ECLI:DE:BFH:2016:B.110816.IIIB88.16.0
BFH III. Senat
EStG § 32a, FGO § 115, FGO § 116, SGB 2 § 20
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 02. Mai 2016, Az: 7 K 7155/14
Leitsätze
1. NV: Die Höhe des einkommensteuerrechtlichen Existenzminimums orientiert sich am Mindestbedarf, wie ihn das Sozialrecht in Form der Sozialhilfeleistungen konkretisiert. Der Steuergesetzgeber kann sich bei der Prüfung der Frage, ob durch den in den Einkommensteuergesetzen festgesetzten Grundfreibeträgen das Existenzminimum ausgenommen bleibt, an den maßgeblichen Daten der Existenzminimumsberichte orientieren, da diese sich weitgehend an die Regelsätze nach § 20 Abs. 2 und 3 SGB II anlehnen .
2. NV: Die in den Jahren 2011 und 2012 geltenden Grundfreibeträge in Höhe von 16.008 € für zusammenveranlagte Steuerpflichtige unterschreiten nicht den Mindestbedarf einer Bedarfsgemeinschaft .
Tenor
Die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 3. Mai 2016 7 K 7155/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand
I. Streitig ist, ob die Höhe des Grundfreibetrags den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Steuerfestsetzung des Existenzminimums genügt.
Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Eheleute, die in den Streitjahren 2011 und 2012 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Sie leben mit ihrer minderjährigen Tochter in B.
In den Einkommensteuerbescheiden 2011 und 2012 berücksichtigte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) die kindbezogenen Freibeträge und die Grundfreibeträge in gesetzlicher Höhe. Die Bescheide ergingen hinsichtlich der genannten Freibeträge gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung vorläufig.
Der Einspruch, mit dem die Kläger die Verfassungswidrigkeit der Freibeträge geltend machten, blieb erfolglos. Die hiergegen gerichtete Klage wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet ab. Zur Begründung verwies es u.a. auf den Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19. März 2014 III B 74/13 (BFH/NV 2014, 1032), mit dem die Beschwerde der Kläger gegen die Versagung der Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheids 2011 als unbegründet zurückgewiesen wurde.
Mit ihrer Beschwerde begehren die Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑) und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO).
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet und deshalb durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO). Sofern Zulassungsgründe überhaupt in einer den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Form geltend gemacht wurden, liegen sie jedenfalls nicht vor.
1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zuzulassen.
a) Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) setzt voraus, dass der Beschwerdeführer eine hinreichend bestimmte Rechtsfrage herausstellt, deren Klärung im Interesse der Allgemeinheit an der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Fortentwicklung des Rechts erforderlich ist und die im konkreten Streitfall klärbar ist. Dies erfordert eine Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen sowie die Darlegung, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft und streitig ist (z.B. Senatsbeschluss vom 18. Oktober 2013 III B 46/13, BFH/NV 2014, 179, Rz 9). Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde auf den Vorwurf der Verfassungswidrigkeit gestützt wird, muss sie sich darüber hinaus auch mit der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) auseinandersetzen (BFH-Beschluss vom 8. Januar 2009 X B 256/07, BFH/NV 2009, 548). Liegt zu der vom Beschwerdeführer herausgestellten Rechtsfrage bereits höchstrichterliche Rechtsprechung vor, so gehört zu der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit eine fundierte Stellungnahme dazu, weshalb diese Rechtsprechung noch nicht zu einer hinreichenden Klärung geführt habe oder aufgrund welcher neuen Entwicklungen sie nunmehr erneut in Frage gestellt werden müsse (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 24. Februar 2014 XI B 15/13, BFH/NV 2014, 839, Rz 9).
b) Das Beschwerdevorbringen erfüllt diese Anforderungen nicht.
aa) Soweit die Kläger mit ihrer Beschwerde auf die Rechtsprechung des BVerfG zum Existenzminimum (z.B. Beschlüsse vom 25. September 1992 2 BvL 5/91, 2 BvL 8/91, 2 BvL 14/91, BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413; vom 29. Mai 1990 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 6539) hinweisen, ist das FG von diesen Grundsätzen ausgegangen. Das FG hat insbesondere bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung der in den Streitjahren geltenden Grundfreibeträge in Höhe von 16.008 € für zusammenveranlagte Steuerpflichtige den Mindestbedarf gegenüber gestellt und nicht festgestellt, dass der Grundfreibetrag den Mindestbedarf unterschreitet.
