BFH VII. Senat
FGO § 115 Abs 2 Nr 3, FGO § 65 Abs 1 S 1, FGO § 65 Abs 2 S 2, FGO § 74, StBerG Abs 2 Nr 1, StBerG § 46 Abs 2 Nr 6
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht , 22. Juni 2015, Az: 6 K 337/14
Leitsätze
NV: Eine Verfügung, mit der nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO eine Ausschlussfrist zur Angabe einer ladungsfähigen Anschrift gesetzt wird, muss vom verfügenden Richter mit einer Unterschrift versehen werden, so dass eine Paraphe nicht ausreicht.
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 23. Juni 2015 6 K 337/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
I. Wegen Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit und wegen Nichtunterhaltung einer beruflichen Niederlassung widerrief die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Steuerberaterkammer) nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 und 6 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) die Bestellung der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) als Steuerberaterin. Die Klage dagegen wies das Finanzgericht (FG) als unzulässig ab. Zuvor hatte es der Klägerin mit richterlicher Verfügung vom 15. April 2015 nach § 65 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eine Frist mit ausschließlicher Wirkung zur Abgabe ihrer ladungsfähigen Anschrift bis zum 12. Mai 2015 gesetzt. Zudem wies das FG in dem Schreiben auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 17. Juni 2010 III R 53/07 (BFH/NV 2011, 264) hin, nach dem die Angabe des Wohnortes der Klägerin eine Sachentscheidungsvoraussetzung sei, die bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vorliegen müsse, woran es gegenwärtig fehle. Am 12. Mai 2015 teilte die Klägerin mit, ihre ladungsfähige Anschrift laute "A-Straße, B-Stadt". Mit einer weiteren Verfügung vom 15. April 2015 gab das FG der Klägerin gemäß § 79b Abs. 2 und 3 FGO auf, darzulegen, ob und gegebenenfalls wo sie in der Zeit ab dem 1. September 2014 eine Berufstätigkeit als Steuerberaterin ausgeübt habe. Zur Begründung seiner Entscheidung, mit der das FG die Klage als unzulässig abwies, führte es aus, die Klägerin habe eine ladungsfähige Anschrift nicht innerhalb der ihr gesetzten Ausschlussfrist angegeben. Sie sei verpflichtet gewesen, ihre Wohnanschrift mitzuteilen. Bei der am letzten Tag der Frist mitgeteilten Adresse handele es sich jedoch nicht um die Wohnanschrift der Klägerin, wie diese selbst in der mündlichen Verhandlung eingeräumt habe. Im Mai habe sie nämlich in X (Großbritannien) gelebt. Bereits dadurch sei die Klage unzulässig geworden. Aber selbst wenn entgegen der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Angabe einer beruflichen Niederlassung als ausreichend erachtet werden könne, hätte die Klägerin eine solche Adresse nicht zutreffend bezeichnet. Der von der Klägerin vorgelegte Mietvertrag sei nicht vor dem 12. Mai 2015 geschlossen worden. Zudem habe die Klägerin das gemietete Büro nicht bereits an diesem Tag bezogen. Aufgrund der Gesamtumstände sei das FG davon überzeugt, dass die Klägerin am 12. Mai 2015 in B-Stadt noch keine berufliche Niederlassung als Steuerberaterin unterhalten habe und dort auch nicht ansässig gewesen sei. Beweisanträge habe die Klägerin nicht gestellt. Das beim Verwaltungsgericht anhängige Gerichtsverfahren und das bei der Steuerberaterkammer anhängige Verwaltungsverfahren auf Genehmigung einer gewerblichen Tätigkeit für eine GmbH & Co. KG seien nicht vorgreiflich, so dass eine Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO nicht in Betracht komme.
Mit ihrer Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision wegen Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Die Verfügung des FG vom 15. April 2015 leide unter dem Mangel der Unbestimmtheit, weil sie (die Klägerin) die darin vorgenommene Fristsetzung dahin hätte verstehen können, dass eine Mitteilung der Wohnanschrift bis zum Ende der mündlichen Verhandlung noch möglich gewesen sei. Die Fristsetzung sei widersprüchlich. Entsprechend der Verfügung habe sie sich auch verhalten und bis zum Ende der mündlichen Verhandlung sowohl die Privatadresse als auch die Geschäftsadresse mitgeteilt. Da das FG die Klage jedoch als unzulässig abgewiesen habe, sei ihr Gehörsanspruch aus Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes verletzt. Zudem weise die in der Akte befindliche Verfügung, mit der die Ausschlussfrist gesetzt worden sei, keine Unterschrift des Richters auf. Lediglich die interne Verfügung des FG trage eine Unterschrift, doch sei nicht zu erkennen, wer dort unterschrieben habe und ob es sich hierbei nur um ein Namenskürzel handele. Verfahrensfehlerhaft habe das FG die Anforderungen an eine ladungsfähige Anschrift überinterpretiert und § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO fehlerhaft angewandt. Aufgrund der Besonderheiten des Streitfalls habe auf die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift verzichtet werden können. An ihrer Identität hätten keine Zweifel bestanden, auch sei sie zu keinem Zeitpunkt nicht erreichbar gewesen, weshalb die misslungenen Zustellversuche unbeachtlich seien. Ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz liege vor, weil das FG ihre Geschäftsadresse als ladungsfähige Anschrift nicht ausreichend ermittelt habe. Erst einen Tag vor der mündlichen Verhandlung habe es weitere Nachweise angefordert, obwohl auch die Anberaumung eines Ortstermins möglich gewesen sei. Schließlich sei das FG seiner Verpflichtung zur Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO nicht nachgekommen.
