BFH VI. Senat
EStG § 2 Abs 1 S 1 Nr 4, EStG § 2 Abs 2 S 1 Nr 2, EStG § 11 Abs 1 S 1, EStG § 11 Abs 2 S 1, EStG § 19 Abs 1 S 1 Nr 1, EStG § 20 Abs 1 Nr 1 S 2, EStG § 25, FGO § 120 Abs 3 Nr 2 Buchst a, EStG § 2 Abs 1 S 1 Nr 4, EStG § 2 Abs 2 S 1 Nr 2, EStG § 11 Abs 1 S 1, EStG § 11 Abs 2 S 1, EStG § 19 Abs 1 S 1 Nr 1, EStG § 20 Abs 1 Nr 1 S 2, EStG § 25
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht , 18. Februar 2014, Az: 9 K 217/12
Leitsätze
1. Zum Arbeitslohn gehören auch irrtümliche Überweisungen des Arbeitgebers. Die Rückzahlung von Arbeitslohn ist erst im Zeitpunkt des tatsächlichen Abflusses einkünftemindernd zu berücksichtigen (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung).
2. Auch bei beherrschenden Gesellschaftern ist der Abfluss einer Arbeitslohnrückzahlung erst im Zeitpunkt der Leistung und nicht bereits im Zeitpunkt der Fälligkeit der Rückforderung anzunehmen.
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 19. Februar 2014 9 K 217/12 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
I.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte in den Streitjahren (2008 bis 2010) als Geschäftsführer der A-GmbH (GmbH), deren Alleingesellschafter er war, Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Eine bei der GmbH im Jahr 2011 durchgeführte Außenprüfung ergab, dass die GmbH die dem Kläger zustehenden Tantiemen und Urlaubsgeldansprüche in den Streitjahren irrtümlich abweichend vom Arbeitsvertrag berechnet und ausbezahlt hatte. Die GmbH forderte die überzahlten Beträge daraufhin vom Kläger zurück. Es handelte sich für den Veranlagungszeitraum 2008 um Tantiemen in Höhe von 6.978,52 € und um Urlaubsgeld in Höhe von 1.273,75 €, für 2009 um Tantiemen in Höhe von 5.062,78 € und um Urlaubsgeld in Höhe von 1.592,87 € sowie für 2010 um Urlaubsgeld in Höhe von 1.592,87 €. Der Prüfer aktivierte in seinen Prüferbilanzen für die Streitjahre entsprechende Forderungen der GmbH gegen den Kläger.
Im Anschluss an die bei der GmbH durchgeführte Außenprüfung änderte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide des Klägers für die Streitjahre gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung und erhöhte dessen Arbeitslohn aus hier nicht im Streit stehenden Gründen um Sachbezüge aus einer PKW-Überlassung.
Der Kläger legte gegen die Änderungsbescheide Einspruch ein. Er brachte u.a. vor, dass seine Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit um die zu viel gezahlten Tantiemen und Urlaubsgelder zu kürzen seien.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage nach erfolglosem Vorverfahren mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2014, 903 veröffentlichten Gründen ab.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
Er beantragt sinngemäß,
das Urteil des Niedersächsischen FG vom 19. Februar 2014 9 K 217/12 aufzuheben und die geänderten Einkommensteuerbescheide für 2008 bis 2010 vom 19. Dezember 2011 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26. Juni 2012 dahin abzuändern, dass seine Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit für 2008 um 1.273,75 €, für 2009 um 8.571,39 € und für 2010 um 6.655,65 € niedriger angesetzt werden.Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat zutreffend entschieden, dass die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit in den Streitjahren nicht um die zu viel gezahlten Tantiemen und Urlaubsgelder zu kürzen sind.