bb) Soweit die Kläger die Frage für grundsätzlich bedeutsam erachten, ob bei der Ermittlung des dem Grundfreibetrag gegenüber zu stellenden Mindestbedarfs vom Regelbedarf eines Alleinstehenden oder einer Bedarfsgemeinschaft auszugehen sei, weil § 32a des Einkommensteuergesetzes (EStG) eine Haushaltsersparnis nicht zu entnehmen sei, enthält dieser Vortrag ebenfalls keine hinreichende Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung.
Denn das FG hat in seinem Urteil unter Hinweis auf den Beschluss des Senats in BFH/NV 2014, 1032 zu Recht darauf hingewiesen, dass es entgegen der Ansicht der Kläger nicht darum gehe, ob § 32a EStG eine Haushaltsersparnis berücksichtige, sondern um die Ermittlung des Mindestbedarfs. Darüber hinaus hat der Senat in seinem Beschluss in BFH/NV 2014, 1032 auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und das BFH-Urteil vom 18. November 2009 X R 34/07 (BFHE 227, 99, BStBl II 2010, 414) hingewiesen, mit denen sich die Kläger in ihrer Beschwerdebegründung nicht auseinandergesetzt haben. Des Weiteren ist verfassungsrechtlich geklärt, dass das sozialhilferechtlich definierte Existenzminimum, welches die Mindestgrenze für das einkommensteuerliche Existenzminimum bildet, verbrauchsbezogen ermittelt wird (BVerfG-Kammerbeschluss vom 23. August 1999 1 BvR 2164/98, Neue Juristische Wochenschrift ‑‑NJW‑‑ 1999, 3478). Insoweit kann auch die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft zum Anknüpfungspunkt wirtschaftlicher Rechtsfolgen werden. Die aufgrund einer gemeinsamen Haushaltsführung mit einer anderen erwachsenen Person entstehenden Synergieeffekte werden regelmäßig zur Haushaltsersparnis genutzt (vgl. BVerfG-Beschluss vom 22. Mai 2009 2 BvR 310/07, BStBl II 2009, 884, Rz 37, m.w.N.), so dass die Berechnung des Mindestbedarfs von Eheleuten als Bedarfsgemeinschaft im Wege einer Gesamtschau gerechtfertigt ist.
cc) Soweit die Kläger die Ansicht vertreten, die für die Ermittlung des Mindestbedarfs erforderlichen Daten dürften den mangel- und fehlerbehafteten Existenzminimumberichten der Bundesregierung nicht entnommen werden, ziehen sie damit im Stile einer Revisionsbegründung die materielle Richtigkeit der vorhandenen Rechtsprechung in Zweifel, womit sich die Zulassung der Revision grundsätzlich nicht erreichen lässt (vgl. Senatsbeschluss vom 14. August 2013 III B 13/13, BFH/NV 2013, 1795).
Nach ständiger Rechtsprechung kann sich der Steuergesetzgeber bei der Prüfung der Frage, ob durch den in den Einkommensteuergesetzen festgesetzten Grundfreibeträgen das Existenzminimum von der Besteuerung ausgenommen bleibt, an den maßgeblichen Daten der Existenzminimumberichte orientieren, da diese sich weitgehend an den Regelsätzen nach § 20 Abs. 2 und 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch anlehnen (BFH-Urteil in BFHE 227, 99, BStBl II 2010, 414, Rz 122 ff., m.w.N.). Die gegen dieses Urteil eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG-Beschluss vom 13. Juli 2016 2 BvR 288/10, juris). Darüber hinaus hat das BVerfG mit Beschluss vom 23. Juli 2014 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13 (BVerfGE 137, 34, Rz 81) ‑‑auf den das FG in der angefochtenen Entscheidung ausdrücklich hingewiesen hat‑‑ ausgeführt, dass das Grundgesetz (GG) selbst keine exakte Bezifferung des Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen vorgebe und sich die verfassungsrechtliche Kontrolle im Wege einer Gesamtschau auf die Höhe der Leistungen insgesamt und nicht auf einzelne Berechnungselemente beziehe. Da das Grundgesetz selbst keine exakte Bezifferung des Anspruchs erlaube, beschränke sich ‑‑bezogen auf das Ergebnis‑‑ die materielle Kontrolle darauf, ob die Leistungen evident unzureichend seien (so auch BVerfG-Urteil vom 9. Februar 2010 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09, BVerfGE 125, 175, Rz 141). Das BVerfG hat in seinem Beschluss in BVerfGE 137, 34 zudem festgestellt, dass die als Orientierung dienenden staatlichen Sozialhilfeleistungen für die Streitjahre 2011 und 2012 nicht evident unzureichend sind (Rz 86 ff.). Mehr gebietet das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG auch nicht (vgl. BVerfG-Nichtannahmebeschluss vom 27. Juli 2010 2 BvR 2122/09, NJW 2010, 3564, Rz 6). Zu allen diesen Aspekten enthält die Beschwerdebegründung der Kläger keine Ausführungen.