Die Steuerberaterkammer ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet. Die von der Klägerin behaupteten Verfahrensmängel liegen nicht vor.
1. Entgegen der Auffassung der Beschwerde ist die Verfügung vom 15. April 2015 hinsichtlich der vom FG gesetzten Ausschlussfrist nicht widersprüchlich. Die Formulierung "Gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO wird Ihnen hiermit ... zur Angabe der ladungsfähigen Anschrift der Klägerin eine Frist mit ausschließlicher Wirkung (Ausschlussfrist) bis zum 12.05.2015 gesetzt. Bitte beachten Sie, dass die Klage bei nicht fristgerechter Angabe unzulässig wird." lässt keinen Zweifel über die Unbedingtheit und Bestimmtheit dieser Aufforderung zu. Lediglich als Begründung für die angegebene Rechtsfolge, nämlich die Unzulässigkeit der Klage, und nicht als Bestandteil der eigentlichen Verfügung können die nachfolgenden Ausführungen verstanden werden, die durch die Einleitung "Ergänzend weise ich auch auf das BFH-Urteil vom 17. Juni 2010 III R 53/07 (BFH/NV 2011, 264) hin." nur als zusätzlicher Hinweis gedeutet werden können. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Verfügung an eine rechtskundige Steuerberaterin gerichtet war.
2. Ein Verfahrensmangel kann nicht darin gesehen werden, dass die Verfügung keine ausgeschriebene Unterschrift, sondern nur eine Paraphe aufweist. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung muss eine Verfügung, mit der eine Ausschlussfrist gesetzt wird, vom Richter unterschrieben sein, so dass ein Namenskürzel (Paraphe) nicht genügt (BFH-Entscheidungen vom 17. November 2003 XI B 213/01, BFH/NV 2004, 514; vom 14. April 1983 V R 4/80, BFHE 138, 21, BStBl II 1983, 421, und vom 26. August 1982 IV R 31/82, BFHE 136, 351, BStBl II 1983, 23). Das Unterschriftserfordernis ergibt sich aus der Notwendigkeit, dass gerichtliche Willensäußerungen, wie z.B. Verfügungen, die Rechtswirkungen für die Prozessbeteiligten haben, ihren Urheber erkennen lassen müssen. Im Streitfall ist dieses Erfordernis erfüllt, denn die eigentliche Verfügung trägt eine Unterschrift. Dass es sich um die Unterschrift des Richters am FG … handelt, ergibt ein Vergleich mit der Unterschrift, die sich auf dem Original des bei den Akten befindlichen Urteils befindet. Die auf dem Blatt der Verfügung ebenfalls angebrachte Paraphe bezieht sich lediglich auf eine interne Anweisung, mit der eine Übersendung einer Durchschrift der Verfügung an die Steuerberaterkammer als Passivpartei bewirkt werden soll. Im Übrigen ist die Zustellung einer beglaubigten Abschrift der Verfügung ausreichend; diese muss keine Originalunterschrift des verfügenden Richters tragen. Der von der Beschwerde gerügte Verfahrensmangel liegt somit nicht vor.
3. Soweit die Klägerin vorträgt, das FG habe die Anforderungen überspannt, die an die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift zu stellen sind, und § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO fehlerhaft angewandt, rügt sie keinen Verfahrensmangel, sondern eine fehlerhafte Rechtsanwendung. Dieses Vorbringen kann jedoch der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen, denn Fehler bei der Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts im konkreten Einzelfall rechtfertigen für sich gesehen nicht die Zulassung der Revision (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Dezember 2013 VII B 94/13, BFH/NV 2014, 697, m.w.N.; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 24 und § 116 Rz 34, jeweils m.w.N.).
4. Entgegen der Auffassung der Klägerin hätte das FG von Amts wegen keine weiteren Ermittlungen zur Feststellung der angegebenen Geschäftsadresse anstellen müssen. Ausweislich der Urteilsbegründung hat das FG nachvollziehbar dargelegt, warum es aufgrund der Gesamtumstände zu der Überzeugung gelangt ist, dass die Klägerin am 12. Mai 2015 in B-Stadt noch keine berufliche Niederlassung als Steuerberaterin unterhalten hat und dort auch nicht ansässig gewesen ist. Im Übrigen legt die Beschwerde nicht hinreichend dar, warum das FG bei weiteren Ermittlungen zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis hätte kommen müssen. Dazu hätte indes Anlass bestanden, denn aus der Sicht des FG war die Angabe der Geschäftsadresse ‑‑auch unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung‑‑ nicht entscheidungserheblich. Dies belegt der Hinweis, dass die Klage bereits aufgrund der Nichtangabe einer Wohnanschrift unzulässig geworden sei. Unter diesen Gesichtspunkten erweisen sich die zusätzlichen Ausführungen zu der angegebenen Geschäftsadresse lediglich als ein "obiter dictum".
5. Schließlich hat das FG zu Recht eine Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO abgelehnt. Da nach seiner Rechtsansicht die Klage bereits nicht ordnungsgemäß erhoben und bereits aus diesem Grund als unzulässig abzuweisen war, hatte es einer Aussetzung des Verfahrens nicht bedurft. Zudem übersieht die Beschwerde, dass die Steuerberaterkammer den Widerruf der Bestellung als Steuerberaterin auf zwei Gründe gestützt hat, die unabhängig voneinander die angefochtene Entscheidung tragen. Die von der Klägerin angestrengten Verfahren betreffen nur die Genehmigung einer gewerblichen Tätigkeit nach § 57 Abs. 4 Nr. 1 StBerG und nicht die Nichtunterhaltung einer beruflichen Niederlassung in Deutschland, die für sich den Widerruf der Zulassung trägt.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.