1. Die Revision ist zulässig. Insbesondere entspricht die Revisionsbegründung den Anforderungen des § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a FGO.
a) Nach § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a FGO muss die Revisionsbegründung die bestimmte Bezeichnung der Umstände enthalten, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt. Dies erfordert, dass die erhobene Rüge eindeutig erkennen lassen muss, welche Norm der Revisionskläger für verletzt hält. Ferner muss der Revisionskläger die Gründe tatsächlicher und rechtlicher Art angeben, die nach seiner Auffassung das erstinstanzliche Urteil als unrichtig erscheinen lassen. Das folgt aus dem Sinn und Zweck des § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a FGO, das Revisionsgericht zu entlasten und den Revisionskläger zu zwingen, Inhalt, Umfang und Zweck des Revisionsangriffs von vornherein klarzustellen (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 30. April 2002 VII R 109/00, BFH/NV 2002, 1185, und vom 31. Oktober 2002 VII R 4/02, BFH/NV 2003, 328, 329). Demgemäß muss sich der Revisionskläger mit den tragenden Gründen des finanzgerichtlichen Urteils auseinandersetzen und darlegen, weshalb er diese für unrichtig hält (BFH-Beschlüsse vom 16. Oktober 1998 III R 7/98, BFH/NV 1999, 501, 502; vom 27. November 2003 VII R 49/03, BFH/NV 2004, 521, und vom 20. April 2010 VI R 44/09, BFHE 228, 407, BStBl II 2010, 691; BFH-Urteil vom 16. März 2000 III R 21/99, BFHE 192, 169, 172, BStBl II 2000, 700, 702).
b) Die Revisionsschrift genügt diesen Anforderungen. Es ist insbesondere unschädlich, dass der Kläger mit seinen materiell-rechtlichen Einwendungen gegen das FG-Urteil die seiner Ansicht nach verletzte Rechtsnorm nicht ausdrücklich bezeichnet hat. Denn es genügt insoweit, dass aus der Revisionsbegründung erkennbar ist, welche Rechtsnorm der Revisionskläger für verletzt hält (BFH-Urteile vom 18. Dezember 1970 III R 32/70, BFHE 101, 349, BStBl II 1971, 329; vom 25. Juni 2003 X R 66/00, BFH/NV 2004, 19, und vom 28. November 2007 X R 24/06, BFH/NV 2008, 774). Dies ist hier der Fall. Denn die Ausführungen des Klägers ergeben, dass das FG nach seiner Auffassung § 11 des Einkommensteuergesetzes (EStG) verletzt habe, weil es vermeintlich rechtsfehlerhaft einen Abfluss von negativen Einnahmen oder Werbungskosten nicht schon in den Streitjahren bejaht habe. Darüber hinaus hat sich der Kläger auch in ausreichendem Maße mit den tragenden Gründen des angefochtenen Urteils auseinandergesetzt und dargetan, weshalb er diese Gründe für rechtsfehlerhaft hält.
2. Die Revision ist jedoch unbegründet.
a) Das FG ist zutreffend zunächst davon ausgegangen, dass es sich bei den an den Kläger in den Streitjahren gezahlten Tantiemen und Urlaubsgeldern um Arbeitslohn handelte. Eine verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) zu Gunsten des Klägers lag dagegen nicht vor.
aa) Zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG ‑‑neben Gehältern und Löhnen‑‑ auch andere Bezüge und Vorteile, die "für" eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden, unabhängig davon, ob ein Rechtsanspruch auf sie besteht oder ob es sich um laufende oder um einmalige Bezüge handelt (§ 19 Abs. 1 Satz 2 EStG). Diese Bezüge oder Vorteile gelten dann als für eine Beschäftigung gewährt, wenn sie durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasst sind, ohne dass ihnen eine Gegenleistung für eine konkrete (einzelne) Dienstleistung des Arbeitnehmers zugrunde liegen muss. Eine Veranlassung durch das individuelle Dienstverhältnis ist vielmehr zu bejahen, wenn die Einnahmen dem Empfänger mit Rücksicht auf das Dienstverhältnis zufließen und sich als Ertrag der nichtselbständigen Arbeit darstellen, wenn sich die Leistung des Arbeitgebers also im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweist (ständige Senatsrechtsprechung, z.B. Urteile vom 7. Mai 2014 VI R 73/12, BFHE 245, 230, BStBl II 2014, 904, und vom 19. November 2015 VI R 74/14, BFHE 252, 129, BStBl II 2016, 303).
