verlustes gemäß § 15b Abs. 4 EStG i.V.m. § 48 Abs. 1 Nr. 1 FGO klagebefugt, denn die Feststellung des verrechenbaren Verlustes war im Streitfall mit der gesonderten und einheitlichen Feststellung des Gewinnes der Gesellschaft verbunden (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 1. Juni 1989 IV R 19/88, BFHE 157, 181, BStBl II 1989, 1018, und vom 30. März 1993 VIII R 63/91, BFHE 171, 213, BStBl II 1993, 706, zu § 15a EStG). Dass die Klägerin sich mit der Klage allein gegen die Feststellung des verrechenbaren Verlustes wendet, lässt ihre Klagebefugnis nicht entfallen.
2. Die Auffassung des FG, bei der Gründung der Klägerin zum Zwecke des Erwerbes einer zu 100 % fremdfinanzierten Inhaberschuldverschreibung mit indexbezogener Bonuszinsabrede handele es sich um ein Steuerstundungsmodell i.S. des § 15b Abs. 1 EStG, hält der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.
Das FG ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass § 15b EStG dem Grunde nach auch im Streitfall anwendbar ist (hierzu s. unter a), jedoch ist es rechtsfehlerhaft zu der Annahme gelangt, dass ein Steuerstundungsmodell vorliegt (hierzu s. unter b).
a) Nach § 15b Abs. 1 Satz 1 EStG dürfen Verluste im Zusammenhang mit einem Steuerstundungsmodell weder mit Einkünften aus Gewerbebetrieb noch mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen werden; sie dürfen auch nicht nach § 10d EStG abgezogen werden. Die Verluste mindern jedoch nach § 15b Abs. 1 Satz 2 EStG die Einkünfte, die der Steuerpflichtige in den folgenden Wirtschaftsjahren aus derselben Einkunftsquelle erzielt. Der nach § 15b Abs. 1 EStG nicht ausgleichsfähige Verlust ist jährlich gesondert festzustellen (§ 15b Abs. 4 Satz 1 EStG).
aa) Der Senat hält § 15b EStG für verfassungsgemäß. Er schließt sich insbesondere der Auffassung des IV. Senats des BFH an, dass § 15b EStG bezogen auf das Tatbestandsmerkmal einer "modellhaften Gestaltung" hinreichend bestimmt ist (BFH-Urteil vom 6. Februar 2014 IV R 59/10, BFHE 244, 385, BStBl II 2014, 465). Dieser Begriff wird in § 15b Abs. 2 EStG legal definiert und ist einer Auslegung zugänglich (ebenso Urteile des FG Baden-Württemberg vom 7. Juli 2011 3 K 4368/09, EFG 2011, 1897; des FG Münster vom 10. Januar 2013 5 K 4513/09 E, EFG 2013, 1014; Blümich/Heuermann, § 15b EStG Rz 1; Hallerbach in Herrmann/Heuer/Raupach ‑‑HHR‑‑, § 15b EStG Rz 7; Reiß in Kirchhof, EStG, 15. Aufl., § 15b Rz 17; Kaeser, in: Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, EStG, § 15b Rz A 58 ff.; offengelassen im BFH-Beschluss vom 8. April 2009 I B 223/08, BFH/NV 2009, 1437).
bb) Die in § 15b EStG vorgesehene eingeschränkte Verlustverrechnung gilt gemäß § 20 Abs. 2b Satz 1 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2007 vom 13. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2878) erstmals ab dem Veranlagungszeitraum 2006 (§ 52 Abs. 37d EStG). Daher unterliegen auch negative Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 1 und 2 EStG, wie sie die Klägerin aus der Inhaberschuldverschreibung mit Bonuszinsabrede ‑‑wie bestandskräftig festgestellt ist‑‑ erzielt hat, der eingeschränkten Verlustverrechnung.
cc) § 15b EStG setzt voraus, dass aus der Kapitalanlage überhaupt steuerpflichtige Einkünfte erzielt werden. Dies wiederum bedingt bei Überschusseinkünften (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 bis 7 EStG), dass die Absicht besteht, auf Dauer gesehen nachhaltig Überschüsse zu erzielen (BFH-Urteil vom 27. Juni 1989 VIII R 30/88, BFHE 157, 541, BStBl II 1989, 934). Diese Absicht ergibt sich vorliegend aus dem ‑‑mit der Klage nicht angefochtenen‑‑ Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen, bei dem es sich um einen positiven Feststellungsbescheid handelt.
b) Entgegen der Auffassung des FG liegt jedoch kein Steuerstundungsmodell i.S. des § 15b EStG vor.
