BFH I. Senat
KStG § 37, KStG § 40 Abs 4, GG Art 3 Abs 1, GG Art 14 Abs 1, KStG VZ 2006
vorgehend Hessisches Finanzgericht , 11. Februar 2014, Az: 4 K 1691/12
Leitsätze
1. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber die Realisation des Körperschaftsteuerguthabens bis zum Inkrafttreten des SEStEG ausschüttungsabhängig ausgestaltet hat .
2. Die gesetzliche Begrenzung der Körperschaftsteuerminderung auf 1/6 des im Rahmen einer Liquidation verteilten Vermögens, die bei unzureichender Kapitalausstattung einer Kapitalgesellschaft zu einem endgültigen Verlust von Körperschaftsteuerguthaben führen kann, ist verfassungsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden .
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 12. Februar 2014 4 K 1691/12 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Untergang von Körperschaftsteuerguthaben im Zuge einer Liquidation mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar ist.
Gegenstand der 1988 gegründeten Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer GmbH, war die Beteiligung an anderen Gesellschaften, insbesondere an der X KG als persönlich haftende Gesellschafterin. Alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer war X.
Das ihr aufgrund des Übergangs vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren zustehende Körperschaftsteuerguthaben ermittelte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) auf der Grundlage der §§ 36, 37 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG 1999) i.d.F. des Gesetzes zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung (Steuersenkungsgesetz ‑‑StSenkG‑‑) vom 23. Oktober 2000 (BGBl I 2000, 1433, BStBl I 2000, 1428) ‑‑KStG 1999‑‑ mit 172.932 €.
Die Klägerin wurde durch Gesellschafterbeschluss vom 15. Juni 2005 mit Wirkung zum 1. Juli 2005 aufgelöst. X wurde zum Liquidator bestellt.
Die Schlussverteilung des Vermögens der Klägerin in Höhe von 1.138.491 € erfolgte am 24. August 2006. Der nämliche Betrag wurde an X ausgekehrt. Nach Abschluss der Liquidation wurde die Klägerin im Handelsregister gelöscht. Zwischenzeitlich ist X zum Nachtragsliquidator bestellt worden.
Die Klägerin reichte für den Liquidationszeitraum Steuer- und Feststellungserklärungen zum Stichtag 24. August 2006 ein, denen sie das bislang festgesetzte Körperschaftsteuerguthaben von 172.932 € zugrunde gelegt hatte.
Das FA folgte den Erklärungen. Das Guthaben konnte im Rahmen der Liquidationsbesteuerung vollständig realisiert werden, weil das an X ausgekehrte Vermögen bei Zugrundelegung des für die Bemessung der Körperschaftsteuerminderung maßgeblichen gesetzlichen Faktors von 1/6 hoch genug war (1/6 des ausgekehrten Vermögens in Höhe von 1.138.491 € = 189.749 €). Die Realisierung des Guthabens führte zu einer Körperschaftsteuererstattung in Höhe von 171.217 €. Außerdem setzte das FA den Solidaritätszuschlag auf 0 € fest.
Nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die teilweise Unvereinbarkeit des § 36 Abs. 3 und 4 KStG 1999 mit Art. 3 Abs. 1 GG festgestellt (Beschluss vom 17. November 2009 1 BvR 2192/05, BVerfGE 125, 1) und der Gesetzgeber im Jahressteuergesetz 2010 vom 8. Dezember 2010 (BGBl I 2010, 1768, BStBl I 2010, 1394) eine Neuregelung zur Umgliederung der Teilbeträge des verwendbaren Eigenkapitals (vEK) in § 36 Abs. 6a KStG 2002 und in § 37 Abs. 1 KStG 2002 vorgenommen hatte, änderte das FA zahlreiche Bescheide zugunsten der Klägerin und legte diesen nunmehr ein Körperschaftsteuerguthaben in Höhe von 282.979 € zugrunde. Allerdings ging das FA davon aus, dass das Guthaben lediglich in Höhe von 1/6 des bei der Schlussverteilung ausgekehrten Betrages zu einer Körperschaftsteuerminderung bzw. -erstattung führen könne und im Übrigen verfalle. Gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen zum 24. August 2006 und den "Bescheid für 2006 über Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag", jeweils vom 15. August 2011, legte die Klägerin Einspruch ein. Im Betreff des Einspruchsschreibens wird der Feststellungsbescheid sowie der "Bescheid über Körperschaftsteuer für 2006 vom 15.08.2011" aufgeführt. In der Begründung wird die o.g. Entscheidung des BVerfG angeführt und die Begrenzung der Körperschaftsteuerminderung auf 1/6 der Liquidationsauskehrung gerügt, die zu einem vom Verfassungsgericht nicht gewollten Verlust von Körperschaftsteuerguthaben führe. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Hessische Finanzgericht (FG) teilte den vom FA eingenommenen Standpunkt. Soweit die Auszahlung eines Solidaritätszuschlags begehrt wurde, wies es die Klage als unzulässig ab, weil ein Vorverfahren i.S. des § 44 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht durchgeführt worden sei (Urteil vom 12. Februar 2014 4 K 1691/12).
Mit ihrer Revision macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass die Verfassung es gebiete, das gesamte, im Zeitpunkt der Systemumstellung vorhandene Körperschaftsteuerguthaben zu berücksichtigen.
Die Klägerin beantragt, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und den Bescheid für 2006 über Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag vom 15. August 2011 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4. Juli 2012 dahingehend zu ändern, dass
1. das zum 31. Dezember 2004 gesondert festgestellte Körperschaftsteuerguthaben in Höhe von 282.979 € vollständig als Körperschaftsteuerminderungsbetrag Berücksichtigung findet und auszuzahlen ist,
2. ein Anspruch auf Auszahlung des Solidaritätszuschlags in Höhe von 5,5 % des Auszahlungsanspruchs aus dem zum 31. Dezember 2004 gesondert festgestellten Körperschaftsteuerguthaben festgesetzt wird.Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
1. Das FG hat die Klage, soweit sie sich gegen die begehrte Auszahlung eines Solidaritätszuschlagguthabens richtete, zu Recht mangels Durchführung des gemäß § 44 Abs. 1 FGO erforderlichen Vorverfahrens als unzulässig abgewiesen.
a) Sowohl außerprozessuale Rechtsbehelfe, wie etwa der Einspruch, als auch prozessuale sind in entsprechender Anwendung des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auszulegen. Danach ist nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften, sondern der wirkliche Wille zu erforschen (Senatsurteil vom 28. November 2001 I R 93/00, BFH/NV 2002, 613; Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 19. August 2013 X R 44/11, BFHE 243, 304, BStBl II 2014, 234).
b) Das FG ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise (zum Umfang der Nachprüfung vgl. BFH-Urteil in BFHE 243, 304, BStBl II 2014, 234) davon ausgegangen, dass das Einspruchsschreiben vom 25. August 2011 und der weitere Schriftverkehr nicht den Solidaritätszuschlag betrafen. Bereits im Rubrum der Schriftsätze der fachkundig vertretenen Klägerin wird allein der Körperschaftsteuerbescheid 2006 angeführt, obgleich im Streitfall ein Sammelbescheid über Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag ergangen war (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 2002, 613 zur Anfechtung von Sammelbescheiden). Da der Solidaritätszuschlag im Sammelbescheid mit 0 € festgesetzt worden war und sich auch die Einspruchsbegründung nicht mit Fragen des Solidaritätszuschlags befasste, konnte ein objektiver Empfänger die Erklärung nicht so verstehen, dass, wie von der Revision geltend gemacht, auch eine den Solidaritätszuschlag betreffende verfassungsrechtliche Beschwer i.S. des Vorlagebeschlusses des Senats vom 10. August 2011 I R 39/10 (BFHE 234, 396, BStBl II 2012, 603) geltend gemacht werden sollte. Auch wenn nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung bei auslegungsfähigen Rechtsbehelfen davon auszugehen ist, dass der Steuerpflichtige denjenigen Rechtsbehelf einlegen will, der seinem materiell-rechtlichen Begehren am ehesten zum Erfolg verhilft (BFH-Urteil in BFHE 243, 304, BStBl II 2014, 234), rechtfertigt dies im Streitfall keine andere Beurteilung. Denn der Einspruch (nur) gegen die Körperschaftsteuerfestsetzung ist geeignet, das aus der Einspruchsbegründung zu entnehmende Begehren, den Verlust von Körperschaftsteuerguthaben wegen einer Begrenzung der Körperschaftsteuerminderung auf 1/6 der Liquidationsauskehrung zu vermeiden, sachlich durch die zur Entscheidung über den Einspruch berufene Verwaltungsbehörde und ‑‑ggf. später‑‑ durch das FG zu überprüfen.