dd) Soweit die Kläger vortragen, das Existenzminimum müsse entsprechend der Pfändungsfreigrenze mindestens 1.000 € pro Monat betragen, setzen sie sich ebenfalls nicht weiter mit der zu dieser Frage bestehenden Rechtsprechung auseinander; insbesondere fehlen Ausführungen zum BFH-Beschluss vom 27. November 2012 X B 48/11 (BFH/NV 2013, 532). In diesem Beschluss hat der BFH dargestellt, warum bei der Berechnung des Existenzminimums nicht auf die Pfändungsfreigrenze des § 850c der Zivilprozessordnung abzustellen sei (Rz 13 f.).
ee) Soweit die Kläger die Frage für grundsätzlich bedeutsam halten, ob bei der Ermittlung des Mindestbedarfs die Daten für das Wohnen der Wohnungsaufwendungsverordnung Berlin (WAV) oder dem Existenzminimumbericht zu entnehmen seien, fehlt es an einer schlüssigen Darlegung der Entscheidungserheblichkeit und damit an der Klärungsfähigkeit der Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren. Denn das FG hat bei der Berechnung des Mindestbedarfs auch unter Berücksichtigung der WAV ein Überschreiten des Mindestbedarfs für Bedarfsgemeinschaften mit zwei Erwachsenen im Vergleich zu den Grundfreibeträgen nicht festgestellt.
Hat das FG sein Urteil kumulativ auf mehrere Begründungen gestützt, von denen jede für sich das Entscheidungsergebnis trägt, ist die Revision nur zuzulassen, wenn mit der Nichtzulassungsbeschwerde für jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO schlüssig dargelegt wird und vorliegt (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 7. Januar 2014 X B 191/13, BFH/NV 2014, 695).
Auch die Ausführungen, die Wohnungskosten müssten die regionalen Besonderheiten berücksichtigen, lassen keine hinreichende Auseinandersetzung mit den hierzu ergangenen Rechtsprechungsgrundsätzen erkennen. Denn der Senat hat schon in seinem Beschluss in BFH/NV 2014, 1032, unter Rz 15 ausgeführt, dass das BVerfG (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413) eine Regionalisierung des Grundfreibetrags im Hinblick auf die Kosten der Unterbringung nicht gefordert habe, weil etwaige Unterschiede durch das Wohngeld ausgeglichen werden könnten.
Der Hinweis der Kläger, der BFH habe in seinem Beschluss in BFH/NV 2014, 1032 lediglich eine summarische Prüfung vorgenommen, macht ‑‑entgegen der Ansicht der Kläger‑‑ eine Auseinandersetzung mit den dort dargelegten Rechtsgrundsätzen nicht entbehrlich.
2. Ein schwerwiegender Rechtsfehler, der ausnahmsweise die Revisionszulassung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO gebieten würde, ist nicht ausreichend dargelegt und liegt auch nicht vor. Es ist insbesondere nicht erkennbar, dass die Entscheidung des FG objektiv willkürlich sei, auf sachfremden Erwägungen beruhe und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt vertretbar erscheine (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 16. August 2011 III B 155/10, BFH/NV 2012, 48, Rz 18).
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 1 FGO i.V.m. § 135 Abs. 2 FGO.