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Urteil vom 14. Januar 2016, V R 56/14

Keine Steuerfreiheit von Personalgestellungsleistungen

BFH V. Senat

EGRL 112/2006 Art 132 Abs 1 Buchst g, UStG § 4 Nr 18 S 1, UStG § 4 Nr 27 Buchst a, UStDV § 23 Nr 1, FGO § 126 Abs 3 S 1 Nr 1, FGO § 135 Abs 1, UStG VZ 2008 , UStG VZ 2009 , UStG VZ 2010 , EWGRL 388/77 Art 13 Teil A Abs 1 Buchst i, EWGRL 388/77 Art 13 Teil A Abs 1 Buchst g

vorgehend FG Münster, 14. Oktober 2014, Az: 5 K 4314/12 U

Leitsätze

NV: Entgeltliche Personalgestellungen sind keine im sozialen Bereich erbrachten Gemeinwohldienstleistungen i.S.d. Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL .

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Finanzgerichts Münster vom 15. Oktober 2014  5 K 4314/12 U aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

  1. I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist ein eingetragener und als gemeinnützig anerkannter Verein, der in den Streitjahren (2008 bis 2010) Mitglied eines anerkannten Verbands der freien Wohlfahrtspflege war. Satzungsmäßiger Zweck des Klägers war, "Drogengefährdeten und -abhängigen bei der Bewältigung ihrer Probleme zu helfen".

  2. Aufgrund eines Ende 2007 mit einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (Entleiher) geschlossenen Personalabordnungsvertrags verpflichtete sich der Kläger, dem Entleiher eine seiner Arbeitnehmerinnen zur inhaltlichen und fachlichen Koordinierung eines vom Entleiher initiierten Sozialfürsorgeprojekts (selektive Suchtprävention) für den Streitzeitraum zu überlassen. Dabei blieb das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Arbeitnehmerin ‑‑ungeachtet der Überlassung an den Entleiher‑‑ bestehen. Der Entleiher war aber berechtigt, der Arbeitnehmerin fachliche Weisungen zu erteilen und deren Arbeitsausführung zu überwachen. Ihr Arbeitslohn wurde weiterhin vom Kläger bezahlt; dieser hatte jedoch für die Personalüberlassung gegenüber dem Entleiher einen vertraglichen Anspruch auf Aufwendungsersatz in Höhe der tatsächlich entstandenen Kosten.

  3. Das vom Entleiher initiierte Sozialfürsorgeprojekt zielte darauf ab, Jugendlichen, die erstmals mit Suchtmitteln in Berührung gerieten, Maßnahmen der Frühintervention anzubieten. Dabei sollte die entliehene Arbeitnehmerin als Projektleiterin das Projekt des Entleihers umsetzen, weiterentwickeln und interessierten Organisationen vorstellen. Die Arbeitnehmerin hatte vor der Personalüberlassungsmaßnahme bei dem Kläger besondere Kenntnisse zum inhaltlichen Bereich dieses Projekts gesammelt, dieses insbesondere mitentwickelt.

  4. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) setzte für die entgeltliche Personalgestellung Umsatzsteuer für die Streitjahre fest. Eine Steuerbefreiung komme nicht in Betracht.

  5. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage nach erfolglosem Einspruchsverfahren mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2015, 161 veröffentlichten Gerichtsbescheid insoweit statt, als es die Umsatzsteuer für die Streitjahre jeweils auf 0 € festsetzte. Der Kläger könne sich unmittelbar auf die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem 2006/112/EG (MwStSystRL) berufen. Die Personalgestellung sei durch eine anerkannte Einrichtung mit sozialem Charakter erbracht worden. Zudem handle es sich ‑‑unter Berücksichtigung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) Horizon College vom 14. Juni 2007 C-434/05 (EU:C:2007:343, Rz 34)‑‑ dabei um eine "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistung".

  6. Mit der hiergegen eingelegten Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts.

  7. Zwar seien sowohl der Kläger als auch der Entleiher Einrichtungen i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL. Gleichwohl lägen die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach dieser Bestimmung nicht vor. Das EuGH-Urteil Horizon College (EU:C:2007:343), das zur Auslegung von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) ergangen sei, könne nicht auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL übertragen werden.

  8. Das FA beantragt,
    den Gerichtsbescheid des FG Münster vom 15. Oktober 2014  5 K 4314/12 U aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.

  9. Der Kläger beantragt,
    die Revision zurückzuweisen,
    hilfsweise das Verfahren auszusetzen und dem EuGH nach Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union die Rechtsfrage vorzulegen, "ob bei jeder Form von Personalgestellung die Anwendung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL ausscheidet oder ob dies nur in solchen Fällen anzunehmen ist, in denen gewerbliche Personalgestellung wesentlicher Teil der Tätigkeit des verleihenden und/oder entleihenden Einrichtung ist".

  10. Dienstleistungen der Sozialfürsorge seien Hauptzweck des Klägers sowie des Entleihers. Die Arbeitnehmerin habe bei beiden Einrichtungen identische Tätigkeiten ausgeübt, nämlich eng mit der Sozialfürsorge verbundene Projekttätigkeiten. Im Übrigen sei das EuGH-Urteil Go fair-Zeitarbeit vom 12. März 2015 C-594/13 (EU:C:2015:164) im Streitfall nicht anwendbar, weil er, der Kläger, eine anerkannte Einrichtung mit sozialem Charakter sei und keine gewerbliche Personalgestellung betreibe.

