BFH V. Senat
AO § 149 Abs 1, AO § 150 Abs 1 S 3, AO § 167 Abs 1 S 1, AO § 168 S 2, AO § 169 Abs 1 S 1, AO § 169 Abs 2 S 1 Nr 2, AO § 169 Abs 2 S 2, AO § 170 Abs 2 S 1 Nr 1, AO § 171 Abs 3, AO § 171 Abs 4, AO § 171 Abs 5 S 1, FGO § 57 Nr 1, FGO § 126 Abs 2, UStG § 2 Abs 1, UStG § 18 Abs 3 S 1
vorgehend FG München, 29. April 2014, Az: 3 K 1665/12
Leitsätze
NV: Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO endet ‑‑auch im Falle einer nach Abgabe der Steueranmeldung wegen § 168 Satz 2 AO noch nicht festgesetzten Steuer‑‑ erst, wenn die auf Grund der Ermittlungen der Fahndungsprüfung zu erlassenden Bescheide unanfechtbar geworden sind.
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Finanzgerichts München vom 30. April 2014 3 K 1665/12 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht München zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ‑‑eine zwischenzeitlich im Handelsregister gelöschte und nicht wieder eingetragene GmbH‑‑ übte im Streitjahr 2000 das Gewerbe aus. Einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer war X.
Am 4. September 2001 gab die Steuerfahndungsstelle des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ‑‑FA‑‑) gegenüber dem Geschäftsführer X die Eröffnung des Steuerstrafverfahrens bekannt. Die Fahndungsprüfung betraf u.a. Ermittlungen wegen Hinterziehung der Umsatzsteuer für 2000. Ausweislich eines Vermerks des FA wurde das gegenüber X eingeleitete Steuerstrafverfahren am 4. Juni 2006 eingestellt.
In den Steuerakten befindet sich eine nicht bekanntgegebene Umsatzsteuerberechnung für 2000 vom 18. März 2003. Danach ging das FA von einer festzusetzenden Umsatzsteuerschuld von 49.084,02 € aus. Auf dem dazugehörigen Prüfhinweis ist handschriftlich "intern" vermerkt.
Am … Juni 2006 wurde die Klägerin ‑‑nachdem der Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen mangels Masse am Anfang 2003 abgewiesen worden war‑‑ wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht.
Am 27. Dezember 2007 reichte X für die Klägerin die Umsatzsteuer-Jahreserklärung für 2000 erstmalig beim FA ein. In dieser Steueranmeldung machte sie eine Steuervergütung von 7.156,41 DM geltend. Am 13. Juli 2010 gab X für die Klägerin eine korrigierte Umsatzsteuer-Jahreserklärung für 2000 ab, mit der eine Steuervergütung von 231.427,40 DM beansprucht wurde. Das FA stimmte diesen Umsatzsteuererklärungen weder zu noch setzte es die Jahressteuer abweichend davon fest.
Sowohl der am 24. Juni 2011 durch X im Namen der Klägerin eingelegte Einspruch wegen Nichtbearbeitung der Umsatzsteuererklärung für 2000 als auch die am 25. Mai 2012 erhobene Untätigkeitsklage, die im Laufe des Rechtsstreits durch die am 21. Mai 2012 bestellte Nachtragsliquidatorin genehmigt wurden, blieben ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Der beantragten Umsatzsteuerfestsetzung für 2000 in Höhe von ./. 231.427,40 DM und damit der Festsetzung eines Vergütungsbetrags stehe die Festsetzungsverjährung entgegen. Der Ablauf der vierjährigen Festsetzungsfrist sei insbesondere nicht nach § 171 Abs. 5 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) gehemmt worden, weil auf Grund der Fahndungsprüfung kein Steuerbescheid ergangen sei.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts. Der Ablauf der Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuerfestsetzung für 2000 sei im Zeitpunkt der Einlegung des Untätigkeitseinspruchs u.a. nach § 171 Abs. 5 AO gehemmt gewesen. Auf die Besteuerungsgrundlagen wirkten sich auch solche Erkenntnisse der Fahndungsprüfung aus, die die bisherigen Angaben des Steuerpflichtigen in einer zustimmungsbedürftigen Steueranmeldung als zutreffend bestätigten. Die Ermittlungsmaßnahmen beseitigten die Ungewissheiten, die einer Zustimmung nach § 168 Satz 2 AO bisher entgegengestanden hätten.
