ECLI:DE:BFH:2016:U.040816.VIR63.14.0
BFH VI. Senat
EStG § 33 Abs 1, EStG § 33 Abs, EStG VZ 2011
vorgehend Thüringer Finanzgericht , 13. Mai 2014, Az: 3 K 830/13
Leitsätze
NV: Zivilprozesskosten für familienrechtliche Streitigkeiten betreffende Verfahren in Zusammenhang mit der Ehescheidung außerhalb des sogenannten Zwangsverbunds (hier: Rechtsanwalts- und Gerichtskosten wegen Zugewinnausgleich, Nutzungsentschädigung, Pfändung und Grundbucheintragung) sind nicht als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen.
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Thüringer Finanzgerichts vom 14. Mai 2014 3 K 830/13 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) machte in ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2011) Gerichtskosten, Rechtsanwaltskosten und Notarkosten in Zusammenhang mit ihrer Ehescheidung in Höhe von insgesamt 17.318 € als außergewöhnliche Belastung geltend.
Im Einzelnen handelte es sich um folgende Beträge: Gerichtskostenrechnungen "Grundbuchsache" vom 27. September 2011 und vom 30. November 2011 in Höhe von 70,50 € und 176,25 €, Gerichtskostenrechnung vom 27. Dezember 2011 in Höhe von 879 €, Rechtsanwaltskostenrechnung vom 11. Juli 2011 X ./. X wegen Nutzungsentschädigung in Höhe von 837,52 €, Rechtsanwaltskostenrechnung vom 19. Juli 2011 X ./. X wegen Zugewinnausgleich in Höhe von 10.801,54 €, Rechtsanwaltskostenrechnung vom 1. September 2011 X ./. X wegen Ehescheidung in Höhe von 2.441,48 €, Rechtsanwaltskostenrechnung vom 7. November 2011 X ./. X wegen Pfändung in Höhe von 412,22 € und Notarrechnung "Ehevertrag" vom 23. August 2011 in Höhe von 1.385,16 €.
In dem Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr erkannte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) außergewöhnliche Belastungen in Höhe von insgesamt 3.826,64 € aus der Rechtsanwaltskostenrechnung vom 1. September 2011 und aus der Notarrechnung vom 23. August 2011 als Scheidungskosten an. Die weiteren von der Klägerin geltend gemachten Gerichts- und Rechtsanwaltskosten berücksichtigte das FA auch im Einspruchsverfahren nicht.
Das Finanzgericht (FG) ließ den Abzug der weiteren Gerichts- und Rechtsanwaltskosten hingegen aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2015, 37 veröffentlichten Gründen zu.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Das FA beantragt,
das Urteil des Thüringer FG vom 14. Mai 2014 3 K 830/13 aufzuheben und die Klage abzuweisen.Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Thüringer FG vom 14. Mai 2014 3 K 830/13 aufzuheben und die Sache an das Thüringer FG zurückzuverweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat die geltend gemachten Rechtsanwalts- und Gerichtskosten zu Unrecht als außergewöhnliche Belastung i.S. des § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) berücksichtigt.
1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 EStG). Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (ständige Rechtsprechung, z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 29. September 1989 III R 129/86, BFHE 158, 380, BStBl II 1990, 418, und vom 26. Juni 2014 VI R 51/13, BFHE 246, 326, BStBl II 2015, 9).
