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Urteil vom 09. September 2015, XI R 21/13

Zum Begriff "Lieferung" im umsatzsteuerrechtlichen Sinne

BFH XI. Senat

UStG § 3 Abs 1, EGRL 112/2006 Art 14 Abs 1, UStG § 15 Abs 1 S 1 Nr 1, UStG VZ 2010

vorgehend FG München, 25. Januar 2012, Az: 14 K 2222/11

Leitsätze

NV: Eine Lieferung i.S. von § 3 Abs. 1 UStG setzt nicht notwendigerweise voraus, dass der Erwerber eine unmittelbare Zugriffsmöglichkeit auf den gelieferten Gegenstand erlangt .

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Finanzgerichts München vom 26. Januar 2012  14 K 2222/11 aufgehoben.

Die Sache wird an das Finanzgericht München zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

Tatbestand

  1. I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) begehrt den Vorsteuerabzug aus dem Erwerb einer Photovoltaikanlage.

  2. Sie war im Besteuerungszeitraum 2010 (Streitjahr) selbständig im Bereich Partyservice, Organisation und Dekoration von Festen tätig.

  3. Am 8. November 2010 bestellte die Klägerin bei der … GmbH & Co. KG (G) eine Photovoltaikanlage ‑‑bestehend aus Modulen, Wechselrichter, Unterkonstruktion und erforderlichem Systemzubehör‑‑ zum Preis von 50.000 € (netto). Die G hatte die Anlage zuvor in Bauteilen von der … AG mit Sitz in … (C) erworben. Nach Nr. 1.4 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) von G war dieser bekannt, dass die Klägerin die Photovoltaikanlage an die C zu verpachten beabsichtigte. Außerdem wies die Klägerin die G an, die Anlage direkt an die C zu übergeben (Nr. 2.2 der AGB).

  4. Ebenfalls am 8. November 2010 bot die Klägerin der C den Abschluss eines Pachtvertrags an, der durch Annahme seitens der C am 20. Dezember 2010 zu Stande kam. Als Gegenstand des Pachtvertrags wurde dabei nicht die Überlassung der Photovoltaikanlage in betriebsbereitem Zustand, sondern die Überlassung der Einzelteile vereinbart. Die C schuldete ‑‑beginnend ab Januar 2011‑‑ für die Dauer von 215 Monaten einen monatlichen Pachtzins in Höhe von jeweils 541,67 € (netto). Zudem war sie, die C, verpflichtet, die Anlage an einem geeigneten Standort in Deutschland, insbesondere auf einem Dach oder in einem Solarpark, zu errichten und während der gesamten Dauer des Pachtverhältnisses die Funktionsfähigkeit der Photovoltaikanlage zu gewährleisten, wozu insbesondere die Wartung, Reparatur und ggf. Erneuerung der Anlage zählten. Die C war auch befugt, den Aufstellungsort der Anlage zu wechseln. Die Klägerin musste die Photovoltaikanlage nach Ablauf der vereinbarten Pachtdauer der C oder einem von dieser benannten Dritten zu einem Kaufpreis von 10.833,40 € (netto) anbieten.

  5. Bis zur Installation lagerten die von der G an die Klägerin verkauften Teile in einer von der C angemieteten Lagerhalle. Die Photovoltaikanlage wurde im Dezember 2010 von C auf einem Gebäude in … installiert, aber bis Januar 2012 nicht zur Stromerzeugung genutzt.

  6. Am 20. Dezember 2010 reichte die Klägerin beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ‑‑FA‑‑) eine Umsatzsteuervoranmeldung für Dezember 2010 ein, in der sie Vorsteuern in Höhe von 9.500 € im Zusammenhang mit dem Erwerb der Photovoltaikanlage geltend machte. Da die Klägerin zwar zwei Rechnungen der G vorlegte, nicht jedoch die vom FA angeforderten Nachweise über die Lieferung, insbesondere das Lieferdatum und den Standort, sowie zur Existenz bzw. Funktionstüchtigkeit der Photovoltaikanlage, lehnte das FA den Vorsteuerabzug mit Bescheid vom 3. Mai 2011 mit der Begründung ab, dass bezüglich der Verpachtung der Photovoltaikanlage keine selbständige unternehmerische Tätigkeit i.S. von § 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) der Klägerin vorliege.

