BFH VII. Senat
FGO § 152, AO § 226, BGB § 133, BGB § 157, ZPO § 322 Abs 2, BGB § 406, BGB § 387, FGO § 143 Abs 1, FGO § 149 Abs 1
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 07. Juli 2015, Az: 8 S 8084/15
Leitsätze
1. NV: Die Aufrechnung des FA mit einem Steueranspruch gegen einen Kostenerstattungsanspruch des Steuerpflichtigen nach § 226 AO ist grundsätzlich zulässig .
2. NV: Der Kostenfestsetzungsbeschluss hat keine anspruchs- oder fälligkeitsbegründende Funktion .
3. NV: Eine Aufrechnung des FA mit einem Steueranspruch ist bereits vor dem Erlass des Kostenfestsetzungsbeschlusses zulässig; ausreichend ist der Erlass der Kostengrundentscheidung .
Tenor
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 8. Juli 2015 8 S 8084/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.
Tatbestand
I. Der Antragsteller und Beschwerdegegner (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) hat wegen Umsatzsteuer für April 2010 eine seit dem 8. August 2011 fällige Forderung gegen eine GmbH. Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 31. Mai 2013 setzte das Amtsgericht (AG) X vom Land Berlin der GmbH in einem Rechtsstreit zu erstattende außergerichtliche Kosten auf 4.452,50 € nebst Zinsen fest. Die GmbH trat den Erstattungsanspruch dem Antragsgegner und Beschwerdeführer (Antragsgegner) mit Abtretungserklärung vom 25. Juli 2012 ab. Mit Schreiben vom 16. Mai 2013 erklärte das FA gegenüber dem Antragsgegner die Aufrechnung der Steuerforderung gegen die Forderung des Antragsgegners. Am 20. Juni 2013 erklärte es zudem die Aufrechnung des Zinsanspruchs aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss mit der Umsatzsteuerforderung für April 2010. Mit Schreiben vom 29. Juli 2013 erklärte der Antragsgegner seinerseits gegenüber dem Finanzamt Y, dem Betriebsstättenfinanzamt der GmbH, die Aufrechnung. Dabei vertrat er die Auffassung, die Aufrechnung des FA vom 16. Mai 2013 gehe fehl, da sie vor Erlass des Kostenfestsetzungsbeschlusses und vor Entstehung des Kostenerstattungsanspruchs und somit verfrüht erklärt worden sei. Sodann hat der Antragsgegner nach § 152 der Finanzgerichtsordnung (FGO) einen Vollstreckungsantrag gestellt. Daraufhin hat das FA beantragt, die Zwangsvollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss des AG bis zum Erlass des Urteils über die Vollstreckungsabwehrklage gegen den Antragsgegner einzustellen. Diesen Antrag erachtete das Finanzgericht (FG) für begründet. Da das FA mit einem Anspruch aufrechne, der aus der Umsatzsteuerfestsetzung für April 2010 resultiere, sei der Anwendungsbereich des § 226 der Abgabenordnung (AO) eröffnet. Die Aufrechnung sei gegenüber dem Antragsgegner wirksam erklärt worden. Die aufgerechneten Forderungen stünden in einem Verhältnis der Gegenseitigkeit. Obwohl die Schuldnerin die GmbH sei, habe das FA auch gegenüber dem Antragsgegner nach § 406 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) aufrechnen können. Der Antragsgegner sei im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung des FA Gläubiger des Kostenerstattungsanspruchs gewesen, daran könne auch der Umstand nichts ändern, dass die Titelumschreibung später erfolgt sei. Da der Kostenerstattungsanspruch bereits mit der Kostengrundentscheidung entstehe, sei eine Aufrechnung auch bereits vor dem Erlass des Kostenfestsetzungsbeschlusses möglich.
Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners, mit der er geltend macht, die Aufrechnungserklärung des FA sei ins Leere gegangen. Denn mit seinem Schreiben vom 8. Mai 2013, das im Betreff mit "Antrag auf Verrechnungsstundung" bezeichnet worden sei, und aus dem bei verständiger Auslegung nach den §§ 133, 157 BGB der Aufrechnungswille deutlich hervorgehe, habe bereits eine wirksame Aufrechnungserklärung vorgelegen, so dass die Forderung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss bereits im Wege der Aufrechnung erloschen sei. Dementsprechend sei das Betreiben der Zwangsvollstreckung aus dem streitgegenständlichen Kostenfestsetzungsbeschluss rechtmäßig. Hilfsweise werde gerügt, dass die vom FA mit Schreiben vom 16. Mai 2013 erklärte Aufrechnung verfrüht gewesen sei.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten. Im Ergebnis schließt es sich den Ausführungen des FG an. Selbst wenn in dem Schreiben vom 8. Mai 2013 eine Aufrechnungserklärung gesehen werden könnte, sei diese aufgrund der Verknüpfung mit einer Zeitbestimmung unwirksam, denn die Aufrechnung sei erst zum Zeitpunkt des Erlasses des Kostenfestsetzungsbeschlusses erklärt worden. Der Antragsgegner habe selbst ausgeführt, dass eine Aufrechnung zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht möglich sei, da der Anspruch erst mit Erlass eines Kostenfeststellungsbeschlusses fällig werde. Infolgedessen lasse sich ein Wille zur Aufrechnung dem Schreiben nicht entnehmen. Auf diesen Umstand sei das FG nicht eingegangen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Nach der in diesem Verfahren gebotenen und ausreichenden summarischen Prüfung hat das FG zu Recht entschieden, dass der Antrag des FA auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung begründet ist, weil das FA gegenüber dem Antragsgegner wirksam die Aufrechnung erklärt hat, die unter den Umständen des Streitfalls bereits vor Erlass des Kostenfestsetzungsbeschlusses zulässig war.
1. Nach der Rechtsprechung des beschließenden Senats ist eine Aufrechnung des FA mit einem Steueranspruch gegen einen Kostenfestsetzungsanspruch des Steuerpflichtigen nach Maßgabe des § 226 AO grundsätzlich zulässig (Senatsbeschlüsse vom 12. Juli 1999 VII B 29/99, BFH/NV 2000, 4, und vom 30. Juli 1996 VII B 7/96, BFH/NV 1997, 93, m.w.N.). Dem FA stand im Zeitpunkt der Aufrechnung ein fälliger Anspruch i.S. des § 226 Abs. 1 AO aus der Umsatzsteuerfestsetzung für April 2010 gegen den Antragsgegner zu. In diesem Zeitpunkt war der Antragsgegner Gläubiger des ihm von der GmbH wirksam abgetretenen Kostenerstattungsanspruchs. Zu Recht hat das FG entschieden, dass die beiden Forderungen in einem Gegenseitigkeitsverhältnis standen (§ 406 BGB).
