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Urteil vom 22. Juni 2016, V R 49/15

Zur Zulässigkeit einer Klage gegen einen auf 0 € lautenden Körperschaftsteuerbescheid

ECLI:DE:BFH:2016:U.220616.VR49.15.0

BFH V. Senat

GG Art 103 Abs 1, FGO § 40 Abs 2, FGO § 96 Abs 2, FGO § 115 Abs 2 Nr 3, FGO § 126 Abs 3, FGO § 126 Abs 4, AO § 14, AO § 51ff, AO § 51, AO § 52 Abs 1, AO § 52 Abs 2, AO § 68 Nr 9, UStG § 4 Nr 11, KStG § 5 Abs 1 Nr 9, KStG VZ 2005 , UStG VZ 2005

vorgehend FG Münster, 22. September 2014, Az: 9 K 2451/10 K

Leitsätze

1. NV: Für die Darlegung einer Rechtsverletzung i.S. des § 40 Abs. 2 FGO reicht es aus, wenn der Kläger geltend macht, er sei von der Körperschaftsteuer befreit und durch den auf 0 € lautenden Körperschaftsteuerbescheid sei zu Unrecht seine Körperschaftsteuerpflicht bejaht worden .

2. NV: Es stellt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO dar, wenn über eine zulässige Klage nicht zur Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden wird .

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 23. September 2014  9 K 2451/10 K aufgehoben.

Die Sache wird an das Finanzgericht Münster zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

Tatbestand

  1. I. Streitig ist, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Hochschule, mit dem von ihr errichteten Betrieb gewerblicher Art, medizinische Auftragsforschung (BgA) gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9 und/oder Nr. 23 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) von der Körperschaftsteuer befreit ist.

  2. Die Klägerin bzw. der BgA führten verschiedene medizinische Studien durch. Die Klägerin erstellte für den BgA jeweils Jahresabschlüsse. Spenden zugunsten des BgA wurden in den Jahresabschlüssen nicht ausgewiesen und sind auch ansonsten nicht ersichtlich. In den Jahresabschlüssen zum 31. Dezember 2002 bis 31. Dezember 2005 wurde jeweils ein Jahresüberschuss in Höhe von 0 € ausgewiesen.

  3. Im Rahmen des Verfahrens zur Überprüfung des Gemeinnützigkeitsstatus des BgA erteilte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) der Klägerin mit Schreiben vom 21. November 2006 die Auskunft, dass der Gemeinnützigkeitsstatus zu versagen sei.

  4. Im Februar 2007 reichte die Klägerin für den BgA Erklärungen zur Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer von Körperschaften, die gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen, für die Streitjahre (2003 bis 2005) ein. Als Zweck der Körperschaft gab sie die Förderung von Wissenschaft und Forschung an.

  5. Im März 2007 führte das FA eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung bei der Klägerin für den Voranmeldungszeitraum Dezember 2006 durch und vertrat im Anschluss daran die Auffassung, dass die durch den BgA erbrachten Leistungen nicht dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterlägen. Der BgA erfülle nicht die Voraussetzungen des § 68 Nr. 9 der Abgabenordnung (AO), so dass gemäß § 12 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) der Regelsteuersatz gelte.

  6. Mit Bescheiden vom 13. März 2007 setzte das FA die Körperschaftsteuer 2003 bis 2005 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung jeweils mit 0 € fest. In den Erläuterungen zum Körperschaftsteuerbescheid 2003 führte das FA aus: "Die Körperschaft ist nicht gemeinnützig." Im Körperschaftsteuerbescheid 2004 wird auf die Erläuterungen zum Körperschaftsteuerbescheid 2003 Bezug genommen. Der Körperschaftsteuerbescheid 2005 enthält die Erläuterung "s. Erläuterung zum Körperschaftsteuerbescheid 2005 vom gleichen Tage", allerdings auch keine positive Aussage zur Frage der Gemeinnützigkeit. Die Einsprüche blieben erfolglos.

  7. Das Finanzgericht (FG) verwarf die Klage durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte 2015, 744 veröffentlichte Urteil als unzulässig, weil die Klägerin durch die angefochtenen Bescheide nicht beschwert sei. Die angefochtenen Körperschaftsteuerbescheide 2003 bis 2005 enthielten keinen Regelungsgehalt, der über die bloße Steuerfestsetzung hinausreiche und sich im Streitfall für die Klägerin in bindender Weise anderweitig ungünstig auswirke. Allein ein abstraktes Klärungsbedürfnis der Klägerin mit Blick auf die Steuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 Nr. 23 KStG, führe nicht zu einer Beschwer der Klägerin.