  7. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit der Begründung ab, es sei keine Lieferung an die Klägerin erfolgt. Selbst wenn man ‑‑trotz vorhandener Zweifel‑‑ davon ausgehe, dass die G die Verfügungsmacht über die Photovoltaikanlage gehabt habe, sei der Klägerin selbst jedenfalls keine Verfügungsmacht an dieser Anlage eingeräumt worden. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 1702 veröffentlicht.

  8. Das FA schätzte mit unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehendem Bescheid vom 11. Dezember 2012 die Besteuerungsgrundlagen für das Streitjahr 2010 und setzte die Umsatzsteuer ohne Berücksichtigung des von der Klägerin begehrten Vorsteuerabzugs auf 0 € fest. Mit Bescheid vom 28. Oktober 2013 hob es den Vorbehalt der Nachprüfung auf.

  9. Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (§ 3 Abs. 1, § 15 Abs. 1 UStG).

  10. Die G habe die Photovoltaikanlage an sie geliefert. Sie, die Klägerin, habe sowohl das zivilrechtliche Eigentum als auch das wirtschaftliche Eigentum an der tatsächlich existenten Photovoltaikanlage erlangt. Ihrem Herausgabeanspruch komme auch wirtschaftliche Bedeutung zu, denn entweder werde ihr Eigentum über den Kaufpreis angemessen vergütet oder sie erhalte die Photovoltaikanlage zur freien Verfügung, falls die C das ihr zustehende Andienungsrecht nicht ausübe. Sie sei in ihrer Verfügungsbefugnis nur aufgrund des von ihr freiwillig abgeschlossenen Pachtvertrags beschränkt.

  11. Soweit das FG darauf abstelle, eine Lieferung setze voraus, dass sie, die Klägerin, in die Lage versetzt werden müsse, unmittelbar auf die Anlage zuzugreifen, führe dies dazu, dass es in vielen Fällen keine Reihengeschäfte mehr gebe. Bei Reihengeschäften sei es häufig so, dass die physische Lieferung erst erfolge, nachdem die Ware weiterverkauft oder "verleast" sei. Die Auffassung des FG führe dazu, dass in diesen Fällen keine Lieferung vorliege. Im Gegensatz dazu ergebe sich insbesondere aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zu Reihengeschäften, dass ein unmittelbarer Zugriff auf den Gegenstand der Lieferung nicht erforderlich sei.

  12. Die Klägerin beantragt sinngemäß,
    das Urteil des FG aufzuheben und den Umsatzsteuerbescheid vom 28. Oktober 2013 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer 2010 auf einen "Negativbetrag" von 9.500 € festgesetzt wird.

  13. Das FA beantragt,
    die Revision zurückzuweisen.

  14. Das FA verweist auf die aus seiner Sicht zutreffenden Gründe des FG-Urteils. Trotz Eigentumsübertragung im zivilrechtlichen Sinne fehle es an der Verschaffung der Verfügungsmacht, wenn die Herrschaftsmacht an der Sache nicht mit dem Willen übertragen werde, die Sachsubstanz als solche endgültig dem Abnehmer zuzuwenden. Die zeitliche und sachliche Verknüpfung zwischen Kaufvertrag und Pachtvertrag lasse darauf schließen, dass die Verschaffung der Verfügungsmacht an die Klägerin nicht ernsthaft gewollt gewesen sei. Die Anlagekomponenten hätten den tatsächlichen Herrschaftsbereich der Pächterin (C) nie verlassen. Einziger Zweck der zivilrechtlichen Eigentumsübertragung sei es gewesen, der Klägerin eine Sicherheit für ihre Pachtansprüche einzuräumen.

Entscheidungsgründe

  1. II. Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der nicht spruchreifen Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).

  2. Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass eine Lieferung im umsatzsteuerrechtlichen Sinne eine unmittelbare Zugriffsmöglichkeit des Erwerbers auf den Liefergegenstand voraussetzt. Die tatsächlichen Feststellungen tragen nicht die vom FG vorgenommene Würdigung, der wirtschaftliche Gehalt der Vereinbarungen in Kauf- und Pachtvertrag habe in der Finanzierung des Erwerbs der Photovoltaikanlage und in der Sicherung der Klägerin durch die Übertragung des zivilrechtlichen Eigentums bestanden.

  3. 1. Die Vorentscheidung ist aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, weil ihr ein nicht mehr wirksamer Verwaltungsakt zugrunde liegt.