2. Die Entscheidung des FG, keine weitergehende Körperschaftsteuerminderung bzw. -erstattung zu gewähren, ist einfach-rechtlich und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
a) Zwischen den Beteiligten besteht einfach-rechtlich kein Streit darüber, dass die Frage der Realisierung des Körperschaftsteuerguthabens im Falle einer Liquidation nach den Maßgaben des § 40 Abs. 4 KStG 2002 i.d.F. des Gesetzes zum Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen (Steuervergünstigungsabbaugesetz ‑‑StVergAbG‑‑) vom 16. Mai 2003 (BGBl I 2003, 660, BStBl I 2003, 321) zu beurteilen ist. Danach mindert sich, wenn das Vermögen einer Körperschaft im Rahmen einer Liquidation verteilt wird, die Körperschaftsteuer um den Betrag, der sich nach § 37 KStG 2002 ergeben würde, wenn das verteilte Vermögen als im Zeitpunkt der Verteilung für eine Ausschüttung verwendet gelten würde. Die Minderung der Körperschaftsteuer ‑‑die, wie der Streitfall zeigt, ohne Weiteres auch zu einer Körperschaftsteuererstattung führen kann (Senatsurteil vom 29. August 2012 I R 65/11, BFHE 238, 382, BStBl II 2013, 555; Brodersen/Littan, GmbH-Rundschau ‑‑GmbHR‑‑ 2003, 678)‑‑ ist für den Veranlagungszeitraum vorzunehmen, in dem die Liquidation endet.
Die Regelung stellt damit die Verteilung des Vermögens im Rahmen einer Liquidation einer Ausschüttung gleich (Senatsurteil in BFHE 238, 382, BStBl II 2013, 555 zum vergleichbaren Fall der Umwandlung der Körperschaft in eine Personengesellschaft; Blümich/Danelsing, § 40 KStG Rz 15; Förster, Der Betrieb ‑‑DB‑‑ 2003, 899; Antweiler in Ernst & Young, KStG, § 40 Rz 128). Diese Ausschüttungsfiktion zwingt dazu, die Realisierung des Körperschaftsteuerguthabens vom Vorhandensein ausreichenden Kapitals der Körperschaft abhängig zu machen und im Falle einer insoweit ungenügenden Vermögensausstattung das "Rest-Guthaben" nicht voraussetzungslos auszuzahlen, sondern verfallen zu lassen (vgl. z.B. Dötsch/Pung, DB 2003, 1922; Förster, a.a.O.; Krüger, DB 2003, 2249; Ommerborn in Herrmann/ Heuer/Raupach, § 40 KStG Rz 56 f; Antweiler in Ernst & Young, a.a.O., § 40 Rz 135; a.A. wohl Schwedhelm, Betriebs-Berater 2003, 609). Denn es fehlt an der gesetzlichen Grundlage für eine solche Auszahlung. Nach dem Gesetzeswortlaut (Bezugnahme auf § 37 KStG 2002) ist die Höhe der Körperschaftsteuerminderung auf 1/6 des Betrags der ausschüttungsgleichen Vermögensverteilung beschränkt und eine darüber hinausgehende Auszahlung des Guthabens nicht vorgesehen. Die Entstehungsgeschichte der Regelung bestätigt das gefundene Ergebnis. Der historische Gesetzgeber hat bewusst ein ausschüttungsabhängiges System (Gosch/Bauschatz, KStG, 3. Aufl., Vor §§ 36 bis 39 Rz 8; Hey in Herrmann/Heuer/Raupach, Steuersenkungsgesetz, Vor § 36 KStG Rz R 5 und R 34) und kein ausschüttungsunabhängiges Auszahlungsmodell etablieren wollen, wie der später von ihm vorgenommene Konzeptwechsel zeigt. Die ausschüttungsunabhängige Realisierung des Guthabens durch Auszahlung wurde erst durch das Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG) vom 7. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2782, BStBl I 2007, 4) eingeführt (vgl. § 37 Abs. 5 KStG 2002 i.d.F. des SEStEG; dazu Gosch/Bauschatz, a.a.O., Vor §§ 26 bis 39 Rz 18).
