BFH II. Senat
GrEStG § 3 Nr 2 S 1, GrEStG § 3 Nr 6, AO § 42 Abs 1 S 1, AO § 42 Abs 2, BGB § 1589 S 2, BGB § 1923 Abs 2, ErbStG § 7 Abs 1 Nr 2
vorgehend FG Düsseldorf, 15. Juli 2014, Az: 7 K 1201/14 GE
Leitsätze
1. Überträgt ein Elternteil Miteigentumsanteile an einem Grundstück schenkweise auf Kinder und verpflichten sich diese dazu, anteilige Miteigentumsanteile auf später geborene Geschwister zu übertragen, kann der Erwerb dieser Geschwister aufgrund interpolierender Betrachtung nach § 3 Nr. 6 i.V.m. § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG steuerbefreit sein.
2. Die interpolierende Betrachtung ist nicht durch § 42 AO ausgeschlossen, wenn die Übertragung von Miteigentumsanteilen auf später geborene Geschwister auf der Intention des schenkenden Elternteils beruht, den Kindern und künftigen Kindern im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge ein Grundstück zu gleichen Teilen zu übertragen.
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 16. Juli 2014 7 K 1201/14 GE wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
I.
Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 21. März 1988 übertrug der Vater (V) des im Oktober 1988 geborenen Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) dessen zwei Schwestern im Wege der vorweggenommenen Erbfolge Miteigentumsanteile an einem Grundstück zu gleichen Teilen. Die Schwestern verpflichteten sich in dem Vertrag, für den Fall der Geburt weiterer, ehelicher Kinder des V ihre (künftigen) Geschwister so zu stellen, als ob diese zu denselben Bedingungen einen Miteigentumsanteil erworben hätten. V behielt sich ein Nießbrauchsrecht an dem übertragenen Grundstück vor.
Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 27. Dezember 2012 übertrugen die beiden Schwestern unter Bezugnahme auf ihre Verpflichtung aus dem Vertrag vom 21. März 1988 dem Kläger gegen teilweise Übernahme der Nießbrauchsverpflichtung jeweils ein Sechstel des Grundstücks, so dass alle Geschwister Miteigentümer zu je einem Drittel wurden.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) setzte gegen den Kläger für den Erwerb der Miteigentumsanteile an dem Grundstück durch Bescheid vom 31. Januar 2013 Grunderwerbsteuer in Höhe von 5.958 € fest. Bemessungsgrundlage war der anteilige Wert der vom Kläger übernommenen Nießbrauchsverpflichtung in Höhe von 119.165 €.
Der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2014, 2075 veröffentlichten Urteil statt.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von § 3 Nr. 6 i.V.m. § 3 Nr. 2 Satz 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG).
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat zu Recht entschieden, dass der Erwerb der Miteigentumsanteile von den Schwestern durch den Kläger aufgrund interpolierender Betrachtung von § 3 Nr. 6 i.V.m. § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG von der Grunderwerbsteuer befreit ist.
1. Aus der Zusammenschau (Interpolation) zweier Befreiungsvorschriften kann sich eine Steuerbefreiung ergeben, die im Wortlaut der Einzelvorschriften, je für sich allein betrachtet, nicht zum Ausdruck kommt (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 20. Dezember 2011 II R 42/10, BFH/NV 2012, 1177). Eine Steuerbefreiung aufgrund interpolierender Betrachtung kann sich insbesondere ergeben, wenn sich der tatsächlich verwirklichte Grundstückserwerb als abgekürzter Weg darstellt und die unterbliebenen Zwischenerwerbe, wenn sie durchgeführt worden wären, ebenfalls steuerfrei wären (BFH-Beschluss vom 11. August 2014 II B 131/13, BFH/NV 2015, 5, Rz 16, m.w.N.). Der Interpolation als Auslegungsmethode sind jedoch Schranken gesetzt. So darf diese immer nur an einen real verwirklichten, nicht aber an einen fiktiven Sachverhalt anknüpfen. Des Weiteren darf kein Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 der Abgabenordnung (AO) vorliegen (Meßbacher-Hönsch in Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz, 17. Aufl., § 3 Rz 35 f.).
a) Eine Befreiung des Erwerbs der Miteigentumsanteile von den Schwestern nach § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG scheidet aus. Nach dieser Vorschrift sind u.a. Grundstücksschenkungen unter Lebenden i.S. des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) von der Grunderwerbsteuer befreit. Dadurch soll verhindert werden, dass ein Vorgang sowohl der Schenkungsteuer als auch der Grunderwerbsteuer unterliegt (Meßbacher-Hönsch in Boruttau, a.a.O., § 3 Rz 98). § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG setzt voraus, dass zivilrechtlich und schenkungsteuerrechtlich Gegenstand der Schenkung ein Grundstück ist und sich der Grundstückserwerb zwischen Schenker und Bedachtem vollzieht (BFH-Beschluss in BFH/NV 2015, 5, Rz 12).