  4. Der während des Revisionsverfahrens ergangene Bescheid über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung vom 28. Oktober 2013, der einer Steuerfestsetzung ohne Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht (§ 164 Abs. 3 Satz 2 der Abgabenordnung ‑‑AO‑‑), ist zum Gegenstand des Verfahrens geworden, denn er ersetzt nach § 121 Satz 1 i.V.m. § 68 Satz 1 FGO den zuvor ergangenen Umsatzsteuer-Jahresbescheid für 2010 vom 11. Dezember 2012, der seinerseits an die Stelle des angefochtenen Vorauszahlungsbescheides für Dezember 2010 vom 3. Mai 2011 getreten ist und über den das FG entschieden hat (vgl. dazu z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 3. November 2005 V R 63/02, BFHE 212, 161, BStBl II 2006, 337, unter II.1., Rz 17; vom 5. Juni 2014 XI R 25/12, BFHE 245, 465, BFH/NV 2014, 1692, Rz 27). Damit liegt dem FG-Urteil ein in seiner Wirkung suspendierter Bescheid zugrunde mit der Folge, dass auch das FG-Urteil insoweit keinen Bestand haben kann (vgl. dazu z.B. BFH-Urteil vom 1. Oktober 2014 XI R 13/14, BFHE 248, 367, BFH/NV 2015, 451, Rz 15, m.w.N.).

  5. 2. Lieferungen sind nach § 3 Abs. 1 UStG Leistungen, durch die ein Unternehmer oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Diese Bestimmung setzt Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (vormals Art. 5 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern) in nationales Recht um.

  6. a) Der unionsrechtliche Begriff "Lieferung von Gegenständen" bezieht sich nicht auf die Eigentumsübertragung in den durch das anwendbare nationale Recht vorgesehenen Formen. Er umfasst vielmehr jede Übertragung eines körperlichen Gegenstands durch eine Partei, die die andere Partei ermächtigt, über diesen Gegenstand faktisch so zu verfügen, als wäre sie sein Eigentümer (ständige Rechtsprechung des EuGH, vgl. z.B. EuGH-Urteile Shipping and Forwarding Enterprise Safe vom 8. Februar 1990 C-320/88, EU:C:1990:61, Umsatzsteuer-Rundschau ‑‑UR‑‑ 1991, 289, Rz 7 f.; Auto Lease Holland vom 6. Februar 2003 C-185/01, EU:C:2003:73, UR 2003, 137, Rz 32; Eon Aset Menidjmunt vom 16. Februar 2012 C-118/11, EU:C:2012:97, UR 2012, 230, Rz 39; NLB Leasing vom 2. Juli 2015 C-209/14, EU:C:2015:440, Mehrwertsteuerrecht ‑‑MwStR‑‑ 2015, 636, Rz 29, m.w.N.). Der BFH umschreibt diesen Vorgang seit jeher und ebenfalls in ständiger Rechtsprechung als Übertragung von Substanz, Wert und Ertrag, ohne damit inhaltlich von der Rechtsprechung des EuGH abzuweichen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 25. Februar 2015 XI R 15/14, BFHE 249, 343, BFH/NV 2015, 772, Rz 66, m.w.N.).

  7. b) Eine Übertragung der Befugnis, wie ein Eigentümer über einen Gegenstand zu verfügen, kann z.B. dann vorliegen, wenn der dem zivilrechtlichen Eigentümer zustehende Herausgabeanspruch wertlos ist oder der Eigentümer den wirtschaftlichen Gehalt des Gegenstands dem Abnehmer auf sonstige Weise zuwendet. Dem Herausgabeanspruch des Eigentümers kommt dabei z.B. dann keine wirtschaftliche Bedeutung mehr zu, wenn der Nutzungsberechtigte nach dem Nutzungsvertrag verlangen kann, dass ihm das zur Nutzung überlassene Wirtschaftsgut unentgeltlich oder zu einem geringen Entgelt übertragen wird (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 16. April 2008 XI R 56/06, BFHE 221, 475, BStBl II 2008, 909, unter II.2.a, Rz 26, m.w.N.; vom 24. Oktober 2013 V R 17/13, BFHE 243, 456, BStBl II 2015, 513, Rz 24).