b) Dass ein Teilbetrag des Körperschaftsteuerguthabens im Rahmen der Liquidation der Klägerin nicht realisiert werden konnte und damit verfallen ist, verletzt nicht deren Grundrecht auf Gleichbehandlung. Daher ist weder eine verfassungskonforme Auslegung noch eine Vorlage des Verfahrens an das BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG geboten.
aa) Muss der Gesetzgeber komplexe Regelungssysteme umgestalten, steht ihm grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Eine erhebliche Ungleichbehandlung, die jeglichen sachlichen Grundes entbehrt, weil alle vom Gesetzgeber angestrebten Regelungsziele auch unter Vermeidung der ungleichen Behandlung und ohne Inkaufnahme anderer Nachteile erreicht werden können, braucht von den Betroffenen jedoch nicht hingenommen zu werden (BVerfG-Beschluss vom 30. September 2015 2 BvR 1066/10, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2016, 72, m.w.N.).
bb) Gemessen an diesen Grundsätzen verstößt der im Rahmen der Liquidationsbesteuerung eingetretene Verlust eines Teils des Körperschaftsteuerguthabens nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
aaa) Angesichts des weiten Gestaltungsspielraumes, der dem Gesetzgeber bei der hochkomplexen Umgestaltung des Körperschaftsteuersystems zukam, ist es nicht zu beanstanden, dass er die Realisation des Körperschaftsteuerguthabens ausschüttungsabhängig ausgestaltet hat. Diese Entscheidung hat zwar im Hinblick auf den hierdurch ausgelösten Zwang zur Ausschüttung, die wiederum eine entsprechende Kapitalausstattung voraussetzt, und die zeitliche Begrenzung für die Realisierung des Guthabens (15-Jahresfrist gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2 KStG 1999) Kritik erfahren (z.B. Hey in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., Vor § 36 KStG Rz R 34; Brodersen/Littan, GmbHR 2003, 678). Allerdings ist zu bedenken, dass die zur Zeit des Anrechnungsverfahrens entstandenen Anwartschaften ‑‑das im belasteten vEK enthaltene Körperschaftsteuerminderungspotenzial‑‑ ebenfalls nur nach Maßgabe des ausschüttungsfähigen Kapitals zum "Vollrecht" auf Körperschaftsteuerminderung erstarkt sind (vgl. Hey in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., Vor § 36 KStG Rz R 25 sowie Rz R 34 zur Frage der rechtlichen Einordnung des Körperschaftsteuerminderungspotenzials als Anwartschaftsrecht; dazu auch Senatsurteil vom 8. November 2006 I R 69, 70/05, BFHE 215, 491, BStBl II 2007, 662). Es ist nicht ersichtlich, warum der Gesetzgeber verfassungsrechtlich gehalten gewesen sein sollte, die durch Vornahme von Ausschüttungen bedingte (Alt-)Anwartschaft auf Körperschaftsteuerminderung mit Wirkung ab dem Systemwechsel nunmehr als bedingungsloses "Auszahlungs-Vollrecht" auszugestalten. Auch das BVerfG hat in seinem Beschluss in BVerfGE 125, 1 nicht zu erkennen gegeben, dass das ausschüttungsabhängige Modell verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegen könnte. Diese Bewertung deckt sich mit der Spruchpraxis des Senats (vgl. Senatsurteil in BFHE 215, 491, BStBl II 2007, 662). Ausgehend davon bestand schließlich keine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers, das 2006 eingeführte System der ausschüttungsunabhängigen Realisierung des Guthabens (s.o. unter II.2.a der Gründe dieses Urteils) rückwirkend in Kraft zu setzen.