Im Streitfall sind diese Voraussetzungen für den Erwerb des Klägers nicht erfüllt. Eine Schenkung der Schwestern an den Kläger liegt nicht vor. Die Übertragung der Miteigentumsanteile durch die Schwestern erfolgte nicht freigebig, sondern zur Erfüllung der Auflage aus dem notariellen Vertrag vom 21. März 1988. Schenkungsteuerrechtlich ist V als Zuwendender i.S. des § 7 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG anzusehen, weil die Schwestern ihm gegenüber zur Übertragung der Miteigentumsanteile auf den Kläger verpflichtet waren (BFH-Beschluss in BFH/NV 2015, 5, Rz 13, m.w.N.). V hatte die Zuwendungen der hälftigen Miteigentumsanteile an die Schwestern im Vertrag vom 21. März 1988 mit der aufschiebend bedingten Verpflichtung verbunden, anteilige Miteigentumsanteile auf künftige Geschwister zu übertragen. Schenker ist nicht der mit der Auflage Beschwerte, sondern derjenige, der dem mit der Auflage Beschwerten die Zuwendung macht (vgl. BFH-Urteil vom 17. Februar 1993 II R 72/90, BFHE 171, 316, BStBl II 1993, 523).
Eine Befreiung des Erwerbs des Klägers nach § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG kommt trotz der schenkungsteuerrechtlich vorliegenden Zuwendung des V an den Kläger nicht in Betracht. V hat nicht selbst die Miteigentumsanteile übertragen und war damit nicht an dem der Grunderwerbsteuer unterliegenden Rechtsvorgang beteiligt. Der Grundstückserwerb vollzog sich deshalb nicht zwischen dem Schenker und dem Bedachten.
b) Eine Befreiung des Erwerbs der Miteigentumsanteile nach § 3 Nr. 6 Satz 1 GrEStG scheidet ebenfalls aus. Der Kläger und seine Schwestern sind nicht Verwandte in gerader Linie, sondern als Geschwister in der Seitenlinie verwandt (§ 1589 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ‑‑BGB‑‑).
c) Die Steuerbefreiung des Erwerbs ergibt sich aufgrund interpolierender Betrachtung nach § 3 Nr. 6 und § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG. Die Übertragung der von V zugewendeten Miteigentumsanteile der Schwestern auf den Kläger stellt sich als abgekürzter Weg einer freigebigen Zuwendung des V an den Kläger dar. Eine Übertragung der Miteigentumsanteile von jeweils einem Sechstel von den Schwestern auf V wäre nach § 3 Nr. 6 Satz 1 GrEStG ‑‑und gegebenenfalls auch nach § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG‑‑ steuerfrei gewesen. Die anschließende Übertragung dieser Miteigentumsanteile von V auf den Kläger wäre nach § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG von der Grunderwerbsteuer befreit gewesen. Diese interpolierende Betrachtung knüpft an den real verwirklichten Sachverhalt der Übertragung der Miteigentumsanteile von den Schwestern auf den Kläger an.
d) Die Anwendung der Steuerbefreiungen aufgrund interpolierender Betrachtung ist nicht durch § 42 AO ausgeschlossen.
aa) Ein Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AO kann vorliegen, wenn bei einer beabsichtigten Grundstücksübertragung zwischen Geschwistern die Grundstücke zunächst auf die Eltern übertragen werden, um eine Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 6 GrEStG zu erreichen (vgl. BFH-Urteil vom 30. November 1960 II 154/59 U, BFHE 72, 54, BStBl III 1961, 21), und hierfür kein außerhalb der Steuerersparnis liegender beachtlicher Grund vorhanden ist (vgl. BFH-Urteil vom 18. Dezember 1963 II 198/61, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1964, 246; Pahlke, GrEStG, 5. Aufl., Vorb §§ 3 bis 7 Rz 11).
bb) Ein solcher Gestaltungsmissbrauch liegt im Streitfall jedoch nicht vor. Ein außerhalb der Steuerersparnis liegender beachtlicher Grund für die gewählte Gestaltung ergibt sich vorliegend daraus, dass der Kläger im Zeitpunkt des notariellen Vertragsabschlusses am 21. März 1988 ‑‑anders als die Schwestern‑‑ mangels Rechtsfähigkeit nicht im Rahmen einer Schenkung berücksichtigt werden konnte. Nach § 1923 Abs. 2 BGB gilt derjenige, der zur Zeit des Erbfalls noch nicht lebte, aber bereits gezeugt war, als vor dem Erbfall geboren (Erbfähigkeit des nasciturus, vgl. Palandt/Weidlich, BGB, 75. Aufl., § 1923 Rz 6). Eine dem § 1923 Abs. 2 BGB entsprechende Regelung für Schenkungen gibt es jedoch nicht. Daher konnte der Kläger nur dadurch in die vertraglichen Regelungen einbezogen werden, dass V den Schwestern das Grundstück mit der Auflage schenkte, dem Kläger nach dessen Geburt einen entsprechenden Miteigentumsanteil zu übertragen. Nach dem Vertrag vom 21. März 1988 war von Anfang an eine Grundstücksübertragung von V auf dessen Kinder und künftige Kinder zu gleichen Teilen geplant. Der gewählten Gestaltung lag damit die außersteuerliche Intention zugrunde, alle Kinder im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge gleichmäßig zu berücksichtigen.
cc) Zudem ist von der Rechtsprechung anerkannt, dass sich im Rahmen der Gestaltung einer vorweggenommenen Erbfolge ein beachtlicher Grund für die gewählte Gestaltung aus dem Interesse eines Elternteils ergeben kann, gegenüber einem begünstigten Kind selbst als Schenker aufzutreten (BFH-Urteil in BFHE 72, 54, BStBl III 1961, 21; BFH-Beschluss in BFH/NV 2015, 5, Rz 18). So ist es hier, da es sich bei dem Vertrag vom 21. März 1988 um eine Regelung zur Vorwegnahme der Erbfolge handelt.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.