BFH I. Senat
AO § 227, AO § 238, AO § 233a
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 04. Juni 2014, Az: 10 K 10237/13
Leitsätze
1. NV: Einwendungen gegen die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Zinshöhe von 0,5 % für jeden Monat betreffen die Rechtmäßigkeit der Zinsfestsetzung und sind daher vorrangig im Rechtsbehelfsverfahren gegen die Zinsfestsetzung und nicht im Erlassverfahren geltend zu machen .
2. NV: Eine rechtlich unzutreffende, aber bestandskräftige Festsetzung von Steuern oder steuerlichen Nebenleistungen kann nach ständiger BFH-Rechtsprechung grundsätzlich nicht durch einen Billigkeitserweis aus sachlichen Gründen nachträglich korrigiert werden .
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 5. Juni 2014 10 K 10237/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
I. Im Zuge einer Außenprüfung erließ der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) u.a. Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag, die Gewerbesteuer und Zinsen zur Gewerbesteuer für die Streitjahre 2004 bis 2006. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH, legte Einspruch ein und beantragte außerdem den Erlass der Zinsen zur Gewerbesteuer gemäß § 227 der Abgabenordnung. Auch gegen die Ablehnung ihres Erlassantrags ging die Klägerin vor.
Das FA wies die Einsprüche hinsichtlich der Zinsfestsetzung und der Erlassablehnung ab. Die Klägerin erhob in der Erlasssache Klage, mit der sie die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Zinshöhe von 6 % per annum geltend machte und auf die von ihr nicht verschuldete lange Verfahrensdauer abstellte. Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg wies die Klage ab. In seinem Urteil vom 5. Juni 2014 10 K 10237/13 ließ es die Revision nicht zu. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde. Ihres Erachtens hat die Sache rechtsgrundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist ‑‑bei erheblichen Bedenken hinsichtlich ihrer Zulässigkeit‑‑ jedenfalls unbegründet und daher durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO).
1. Die von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen haben keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung. Sie sind entweder geklärt (fehlende Klärungsbedürftigkeit) oder in einem künftigen Revisionsverfahren nicht klärbar (fehlende Klärungsfähigkeit, zu diesen beiden Anforderungen vgl. Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 115 Rz 28 und 30, m.w.N.).
a) Die Fragen,
"ob die Höhe der Verzinsung nach § 238 AO einer Korrektur, die im Rahmen eines Erlasses ... gem. § 227 AO zu erfolgen hat",
"ob die Zinshöhe von 0,5 % für jeden Monat bei dem niedrigen Zinsniveau verfassungsgemäß ist" und ‑‑sinngemäß‑‑
ob das verfassungsrechtliche Übermaßverbot eine Obergrenze für die Zinsfestsetzung gebietet, wenn mit der typisierten Verzinsung ein wirtschaftlicher Erfolg in Gestalt eines erzielbaren Zinsvorteils fingiert wird, den es angesichts der Niedrigzinsphase nicht gibt,
sind in einem künftigen Revisionsverfahren nicht klärbar. Die Fragen betreffen die Verfassungsmäßigkeit der einfach-rechtlichen Grundlagen und damit die Rechtmäßigkeit der Zinsfestsetzung. Sie sind damit vorrangig im Rechtsbehelfsverfahren gegen die Zinsfestsetzung und nicht im Erlassverfahren geltend zu machen (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 19. Mai 2011 X B 184/10, BFH/NV 2011, 1659). Ausweislich der Gründe des angegriffenen Urteils ist die Zinsfestsetzung im Streitfall allerdings in Bestandskraft erwachsen. Eine rechtlich unzutreffende, aber bestandskräftige Festsetzung von Steuern oder steuerlichen Nebenleistungen kann nach ständiger BFH-Rechtsprechung grundsätzlich nicht durch einen Billigkeitserweis aus sachlichen Gründen nachträglich korrigiert werden (z.B. BFH-Urteile vom 11. August 1987 VII R 121/84, BFHE 150, 502, BStBl II 1988, 512; vom 13. Januar 2005 V R 35/03, BFHE 208, 398, BStBl II 2005, 450; Klein/Rüsken, AO, 12. Aufl., § 163 Rz 40). Dass im Streitfall der Ausnahmefall einer offensichtlich und eindeutig unrichtigen Steuer- bzw. Zinsfestsetzung vorliegt und Rechtsbehelfe nicht oder nicht in zumutbarer Weise eingelegt werden konnten (dazu BFH-Urteile in BFHE 150, 502, BStBl II 1988, 512, und in BFHE 208, 398, BStBl II 2005, 460), ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.b) Die Frage, ob "im Fall einer überlangen Dauer einer steuerlichen Außenprüfung eine Korrektur der Zinsfestsetzung nach § 233a (AO) im Wege des Erlasses zu erfolgen" hat, ist in der Rechtsprechung des BFH hinreichend in dem Sinne rechtsgrundsätzlich geklärt, dass der Hinweis auf eine verzögerte Bearbeitung des Steuerfalls grundsätzlich nicht geeignet ist, eine abweichende Zinsfestsetzung aus Billigkeitsgründen zu begründen (vgl. BFH-Beschluss vom 26. Juli 2006 VI B 134/05, BFH/NV 2006, 2029; Senatsurteil vom 21. Oktober 2009 I R 112/08, BFH/NV 2010, 606, m.w.N.). Ob in einem bestimmten Einzelfall davon Ausnahmen zu machen sind, hängt von den konkreten Lebensumständen dieses Falles ab (vgl. BFH-Beschluss vom 11. März 2014 X B 45/13, BFH/NV 2014, 826). Allgemeine Aussagen von grundsätzlicher Bedeutung können dann aber regelmäßig nicht getroffen werden und eine Revisionszulassung scheidet aus (BFH-Beschluss in BFH/NV 2014, 826). Im Übrigen sind die allgemeinen Rechtsgrundsätze, nach denen ein Billigkeitserlass von Zinsen in Betracht kommt, durch eine Vielzahl von Entscheidungen des BFH hinreichend geklärt (vgl. Klein/Rüsken, a.a.O., § 233a Rz 50 ff., mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung). Ein neuerlicher Klärungsbedarf wird von der Klägerin nicht aufgezeigt.
c) Soweit die Klägerin schließlich die Frage stellt, "ob ein Steuerpflichtiger (den) Erlass einer Festsetzung beanspruchen (kann), auch wenn er zuvor die Festsetzung hat wirksam werden lassen", spricht sie offensichtlich das Verhältnis von Billigkeitsmaßnahmen zu den Rechtsbehelfsmöglichkeiten gegenüber Steuer- und Zinsfestsetzungen an. Diese Problematik ist durch die oben unter II.1.a der Gründe dieses Beschlusses zitierte BFH-Rechtsprechung geklärt. Der Hinweis der Klägerin auf Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes geht fehl. Die Rechtsschutzmöglichkeiten werden nicht dadurch verkürzt, dass ein Kläger mit seinen Einwendungen in das richtige Verfahren, innerhalb dessen er umfänglichen Rechtsschutz zu erlangen vermag, verwiesen wird.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.