aa) Ein Steuerstundungsmodell i.S. des § 15b Abs. 1 EStG ist anzunehmen, wenn auf Grund einer modellhaften Gestaltung steuerliche Vorteile in Form negativer Einkünfte erzielt werden sollen (§ 15b Abs. 2 Satz 1 EStG). Dies ist der Fall, wenn dem Steuerpflichtigen auf Grund eines vorgefertigten Konzepts die Möglichkeit geboten werden soll, zumindest in der Anfangsphase der Investition Verluste mit übrigen Einkünften zu verrechnen (§ 15b Abs. 2 Satz 2 EStG). Dabei ist es ohne Belang, auf welchen Vorschriften die negativen Einkünfte beruhen (§ 15b Abs. 2 Satz 3 EStG). Ob in der Sache ein Steuerstundungsmodell gegeben ist, ist im Wege einer wertenden Gesamtbetrachtung der entsprechenden Einzelfallumstände zu ermitteln (BFH-Urteil in BFHE 244, 385, BStBl II 2014, 465; HHR/Hallerbach, § 15b EStG Rz 32).
bb) Es genügt für die Annahme eines Steuerstundungsmodells i.S. des § 15b Abs. 1 EStG nicht, dass eine rechtliche Gestaltung vorliegt, die auf steuerliche Vorteile durch Verlustabzug/-verrechnung ausgelegt ist und ohne die Möglichkeit der (sofortigen) Verlustverrechnung nicht gewählt worden wäre (anderer Ansicht für den "Sonderfall" Einzelinvestor: Schmidt/ Seeger, EStG, 35. Aufl., § 15b Rz 4). Voraussetzung für die Annahme eines Steuerstundungsmodells ist vielmehr stets, dass auf ein vorgefertigtes Konzept i.S. des § 15b Abs. 2 Satz 2 EStG zurückgegriffen wird. Daher führt auch das bloße Aufgreifen einer (in Fachkreisen) bekannten Gestaltungsidee mit dem Ziel einer sofortigen Verlustverrechnung nicht ohne Weiteres zur Annahme eines Steuerstundungsmodells.
cc) Ein Konzept bezeichnet einen Plan für ein bestimmtes Vorhaben als Ergebnis eines Prozesses des Erkennens und Entwickelns von Zielen und daraus abgeleiteten Strategien und Maßnahmen zur Umsetzung eines größeren strategisch zu planenden Vorhabens (BFH-Urteil in BFHE 244, 385, BStBl II 2014, 465). Entsprechend kann als Konzept nicht jegliche Investitionsplanung, sondern nur die Erstellung einer umfassenden und regelmäßig an mehrere Interessenten gerichteten Investitionskonzeption angesehen werden (BFH-Urteil in BFHE 244, 385, BStBl II 2014, 465).
Da das Konzept nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes vorgefertigt sein muss, muss es bereits vor der eigentlichen Investitionsentscheidung festgelegt worden sein. Ist Teil des Konzeptes die Gründung einer Gesellschaft, gilt dies sowohl bezogen auf den Geschäftsgegenstand der Gesellschaft als auch auf ihre Konstruktion vor der eigentlichen Investitionsentscheidung (vgl. BFH-Urteil in BFHE 244, 385, BStBl II 2014, 465). Ein Konzept ist danach vorgefertigt, wenn der Anwender es vorfindet und zumindest die wesentlichen Grundlagen für ein geplantes Vorhaben einsetzen kann und nicht erst selbst die Strategien und Maßnahmen zur Umsetzung seines Vorhabens entwickeln muss (vgl. BFH-Urteil in BFHE 244, 385, BStBl II 2014, 465; vgl. auch HHR/Hallermann, § 15b EStG Rz 33; Blümich/Heuermann, § 15b EStG Rz 13).