bbb) Die im Wege gesetzlicher Fiktion vorgenommene Gleichstellung der Vermögensauskehrung im Rahmen einer Liquidation mit einer offenen Gewinnausschüttung ist sachlich gerechtfertigt, wenn nicht gar geboten. Denn eine Rechtfertigung für den ersatzlosen Untergang des Körperschaftsteuerguthabens im Fall der Liquidation ist nicht ersichtlich. Umgekehrt spricht allerdings auch nichts dafür, Vermögensauskehrungen im Fall der Liquidation im Hinblick auf die Realisation des Körperschaftsteuerguthabens gegenüber offenen Ausschüttungen zu privilegieren. Konnten diese "mangels Masse" nicht getätigt werden, verfiel das Guthaben ebenfalls mit Ablauf des Übergangszeitraumes (Hey in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., Vor § 36 KStG Rz R 34). Etwaige Gestaltungsspielräume (Ausschüttungspolitik einerseits, Bestimmung des Ob, des Wie und der Dauer der Liquidation andererseits) zur Optimierung der Realisationschancen konnten hier wie dort von den Steuerpflichtigen genutzt werden.
ccc) In der Frage der Realisierung des Guthabens bei Körperschaften nach dem Differenzierungsmerkmal der für offene Ausschüttungen oder ausschüttungsgleiche Vorgänge benötigten Kapitalausstattung zu unterscheiden, ist hiernach sachlich einleuchtend (vgl. Senatsurteil vom 20. April 2011 I R 65/05, BFHE 234, 385, BStBl II 2011, 983). Deshalb sind entgegen dem Vorbringen der Klägerin Körperschaften mit und ohne ausreichende Kapitalausstattung nicht i.S. des Art. 3 Abs. 1 GG gleich, sondern ungleich zu behandeln.
ddd) Für die Auffassung der Klägerin streitende Argumente können dem Beschluss des BVerfG in BVerfGE 125, 1 nicht entnommen werden.
Die Klägerin missdeutet diese Entscheidung, wenn sie meint, das BVerfG habe klargestellt, dass bei einer fiktiven Vollausschüttung zum Zeitpunkt des Systemwechsels realisierbares Körperschaftsteuerminderungspotential dem Steuerpflichtigen nicht genommen werden dürfe, so dass Übergangsregelungen, die zum Verlust von Guthaben im Einzelfall führten, grundsätzlich gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstießen. Das BVerfG hat sich nämlich nicht dazu geäußert, welche verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Realisierung eines zum Zeitpunkt der Systemumstellung in zutreffender Höhe festgestellten Körperschaftsteuerguthabens zu stellen sind. Der Gedanke der "fiktiven Vollausschüttung" bildete für das BVerfG lediglich den Maßstab für die quantitative Bestimmung der "richtigen" Höhe der zum Zeitpunkt der Systemumstellung bestehenden Anwartschaft auf Körperschaftsteuerminderung. Dass das BVerfG die Meinung vertreten haben könnte, dass aus verfassungsrechtlichen Gründen die qualitativen Anforderungen an die Realisierung des Guthabens abzusenken seien, indem das "Anwartschaftsrecht", also das unter der Bedingung einer tatsächlich später erfolgenden Ausschüttung stehende Recht auf Körperschaftsteuerminderung, unmittelbar zum "Vollrecht", also dem von keiner Bedingung mehr abhängigen Recht auf Körperschaftsteuerminderung, aufzuwerten sei, ist fernliegend. Denn verfassungsrechtlich war der Gesetzgeber, wie oben bereits ausgeführt, nicht verpflichtet, bei der Gewährung der