  8. c) Ob die Verfügungsmacht in diesem Sinne übertragen wird, richtet sich nach dem Gesamtbild der Verhältnisse des Einzelfalls, d.h. den konkreten vertraglichen Vereinbarungen und deren tatsächlicher Durchführung unter Berücksichtigung der Interessenlage der Beteiligten (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 9. Februar 2006 V R 22/03, BFHE 213, 83, BStBl II 2006, 727, unter II.1.b aa, Rz 20; in BFHE 221, 475, BStBl II 2008, 909, unter II.2.a, Rz 27). Dies ist vom nationalen Gericht festzustellen (vgl. z.B. EuGH-Urteile Shipping and Forwarding Enterprise Safe, EU:C:1990:61, UR 1991, 289, Rz 13; Centralan Property vom 15. Dezember 2005 C-63/04, EU:C:2005:773, UR 2006, 418, Rz 63; Evita-K vom 18. Juli 2013 C-78/12, EU:C:2013:486, UR 2014, 475, Rz 34).

  9. 3. Entgegen der Rechtsansicht des FG ergibt sich aus diesen Grundsätzen nicht, dass eine unmittelbare Zugriffsmöglichkeit notwendige Voraussetzung für das Vorliegen einer Lieferung ist.

  10. a) Bereits der Gesetzeswortlaut von § 3 Abs. 1 UStG sieht vor, das der liefernde Unternehmer "den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen". Diese Bestimmung sieht damit vor, dass eine Lieferung durch eine direkte Auslieferung an einen Dritten (z.B. Zweiterwerber) bewirkt werden kann (vgl. Martin in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 3 UStG Rz 158). In diesem Fall hat der Abnehmer selbst keine unmittelbare Zugriffsmöglichkeit auf den Liefergegenstand. Aus der Aussage, dass es für eine umsatzsteuerrechtliche Verfügung "genügt", tatsächlich auf den Liefergegenstand einzuwirken (vgl. Nieskens in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 3 Rz 653), ergibt sich ‑‑entgegen der Auffassung des FG‑‑ nicht, dass ein "tatsächliches Einwirken auf den Gegenstand" notwendige Voraussetzung für eine Lieferung wäre.

  11. b) Dass eine unmittelbare Zugriffsmöglichkeit des Erwerbers bestehen müsste, ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung von EuGH oder BFH.

  12. Im Gegenteil geht der EuGH z.B. im Urteil VSTR vom 27. September 2012 C-587/10 (EU:C:2012:592, UR 2012, 832) zur Zuordnung der steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung davon aus, dass es Vorgänge gibt, bei denen in Bezug auf denselben Liefergegenstand zwei aufeinanderfolgende Lieferungen, aber nur eine innergemeinschaftliche Beförderung durchgeführt wurden (Rz 31, sog. Reihengeschäft). Gelangt der Liefergegenstand bei einem Reihengeschäft unmittelbar vom ersten Lieferer an den letzten Abnehmer und holt der letzte Abnehmer die Ware beim ersten Lieferer ab, so erlangt der erste Abnehmer grundsätzlich zu keinem Zeitpunkt eine unmittelbare Zugriffsmöglichkeit auf den Liefergegenstand, obwohl zwei Lieferungen vorliegen (vgl. zu einem solchen Sachverhalt z.B. BFH-Urteil vom 25. Februar 2015 XI R 30/13, BFHE 249, 336, BFH/NV 2015, 769).

  13. Eine Lieferung kann auch dadurch bewirkt werden, dass der Liefergegenstand in Vollzug einer auf Eigentumsübertragung gerichteten Vereinbarung durch Einräumung mittelbaren Besitzes übergeben wird (vgl. BFH-Urteil vom 8. September 2011 V R 43/10, BFHE 235, 501, BStBl II 2014, 203, Rz 18). Auch in diesem Fall hat der Erwerber keine unmittelbare Zugriffsmöglichkeit auf den gelieferten Gegenstand.

  14. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem EuGH-Urteil Fast Bunkering Klaipèda vom 3. September 2015 C-526/13 (EU:C:2015:536, UR 2015, 785).

  15. 4. Die Sache ist nicht spruchreif. Die vom FG bislang getroffenen Feststellungen tragen dessen Würdigung nicht, dass der wirtschaftliche Gehalt der getroffenen Vereinbarungen in Kauf- und Pachtvertrag in der Finanzierung des Erwerbs der Photovoltaikanlage und darüber hinaus in der Sicherung der Klägerin durch das zivilrechtliche Eigentum an dieser Anlage bestand.

  16. a) Um die Leistung der Klägerin als reine Finanzierungsleistung mit Sicherung durch das zivilrechtliche Eigentum anzusehen, hätte das FG feststellen müssen, ob die C ihre Verfügungsmacht über die Photovoltaikanlage ‑‑trotz der zwischenzeitlichen Veräußerung nacheinander an die G und die Klägerin sowie die anschließende (Rück-)Verpachtung an die C‑‑ zu keinem Zeitpunkt verloren hat. Dies hat das FG jedoch (ausdrücklich) offengelassen.