Das vorgefertigte Konzept muss von einer vom Steuerpflichtigen verschiedenen Person (Anbieter/Initiator) erstellt worden sein, denn nur dann kann diesem dem Wortlaut des § 15b Abs. 2 Satz 2 EStG entsprechend die Möglichkeit "geboten" werden, zumindest in der Anfangsphase der Investition Verluste mit übrigen Einkünften zu verrechnen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 244, 385, BStBl II 2014, 465). Charakteristisch ist insoweit die Passivität des Investors/Anlegers bei der Entwicklung der Geschäftsidee und der Vertragsgestaltung (vgl. BFH-Urteil in BFHE 244, 385, BStBl II 2014, 465; Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 30. Januar 2013 3 K 1185/12, EFG 2013, 849; Blümich/Heuermann, § 15b EStG Rz 13; Blümich/Ratschow, § 20 EStG Rz 473). Gibt hingegen der Investor/Anleger die einzelnen Leistungen und Zusatzleistungen sowie deren Ausgestaltung ‑‑sei es von Anfang an oder in Abwandlung des zunächst vorgefertigten Konzepts‑‑ selbst vor und bestimmt er damit das Konzept nicht nur unwesentlich mit, so handelt es sich nicht (mehr) um ein vorgefertigtes Konzept (vgl. BFH-Urteil in BFHE 244, 385, BStBl II 2014, 465; vgl. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 17. Juli 2007 IV B 2 -S 2241- b/07/0001, BStBl I 2007, 542, Rz 10; vgl. auch Blümich/Ratschow, § 20 EStG Rz 472; Lindberg in Frotscher, EStG, Freiburg 2011, § 15b Rz 17a; Moritz/Strohm in Frotscher, a.a.O., § 20 n.F. Rz 379).
Demnach liegt eine modellhafte Gestaltung i.S. des § 15b EStG vor, wenn eine von einem Anbieter/Initiator abstrakt entwickelte Investitionskonzeption für Interessierte am Markt zur Verfügung steht, auf die der Investor/Anleger "nur" noch zugreifen muss, nicht hingegen, wenn der Investor/Anleger eine von ihm selbst oder dem in seinem Auftrag ‑‑nicht aber im Auftrag eines Anbieters/Initiators‑‑ tätigen Berater entwickelte oder modifizierte und individuell angepasste Investition umsetzt.
dd) Ausgehend von diesen Grundsätzen erweist sich die Entscheidung des FG als rechtsfehlerhaft. Die Feststellungen des FG tragen dessen Schluss, die Gründung der Klägerin zum Zwecke des Erwerbs einer zu 100 % fremdfinanzierten Inhaberschuldverschreibung mit indexbezogener Bonuszinsabrede beruhe auf einem von einem Dritten vorgefertigten Konzept, nicht.
Das FG hat für den Senat bindend festgestellt, dass die Klägerin durch den im Auftrag der Beigeladenen tätigen Berater R gegründet wurde, wobei die Beigeladene selbst die Funktion einer geschäftsführenden Kommanditistin übernahm. R verfasste die erforderlichen, auf die geplante Investition abgestimmten Gesellschaftsverträge, verhandelte mit verschiedenen Banken über die Möglichkeit des Erwerbs einer fremdfinanzierten Inhaberschuldverschreibung mit Bonuszinsabrede und stimmte schließlich mit B bzw. L die Konditionen der tatsächlich erworbenen Schuldverschreibungen sowie des zur Finanzierung aufgenommenen Darlehens unter Berücksichtigung der individuellen wirtschaftlichen und steuerlichen Anforderungen der Beigeladenen ab.
Danach hat sich die Beigeladene nicht darauf beschränkt, einer bereits fertig konzipierten bzw. bereits bestehenden Gesellschaft beizutreten, ohne auf deren Ausgestaltung und Geschäftsgegenstand Einfluss nehmen zu können, sondern unter Einschaltung des in ihrem Auftrag tätigen R eine individuell gestaltete und auf ihre Belange zugeschnittene Investition getätigt.
ee) Dass die Beigeladene bzw. der von ihr beauftragte R eine möglicherweise bereits im Streitjahr in Fachkreisen bekannte Gestaltungsidee zur Verlustnutzung mittels Erwerbs einer fremdfinanzierten Inhaberschuldverschreibung mit Indexabrede aufgegriffen hat, vermag den Schluss des FG auf das Vorliegen eines von dritter Seite vorgefertigten Konzeptes nicht zu begründen. Das FG selbst hat für den Senat bindend festgestellt, dass der im Auftrag der Beigeladenen tätige R das "Anlagemodell" eines Investments in Inhaberschuldverschreibungen weiterentwickelt hat. Die von R initiierte und durchgeführte Gründung der Klägerin stellt demnach (jedenfalls) eine Modifikation eines etwaigen "Anlagemodells" dar. Dass R insoweit "wie ein Initiator/Anbieter" ein abstrakt entwickeltes und konzipiertes Investitionsangebot für Interessierte am Markt zur Verfügung hielt (vgl. zu einer solchen Konstellation: Reiß in Kirchhof, a.a.O., § 15b Rz 42), hat das FG ebenso wenig festgestellt, wie dass R im Auftrag des B oder der L tätig war.