2. Bei den Kosten eines Zivilprozesses sprach nach der langjährigen Rechtsprechung des BFH eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit (Senatsurteil vom 22. August 1958 VI 148/57 U, BFHE 67, 379, BStBl III 1958, 419; BFH-Urteile vom 18. Juli 1986 III R 178/80, BFHE 147, 171, BStBl II 1986, 745; vom 9. Mai 1996 III R 224/94, BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596; vom 4. Dezember 2001 III R 31/00, BFHE 198, 94, BStBl II 2002, 382; vom 18. März 2004 III R 24/03, BFHE 206, 16, BStBl II 2004, 726, und vom 27. August 2008 III R 50/06, BFH/NV 2009, 553). Solche Kosten wurden nur als zwangsläufig erachtet, wenn auch das die Zahlungsverpflichtung oder den Zahlungsanspruch adäquat verursachende Ereignis zwangsläufig war (BFH-Urteil in BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596). Daran fehlte es nach der Rechtsprechung des BFH im Allgemeinen bei einem Zivilprozess (BFH-Urteile in BFHE 206, 16, BStBl II 2004, 726, und in BFH/NV 2009, 553). Als zwangsläufige Aufwendungen erkannte die Rechtsprechung Zivilprozesskosten nur an, wenn der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührte. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, könne er trotz unsicherer Erfolgsaussichten gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen (BFH-Urteile in BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596, und in BFH/NV 2009, 553).
Dagegen nahm der Senat in seinem Urteil vom 12. Mai 2011 VI R 42/10 (BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015) die Unausweichlichkeit von Zivilprozesskosten unter der Voraussetzung an, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg biete und nicht mutwillig erscheine. Diese Auffassung hat auch das FG dem angefochtenen Urteil zugrunde gelegt.
Der Senat hält an seiner in dem Urteil in BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015 vertretenen Auffassung allerdings nicht mehr fest. Wie er in seinem Urteil vom 18. Juni 2015 VI R 17/14 (BFHE 250, 153, BStBl II 2015, 800) entschieden hat, kehrt er unter Aufgabe seiner in dem Urteil in BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015 vertretenen Ansicht zu der früheren Rechtsprechung des BFH zur Abziehbarkeit der Kosten eines Zivilprozesses als außergewöhnliche Belastung zurück. Wegen der Einzelheiten wird auf das Senatsurteil in BFHE 250, 153, BStBl II 2015, 800 Bezug genommen.
3. Nach diesen Maßstäben ist auch im Streitfall zu prüfen, ob die geltend gemachten Kosten für die zivilprozessuale Auseinandersetzungen als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind. Zivilprozesskosten sind demnach nur insoweit abziehbar, als der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührt. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, kann der Steuerpflichtige auch bei unsicheren Erfolgsaussichten aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen, sodass die Prozesskosten zwangsläufig i.S. von § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen.
a) Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Seine Entscheidung hat daher keinen Bestand.
b) Der Senat kann aufgrund der vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen in der Sache selbst entscheiden. Die geltend gemachten Prozesskosten sind nicht als außergewöhnliche Belastungen steuermindernd zu berücksichtigen. Die von der Klägerin beantragte Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung ist nicht geboten.
aa) Der Senat führt für die bis einschließlich 2012 geltende Fassung des § 33 EStG die Rechtsprechung zur Berücksichtigung von durch Ehescheidungsverfahren entstandenen Prozesskosten als außergewöhnliche Belastungen fort (Senatsurteil vom 20. Januar 2016 VI R 70/12, BFH/NV 2016, 905). Danach sind zwar die mit dem Gerichtsverfahren verbundenen Kosten für die Scheidung und den Versorgungsausgleich als zwangsläufig entstanden anzusehen und dementsprechend als außergewöhnliche Belastungen abziehbar. Aber Kosten für außerhalb des sogenannten Zwangsverbunds durch das Familiengericht oder außergerichtlich im Zusammenhang mit der Ehescheidung getroffene Regelungen werden nicht als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt. Das gilt unabhängig davon, ob für die Scheidungsfolgesachen noch § 623 Abs. 1 der Zivilprozessordnung a.F. anzuwenden ist oder ‑‑wie im Streitfall‑‑ schon § 137 Abs. 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Weiter kommt es auch nicht darauf an, ob ein Ehegatte die Kosten auslösende Aufnahme von Scheidungsfolgesachen in den Scheidungsverbund beantragt hatte und diese insoweit zwingend im Verbund zu entscheiden waren. Denn auch insoweit gelten die Kosten für den mit dem Verfahren überzogenen Ehegatten nicht als unvermeidbar (BFH-Urteil vom 30. Juni 2005 III R 27/04, BFHE 210, 306, BStBl II 2006, 492).