  17. b) Sofern die G die Verfügungsmacht über die Photovoltaikanlage erlangt hat, so ist die vom FG vorgenommene umsatzsteuerrechtliche Würdigung der Leistung der Klägerin als Finanzierungsleistung mit Sicherung durch das zivilrechtliche Eigentum nur möglich, wenn ‑‑was das FG nicht (positiv) festgestellt hat‑‑ die G entgegen der vertraglichen Vereinbarungen die Verfügungsmacht wieder an die C (zurück) übertragen hat.

  18. aa) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ergibt sich regelmäßig aus den abgeschlossenen zivilrechtlichen Vereinbarungen, wer bei einem Umsatz als Leistender bzw. als Leistungsempfänger anzusehen ist (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 24. April 2013 XI R 7/11, BFHE 241, 459, BStBl II 2013, 648, Rz 22, m.w.N.). Dem entspricht die Rechtsprechung des EuGH, wonach die einschlägigen Vertragsbedingungen bei der Feststellung der Leistungsbeziehungen zu berücksichtigen sind, da die vertragliche Situation normalerweise die wirtschaftliche und geschäftliche Realität der Transaktionen widerspiegelt (EuGH-Urteil Newey vom 20. Juni 2013 C-653/11, EU:C:2013:409, MwStR 2013, 373, Rz 43).

  19. bb) Eine von den "vertraglichen Vereinbarungen" abweichende Bestimmung des Leistenden kommt lediglich bei Vorliegen besonderer Umstände in Betracht (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 30. März 2006 V R 9/03, BFHE 213, 144, BStBl II 2006, 933, unter II.2.a, Rz 16). Der EuGH hat hierzu entschieden, dass sich herausstellen kann, "dass einige Vertragsbestimmungen gelegentlich die wirtschaftliche und geschäftliche Realität der Transaktionen nicht vollständig widerspiegeln", was insbesondere der Fall sein kann, wenn die betreffenden Vertragsbestimmungen eine missbräuchliche Gestaltung darstellen (EuGH-Urteil Newey, EU:C:2013:409, MwStR 2013, 373, Rz 44 f.).

  20. Wann eine missbräuchliche Gestaltung vorliegt, regelt im nationalen Recht § 42 AO. Diese Bestimmung ist im Umsatzsteuerrecht anwendbar. Unionsrechtlich sind nach dem Grundsatz des Verbots des Rechtsmissbrauchs rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen, die allein zu dem Zweck erfolgen, einen Steuervorteil zu erlangen, verboten. Davon kann ausgegangen werden, wenn zum einen die fraglichen Umsätze trotz formaler Anwendung der Voraussetzungen der einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts und des zu ihrer Umsetzung ergangenen nationalen Rechts zur Erlangung eines Steuervorteils führen, dessen Gewährung dem mit diesen Bestimmungen verfolgten Ziel zuwiderliefe, und zum anderen aufgrund einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich ist, dass mit den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen ein Steuervorteil bezweckt wird (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 11. April 2013 V R 28/12, BFH/NV 2013, 1638, Rz 28; vom 16. Juni 2015 XI R 17/13, BFHE 250, 470, BFH/NV 2015, 1655, Rz 36, m.w.N. aus der Rechtsprechung des EuGH).

  21. Liegt eine solche missbräuchliche Praxis vor, so sind die Vertragsbestimmungen in der Weise neu zu definieren, dass auf die Lage abgestellt wird, die ohne die diese missbräuchliche Praxis darstellenden Transaktionen bestanden hätte (EuGH-Urteil Newey, EU:C:2013:409, MwStR 2013, 373, Rz 50, m.w.N.).

  22. cc) Das FG hat, ausgehend von seiner Rechtauffassung, hierzu bislang keine Feststellungen getroffen. Es wird diese im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben.

  23. c) Das FG wird auch zu prüfen haben, ob die Leistung der Klägerin ein sog. Finanzierungsleasing darstellt (vgl. EuGH-Urteile NLB Leasing, EU:C:2015:440, MwStR 2015, 636, Rz 28, 30; Eon Aset Menidjmunt, EU:C:2012:97, UR 2012, 230, Rz 40).

  24. 5. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

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