Körperschaftsteuerminderung im Übergangsrecht großzügiger zu verfahren als im alten Recht (Anrechnungsverfahren). Mit anderen Worten: Verfassungsrechtlichen Schutz genießt diejenige Rechtsposition, die der Steuerpflichtige zum Zeitpunkt des Systemwechsels einfach-rechtlich innehatte; im Streitfall war somit ein bedingtes Recht geschützt. Der Gesetzgeber der Übergangsregelungen konnte den Bedingungseintritt auch weiterhin zur Voraussetzung für die Gewährung der Körperschaftsteuerminderung machen. Vorher wie nachher war es allein Sache des Steuerpflichtigen, die Voraussetzungen für den Bedingungseintritt ‑‑ggf. durch entsprechende Gestaltung seiner Verhältnisse‑‑ zu schaffen, und das Risiko, den Bedingungseintritt nicht herbeiführen zu können, lag allein bei ihm. Die abstrakt-generellen Rahmenbedingungen, die der Gesetzgeber der Übergangsregelungen dem Steuerpflichtigen vorgegeben hatte, um das Körperschaftsteuerguthaben realisieren zu können (Übergangszeitraum von 15 bzw. auf der Grundlage des Steuervergünstigungsabbaugesetzes von 18 Jahren; sofortige Vollrealisationsmöglichkeit im Fall der Umwandlung der Körperschaft in eine Personengesellschaft [§ 10 des Umwandlungssteuergesetzes i.d.F. des StVergAbG] oder im Fall der Liquidation; Gestaltungsmöglichkeiten wie z.B. das "Leg-ein-hol-zurück-Verfahren" [vgl. Antweiler in Ernst & Young, a.a.O, § 40 Rz 135 f.]), sind verfassungsrechtlich in Anbetracht des weiten gesetzgeberischen Ermessens nicht zu beanstanden. Zu großzügigeren Regelungen (z.B. bedingungslose Auszahlung des Guthabens oder ausschüttungsabhängige Realisierungsmöglichkeit ad infinitum) war er verfassungsrechtlich nicht verpflichtet. Im Rahmen dieses gesetzlichen Umfelds konnte der Steuerpflichtige auch auf Gestaltungsmöglichkeiten zur Verbesserung seiner Realisierungschancen verwiesen werden. Darin liegt kein Widerspruch zu der vom BVerfG in seinem Beschluss in BVerfGE 125, 1 gemachten Aussage, wonach das Bestehen bestimmter Gestaltungsmöglichkeiten zur Vermeidung eines umgliederungsbedingten Verlusts von Körperschaftsteuerminderungspotential denselben nicht rechtfertigen könne (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 125, 1, unter B.I.5.c der Gründe). Denn diese Aussage hat das BVerfG vor dem Hintergrund gemacht, dass die Verlustherbeiführung als Folge "überflüssiger" Umgliederungstechnik gemäß § 36 Abs. 3 und 4 KStG 1999 als solche "unnötig" ‑‑also durch keinen vernünftigen Sachgrund gerechtfertigt‑‑ war. Im Streitfall geht es dagegen um einen Verlust, der im Wesentlichen durch die unzureichende Kapitalausstattung der Klägerin verursacht wurde. Der Eintritt dieser Rechtsfolge ist aber in einem zulässigerweise vom Gesetzgeber gewählten System einer ausschüttungsabhängigen Realisierung des Körperschaftsteuerguthabens sachlich nachvollziehbar.
3. Im Hinblick auf die von der Klägerin gerügte Verletzung ihres Eigentumsgrundrechts bleibt der Senat bei seiner Meinung, dass sich im vorliegenden Zusammenhang aus Art. 14 Abs. 1 GG keine weitergehenden Wirkungen als aus Art. 3 Abs. 1 GG ergeben (Senatsurteil in BFHE 234, 385, BStBl II 2011, 983, m.w.N.).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.