  8. Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin. Sie macht geltend, indem das FG die zulässige Klage zu Unrecht durch Prozessurteil abgewiesen und in der Sache nicht entschieden habe, leide das Urteil an einem Verfahrensmangel und verletze ihren Anspruch auf rechtliches Gehör. Die Klage sei im Übrigen auch begründet.

  9. Die Klägerin beantragt,
    das FG-Urteil, die Körperschaftsteuerbescheide 2003 bis 2005 vom 13. März 2007 und die Einspruchsentscheidung vom 1. Juni 2010 aufzuheben und das FA zu verpflichten, für den BgA der Klägerin einen Freistellungsbescheid zur Körperschaft- und Gewerbesteuer für die Jahre 2003 bis 2005 zu erlassen.

  10. Das FA beantragt,
    die Revision zurückzuweisen.

  11. Das Urteil lasse keine Rechtsfehler erkennen. Das FG sei zu Recht davon ausgegangen, dass es an einer Beschwer der Klägerin fehle.

Entscheidungsgründe

  1. II. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).

  2. Das FG-Urteil leidet an einem Verfahrensmangel, weil es die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen und dadurch den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes ‑‑GG‑‑, § 96 Abs. 2 FGO) verletzt hat. Der Senat kann mangels hinreichender Feststellungen nicht abschließend in der Sache entscheiden.

  3. 1. Nach § 5 Abs.1 Nr. 9 Satz 1 KStG ist eine Körperschaft von der Körperschaftsteuer befreit, wenn sie nach der Satzung und der tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dient (§§ 51 bis 68 AO). Unterhält sie einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb (§ 14 AO), ist die Steuerbefreiung insoweit ausgeschlossen (§ 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 KStG).

  4. Eine Körperschaft verfolgt gemäß § 52 Abs. 1 AO gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern. Als Förderung der Allgemeinheit wird u.a. die Förderung von Wissenschaft und Forschung anerkannt (§ 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO). Steuerbegünstigte Zweckbetriebe sind dabei gemäß § 68 Nr. 9 AO auch Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen, deren Träger sich überwiegend aus Zuwendungen der öffentlichen Hand oder Dritter oder aus der Vermögensverwaltung finanziert. Der Wissenschaft und Forschung dient auch die Auftragsforschung (§ 68 Nr. 9 Satz 2 AO).

  5. 2. Das FG hat zu Unrecht entschieden, dass die Klage unzulässig sei, weil die Klägerin durch die auf 0 € lautenden Körperschaftsteuerbescheide nicht beschwert sei.

  6. a) Zur Darlegung einer Rechtsverletzung i.S. des § 40 Abs. 2 FGO durch einen auf 0 € lautenden Körperschaftsteuerbescheid reicht es aus, dass der Kläger geltend macht, in dem Bescheid werde zu Unrecht seine Körperschaftsteuerpflicht bejaht, weil er gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG von der Körperschaftsteuer befreit sei. Zur Begründung verweist der Senat auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 13. Juli 1994 I R 5/93 (BFHE 175, 484, BStBl II 1995, 134, Rz 15; vgl. auch BFH-Urteile vom 27. November 2013 I R 17/12, BFHE 244, 194, BStBl II 2016, 68, Rz 14; vom 21. Oktober 1999 I R 14/98, BFHE 190, 372, BStBl II 2000, 325, Rz 7; vom 24. Juli 1996 I R 35/94, BFHE 181, 57, BStBl II 1996, 583, Rz 11; BFH-Beschlüsse vom 16. Dezember 1987 I B 68/87, juris, Rz 13; vom 20. November 1969 I B 34/69, BFHE 97, 281, BStBl II 1970, 133, 1. Leitsatz, Rz 23; sowie BFH-Urteil vom 15. März 1995 II R 24/91, BFHE 177, 497, BStBl II 1995, 653 zur Rechtsverletzung durch einen auf 0 DM lautenden Vermögensteuerbescheid; so auch Gräber/Levedag, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 40 Rz 100; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 40 FGO Rz 57 und 61).