Entscheidend ist, dass der Gesetzgeber den früheren Eheleuten Inhalt und Verfahren der Regelung ihrer Verhältnisse im Wesentlichen in gleicher Weise zur eigenverantwortlichen Gestaltung übertragen hat wie in bestehender Ehe oder im Falle nichtehelicher Familienbeziehungen (vgl. BFH-Urteile in BFHE 210, 306, BStBl II 2006, 492; vom 30. Juni 2005 III R 36/03, BFHE 210, 302, BStBl II 2006, 491; ebenso FG München, Urteil vom 21. August 2012 10 K 800/10, EFG 2013, 451).
bb) Nach diesen Maßstäben können die streitigen Rechtsanwalts- und Gerichtskosten wegen Zugewinnausgleich, Nutzungsentschädigung, Pfändung und Grundbucheintragung nicht als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden. Die zugrunde liegenden Verfahren betrafen familienrechtliche Streitigkeiten in Zusammenhang mit der Ehescheidung der Klägerin außerhalb des sogenannten Zwangsverbunds, Grundbuchsachen und sonstige zivilrechtliche Ansprüche, deren gerichtliche Geltendmachung weder existenziell wichtige Bereiche noch den Kernbereich menschlichen Lebens berührte. Die Rechtsanwaltskosten, die der Klägerin im Streitjahr für das Ehescheidungsverfahren selbst entstanden sind, hat das FA bereits bei der Einkommensteuerfestsetzung berücksichtigt. Des Weiteren hat das FA auch der Klägerin in Rechnung gestellte Notarkosten wegen eines Ehevertrags in Zusammenhang mit der Ehescheidung als außergewöhnliche Belastungen anerkannt. Der Senat kann dahin stehen lassen, ob dies zu Recht erfolgt ist, da ihm eine Verböserung der Steuerfestsetzung versagt ist.
cc) Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgetragen hat, die Geltendmachung des Anspruchs auf Zugewinnausgleich und des damit verbundenen Auskunftsanspruchs gegen X berühre existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens, weil sie (auch) deshalb erfolgt sei, um sich gegen von X ihr gegenüber erhobene strafrechtliche Vorwürfe wegen eines Aussagedelikts zu verteidigen, rechtfertigt dies keine Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung. Denn der Vortrag ist aus Rechtsgründen unerheblich und bedarf daher keiner weiteren Aufklärung durch das FG als Tatsacheninstanz.
Für die Beantwortung der Frage, ob ein Zivilprozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührt, kommt es auf die in dem Prozess geltend gemachten (zivilrechtlichen) Ansprüche an (vgl. Senatsurteil vom 19. November 2015 VI R 42/14, BFH/NV 2016, 739, Rz 23). Folgewirkungen des Rechtsstreits auf andere Bereiche sind insoweit unerheblich. Die Geltendmachung des Zugewinnausgleichs als solche berührt indes keinen existenziell wichtigen Bereich und auch nicht den Kernbereich menschlichen Lebens i.S. der oben genannten Rechtsprechung zur Abziehbarkeit der Kosten eines Zivilprozesses. Mit der Durchsetzung des Zugewinnausgleichs verfolgte die Klägerin das Ziel, ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern. Das Ziel der Mehrung des Vermögens durch den Zugewinnausgleich ist allerdings nicht mit einem existenziell wichtigen Bereich, etwa dem drohenden Verlust einer schon vorhandenen Existenzgrundlage und deren Bewahrung, Absicherung oder Zurückerlangung im Rahmen eines Zivilprozesses, gleichzustellen (zur Durchsetzung der Erbenstellung ebenso Senatsurteil vom 20. Januar 2016 VI R 93/13, BFH/NV 2016, 1145).
4. Da die Revision des FA bereits mit der Sachrüge Erfolg hat, kann der Senat dahinstehen lassen, ob dem FG der vom FA gerügte Verfahrensfehler unterlaufen ist.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.