Die Klägerin beantragt,
das FA unter Aufhebung des Urteils des FG München vom 30. April 2014 3 K 1665/14 zu verpflichten, die Umsatzsteuer für 2000 auf den negativen Betrag von 118.326,95 € (231.427,40 DM) festzusetzen.Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.Die Voraussetzungen der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO lägen nicht vor. Nach seinem Wortlaut laufe die Festsetzungsfrist nur "insoweit" nicht ab, "bevor die auf Grund der Ermittlungen zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind". Deshalb trete die Ablaufhemmung nur in dem Umfang ein, in dem sich die Ergebnisse der Ermittlungen auf die Höhe der festzusetzenden Steuer auswirkten.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
Entgegen der Auffassung des FG war der Ablauf der Festsetzungsfrist wegen Umsatzsteuer für 2000 nach § 171 Abs. 5 AO gehemmt. Die Feststellungen des FG reichen indes nicht aus, um abschließend in der Sache entscheiden zu können.
1. Im Streitfall steht der nach § 168 Satz 2 AO erforderlichen Zustimmung zu der am 13. Juli 2010 beim FA eingereichten (korrigierten) Umsatzsteuer-Jahreserklärung für 2000 oder dem Erlass einer davon abweichenden Steuerfestsetzung (§ 167 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 AO) der Ablauf der Festsetzungsfrist nicht entgegen.
a) Die reguläre Festsetzungsfrist für die Festsetzung der Umsatzsteuer für 2000 begann mit Ablauf des 31. Dezember 2003 und endete grundsätzlich mit Ablauf des 31. Dezember 2007. Nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist, wenn eine Steueranmeldung einzureichen ist, mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steueranmeldung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Die Jahresumsatzsteuer entsteht mit Ablauf des Besteuerungszeitraums (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 9. Mai 1996 V R 62/94, BFHE 181, 188, BStBl II 1996, 662, unter II.1.), im Streitfall also mit Ablauf des Kalenderjahrs 2000. Damit beginnt die Festsetzungsfrist spätestens mit Ablauf des 31. Dezember 2003. Die vierjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO endete damit regulär mit Ablauf des 31. Dezember 2007. Feststellungen, die zu einer Verlängerung der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO führen könnten, hat das FG nicht getroffen und sind auch nicht ersichtlich.
b) Rechtsfehlerhaft hat das FG die Hemmung der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 5 AO verneint.
aa) Beginnen die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen vor Ablauf der Festsetzungsfrist beim Steuerpflichtigen mit Ermittlungen der Besteuerungsgrundlagen, so läuft die Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO insoweit nicht ab, bevor die auf Grund der Ermittlungen zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind. Voraussetzung für die verjährungshemmende Wirkung der Fahndungsprüfung ist, dass Ermittlungshandlungen vor Ablauf der Festsetzungsfrist tatsächlich vorgenommen worden sind. Darüber hinaus muss für den Steuerpflichtigen erkennbar sein, dass in seinen Steuerangelegenheiten ermittelt wird. Für Steueransprüche, die nicht Gegenstand der Fahndungsprüfung waren, kann keine Ablaufhemmung eintreten (BFH-Urteile vom 13. Februar 2003 X R 62/00, BFH/NV 2003, 740, unter II.2.b aa, m.w.N., und vom 8. Juli 2009 VIII R 5/07, BFHE 226, 198, BStBl II 2010, 583, unter II.1., Rz 16, m.w.N.). Beim Steuerpflichtigen ist mit den Ermittlungen begonnen worden, wenn sich die Ermittlungshandlungen gegen den betroffenen Steuerschuldner selbst oder ‑‑wie im Streitfall‑‑ gegen das Vertretungsorgan des Steuerschuldners richten (Banniza in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 171 AO Rz 137, und Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 171 AO Rz 68a; vgl. auch BFH-Urteil vom 8. Juli 2009 XI R 41/08, BFH/NV 2010, 1). Nach den Feststellungen des FG hat die Steuerfahndung am 4. September 2001 dem Geschäftsführer X der Klägerin die Eröffnung des Steuerstrafverfahrens u.a. wegen Hinterziehung der Umsatzsteuer für 2000 eröffnet. Damit hat sie spätestens zu diesem Zeitpunkt ‑‑und somit vor Ablauf der regulären Festsetzungsfrist‑‑ mit den für den Steuerpflichtigen erkennbaren Ermittlungen von Besteuerungsgrundlagen begonnen.
bb) Die danach gehemmte Festsetzungsfrist ist nicht abgelaufen, bevor die auf Grund der Ermittlungen zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind.
(1) Nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO ist die Dauer der Ablaufhemmung mit der Unanfechtbarkeit der auf Grund der Ermittlungen zu erlassenden Bescheide verknüpft. Dies hat zur Folge, dass der Erlass eines (Änderungs-)Bescheids im Anschluss an eine Fahndungsprüfung grundsätzlich ohne zeitliche Begrenzung zulässig ist. Unerheblich ist demnach, dass diese Bescheide innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach Abschluss der Ermittlungen ergehen oder ihre Umsetzung über einen längeren Zeitraum unterbleibt (BFH-Urteil vom 24. April 2002 I R 25/01, BFHE 198, 303, BStBl II 2002, 586, unter II.4.a, dort auch zu den Unterschieden zu § 171 Abs. 4 AO; Verfassungsbeschwerde durch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. November 2002 1 BvR 1461/02, nicht zur Entscheidung angenommen; BFH-Urteile vom 15. März 2007 II R 5/04, BFHE 215, 540, BStBl II 2007, 472, unter II.1.d, und in BFHE 226, 198, BStBl II 2010, 583, unter II.1., Rz 16).