2. Entgegen der Auffassung der Beschwerde war der Kostenerstattungsanspruch bereits vor dem Erlass des Kostenfestsetzungsbeschlusses bestimmbar und fällig, so dass das FA vor Erlass dieses Beschlusses nicht an der Aufrechnung gehindert war. Nach der Rechtsprechung der Zivilgerichte hat der Kostenfestsetzungsbeschluss keine rechtsgestaltende, anspruchs- oder fälligkeitsbegründende Funktion (Urteile des Bundesgerichtshofs vom 8. Januar 1976 III ZR 146/73, Monatsschrift für Deutsches Recht ‑‑MDR‑‑ 1976, 475, und Beschluss des Oberlandesgerichts ‑‑OLG‑‑ Düsseldorf vom 19. Mai 1988 2 W 25/88, Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 1989, 503, m.w.N., sowie Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 18. Juli 1967 GrS 8/66, BFHE 90, 156, BStBl II 1968, 59, nach dem ein Kostenerstattungsanspruch bereits mit dem Erlass der gerichtlichen Kostenentscheidung auflösend bedingt durch deren Rechtskraft entsteht). Demzufolge ist eine Aufrechnung mit einer Kostenerstattungsforderung nicht nur dann zulässig, wenn die Kosten rechtskräftig festgestellt sind, sondern auch ohne Kostenfestsetzungsbeschluss, wenn die Höhe der zu erstattenden Kosten zwischen den Parteien unstreitig ist. Für eine Aufrechnung reicht somit der Erlass der Kostengrundentscheidung aus (Beschluss des OLG Frankfurt vom 3. August 2011 18 W 130/11; Urteil des Brandenburgischen OLG vom 27. Juli 2006 5 U 160/05, Neue Justiz 2006, 509; Beschluss des OLG München vom 11. April 2000 11 WF 745/00, MDR 2000, 850). Soweit im Schrifttum die Auffassung vertreten wird, die Aufrechnung gegen einen prozessualen Kostenerstattungsanspruch könne grundsätzlich erst nach Erlass des Kostenfestsetzungsbeschlusses erfolgen (Gursky in Staudinger, Kommentar zum BGB, § 387 Rz 118), gilt dies nicht, wenn über den Bestand und die Höhe der Aktivforderung und über die Aufrechnungslage kein Streit besteht. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass im Streitfall die Aufrechnung außerhalb des Kostenfestsetzungsverfahrens erfolgt ist, so dass es nicht zu einer dem Rechtspfleger nicht zustehenden Entscheidung i.S. des § 322 Abs. 2 der Zivilprozessordnung über die Aktivforderung kommen kann, die die zitierte Meinung im Schrifttum durch die Annahme der Unzulässigkeit der Aufrechnung vor Erlass des Kostenfestsetzungsbeschlusses verhindern will.
3. Soweit sich die Beschwerde darauf beruft, bereits mit dem Schreiben des Antragsgegners vom 8. Mai 2013, das im Betreff mit "Antrag auf Verrechnungsstundung" bezeichnet worden ist, sei wirksam aufgerechnet worden, so dass die erst später vom FA abgegebene Aufrechnungserklärung ins Leere gegangen sei, ist die Entscheidung des FG auch unter diesem Gesichtspunkt nicht zu beanstanden. Zwar ist das FG in seiner Begründung nicht ausdrücklich auf das Vorbringen des Antragsgegners eingegangen, der Kostenfestsetzungsbeschluss sei erst zwei Wochen nach der Aufrechnungserklärung durch den Antragsgegner erlassen worden, doch lassen die Ausführungen des FG darauf schließen, dass es diesem Vorbringen offensichtlich nicht gefolgt ist, denn ansonsten hätte es von einem Erlöschen der aufgerechneten Forderungen ausgehen müssen und hätte nicht die Einstellung der Zwangsvollstreckung anordnen dürfen. Dass das FG den Antrag des Antragsgegners auf Verrechnungsstundung nicht als Aufrechnungserklärung ausgelegt hat, kann nicht beanstandet werden. Eine solche Auslegung erscheint zumindest möglich, wenn nicht sogar naheliegend, und verstößt nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, so dass das FG nicht gegen die Vorgaben der §§ 133, 157 BGB verstoßen hat (vgl. zur eingeschränkten Überprüfung der Auslegung von Willenserklärungen BFH-Urteil vom 29. November 2007 IV R 62/05, BFHE 220, 85, BStBl II 2008, 557, m.w.N.). Denn in seinem Schreiben hat der Antragsgegner ausdrücklich darauf hingewiesen, dass seiner Ansicht nach eine Aufrechnung zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht möglich sei und infolgedessen nur um eine Stundung der Umsatzsteuervorauszahlung für das erste Quartal 2013 und um anschließende Aufrechnung ‑‑nach Erfüllung der Voraussetzungen nach § 226 AO i.V.m. den §§ 387 ff. BGB‑‑ gebeten. Es ist daher nachvollziehbar, dass das FG dem Schreiben vom 8. Mai 2013 keine unbedingte Aufrechnungserklärung entnommen hat.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.