bb) Eine vGA i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG liegt demgegenüber vor, wenn eine Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung einen Vermögensvorteil zuwendet und diese Zuwendung ihren Anlass im Gesellschaftsverhältnis hat (z.B. BFH-Urteil vom 21. Oktober 2014 VIII R 21/12, BFHE 247, 538, BStBl II 2015, 638). Das ist in der Regel der Fall, wenn ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsführer diesen Vorteil einem Nichtgesellschafter nicht zugewendet hätte (BFH-Urteile vom 19. Juni 2007 VIII R 54/05, BFHE 218, 244, BStBl II 2007, 830; vom 9. März 2010 VIII R 32/07, BFHE 229, 129, und vom 27. März 2012 VIII R 27/09, BFH/NV 2012, 1127).
cc) Die von der GmbH an den Kläger versehentlich überhöht ausgezahlten Tantiemen und Urlaubsgelder sind nach diesen Maßstäben Lohnzahlungen, aber keine vGA. Denn die GmbH als Arbeitgeberin des Klägers erbrachte diese Leistungen, um ihrer vermeintlichen arbeitsvertraglichen Verpflichtung zu genügen. Die überhöhten Zahlungen an den Kläger gründeten dagegen nicht im Gesellschaftsverhältnis. Unerheblich ist insoweit, dass die GmbH die Beträge unrichtig ermittelte und dementsprechend überhöhte Tantieme- und Urlaubsgeldzahlungen leistete. Denn es entspricht der langjährigen Rechtsprechung des BFH, dass zum Arbeitslohn auch versehentliche Überweisungen des Arbeitgebers gehören, die er zurückfordern kann (BFH-Urteile vom 22. Mai 2002 VIII R 74/99, BFH/NV 2002, 1430, und vom 4. Mai 2006 VI R 17/03, BFHE 213, 383, BStBl II 2006, 830, m.w.N.). Demgegenüber sind im Streitfall keine Anhaltspunkte dafür festgestellt, dass die GmbH dem Kläger die Überzahlungen aufgrund seiner Stellung als Gesellschafter zuwandte.
b) Das FG hat ferner zu Recht entschieden, dass die Rückzahlung der von der GmbH zurückgeforderten Tantiemen und Urlaubsgelder erst im Veranlagungszeitraum des tatsächlichen Abflusses einkünftemindernd zu berücksichtigen ist. Die Vorinstanz hat den Abfluss in den Streitjahren zutreffend verneint.
aa) Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG sind Ausgaben in dem Kalenderjahr abzusetzen, in dem sie geleistet worden sind. Das in § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG normierte Abflussprinzip gilt auch für zurückgezahlten Arbeitslohn (Senatsurteil in BFHE 213, 383, BStBl II 2006, 830).
Die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.S. von § 19 Abs. 1 EStG ergeben sich gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG aus dem Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten. Nach § 2 Abs. 7 Satz 2 EStG i.V.m. § 25 EStG sind ihre Grundlagen für die Einkommensbesteuerung jeweils für ein Kalenderjahr (Veranlagungszeitraum) nach dem Zufluss und Abfluss von Gütern und nicht ‑‑wie bei den Gewinneinkünften i.S. des § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG‑‑ nach der Veränderung des Vermögensbestandes zu ermitteln. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 EStG sind Einnahmen und Ausgaben nach dem kalenderjahrbezogenen Zu- und Abflussprinzip zu erfassen, sofern nicht eine abweichende gesetzliche Ausnahmeregelung eingreift (BFH-Urteile vom 26. Januar 2000 IX R 87/95, BFHE 191, 274, BStBl II 2000, 396, und in BFHE 213, 383, BStBl II 2006, 830).
