BFH III. Senat
FGO § 56 Abs 1, FGO § 56 Abs 2 S 1, FGO § 133a, FGO § 142
Leitsätze
NV: Rechtfertigt der Kläger seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist mit einem Antrag auf Prozesskostenhilfe, so wird die nach § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO geltende Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung nicht durch eine Anhörungsrüge hinausgeschoben, die der Kläger ohne begründete Aussicht auf Erfolg gegen die Ablehnung der Prozesskostenhilfe richtet .
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Tatbestand
I. Der Kläger, Beschwerdeführer und Antragsteller (Antragsteller) führte als Gesamtrechtsnachfolger seiner im Jahr 2008 verstorbenen Mutter vor dem Finanzgericht (FG) einen Rechtsstreit, in dem es um die durch Bescheid vom 1. August 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. Juni 2014 festgesetzte Einkommensteuer 2006 ging.
Das FG lehnte zunächst mit Beschluss vom 5. August 2014, der dem Antragsteller am 12. August 2014 bekannt gegeben wurde, einen Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) für eine noch zu erhebende Klage ab. Eine dagegen gerichtete Anhörungsrüge verwarf das FG mit Beschluss vom 29. Juni 2015 als unzulässig.
Am 22. Juni 2015 erhob der Antragsteller Klage und beantragte Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist. Das FG wies die Klage wegen Versäumung der Klagefrist als unzulässig ab. Eine Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist versagte es mit der Begründung, der Antragsteller habe die Zwei-Wochen-Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrags versäumt. Das Hindernis sei mit Bekanntgabe des PKH-Beschlusses am 12. August 2014 weggefallen und somit die Zwei-Wochen-Frist am 26. August 2014 abgelaufen.
Mit dem vorliegenden Antrag begehrt der Antragsteller, ihm für ein noch durchzuführendes Beschwerdeverfahren PKH zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen.
Entscheidungsgründe
II. Der Antrag auf PKH hat keinen Erfolg.
1. a) Nach § 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. §§ 114 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Rechtsverfolgung verspricht hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn für dessen Eintritt bei summarischer Prüfung eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht (Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 17. März 2008 II S 24/07 (PKH), BFH/NV 2008, 1176, unter II.1.).
b) Wird PKH für die Durchführung eines Rechtsmittelverfahrens beantragt und wird ‑‑wie hier‑‑ nicht zugleich innerhalb der Rechtsmittelfrist durch eine vor dem BFH postulationsfähige Person oder Gesellschaft (vgl. § 62 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 FGO) Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision eingelegt, kann die beabsichtigte Rechtsverfolgung nur dann Aussicht auf Erfolg haben, wenn damit zu rechnen ist, dass dem Antragsteller wegen unverschuldeter Versäumung der Rechtsmittelfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 Abs. 1 FGO) zu gewähren ist. Das ist nur dann der Fall, wenn der Antragsteller innerhalb der Rechtsmittelfrist alle erforderlichen Voraussetzungen für eine positive Entscheidung über seinen Antrag schafft. Insbesondere muss er das Streitverhältnis unter Angabe der Beweismittel ‑‑in zumindest laienhafter Weise‑‑ darstellen und darlegen, dass die Zulassungsvoraussetzungen gemäß § 115 FGO gegeben sein könnten (§ 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO; ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 24. November 2009 II S 21/09 (PKH), BFH/NV 2010, 455, und vom 15. April 2014 V S 5/14 (PKH), BFH/NV 2014, 1381).
2. Nach diesen Maßstäben kann dem Antragsteller PKH nicht bewilligt werden. Die angestrebte Nichtzulassungsbeschwerde bietet bei der gebotenen summarischen Prüfung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
a) Es ist nicht ersichtlich, dass das Verfahren eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO aufwirft.
aa) Soweit der Antragsteller die vom FG vertretene Rechtsauffassung in Frage stellt, wonach eine gegen den ablehnenden PKH-Beschluss gerichtete Anhörungsrüge für den Ablauf der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrags ohne Einfluss ist, wenn der Kläger die Klageerhebung zurückstellt, ohne dass die Anhörungsrüge konkrete Aussicht auf Erfolg hat, ist eine grundsätzliche Bedeutung nicht ersichtlich.
Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache setzt u.a. voraus, dass die Rechtsfrage klärungsbedürftig ist. Das ist nicht bereits dann der Fall, wenn der BFH über diese Frage noch nicht entschieden hat. Vielmehr ist erforderlich, dass ihre Beantwortung zu Zweifeln Anlass gibt (BFH-Beschluss vom 12. Mai 2010 IV B 19/09, BFH/NV 2010, 1480).