  7. b) Die Erwägung des FG, die Klägerin könne keine Rechtsverletzung i.S. des § 40 Abs. 2 FGO geltend machen, weil sie ‑‑im Gegensatz zu privatrechtlichen Körperschaften‑‑ als juristische Person des öffentlichen Rechts ohnehin berechtigt sei, Zuwendungsbestätigungen auszustellen, führt zu keiner anderen Beurteilung. Das Interesse einer Körperschaft an einer gerichtlichen Klärung der Frage, ob sie gemeinnützigen Zwecken dient, ist nicht auf die Berechtigung zur Ausstellung von Zuwendungsbestätigungen i.S. des § 50 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung beschränkt. Da über die Steuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG erst im Körperschaftsteuerveranlagungsverfahren entschieden wird, muss für den die Steuerbefreiung wegen Gemeinnützigkeit beanspruchenden Steuerpflichtigen die Möglichkeit bestehen, einen auf 0 € lautenden Körperschaftsteuerbescheid gerichtlich auf seine Rechtmäßigkeit hin überprüfen zu lassen (BFH-Urteil in BFHE 175, 484, BStBl II 1995, 134, Rz 15). Die Klägerin weist außerdem zutreffend darauf hin, dass sie durch die Ablehnung eines Freistellungsbescheids beschwert sei, weil ihr damit der Nachweis für außersteuerliche Zwecke verweigert werde, dass die im BgA, medizinische Auftragsforschung verwendeten Mittel in einem Zweckbetrieb für gemeinnützige Zwecke verwendet worden sind.

  8. Die vom FG zudem aufgeworfene Frage, ob die Klägerin tatsächlich Spenden eingeworben hat oder dies subjektiv zu tun beabsichtigte, hat keinen Einfluss auf ihr rechtliches Interesse an der Feststellung ihrer Gemeinnützigkeit.

  9. c) Auch aus dem BFH-Urteil vom 15. April 2010 V R 11/09 (BFH/NV 2010, 1830) ergibt sich ‑‑entgegen der Auffassung des FG‑‑ nichts anderes. Der V. Senat hat darin zwar entschieden, dass eine Klage gegen einen auf 0 € lautenden Umsatzsteuerbescheid im Allgemeinen unzulässig ist. Der V. Senat hat aber unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das zu einem auf 0 DM lautenden Körperschaftsteuerbescheid ergangene BFH-Urteil in BFHE 175, 484, BStBl II 1995, 134 auch entschieden, dass es sich anders verhalte, wenn der Regelungsgehalt des Steuerbescheids ausnahmsweise über die bloße Steuerfestsetzung hinausreiche (BFH-Urteil in BFH/NV 2010, 1830, Rz 16).

  10. 3. Nach der ständigen Rechtsprechung stellt es einen zur Aufhebung und Zurückverweisung führenden Verfahrensmangel dar, wenn über eine zulässige Klage nicht zur Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden wird. In einem solchen Fall wird zugleich der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO verletzt (z.B. BFH-Urteil vom 25. September 2013 VIII R 17/11, juris, Rz 30; BFH-Beschlüsse vom 10. März 2014 X B 230/12, BFH/NV 2014, 888, Rz 12; vom 29. Juli 2009 VI B 44/09, BFH/NV 2009, 1822, Rz 8; vom 23. April 2009 X B 43/08, BFH/NV 2009, 1443, Rz 12; vom 16. April 2007 VII B 98/04, BFH/NV 2007, 1345, Rz 5).

  11. a) Zwar kann der BFH auch dann in der Sache selbst entscheiden, wenn das FG eine Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen hat, die Klage aber nach den vom FG getroffenen Feststellungen zweifelsfrei unbegründet ist (§ 126 Abs. 4 FGO) oder wenn sich die Klage bei jeder denkbaren Sachverhaltsgestaltung als begründet erweist (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).

  12. b) Im Falle einer zu Unrecht abgewiesenen Klage als unzulässig erfordert aber die verfassungsrechtliche Garantie des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG regelmäßig die Zurückverweisung an die Vorinstanz. Beurteilt das FG nämlich eine Klage als unzulässig, so entscheidet es über sie, ohne sich mit dem inhaltlichen Vorbringen der Beteiligten zu befassen (BFH-Urteile vom 4. Juli 2007 VIII R 77/05, BFH/NV 2008, 53, Rz 29; vom 17. Oktober 1990 I R 118/88, BFHE 162, 534, BStBl II 1991, 242, Rz 22). In einer solchen Verfahrenslage kommt ein Durcherkennen ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn vollständig ausgeschlossen ist, dass einer der Beteiligten durch einen weiteren Vortrag die Sachentscheidung noch beeinflussen könnte (BFH-Urteil in BFH/NV 2008, 53, Rz 30). Das ist vorliegend nicht der Fall.

  13. 4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

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