(2) Nach diesen Maßstäben kommt es entgegen der Auffassung des FG für den Ablauf der nach § 171 Abs. 5 AO gehemmten Festsetzungsfrist nicht darauf an, ob auf Grund der Fahndungsprüfung Umsatzsteuerbescheide "ergangen" sind. Sind auf Grund der Ermittlungen der Fahndungsprüfung Steuerbescheide zu erlassen, enden die Ablaufhemmung und damit die Festsetzungsfrist erst, wenn diese Steuerbescheide unanfechtbar werden.
(a) Im Regelfall endet die ‑‑gehemmte‑‑ Festsetzungsfrist, wenn die Fahndungsprüfung Besteuerungsgrundlagen ermittelt, die in dem bisherigen Steuerbescheid noch nicht erfasst waren und zu einer geänderten ‑‑unanfechtbaren‑‑ Steuerfestsetzung führen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 14. April 1999 XI R 30/96, BFHE 188, 286, BStBl II 1999, 478; in BFHE 198, 303, BStBl II 2002, 586). Dies gilt auch dann, wenn die ermittelten Besteuerungsgrundlagen zu einer erstmaligen ‑‑unanfechtbaren‑‑ Steuerfestsetzung führen (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFH/NV 2003, 740, zur Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags).
(b) Ebenso ist es im Falle einer ‑‑nach Abgabe der Steueranmeldung wegen § 168 Satz 2 AO‑‑ noch nicht festgesetzten Steuer. Auch hier endet die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO erst, wenn die auf Grund der Ermittlungen der Fahndungsprüfung noch zu erlassenden Bescheide unanfechtbar geworden sind. Denn soweit Besteuerungsgrundlagen noch nicht festgesetzt und Gegenstand der Fahndungsprüfung sind, ergibt sich stets eine in einem Steuerbescheid zu berücksichtigende Änderung der Besteuerungsgrundlagen, weil sich die Ermittlungen zwangsläufig auf diese auswirken. Dies gilt auch bei zu Gunsten des Steuerpflichtigen gewonnenen Erkenntnissen (vgl. auch FG Saarland vom 12. April 2005 1 K 224/04, Entscheidungen der Finanzgerichte 2005, 1582, unter 2.a; Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 171 AO Rz 71). Folgt z.B. aus den Ermittlungen der Fahndungsprüfung, dass Angaben eines Steuerpflichtigen in einer Steuererklärung, die bisher noch nicht Gegenstand einer Steuerfestsetzung waren, beanstandungsfrei sind, müssen daher auch diese durch die Fahndungsprüfung gewonnenen Erkenntnisse umgesetzt werden, wenn und soweit die Prüfung ‑‑wie im Streitfall‑‑ vor Ablauf der Festsetzungsfrist begonnen hat (BFH-Urteil in BFHE 198, 303, BStBl II 2002, 586, unter II.3.a). Die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO ist somit nur dann ohne Bedeutung, wenn sich auf Grund einer Fahndungsprüfung keine Änderung der Besteuerungsgrundlagen ergibt (BFH-Urteil in BFHE 198, 303, BStBl II 2002, 586, unter II.4.b cc).
(3) Im Streitfall konnte danach die Umsatzsteuerfestsetzung für 2000 nur dann unterbleiben, wenn sich auf Grund der Ermittlungen der Fahndungsprüfung keine Änderungen gegenüber der bisherigen Bescheidlage ergeben hätten, da die Umsatzsteuer für 2000 Gegenstand der Fahndungsprüfung war und die Festsetzungsfrist im Streitfall noch gehemmt ist. Keine Änderungen hätten sich auf Grund der Ermittlungen nur dann ergeben können, wenn die Erkenntnis gewonnen worden wäre, dass die Klägerin keine Unternehmerin i.S. des § 2 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes ist. Nur in diesem Fall hätte eine Umsatzsteuerfestsetzung unterbleiben können. Die Unternehmereigenschaft der Klägerin ist indes nicht streitig.
2. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat ‑‑aus seiner Sicht zu Recht‑‑ keine Feststellungen dazu getroffen, in welchem Umfang die Festsetzungsfrist gehemmt ist und in welcher Höhe die Umsatzsteuer oder eine etwaige Umsatzsteuervergütung festzusetzen ist.
3. Die Übertragung der Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 2 FGO.