3. Die von der Beigeladenen gewählte Gestaltung ist auch nicht missbräuchlich i.S. des § 42 der Abgabenordnung in der im Streitjahr geltenden Fassung (AO).
a) Der Senat kann dahingestellt lassen, ob die Anwendung des § 42 AO im Streitfall bereits deshalb ausgeschlossen ist, weil § 15b EStG als Spezialmissbrauchstatbestand lex specialis und damit vorrangig und ausschließlich anwendbar ist (so Urteil des FG Niedersachsen vom 1. November 2012 6 K 382/10, EFG 2013, 328, aus anderen Gründen aufgehoben durch BFH-Urteil vom 22. Dezember 2015 I R 43/13, BFH/NV 2016, 1034; HHR/ Hallerbach, § 15b EStG Rz 19; Handzik in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 15b Rz 44; wohl auch Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 42 AO Rz 20; anderer Ansicht wohl Kaminski in Korn, § 15b EStG Rz 31 f.; Kaeser, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 15b Rz A31; Blümich/Heuermann, § 15b EStG Rz 5: Im Regelungsbereich des § 15b EStG ist § 15b EStG vorrangig gegenüber § 42 AO). Denn selbst wenn § 42 AO neben § 15b EStG anwendbar wäre, wären dessen Voraussetzungen nicht erfüllt.
b) Gemäß § 42 Abs. 1 AO kann durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden (Satz 1). Liegt ein Missbrauch vor, entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht (Satz 2).
aa) Eine Umgehung i.S. des § 42 Abs. 1 Satz 1 AO ist gegeben, wenn eine Gestaltung gewählt wird, die ‑‑gemessen an dem erstrebten Ziel‑‑ unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 9. November 2006 IV R 21/05, BFHE 216, 57, BStBl II 2010, 230, m.w.N.).
§ 42 Abs. 1 AO selbst enthält keinen normativen Maßstab für die Beurteilung der Angemessenheit. Dieser ist dem "umgangenen" Gesetz und den flankierenden (speziellen) Missbrauchsvorschriften zu entnehmen. Hat der Gesetzgeber ein missbrauchsverdächtiges Feld gesichtet und durch eine Spezialvorschrift abgesteckt, legt er für diesen Bereich die Maßstäbe fest (vgl. BFH-Urteil vom 18. Dezember 2013 I R 25/12, BFH/NV 2014, 904, m.w.N.; vgl. auch BFH-Beschluss vom 20. November 2007 I R 85/05, BFHE 223, 414, BStBl II 2013, 287). Sind in einem konkreten Einzelfall die Voraussetzungen der speziellen Missbrauchsbestimmungen nicht erfüllt, darf die Wertung des Gesetzgebers nicht durch eine extensive Anwendung des § 42 Abs. 1 AO unterlaufen werden (BFH-Urteil in BFH/NV 2014, 904, m.w.N.). Hieran hat sich durch die Einfügung des § 42 Abs. 2 AO nichts geändert (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2014, 904, m.w.N.).
bb) Danach ist die von der Beigeladenen gewählte Gestaltung nicht unangemessen.
Der Gesetzgeber hat das Problem einer missbräuchlichen Nutzung von Verlustzuweisungen gesehen und in § 15b EStG bestimmt, dass für Steuerstundungsmodelle, bei denen dem Steuerpflichtigen auf Grund eines vorgefertigten Konzepts die Möglichkeit der Verlustverrechnung geboten wird, Verlustverrechnungsbeschränkungen gelten. Beruhen Investitionen ‑‑wie im Streitfall‑‑ nicht auf einem vorgefertigten Konzept, sondern auf der individuellen Gestaltung einer am Markt vorhandenen Gestaltungsidee, so sind sie weder von § 15b EStG erfasst, noch als vom Gesetz missbilligte Gestaltung zur Vermeidung der Verlustverrechnungsbeschränkung des § 15b EStG anzusehen.
4. Die Sache ist spruchreif. Das FG-Urteil war aus den dargelegten Erwägungen aufzuheben, ebenso die streitgegenständliche Feststellung des verrechenbaren Verlusts gemäß § 15b Abs. 4 EStG vom 9. Juli 2008.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind gemäß § 143 Abs. 1 i.V.m. § 139 Abs. 4 FGO erstattungsfähig, denn sie hat das Verfahren durch ihren Vortrag in der mündlichen Verhandlung gefördert und durch einen eigenen Sachantrag ein Kosten-risiko getragen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 16. Mai 2013 IV R 6/10, BFH/NV 2013, 1584).