bb) Nach diesen Maßstäben sind die von der GmbH zurückgeforderten Tantiemen und Urlaubsgelder in den Streitjahren nicht einkünftemindernd als negativer Arbeitslohn oder als Werbungskosten zu berücksichtigen. Denn die zurückgeforderten Bezüge sind beim Kläger in den Streitjahren nicht abgeflossen. Nach den nicht angegriffenen und den Senat daher bindenden tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz (§ 118 Abs. 2 FGO) war der GmbH und dem Kläger in den Streitjahren noch nicht bekannt, dass die Tantieme- und Urlaubsgeldzahlungen an den Kläger irrtümlich abweichend vom Arbeitsvertrag berechnet und ausbezahlt worden waren. Erst im Rahmen der im Jahr 2011 durchgeführten Außenprüfung wurde die irrtümlich falsche Berechnung der Tantieme- und Urlaubsgeldzahlungen aufgedeckt. Die GmbH forderte die überzahlten Beträge folglich erst im Jahr 2011 vom Kläger zurück. Auch der Umstand, dass der Prüfer in seinen Prüferbilanzen für die Streitjahre entsprechende Forderungen der GmbH gegen den Kläger aktivierte, führte in den Streitjahren noch nicht zum Abfluss der von der GmbH erst im Jahr 2011 zurückgeforderten Beträge. Denn die Buchungen erfolgten ebenfalls erst nach Ablauf der Streitjahre im Jahr 2011. Eine für abgelaufene Jahre (rückwirkend) vorgenommene Buchung kann den tatsächlichen Abfluss in den Vorjahren jedoch nicht herbeiführen.
c) Das FG hat schließlich zutreffend entschieden, dass sich aus der Stellung des Klägers als Alleingesellschafter und Geschäftsführer der GmbH in Bezug auf den Abfluss keine Besonderheiten ergeben.
aa) Nach ständiger Rechtsprechung ist bei beherrschenden Gesellschaftern der Zufluss eines Vermögensvorteils zwar nicht erst im Zeitpunkt der Zahlung oder der Gutschrift auf dem Konto des Gesellschafters, sondern bereits im Zeitpunkt der Fälligkeit der Forderung anzunehmen, sofern der Anspruch eindeutig, unbestritten und fällig ist und sich gegen eine zahlungsfähige Gesellschaft richtet. Die Rechtsprechung begründet dies damit, dass ein beherrschender Gesellschafter es regelmäßig in der Hand hat, sich geschuldete Beträge auszahlen zu lassen (BFH-Urteile vom 14. Februar 1984 VIII R 221/80, BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480; vom 19. Juli 1994 VIII R 58/92, BFHE 176, 317, BStBl II 1995, 362, und vom 3. Februar 2011 VI R 4/10, BFHE 232, 501, BStBl II 2014, 493; VI R 66/09, BFHE 232, 497, BStBl II 2014, 491; Beschluss des Großen Senats des BFH vom 9. Juni 1997 GrS 1/94, BFHE 183, 187, BStBl II 1998, 307, unter C.II.1.a).
bb) Dieser Grundsatz gilt allerdings nicht für den umgekehrten Fall, dass eine Gesellschaft einen Anspruch gegen einen beherrschenden Gesellschafter hat. Denn in einem solchen Fall liegt gerade keine die Zuflussfiktion rechtfertigende "Beherrschungssituation" vor. Der beherrschende Gesellschafter beherrscht die Gesellschaft, die beherrschte Gesellschaft aber nicht den beherrschenden Gesellschafter. Die beherrschte Gesellschaft hat es insbesondere regelmäßig nicht in der Hand, sich Beträge, die ihr der beherrschende Gesellschafter schuldet, auszahlen zu lassen. Dementsprechend kann im Streitfall nicht davon ausgegangen werden, dass der beherrschten Gesellschaft, hier der GmbH, Forderungen gegen den beherrschenden Gesellschafter auf Rückzahlung überzahlten Arbeitslohns bereits im Zeitpunkt der Fälligkeit zugeflossen sind. Auch bei einem beherrschenden Gesellschafter ist der Abfluss einer Arbeitslohnrückzahlung folglich erst im Zeitpunkt der Leistung und nicht bereits im Zeitpunkt der Fälligkeit der Forderung anzunehmen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.