Entscheidungsgründe

  1. II. Die Revision ist begründet. Das Urteil ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Zu Unrecht hat das FG entschieden, dass die entgeltliche Personalgestellung des Klägers nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL steuerfrei ist.

  2. 1. Die Personalgestellung gegen Aufwendungsersatz ist ein steuerbarer Umsatz i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes ‑‑UStG‑‑ (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 23. Juli 2009 V R 93/07, BFHE 226, 435, BStBl II 2015, 735, unter II.1.a, m.w.N.).

  3. 2. Zu Recht geht das FG davon aus, dass die Personalgestellungsleistung nicht nach § 4 Nr. 18 Satz 1 UStG steuerfrei ist.

  4. Steuerfrei sind danach die Leistungen der amtlich anerkannten Verbände der freien Wohlfahrtspflege und der der freien Wohlfahrtspflege dienenden Körperschaften [...], die einem Wohlfahrtsverband als Mitglied angeschlossen sind, wenn [...] die Leistungen unmittelbar dem nach der Satzung [...] begünstigten Personenkreis zugutekommen [...]. Ungeachtet dessen, dass der Kläger als Mitglied in einem nach § 23 Nr. 1 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung amtlich anerkannten Verband der freien Wohlfahrtspflege zum begünstigten Personenkreis gehört, hat er durch die Personalgestellung keine Leistungen erbracht, die unmittelbar dem nach seiner Satzung begünstigten Personenkreis zugutegekommen sind (§ 4 Nr. 18 Satz 1 Buchst. b UStG).

  5. Das Merkmal der Unmittelbarkeit ist leistungsbezogen, d.h. die Leistung selbst muss dem nach der Satzung begünstigten Personenkreis unmittelbar zugutekommen (BFH-Urteile vom 7. November 1996 V R 34/96, BFHE 181, 532, BStBl II 1997, 366, unter II.2., m.w.N.; in BFHE 226, 435, BStBl II 2015, 735, unter II.2.b, m.w.N., und vom 15. September 2011 V R 16/11, BFHE 235, 521, Rz 14 f.). Nicht ausreichend ist, dass die Leistung lediglich als Vorleistung in eine vom Leistungsempfänger ‑‑hier Entleiher‑‑ an den begünstigten Personenkreis erst noch zu erbringende Leistung eingeht (BFH-Urteil vom 30. April 2009 V R 3/08, BFHE 226, 144, BStBl II 2013, 873, unter II.4.a bb (1), m.w.N.). Mit der Personalgestellung unterstützte der Kläger nicht unmittelbar die nach der Satzung des Klägers begünstigten Personen (drogengefährdete Jugendliche). Vielmehr erbrachte er im Streitzeitraum sonstige Leistungen an den Entleiher, die den begünstigten Personen allenfalls mittelbar zugutegekommen sind.

  6. 3. Das FG-Urteil ist aber aufzuheben, weil sich der Kläger nicht mit Erfolg auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL berufen kann (zur grundsätzlichen unmittelbaren Anwendbarkeit der Richtlinie, z.B. EuGH-Urteil Zimmermann vom 15. November 2012 C-174/11, EU:C:2012:716, Rz 32, m.w.N.; BFH-Urteil vom 25. April 2013 V R 7/11, BFHE 241, 475, BStBl II 2013, 976, Rz 21).

  7. a) Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL (und der wortlautidentischen Vorgängerbestimmung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG) befreien die Mitgliedstaaten folgende Umsätze von der Steuer: "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden".

  8. Entgeltliche Personalgestellungen stellen als solche keine im sozialen Bereich erbrachten Gemeinwohldienstleistungen dar und sind somit keine "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Umsätze" i.S. von Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL (EuGH-Urteil Go fair-Zeitarbeit, EU:C:2015:164, Rz 28). Dies gilt auch dann, wenn die aufgrund der Gestellung auszuführende Tätigkeit als Leistung der Sozialfürsorge zu charakterisieren ist und die Gestellung an eine Einrichtung mit sozialem Charakter oder eine Einrichtung des öffentlichen Rechts erbracht wird (EuGH-Urteil Go fair-Zeitarbeit, EU:C:2015:164, Rz 28). Für den erkennenden Senat bestehen insoweit keine Zweifel an der zutreffenden Auslegung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL.

  9. b) Das FG-Urteil geht von anderen Grundsätzen aus und ist daher aufzuheben. Nachdem Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL auf Personalgestellungsleistungen nicht anzuwenden ist, lässt sich eine Steuerbefreiung auch nicht aus der früheren EuGH-Rechtsprechung zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i und g der Richtlinie 77/388/EWG herleiten.

  10. 4. Die Sache ist spruchreif und die Klage abzuweisen, da die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nicht erfüllt sind. Der Höhe nach ist die festgesetzte Umsatzsteuer für die Streitjahre nicht streitig.

  11. Der Kläger hat Personal gestellt. Seiner Leistung liegt ‑‑auch unter Berücksichtigung des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung‑‑ kein sog. Projektführungsvertrag zugrunde, der möglicherweise die Voraussetzungen des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL erfüllen könnte.

  12. 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

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