Dies ist hinsichtlich o.g. Rechtsfrage nicht der Fall. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat zu der früheren Rechtslage die vergleichbare Rechtsfrage, ob die Gegenvorstellung gegen die Ablehnung des Armenrechtsgesuchs den Fristbeginn für die Stellung des Wiedereinsetzungsantrags hinausschiebt, verneint (BGH-Beschluss vom 26. September 1979 IV ZB 52/79, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1980, 393; bestätigt durch BGH-Beschlüsse vom 20. Juni 2006 VI ZR 255/05, Versicherungsrecht 2007, 132, und vom 20. April 2009 XI ZA 11/08, nicht veröffentlicht). Dieser Auffassung wird in der Kommentarliteratur auch für das finanzgerichtliche Verfahren gefolgt (Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 56 FGO Rz 482; Gräber/Stapperfend Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 56 Rz 20 Stichwort "Prozesskostenhilfe"). Zudem hat der erkennende Senat bereits entschieden, dass die Wiedereinsetzungsfrist auch durch von vornherein aussichtslose Verfassungsbeschwerden und Gesuche an die Europäische Kommission für Menschenrechte gegen den ablehnenden PKH-Beschluss nicht hinausgeschoben wird (Senatsbeschluss vom 27. November 1991 III B 566/90, BFH/NV 1992, 686). Auch anderweitig sind keine Umstände erkennbar, die Zweifel an der Beantwortung der Rechtsfrage begründen könnten.
bb) Soweit der Antragsteller die Frage aufwirft, ob es eine Benachteiligung nicht beratener Kläger sei, wenn diese erst durch die verspätete Einlegung der Klage davon in Kenntnis gesetzt würden, dass sie die Klage bereits nach Ablehnung des PKH-Antrags und nicht erst nach Verwerfung der Anhörungsrüge hätten erheben müssen, stellt dies ebenfalls keine klärungsbedürftige Rechtsfrage dar.
Durch die Rechtsprechung des BFH ist bereits geklärt, dass das Hindernis für die Einhaltung der Klagefrist wegfällt, sobald der Kläger oder sein Bevollmächtigter erkannt hat oder bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte erkennen können und müssen, dass die Frist versäumt ist (BFH-Urteile vom 1. Oktober 1992 IV R 34/90, BFHE 169, 503, BStBl II 1993, 259; vom 18. Februar 2004 I R 45/03, BFH/NV 2004, 1108). Entgegen der Auffassung des Antragstellers bedarf es daher nicht der positiven Kenntnis vom Wegfall des Hindernisses. Vielmehr genügt es, wenn bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt Kenntnis von der Fristversäumnis bestanden hätte. Zudem gilt diese Verschuldensabhängigkeit des "Wegfalls des Hindernisses" i.S. des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO unabhängig davon, ob der Kläger vertreten ist oder nicht.
Übertragen auf den Streitfall bedeutet dies, dass sich der Antragsteller ‑‑auch bei den an ihn als Laien gestellten Sorgfaltsanforderungen‑‑ nicht einfach darauf verlassen durfte, dass seine weder durch die in der Einspruchsentscheidung enthaltene Rechtsbehelfsbelehrung noch erkennbar anderweitig gestützte Rechtsmeinung, wonach der Beginn der Wiedereinsetzungsfrist durch die Erhebung der Anhörungsrüge hinausgeschoben wird, zutrifft. Vielmehr hätte er sich nach Ablehnung seines PKH-Antrags insoweit erkundigen und im Zweifel selbst Klage erheben müssen.
3. Anhaltspunkte für eine zur Revisionszulassung führende Divergenz i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO liegen nicht vor.
4. Ebenso wenig sind Verfahrensmängel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ersichtlich. Ein Verfahrensmangel kann sich insbesondere nicht daraus ergeben, dass ‑‑wie der Antragsteller vorträgt‑‑ das FG mehrfach Kosten für eine Anhörungsrüge erhoben habe, obwohl er zweifelsfrei nur einen diesbezüglichen isolierten PKH-Antrag gestellt habe. Denn ein solcher Mangel beträfe nur das Verfahren der Anhörungsrüge nicht hingegen das dem anzugreifenden Urteil zugrundeliegende Verfahren.
Im Übrigen setzen sich die Ausführungen des Antragstellers entweder bereits nicht mit dem vorliegenden Verfahren oder nicht mit der vom FG behandelten Zulässigkeitsvoraussetzung auseinander.
5. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen. Gerichtsgebühren sind nicht entstanden, weil das Kostenverzeichnis hierfür keinen Gebührentatbestand vorsieht (§ 1 Abs. 2 Nr. 2, § 3 Abs. 2 i.V.m. Anlage 1 Teil 6 des Gerichtskostengesetzes).